Wirtschaftspolitische Position der IHK Region Stuttgart

Energie-und Klimapolitik: langfristige Perspektiven schaffen (EU-Binnenmarkt und Marktdesign)

Positionen:
  • Da ein funktionierender EU-Energiebinnenmarkt mit leistungsfähigen länderübergreifenden Infrastrukturen die Kosten für die gewerblichen Stromkunden deutlich reduziert, sollte die Bundesregierung ihre Energiepolitik stärker in den europäischen Kontext einbetten.

  • Das Land sollte sich auf Bundes- und EU-Ebene für die Vollendung des EU-Binnenmarktes starkmachen.

  • Ein vollendeter Binnenmarkt erhöht die Effizienz der Versorgung, senkt die Stromrechnung für die Unternehmen und hilft, die schwankende Einspeisung von Wind- und Solaranlagen auszugleichen. Vorrangige Aufgabe ist es daher, eine zur Energiewende und zum europäischen Strombinnenmarkt passende Strommarktordnung umzusetzen.

  • Die volatile Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien sollte europaweit über den Markt besser mit der flexiblen Nachfrage der Verbraucher in Einklang gebracht werden. Dazu sollten die Mitgliedstaaten grenzüberschreitende Infrastrukturen ausbauen und einheitliche Marktregeln schaffen.

  • Das Dritte Energiebinnenmarktpaket sollte von allen Mitgliedstaaten und Marktakteuren lückenlos umgesetzt werden.

  • Das von der EU vorgegebene Ziel, bis 2030 die grenzüberschreitende Stromnetze auf 15 Prozent der jeweiligen nationalen installierten Leistung auszubauen (Interkonnektivitätsziel), ist augenscheinlich noch richtig. Eine kontinuierliche Überprüfung der benötigten Leistung hinsichtlich Kraftwerksstillegungen, Ausbauziele erneuerbare Energien, Sektorenkopplung und Ausbau der Elektromobilität erscheint ratsam.

  • Die deutschen Kraftwerke müssen im europäischen Strombinnenmarkt in einem fairen Wettbewerb mit anderen stehen. Dies ist nicht der Fall, wenn sie über den sog. Klimaschutzbeitrag einseitig benachteiligt werden. Nachträgliche Eingriffe in Kraftwerksinvestitionen motivieren zudem nicht, in neue Anlagen oder Modernisierungen zu investieren. Das konterkariert die Bemühungen, mit dem Strommarkt 2.0 mehr Planungs- und Investitionssicherheit zu schaffen.

  • Zur Absicherung des Umbaus des Energiesystems könnte eine zeitlich begrenzte Kapazitätsreserve gegebenenfalls ausreichen. Die Einführung eines Kapazitätsmechanismus sollte jedoch nur Ultima Ratio sein bei gravierenden und langanhalten-den Engpässen und sollte zudem europäisch koordiniert und zeitlich begrenzt werden. Ein so weitreichendes Instrument kommt allenfalls in Betracht, wenn die Versorgungssicherheit gefährdet ist und dies auch grenzüberschreitend nicht gelöst werden kann.

  • Kapazitätsmechanismen sollten der Binnenmarktvollendung nicht entgegenwirken, indem sie Anreize für Investitionen in Interkonnektoren und Flexibilitäten reduzieren.

  • Sofern Kapazitätsmarktmechanismen unverzichtbar sein sollten, müssen sie wettbewerblich, diskriminierungsfrei, technologieoffen und reversibel ausgestaltet sein.

  • Zur Behebung regionaler Versorgungsengpässe sollte die Reservekraftwerksverordnung und die Beschaffung der Netzreserve weiterentwickelt werden. Eine Möglichkeit besteht gegebenenfalls auch in der öffentlichen Ausschreibung der benötigten Kapazitäten.

  • Die freie Preisbildung ist von höchster Bedeutung, damit die europaweit wirtschaftlichsten Flexibilitäten - bei Erzeugern, Nachfragern und durch Speicher - zum Einsatz kommen. Auf europäischer Ebene sollten mithin die Vorgaben für das Strommarktdesign weiterentwickelt werden. Die Übertragungsnetze, ebenso wie die Kuppelstellen sollten grenzüberschreitend besser verknüpft werden und EU-weit relevante Infrastrukturprojekte sollten gemeinsam koordiniert werden.

  • Der Ausbau der erneuerbaren Energien, der Zubau von konventionellen Kraftwerkskapazitäten, der Ausbau der Netze und Speicherkapazitäten (insb. Pumpspeicher), steigende Stromimporte und ein angepasstes Marktdesign einschließlich der Instrumente zum Lastmanagement sollten mit ihren gegenseitigen Abhängigkeiten und im europäischen Kontext betrachtet werden.

  • Der Strommarkt leidet an starken und vielfältigen Regulierungen. Um die Versorgungssicherheit als bedeutenden Standortfaktor zu erhalten, könnte ein Energy-Only-market (EOM) mit Kapazitätsreserve als marktgerechteres Instrument im vergleich zu einem Kapazitätsmarkt, zumindest auf Sicht, ausreichend sein. Im EOM werden nur die tatsächlichen Energielieferungen vergütet werden, nicht aber die Bereitstellung von Leistung. Inwieweit der Energy-Only-Markt auch zukünftig ausreichende Anreize für die Erhaltung der benötigten Kraftwerkskapazitäten bietet, sollte beobachtet werden.

  • Falls notwendige Rahmenbedingungen wie Angebots- und Nachfrageflexibilisierung, auch bei erneuerbare Energien, die Verfügbarkeit von Importen zu Spitzenlastzeiten und die Zulassung von Preisspitzen nicht ausreichen, sollte nach 2025 die Einführung eines Kapazitätsmarktes in Betracht gezogen werden.

  • Die Länder sollten sich im Sinne ihrer Gesamtverantwortung mit dem Bund auf eine gemeinsame Ausbaustrategie bei den erneuerbaren Energien verständigen. 17 eigenständige Energiewenden können nicht effizient sein und verteuern den Umbau der Energieversorgung unnötig.

  • Um die Energiewende in Deutschland erfolgreich umzusetzen, sollte sich die Landesregierung für ein abgestimmtes Verhalten mit den anderen Bundesländern einsetzen und Landesinteressen in eine übergeordnete Strategie (europäischer und deutscher Kontext) einfügen.

  • Die Landesregierung sollte sich mit aller Kraft auf Bundesebene für ein möglichst marktnahes, kostengünstiges und technologieoffenes Strommarktdesign einsetzen, welches die sichere Stromversorgung gerade in Baden-Württemberg zuverlässig gewährleistet. Über den Bund sollte das Land auch versuchen auf die europäische Ebene einzuwirken.

  • Die energie- und klimapolitischen Herausforderungen sollten europäisch angegangen werden, lassen sich jedoch nicht von Europa allein lösen. Die Wirtschaft steht hinter einer starken Energieunion. Notwendig sind aus Sicht der Unternehmen ein vollendeter Energiebinnenmarkt, globale Anstrengungen beim Klimaschutz sowie eine allgemein stärkere Koordinierung.

  • Die EU sollte die politisch gewollte Priorisierung des Klimaziels im Rahmen der Ziele für 2030 ernst nehmen und sollte das ETS-System (Emissionshandelssystem) als marktwirtschaftliches Leitinstrument weiter nutzen.

  • Anreize zum Ausbau erneuerbarer Energien und das Einsparen von Energie sollten sich unter Berücksichtigung der jeweiligen CO2- Vermeidungskosten primär aus den EU-Vorgaben zur Reduzierung der CO2-Emissionen ableiten.

  • Klimapolitik und Energiepolitik sollten dabei zueinander konsistent verfolgt werden. Dies bedingt eine wechselseitige Abhängigkeit: Wenn und soweit Energiepolitik unter dem Einfluss klimapolitischer Vorgaben steht, sollte umgekehrt Klimapolitik unter dem Vorbehalt energiepolitischer Vertretbarkeit stehen. Kriterien der Vertretbarkeit sind dabei die Preisstabilität, die Versorgungssicherheit und der Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit der gewerblichen Abnehmer.

  • Statt regionale Klimaschutz-Subziele zu verfolgen, sollte die Politik das Emissionshandelssystem (EHS) als eigenständiges und einziges Klimaschutzinstrument wirken lassen.

  • Auch wenn nur wenige Unternehmen der Region Stuttgart direkt vom Emissionshandel betroffen sind, sollte es das Ziel sein, den Emissionshandel zu globalisieren, um damit alle Emittenten unter gleiche Wettbewerbsbedingungen zu stellen. Denn beispielsweise eine Verteuerung der Stahlproduktion durch CO2-Zertifikate wirkt sich gerade in industriestarken Regionen wie in Stuttgart besonders aus.

  • Bis 2050 sollen durch den Ausbau der erneuerbaren Energien und die Vermeidung von Energieverbrauch die CO2-Emissionen drastisch sinken. Die im europäischen und internationalen Vergleich hohen Stromkosten belasten die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft schon heute. Die Vielzahl sich überlagernder regulatorischer Eingriffe durch Stromsteuer, Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG), Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) und CO2-Emissionszertifikatehandel stehen einem kosteneffizienten Klimaschutz entgegen. Markt und Wettbewerb können in diesem regulatorischen Umfeld ihre positiven Effekte kaum entfalten. - Ziel sollte eine Kopplung von Strom-, Wärme- und Verkehrssektor sein, somit würden sich auch Belastungen für die Unternehmen reduzieren. Zudem würde dies auch der CO2 Minderung, der Netzstabilität und der Versorgungssicherheit der industrielastigen regionalen Wirtschaft dienen.

  • Das baden-württembergische Landesziel zur CO2-Reduktion bei der Stromerzeugung ist unrealistisch und wird auch bei Erreichung des angestrebten Ausbaus der erneuerbaren Energie im Land klar verfehlt.

  • Landeskonzepte und -gesetze sollten keine über bereits bestehende Anforderungen auf EU- oder Bundesebene hinausgehenden Regelungen enthalten, die als wettbewerbsverzerrende Alleingänge eine Verschlechterung der Rahmenbedingungen für die Wirtschaft in Baden-Württemberg darstellen.

  • Bevor das Integriertes Energie- und Klimaschutzkonzept (IEKK) oder Klimaschutzgesetz (KSG) fortgeschrieben werden, sollten diese hinsichtlich Wirksamkeit und Kosten evaluiert werden.

  • Die Chancen eines verstärkten Klimaschutzes für die Wirtschaft lassen sich erschließen auf Basis einer Politik, die auf marktnahe Lösungen, Energieträgerneutralität und Technologieoffenheit setzt.

  • Zusätzlich zum Klimaziel vorgegebene Ziele für die Einsparung von Energie sind weitgehend verzichtbar. Aus der Sicht der Unternehmen sind somit verbindliche Ziele oder Quoten zur Energieeinsparung unnötig, da zum einen die Energieversorgung klimaschonender und zum anderen auch die Wirtschaft immer energieeffizienter wird.

  • Die Bundesregierung sollte darauf achten, dass Planungssicherheit und Vertrauensschutz bei ihren Vorhaben Priorität genießen. Für die Wirtschaft haben energiepolitische Entscheidungen höchste Relevanz. Sprunghafte und mitunter widersprüchliche Entscheidungen der Politik, gilt es zu vermeiden, da sie zu großer Unsicherheit und unnötig hohen Kosten führen können.

  • Politische Entscheidungen sollten verlässlich sein und für alle Unternehmen in den verschiedenen Sektoren des Energiesystems hinreichende Planungssicherheit schaffen. Die Wirtschaft wünscht sich mehr Kontinuität bei den energiepolitischen Gesetzen, dies zeigte auch eine rege Diskussion im Energieausschuss der IHK Region Stuttgart. Denn nur bei Planungssicherheit sind unternehmerische Energieentscheidungen möglich. So wurden bspw. aufgrund der Gesetzeslage aktuelle Planungen von KWK-Anlagen mit Eigenerzeugung derzeit auf Eis gelegt.

  • Die Bundesregierung sollte sich gegenüber der EU-Kommission dafür einsetzen, dass die nächsten Umwelt- und Energiebeihilfeleitlinien länger als sechs Jahre Gültigkeit haben. Dadurch würde unter anderem die Planungssicherheit erhöht.

  • Viele Instrumente der Energie- und Klimapolitik verfolgen dasselbe Ziel: Klimaschutz durch den Ausbau der erneuerbaren Energien und die Steigerung der Energieeffizienz voranbringen. Das Nebeneinander der Instrumente führt aber zu Wirkungsverlusten. Energiesteuern, EEG, KWKG oder CO2-Emissionshandel sollten besser aufeinander abgestimmt werden, um die Belastungen für Unternehmen zu begrenzen. Auch die Kalkulationsgrundlage würde verbessert werden.

Hintergrund

Die energie- und klimapolitischen Herausforderungen müssen europäisch angegangen werden, lassen sich jedoch nicht von Europa allein lösen. Ein wettbewerblich geprägter EU-Energiebinnenmarkt ist zwar mit dem Dritten Binnenmarktpaket beschlossen, die Energiemarktintegration und die Infrastrukturen funktionieren aber erst in Ansätzen. So wurde zwar unter anderem mit diesem die Entflechtung von Stromnetz und Stromproduktion entscheidend forciert, aber einige Rechtsvorschriften wurden bislang jedoch noch nicht von allen Mitgliedstaaten korrekt umgesetzt. Ein diskriminierungsfreier grenzüberschreitender Handel mit Strom und Gas ist jedoch Voraussetzung, um ein weiteres Zusammenwachsen der Strommärkte zu ermöglichen. Dies bringt Vorteile für die Versorgungssicherheit und bezahlbare Preise. Voraussetzung dafür ist ein weiterer Ausbau der Grenzkuppelstellen, ein leistungsfähiges Übertragungsnetz, eine Kopplung der Intraday-Märkte sowie eine stärker grenzüberschreitende Ausrichtung der Regelenergiemärkte. Die Wirtschaft steht hinter einer starken Energieunion. Notwendig sind aus Sicht der Unternehmen ein vollendeter Energiebinnenmarkt, globale Anstrengungen beim Klimaschutz sowie eine allgemein stärkere Koordinierung. Die Vollendung des EU-Energiebinnenmarktes könnte insbesondere der Industrie helfen, da sich wettbewerbsfähige Energiepreise bilden könnten, was national und international tätigen Unternehmen dabei helfen würde konkurrenzfähig zu bleiben. Die EU ist Ende 2015 mit ehrgeizigen CO2-Minderungszielen in die UN-Klimaverhandlungen gezogen, eine Verständigung auf ein weltweit verbindliches CO2-Minderungsziel gibt es jedoch bisher nicht. In Deutschland konnten die Treibhausgas-Emissionen seit 1990 deutlich vermindert werden. Die in Kohlendioxid (CO2)-Äquivalente umgerechneten Gesamtemissionen (ohne Kohlendioxid-Emissionen aus Landnutzung, Landnutzungsänderung und Forstwirtschaft) sanken bis 2014 um mehr als 27 Prozent (Quelle Umweltbundesamt). Durch den nationalen Klimaschutzbeitrag sollen konventionelle Kraftwerke zunächst einen jährlichen Emissionsfreibetrag erhalten. Dieser Freibetrag soll allerdings ab dem einundzwanzigsten Betriebsjahr von sieben Millionen Tonnen CO2 pro Gigawatt auf drei Millionen Tonnen CO2 pro Gigawatt ab dem vierzigsten Betriebsjahr linear sinken. Dieses Instrument soll die Wirkung des europäischen Emissionshandels (ETS) verstärken. Die weitere Verschärfung des EU-Emissionshandels bedeutet, dass der Abstand zwischen der EU und ihren globalen Wettbewerbern bei den Klimaschutzkosten größer wird und die Investitionsbereitschaft der energieintensiven Industrie am Standort Europa kleiner wird. Der von der Bundesregierung vorgelegte "CO2-Projektionsbericht 2017" lässt unter anderem auch darauf schließen, dass auch das baden-württembergische Landesziel zur CO2-Reduktion bei der Stromerzeugung unrealistisch ist und dies selbst auch bei Erreichung des angestrebten Ausbaus der erneuerbaren Energie im Land verfehlen wird. Ergänzend sei angemerkt: Die deutsche Industrie, als auch im Besonderen die baden-württembergischen Unternehmen, zählen heute schon zu den Effizientesten. Es besteht die Gefahr von einer Kostenexplosion für neue Effizienzmaßnahmen, um gegebenenfalls vorgegebene CO2-Ziele einhalten zu können.
Gerade die regionale Wirtschaft, insbesondere die kleinen und mittleren Unternehmen im Bezirk der IHK Region Stuttgart, sind darauf angewiesen, dass mittel- und langfristig die vielfältigen Instrumente zur Erreichung der Klimaschutzziele aufeinander abgestimmt werden, um so eine langfristige Planung zu ermöglichen und den Standort für Unternehmen mit weltweiter Wettbewerbsfähigkeit halten zu können. Exemplarisch dafür stehen die häufigen EEG-Novellen oder das jüngst veröffentlichte KWK-Gesetz. Dies betrifft zum einen alle Investoren in erneuerbare Energien, aber auch die Industrie bei der Planung neuer Erzeugungsanlagen.
Ein Energy-Only-Market (EOM) kombiniert mit einer Kapazitätsreserve könnte gegebenenfalls ein zukunftsfähiger Energiemarkt sein. In dieser Konstellation könnte auch entsprechende Versorgungssicherheit gewährleistet werden.