Wirtschaftspolitische Position der IHK Region Stuttgart

Fahrpersonalrechtliche Vorschriften in Sachen Umsetzbarkeit und Kontrollierbarkeit optimieren

Positionen:
  • Um möglichst wenig Spielraum für nationale Sonderwege und Individualauslegung zu lassen, sollten die Vorschriften wo immer möglich in Form von EU-Verordnungen, die in allen EU-Mitgliedstaaten unmittelbar gelten, ausformuliert sein. Richtlinien der EU sind aufgrund der Notwendigkeit der nationalen Umsetzung bereits ein Einfallstor für abweichende Auslegung. Werden, wie im Fahrpersonalrecht besonders stark zu beobachten, Auslegungen durch den Verordnungsgeber nur in Form von „guidance notes“ und „clarification notes“ veröffentlicht, die weder für die Mitgliedstaaten noch für deren Gerichte verbindlich sind, sondern im Endeffekt nur „Auslegungswünsche“ des Verordnungsgebers zum Ausdruck bringen, ist die Uneinheitlichkeit der Auslegung fast schon vorprogrammiert.

  • Besondere Bedeutung kommt einer präzisen und umfassenden, auch möglichst viele Einzelfallkonstellationen würdigende Formulierung der Vorschriften zu. Beispielsweise findet sich im Artikel 34 der VO (EU) Nr. 165/2014 folgender Passus: „Die Mitgliedstaaten dürfen von den Fahrern nicht die Vorlage von Formularen verlangen, mit denen die Tätigkeit der Fahrer, während sie sich nicht im Fahrzeug aufhalten, bescheinigt wird.“ Daraus haben einige Behörden herausgelesen, dass seitens der Unternehmen und Fahrer die Nutzung von Papierbescheinigungen zum Nachweis von Tätigkeitszeiträumen, in denen kein aufzeichnungspflichtiges Fahrzeug gelenkt wurde, in keiner Weise und Form gestattet ist. Wie der Juristische Dienst der EU-Kommission klargestellt hat, sei mit dieser Formulierung jedoch nur bezweckt worden, individuellen, rein auf nationalen Vorschriften basierenden Formularen einen Riegel vorzuschieben – das von der EU-Kommission veröffentlichte Formular sei dadurch in keiner Weise tangiert und dürfe weiterhin für den Nachweis derartiger Zeiträume verwendet werden.

  • Die IHK setzt sich für praxistaugliche Verfahren ein, die eine verbesserte Kontrollierbarkeit sicherstellen und die für Kontrollzwecke notwendigen Informationen bereitstellen. Teilweise werden in den Rechtsgrundlagen Regelungen nur sinngemäß angesprochen bzw. oberflächlich formuliert. In der Praxis wird dann nicht deutlich, wie z. B. die Bedienung des Kontrollgerätes zu erfolgen hat, um eindeutig die Inanspruchnahme einer Regelung zu belegen. Vorschriften sollen verständlich formuliert werden. Betroffen sind nicht nur bei Unternehmen des gewerblichen Güterkraft- oder Personenverkehrs beschäftigte „Berufskraftfahrer“, die tagtäglich hinter dem Steuer eines aufzeichnungspflichtigen Fahrzeugs ihrer Hauptbeschäftigung nachgehen. In unzähligen Unternehmen (Händler, Dienstleister, produzierende Unternehmen, Handwerker, gemeinnützige oder mildtätige Organisationen) sind auch Personen in Voll- oder Teilzeit oder auch nur geringfügig beschäftigt, die entweder mit gewisser Regelmäßigkeit oder auch nur sehr selten ein entsprechendes Fahrzeug lenken, hauptsächlich aber mit anderen Arbeitstätigkeiten betraut sind. Diese Zielgruppe wird vom Verordnungsgeber nicht in ausreichendem Maße bei der Ausgestaltung der Vorschriften berücksichtigt. Insbesondere der seit längerer Zeit geführte und immer noch nicht eindeutig abgeschlossene Diskussionsprozess rund um die Fragestellung, wie in den unzähligen Einzelfallkonstellationen eine lückenlose Nachweisführung der Lenk- und Ruhezeitaufzeichnungen (insb. nach Artikel 34 der VO (EU) Nr. 165/2014, Artikel 6 der VO (EG) Nr. 561/2006, clarification note no. 7 der EU-Kommission und § 20 Fahrpersonalverordnung) gelingen kann, die letztlich auch in allen EU-Mitgliedstaaten und unabhängig davon, ob der Fahrer im Personenverkehr, gewerblichen Güterkraftverkehr oder Werkverkehr tätig ist und in welcher Form (digitales oder analoges Kontrollgerät, Tageskontrollblatt) die Aufzeichnungen angefertigt werden, Akzeptanz findet, ist hierfür ein geeignetes Beispiel.

  • Die rechtlichen Grundlagen regeln das grundlegende Regime der Arbeitstätigkeit und der damit einhergehenden Arbeitsunterbrechungen sowie die Art und Weise, wie diese Tätigkeiten und Nicht-Tätigkeiten (technisch) aufgezeichnet werden. Nicht geregelt, sondern letztlich der Interpretation von Software-Programmierern überlassen ist hingegen die Auswertung der aufgezeichneten Daten. Dieses Defizit sollte aus Sicht der IHK beseitigt werden, ggf. kann hier eine standardisierte Basis-Software, auf der die Softwareherstellen aufbauen können, für eine einheitliche Interpretation der zugrundeliegenden Vorschriften hilfreich sein. Die Programmierer kämpfen ebenso mit den oben dargestellten Detaildefiziten. Folge kann sein, dass ein durch einen Kontrollbeamten (vermeintlich) festgestelltes Fehlverhalten, das zu einer Unterbrechung der Weiterfahrt und somit einer Störung im Beförderungsablauf, oder zu einer finanziellen Sanktionierung führen kann, allein aufgrund dieser Interpretation „festgestellt“ wird und tatsächlich überhaupt keinen Rechtsverstoß darstellt. Ein Beispiel hierfür wäre die Verlängerung einer Pause/Fahrtunterbrechung oder einer Ruhezeit (weit) über das gesetzliche Mindestmaß hinaus. Viele Softwareprogramme sind so programmiert, dass zwei verkürzte Wochenruhezeiten hintereinander als Verstoß ausgegeben werden. Wird aber die Vorschrift bezüglich der mindestens einzulegenden wöchentlichen Ruhezeiten erfüllt und dazu zusätzlich eine weitere (verkürzte) Wochenruhezeit eingelegt, kann es sich mitnichten um einen Verstoß handeln – der Fahrer ruht ja sogar länger bzw. umfangreicher, als es der Verordnungsgeber vorschreibt.

  • Die IHK setzt sich dafür ein, dass Vorschriften so umgestaltet werden, dass die Ziele der Verordnung besser erfüllt werden können und das allgemeine Schutzniveau erhöht wird. Vereinzelt sind die Vorschriften dazu geeignet, die Erreichung der damit verbundenen Ziele zu konterkarieren, z. B. die Aufrechterhaltung eines hohen Sicherheitsniveaus im Straßenverkehr. Wenn, wie gegenwärtig, im Artikel 9 der VO (EG) Nr. 561/2006 festgestellt wird, dass Anreisezeiten zum Fahrzeug als Arbeits- oder Bereitschaftszeit gelten, wenn dieses nicht am Unternehmensstandort übernommen wird, kann dies das Sicherheitsniveau erhöhen. Reist der Arbeitnehmer aber mit einem PKW direkt zum Standort des Unternehmens und übernimmt er das Fahrzeug dort, handelt es sich um Freizeit (= Ruhezeit). Das kann zu der obskuren Situation führen, dass der eine Arbeitnehmer, der eine zehnstündige Anfahrt zum Betriebshof hat (Arbeitgeber in Deutschland, Lebensmittelpunkt des Fahrers in Polen), diese Zeit als Freizeit verbuchen kann und nach Ankunft am Betriebshof in einen bis zu zehnstündigen Arbeitstag startet. Demgegenüber muss ein Arbeitnehmer, der seinen Wohnsitz vielleicht nur fünf Gehminuten vom Arbeitgeber entfernt hat, für die hin und wieder vorkommende direkte 20-minütige Anfahrt von der Wohnung zum nicht am Standort übernommenen Fahrzeug Arbeitszeit verbuchen.

  • In einigen Details ergeben sich zwischen verwandten, gleichzeitig jedoch getrennt zu betrachtenden Rechtsgebieten, Praxisschwierigkeiten. Die IHK fordert eine Angleichung der Ausnahmekataloge, Geltungsbereiche und ggf. weitere Detailregelungen, da Inkonsistenzen in der Praxis nur schwer vermittelbar sind und eine bessere Akzeptanz der Vorschriften erreicht werden soll. Dies natürlich nur insoweit als keine triftigen sachlichen Gründe für diese Differenzen bestehen. Ein Beispiel dafür wäre der Ausnahmenkatalog im Fahrpersonalrecht, der in Tiefe und Tragweite wesentlich umfangreicher ist als der Ausnahmenkatalog im Berufskraftfahrerqualifikationsrecht. In der Umsetzung kann es deshalb zu Konstellationen kommen, in denen ein Fahrer vom Fahrpersonalrecht ausgenommen ist, dennoch aber eine Weiterbildung oder Grundqualifikation nach dem Berufskraftfahrerqualifikationsgesetz zu erfolgen hat (oder vice versa). Die IHK spricht sich dafür aus, den Ausnahmenkatalog des Fahrpersonalrechts auch im Berufskraftfahrerqualifikationsrecht zu verankern und die Vorschriften insgesamt zu harmonisieren.

  • Die IHK setzt sich für mehr Transparenz bei der Zugänglichkeit von Informationen ein. Für das Fahrpersonalrecht besteht wie auch für viele andere Rechtsgebiete wie das Gefahrgutrecht, das Berufskraftfahrerqualifikationsrecht oder das Güterkraftverkehrsrecht ein Gremium, in dem sich Vertreter der Bundesländer mit Vertretern des Bundes und weiterer Bundes- oder Landesbehörden über Auslegungsfragen und verwaltungsrechtliche und technische Fragestellungen austauschen. Die im Zuge der regelmäßig stattfindenden Sitzungen gefassten Beschlüsse und weitere sich daraus ergebenden Informationen werden den betroffenen Fahrern und Unternehmen grundsätzlich vorenthalten bzw. nur teilweise oder einzelthemenbezogen auf individuelle Anfrage hin zur Kenntnis gegeben. Der IHK erschließt sich nicht, warum die Betroffenen nicht erfahren sollen, wie sie sich vorschriftentreu(er) verhalten können. Der Einsatz der IHK für mehr Transparenz betrifft auch die oben bereits aufgezählten sowie weitere Rechtsgebiete, die die Unternehmen und Beschäftigten in der Region direkt betreffen.



Hintergrund:

Besondere arbeitszeitrechtliche Vorschriften für Fahrer von Fahrzeugen zur gewerblichen Güterbeförderung, die eine zulässige Höchstmasse von mehr als 2 800 kg (in Deutschland) bzw. mehr als 3 500 kg (in der gesamten EU und darüber hinaus) aufweisen sowie für Fahrer von Fahrzeugen zur gewerblichen Personenbeförderung, die mehr als acht Fahrgastsitzplätze aufweisen, haben ihre Berechtigung und elementare Bedeutung insbesondere dadurch, dass sie neben der Verbesserung des Arbeitsschutzes und der allgemeinen Straßenverkehrssicherheit auch dazu dienen, gemeinsame Wettbewerbsbedingungen in Europa zu schaffen.
Primär werden durch die Regelungen Unternehmen angesprochen, deren Hauptzweck die Beförderung von Personen oder Gütern gegen Entgelt ist. Daneben werden aber auch die Beförderungen von Unternehmen den Sozialvorschriften unterworfen, die diese Beförderungen für ihre eigenen Zwecke durchführen (Werkverkehr). Allein dadurch ergibt sich für die Praxis, dass der Kreis der Betroffenen sehr heterogen ausgeprägt ist – die Mehrzahl der Fahrer ist auf täglicher Basis am Steuer eines aufzeichnungspflichtigen Fahrzeuges aktiv, sehr viele Fahrer bewegen entsprechende Fahrzeuge aber nur hin und wieder, vielleicht zwei bis drei Mal pro Woche für insgesamt wenige Stunden, teilweise auch deutlich seltener.
In einigen Detailfragen sind die Vorschriften optimierungsfähig. Dies betrifft insbesondere Regelungen, die aufgrund oberflächlicher, ungenauer oder verkürzter Formulierungen zu Interpretationen einladen. Dadurch ergibt sich die Situation, dass im Zweifel in den 28 (27) EU-Mitgliedstaaten 28 (27) unterschiedliche Auslegungen gelebt werden und die Unternehmen, die grenzüberschreitend Güter oder Personen befördern, nicht sicher wissen (können), wonach sie sich zu richten haben bzw. welche Verhaltensweise dazu führt, dass keine Verstöße begangen werden. Von derartigen Defiziten in den Rechtsgrundlagen sind aber nicht nur Fahrer bzw. Unternehmen betroffen, die grenzüberschreitend aktiv sind – genauso besteht auch bei einem rein nationalen Fahrzeugeinsatz immer wieder die Situation, dass eine eindeutige Beantwortung der Frage, was der Verordnungsgeber mit der einzelnen Vorschrift erreichen wollte, nicht gelingen kann.
Derartig gelagerte Sachverhalte und Defizite erschweren zudem die Arbeit der Kontrollorgane und Ahndungsbehörden, die einen in sich konsistenten und rechtssicheren Vollzug der Vorschriften nicht sicherstellen können.
Bei all diesen möglichst abzuwendenden Problemstellungen muss ausdrücklich klargestellt werden, dass die IHK keinerlei Einfluss auf die Ausgestaltung des im Fahrpersonalrecht bestehenden Zeitregimes, also den maximal zulässigen Arbeits- und Lenkzeiten oder den mindestens einzuhaltenden Pausen/Fahrtunterbrechungen oder Ruhezeiten, also dem arbeitszeitrechtlichen Kern der Vorschriften, nehmen kann und will. Der IHK geht es ausschließlich um Rechtssicherheit und Rechtsklarheit, damit sich Unternehmen, die sich rechtstreu verhalten wollen, dies in der Praxis auch tun können.