Wirtschaftspolitische Position der IHK Region Stuttgart

Fahrverbote – insbesondere im Zusammenhang mit dem Luftreinhalteplan Stuttgart

Positionen:
  • Die Industrie- und Handelskammer (IHK) Region Stuttgart spricht sich gegen die Einführung von generellen Fahrverboten bei Überschreiten von Schadstoffwerten in Stuttgart aus. Diese Maßnahmen erscheinen weder geeignet noch angemessen. Sollten die Verantwortlichen generelle Fahrverbote zur Minderung der Schadstoffsituation erlassen, wären umfassende Ausnahmen für den Wirtschaftsverkehr eigentlich nicht zu vermeiden.

  • Die Einschnitte für Mitarbeiter, die im Falle von Fahrverboten ihre Arbeitsplätze nicht per öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) erreichen könnten und damit die wirtschaftlichen Folgen für Unternehmen wären gravierend. Besonders betroffen wären der Wirtschaftsverkehr und eben nicht nur private PKW-Fahrten sowie die Berufspendler.

  • Die Verantwortlichen beim Land Baden-Württemberg, dem Regierungspräsidium und der Stadt Stuttgart müssen sich nach Ansicht der Kammer der Herausforderung, trotz überhöhter Schadstoffwerte eine funktionierende Innenstadt zu erhalten, stellen. Gemeinsam mit der Wirtschaft sollte ein Versorgungs- und Logistikkonzept für Stuttgart ausgearbeitet werden. Es muss sichergestellt werden, dass die Bevölkerung mit Waren und Dienstleistungen versorgt werden kann und die Innenstädte als Gewerbestandorte bestehen bleiben.

  • Supermärkte und Geschäfte müssen mit Lebensmitteln und Waren beliefert, Post und Pakete müssten zugestellt werden, unternehmens- und haushaltsnahe Dienst- und Handwerkerleistungen müssten auch bei überschrittenen Grenzwerten zuverlässig und schnell erbracht werden können. Auch die Verkehre zur Aufrechterhaltung der Wirtschaftstätigkeit insgesamt müssten sichergestellt sein.

  • Des Weiteren eröffnet die Aufnahme einer Nordostumfahrung Stuttgarts in den weiteren Bedarf des Bundesverkehrswegeplans langfristig die in der Vergangenheit versäumte Chance, möglichst viel Verkehr zwischen den Räumen Ludwigsburg und dem Rems-Murr-Kreis beziehungsweise dem Neckartal östlich von Stuttgart an der Stuttgarter Gemarkung vorbeizuführen. Die Stuttgarter Gemeinderatsmehrheit, die sich gegen einen Nord-Ost-Ring ausgesprochen hat, sollte umdenken. Die IHK stützt sich dabei auf ein von ihr 2015 in Auftrag gegebenes Gutachten zur Erreichbarkeit von Gewerbegebieten in der Region Stuttgart, die das Defizit auf dieser Verbindung erneut erkennen lässt. Auch die in 2017 veröffentlichte IHK-Studie zu Stauursachen in der Region Stuttgart belegt, dass ein wesentlicher Anteil der Verkehre, die auf Stuttgarter Gemarkung (ins. den Bundesstraßen) stattfinden, Verkehre zwischen den umliegenden Landkreisen sind. Wären Tangentialverbindungen verfügbar, könnte dies zu einer deutlichen Reduzierung der Belastungen in Stuttgart führen. Außerdem zeigt die Studie auf, dass Maßnahmen zur Unfallvermeidung sich direkt positiv auf eine Reduzierung von Staus und somit zu einer Reduzierung von Luftschadstoffen führen.

  • Die IHK-Erreichbarkeitsanalyse zeigt zudem, dass viele Gewerbegebiete in der Region nur unzureichend mit den Verkehrsmitteln des ÖPNV erreichbar sind. Hier setzt die Kammer im Sinne der Standortpolitik auf eine Verbesserung und ausreichende Finanzierung. Zugleich verweist sie aber auch darauf, dass diese Arbeitsplatzschwerpunkte von Stuttgart aus oft nur mit dem Personenkraftwagen (Pkw) in akzeptabler Qualität erreichbar sind. Verkehrsrestriktionen in Stuttgart würden diese Verkehre mit Ursprung in Stuttgart erheblich behindern.

  • Die Wirtschaft ist bereit, weiterhin zu einer nachhaltigen Verkehrsentwicklung beizutragen. Allerdings können die Unternehmen nicht in immer kürzeren Zyklen Fahrzeuge anschaffen, die die neueste Abgasnorm erfüllen. Die IHK plädiert dafür, dabei die ökonomischen Rahmenbedingungen, denen die Unternehmen unterworfen sind, zu berücksichtigen. Denn selbst eine effizientere Gestaltung von Logistik und Verkehr oder der verstärkte Umstieg auf die so genannten umweltfreundlichen Verkehrsträger lassen nur begrenzte Wirkungen im Hinblick auf Nachhaltigkeit erwarten. Auch der Transitverkehr, den die Unternehmen im Land nicht beeinflussen können, lässt noch immer ein überdurchschnittliches Wachstum und damit erhebliche Probleme erwarten.

  • Die Wirtschaft spricht sich aus Gründen der Vermeidung eines „Flickenteppichs“ dafür aus, die Umweltzonen in Baden-Württemberg und die dafür geltenden Maßnahmen zu vereinheitlichen. Außerdem plädiert die IHK dafür, dass möglichst bundesweit eine einheitliche Regelung gefunden wird.

  • Seit der Einführung von Umweltzonen und dem damit eingeführten System roter, gelber und grüner Plaketten zur leichteren Identifizierbarkeit der Emissionsklassen der Fahrzeuge, sind die EU-Abgasvorschriften weiterentwickelt worden. Deshalb erscheint es sinnvoll, für die Kennzeichnung von Fahrzeugen, die aktuellen Abgasvorschriften genügen, eine zusätzliche (blaue) Plakette einzuführen. Gleichsam rät die Wirtschaft dazu, im Sinne guter Planbarkeit und politischer Zuverlässigkeit nicht dazu überzugehen, mit jeder Einführung neuer EU-Abgasklassen auch neue Plakettenfarben zu verbinden. Die IHK hält es indes für sinnvoll, künftig für die Beurteilung des Emissionsverhaltens realistische Fahrszenarien reinen Prüfstandsmessungen vorzuziehen.

  • Sofern seitens der öffentlichen Hand die Einführung von Restriktionen zur Einhaltung gesetzlicher Vorgaben gegenüber bestimmten Verkehren oder Fahrzeugen bzw. Verkehrsmitteln als notwendig erachtet wird, ist aus Sicht der Wirtschaft insbesondere Wert darauf zu legen, dass die Restriktionen geeignet, angemessen und wirkungsvoll sind. Dabei ist zudem abzuwägen, ob Maßnahmen oder Restriktionen gegen andere Emittenten von Luftschadstoffen in ihrer gesundheitlichen und volkswirtschaftlichen Wirkung nicht besser geeignet sind als Maßnahmen gegen den Verkehr. Planbarkeit ist in diesem Zusammenhang für die Unternehmen besonders wichtig. Deshalb werden Maßnahmen, die einen kurzen zeitlichen Vorlauf von nur einigen wenigen Monaten aufweisen, von der Wirtschaft grundsätzlich abgelehnt. Kurzfristige Planungshorizonte kollidieren regelmäßig mit den eher mittelfristigen Investitionszyklen von Unternehmen, insb. wenn es um höherpreisige Güter wir Kraftfahrzeuge geht. Zudem sind kurzfristige Maßnahmen regelmäßig dazu geeignet, eine Wettbewerbsverzerrung herbeizuführen.


Hintergrund:

Verkehr ist Voraussetzung und zugleich Folge des Wirtschaftens. Wirtschaftswachstum geht in einer arbeitsteiligen Gesellschaft mit Verkehrsmengenwachstum einher, eine Entkoppelung von Wirtschaftswachstum und Verkehrsmengenwachstum ist bislang nicht möglich. Verkehr, gleich ob Wirtschafts-, Berufs- oder Freizeitverkehr, ist jedoch mit Umweltbelastungen verbunden. Insbesondere sind dies die Emissionen aus dem Verbrennungsprozess in den Motoren. Der technische Fortschritt in der Motorenentwicklung führt zwar zu einer ständigen Verbesserung, indes kann die Erneuerung der Fahrzeugflotte nicht mit den schnell steigenden Umweltanforderungen Schritt halten.
Die rechtlichen Regularien rund um die Zulassung von Kraftfahrzeugen und deren Luftschadstoffemissionen sind bislang nicht in einer Art und Weise ausgestaltet, dass die Einhaltung der gesetzlich festgelegten Grenzwerte im realen Fahrbetrieb jederzeit gegeben ist. Dies belegen Überprüfungen an einigen zugelassenen Fahrzeugen durch diverse (Prüf-) Organisationen, die teilweise eklatante Überschreitungen dokumentieren. Es ist anzunehmen, dass die Überschreitungen der Prüfmesswerte im Realbetrieb auch Auswirkungen auf die Schadstoffkonzentration in Stuttgart haben. Zum September 2017 werden für die Typgenehmigung neuer Fahrzeugtypen und im weiteren Zeitverlauf auch für die Typgenehmigung neuer Fahrzeuge (unabhängig davon, ob Otto- oder Dieselkraftstoff verbrannt wird) deutlich strengere Maßstäbe an das Emissionsverhalten fossil angetriebener Fahrzeuge angelegt.
Die Automobilindustrie sollte einen Beitrag dazu leisten, dass künftig erstmals zum Straßenverkehr zugelassene Fahrzeuge einen wesentlich geringeren Anteil zur Luftschadstoffbelastung beitragen, als dies bislang der Fall ist.
Die Folge ist eine derzeit anhaltende Überschreitung der zulässigen Grenzwerte, insbesondere bei Stickoxiden. Darauf reagieren die zuständigen Behörden mit Maßnahmen, die eine Einhaltung der Grenzwerte sicherstellen sollen. Diese Maßnahmen umfassen auch restriktive Anordnungen wie beispielsweise zu Beginn der Luftreinhaltemaßnahmen die Einführung von Umweltzonen und „Umweltplaketten“ nach der 35. Bundes-Immissionsschutzverordnungen (BImSchV) oder die Einführung von LKW-Durchfahrtsverboten. Darüber hinaus wurde vom Land angekündigt, ab Januar 2019 mit dem Ziel, die Luftschadstoffbelastung zu reduzieren, Fahrverbote für bestimmte Diesel-Fahrzeuge anzuordnen.
Einem Teil der IHK-Mitgliedsunternehmen geht dies nicht weit genug. Sie plädieren für eine Neudefinition der Mobilität und sprechen sich mit dem Hinweis auf das „Recht auf saubere Luft“ zur Sicherstellung der körperlichen Unversehrtheit des Menschen dafür aus, dass ganzjährige Fahrverbote nicht nur für alle Diesel, die die Grenzwerte im Alltagsbetrieb nicht einhalten gelten sollen, sondern auch für benzinbetriebene Fahrzeuge, für die dies in gleicher Weise gilt. Die Mehrheit der Betriebe unterstützt diese Forderung nach weitreichenden Fahrverboten nicht.