Konjunkturumfrage Herbst 2024
Baden-Württemberg: Droht eine Abwärtsspirale?
Die Hoffnungen auf eine Erholung der Wirtschaft in Baden-Württemberg sind vorerst auf Eis gelegt. Der nötige Nachfrageimpuls aus dem In- oder Ausland, der die Wirtschaft wieder ankurbeln könnte, bleibt trotz sinkender Inflation und steigender Löhne aus. Seitens der Politik führen die ewigen Streitereien um die Schuldenbremse und die unsichere Ausrichtung der Wirtschafts- und Energiepolitik zu weiterer Verunsicherung bei den Unternehmen. Geringe Nachfrage, niedriger Auftragseingang und eine uneinige Politik sind für viele Unternehmen keine guten Voraussetzungen, um weiter am Standort Baden-Württemberg (oder Deutschland) investieren zu wollen. Unternehmen stellen deshalb ihre Inlandsinvestitionen auf unbestimmte Zeit zurück. Die gesamte wirtschaftliche Situation wirkt starr und festgefahren. Die Wirtschaft in Baden-Württemberg schlittert in diesem Jahr womöglich ohne exogenen Schock in eine Rezession. Laut den ersten Berechnungen des Statistischen Landesamtes sinkt das baden-württembergische Bruttoinlandsprodukt um 1,3 % im ersten Halbjahr im Vergleich zum ersten Halbjahr des Vorjahres. Auch für Deutschland werden die Wachstumsprognosen für dieses Jahr von renommierten Wirtschaftsforschungsinstituten nach unten korrigiert. Wie kann der Wirtschaftsmotor in Schwung gesetzt werden? Und wie lässt sich die drohende Rezession doch noch verhindern? Womöglich erstmal gar nicht, denn die aktuelle Wirtschaftsflaute könnte das Resultat eines strukturellen Wandels sein: Steigender Fachkräftemangel, hohe Produktionskosten und starre bürokratische Auflagen erschweren die Produktion und wirken sich negativ auf die Wettbewerbsfähigkeit aus. Auf Nachfrageimpulse aus dem Ausland kann sich die exportorientierte baden-württembergische Wirtschaft dieses Mal nicht verlassen, denn die Konkurrenz und der Protektionismus werden auch in Zukunft weiter zunehmen.
IHK-Konjunkturumfrage für Baden-Württemberg: Diese Analyse basiert auf der Konjunkturumfrage im Herbst 2024 der 12 IHKs in Baden-Württemberg, an der landesweit 3.412 Unternehmen zwischen dem 9. September 2024 und 27. September 2024 teilgenommen haben.
Der Lageindikator sinkt daher nicht überraschend von 13 Punkten auf 2 Punkte. Inzwischen befinden sich fast genauso viele Unternehmen in einer guten Geschäftslage wie in einer schlechten. Nur noch 26 Prozent der Unternehmen melden eine gute Geschäftslage, das sind 5 Prozentpunkte weniger als noch im Frühsommer. Ihre Geschäftslage als schlecht bewerten derzeit etwa 24 Prozent der Unternehmen.
Auch die Zukunftsaussichten bleiben bei den baden-württembergischen Unternehmen trübe. Nur noch 16 Prozent der Unternehmen erwarten bessere Geschäfte, während 31 Prozent von einer Verschlechterung in den kommenden 12 Monaten ausgehen.
Seit mehr als zwei Jahren herrscht eine Auftragsflaute. Das letzte Mal, als der Indikator des Auftragseingangs im positiven Bereich war, also mehr Unternehmen einen steigenden Auftragseingang meldeten, war im Herbst 2022 während der Energiekrise. Seitdem sank der Auftragseingang branchenübergreifend, insbesondere in der Industrie. Etwa 42 Prozent der Unternehmen verzeichnen sinkende Auftragseingänge. Auch der erhoffte Nachfrageimpuls aus dem Ausland, der in der Vergangenheit die baden-württembergische Wirtschaft aus der ein oder anderen Krise gehievt hat, wird von den Unternehmen nicht erwartet. 29 Prozent der Unternehmen rechnen mit einem Rückgang der Exporte in den kommenden zwölf Monaten.
Der Blick in die Zukunft bleibt bei den Unternehmen trübe, ebenso wie die Investitions- und Beschäftigungspläne. Nur noch 19 Prozent der Unternehmen planen in den kommenden zwölf Monaten mehr zu investieren, was im Vergleich zum 10-Jahres-Durchschnitt neun Prozentpunkte weniger sind. Immer mehr Unternehmen möchten weniger oder gar nicht investieren; derzeit sind das 44 Prozent der Unternehmen, die damit die Mehrheit bilden.
Die schwächelnde Konjunktur macht sich auch auf dem vermeintlich stabilen Arbeitsmarkt bemerkbar. Der Beschäftigungsindikator sinkt aufgrund der nachlassenden Nachfrage von –9 Punkten im Frühsommer auf –16 Punkte im Herbst 2024. Die Arbeitslosenquote in Baden-Württemberg steigt im Vergleich zum Vorjahr um 0,3 Prozentpunkte auf 4,3 Prozent.
Neue Reihenfolge bei den Toprisiken
Die schwächelnde Inlandsnachfrage wird von den baden-württembergischen Unternehmen derzeit als größtes Problem wahrgenommen. Circa 70 Prozent der Unternehmen sehen hierin ein Risiko für ihre wirtschaftliche Entwicklung.
In den vergangenen Monaten sind aufgrund der Inflation und des Fachkräftemangels die Lohnkosten angestiegen. Derzeit sehen 55 Prozent der Unternehmen ein wirtschaftliches Risiko. Damit werden die Arbeitskosten im Herbst häufiger genannt als der Fachkräftemangel. Dieses Risiko befindet sich angesichts der Wirtschaftsflaute auf dem dritten Platz der Geschäftsrisiken mit 51 Prozent der Nennungen.
Ein Risiko, das in den vergangenen Monaten an Bedeutung gewonnen hat, sind die politischen Rahmenbedingungen. Circa 42 Prozent der Unternehmen sehen in der derzeitigen Wirtschaftspolitik ein Geschäftsrisiko. Vor allem die überbordende Bürokratie, die Uneinigkeit der Regierung sowie die Angst vor plötzlichem Subventionsabbau führen bei den Unternehmen zu einem zunehmend unsicheren Gefühl.
O-Ton eines Unternehmens: “Keine Impulse von der Regierung, Verunsicherung der Entscheider durch fehlende Konstanz, keine Entscheidungen, keine Förderungen, kein Konjunkturprogramm, fehlende Kompetenz der Entscheider - und vieles mehr...”
Angesichts der schwachen Auftragslage und der gesunkenen Energiepreise wird das Problem der Energiekosten bei den meisten Branchen immer seltener genannt, mit Ausnahme des Hotel- und Gastgewerbes. Circa drei Viertel der Unternehmen des Gastgewerbes leiden immer noch unter dem hohen Kostendruck.
Die Industrierezession ist da, wann folgen die anderen Branchen?
Noch im Frühsommer gab es bei einigen Industrieunternehmen die Hoffnung, dass sich die Konjunktur im Herbst wieder belebt. Seit mehr als zwei Jahren leeren sich die Auftragsbücher. Trotz sinkender Inflation bleibt der Konsum gering, und die erhoffte Wiederbelebung bleibt aus. Auch die Exporterwartungen sind, mit Ausnahme Nordamerikas, getrübt. Zudem könnte dieser Hoffnungsschimmer bei der kommenden US-Präsidenten-Wahl und durch anstehenden Protektionismus erlöschen. Insgesamt steckt die baden-württembergische Industrie tief in der Krise. Seitens der Politik müssen dringend die entsprechenden Signale für den Aufschwung gesetzt werden. Andernfalls verschärft sich die Verlagerung der industriellen Wertschöpfung ins Ausland.
Der Tiefpunkt in der Bauwirtschaft scheint noch nicht überwunden, aber zumindest erreicht zu sein. Der Lageindikator sinkt aufgrund der weiterhin niedrigen Auftragslage von 13 auf 8 Punkte im Herbst. Leichte positive Impulse gibt es beim Auftragseingang aus dem Straßen- und Tiefbau, wo der Indikator von –35 auf –22 Punkte steigt. Trotz der schlechten Auftragslage bleibt der Arbeitskräftemangel hinter der niedrigen Inlandsnachfrage eines der Toprisiken der Branche.
Obwohl sich die Preissteigerungen der letzten Monate wieder gedämpft haben und sich die Inflationsrate unter anderem im September bei 1,6 Prozent stabilisiert hat, bleibt der Konsum der privaten Haushalte schwach. Dies führt bei den Händlern derzeit zu massiven Umsatz- und Ertragsverlusten. Den Großhandel trifft die Auftragsflaute sowohl seitens des privaten Konsums als auch der unternehmensnahe Großhandel spürt die schwächelnde Konjunktur der Industrie. Der Lageindikator der Großhändler fällt auf –19 Punkte und erreicht damit den niedrigsten Wert seit der Finanzkrise 2009.
Seit der Corona-Pandemie schafft es das Hotel- und Gaststättengewerbe nicht, zur Normalität zurückzukehren. Immer wieder werden die Unternehmen vor neue Herausforderungen gestellt. Die Anhebung der Mehrwertsteuer, die Erhöhung des Mindestlohns und hohe Energiekosten führen dazu, dass die Unternehmen von den Kosten erdrückt werden. Derzeit schätzen nur noch 43 Prozent der Unternehmen ihre aktuelle Finanzlage als unproblematisch ein. Das sind 8 Prozentpunkte weniger als im Herbst 2023.
Die wirtschaftliche Lage im Transport- und Verkehrsgewerbe hat sich weiter verschlechtert. Während im Frühsommer noch etwa 25 Prozent der Unternehmen ihre Geschäftslage als gut einschätzten, sind es im Herbst nur noch 23 Prozent. Der Auftragseingang bleibt wegen der schwachen Konjunktur der Industrie weiterhin schlecht. Die Inlandsnachfrage wird zunehmend zu einem Risiko, und auch der Arbeitskräftemangel stellt für viele Unternehmen weiterhin eine Herausforderung dar.
Auch bei den Unternehmen des Dienstleistungsgewerbes macht sich die Rezession in der Industrie nach und nach bemerkbar. Der Lageindikator bleibt mit 21 Punkten noch deutlich positiv, aber auch hier gab es im Vergleich zum Frühsommer und Jahresbeginn Verluste von über 10 Punkten. Besonders unternehmensnahe Dienstleister, wie beispielsweise aus der Informations- und Kommunikationstechnologie, spüren die schwache Nachfrage seitens der Industrie. Das Risiko der Inlandsnachfrage steigt von 56 Prozent auf 60 Prozent der Nennungen an.