Industrie, Frühsommer 2024

Industrie, Frühsommer 2024: Kurz vor der Rezession

Die Wirtschaftslage in der Industrie hat seit der Rezession während der Pandemie einen neuen Tiefpunkt erreicht, wobei der Lageindikator von 9 Punkten auf 2 Punkte gesunken ist. Aktuell bewerten nur noch 24 Prozent der Industrieunternehmen ihre wirtschaftliche Situation als gut, was einen Rückgang von 5 Prozentpunkten im Vergleich zum Jahresbeginn darstellt. Seit zwei Jahren zeigt der Auftragseingang einen abnehmenden Trend. Der erhoffte Aufschwung aus dem Ausland bleibt aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Konjunktur, insbesondere in der Euro-Zone, aus. Die geringe Inlandsnachfrage wird derzeit von drei Viertel der Unternehmen als Risiko wahrgenommen. Jedes zweite Unternehmen sieht auch in der fehlenden Nachfrage aus dem Ausland ein Risiko für die wirtschaftliche Entwicklung. Angesichts der schwachen Auftragslage sind die hohen Energiekosten als Geschäftsrisiko zwar etwas in den Hintergrund gerückt, aber noch nicht vom Tisch. Die Strompreise haben sich nach der Krise im Sommer 2022 wieder auf das Niveau vor Corona eingependelt, sind jedoch im internationalen Vergleich mit den Vereinigten Staaten und China nicht wettbewerbsfähig. Dies stellt ein echtes Standortrisiko dar, insbesondere für energieintensive Betriebe.
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Unternehmen in der Metallindustrie stehen aufgrund verschiedener Kostenbelastungen unter Druck. Obwohl sich die Situation an den Strommärkten entspannt hat, empfinden viele Unternehmen die Strompreise immer noch als zu hoch. Darüber hinaus betrachten etwa 59 Prozent der Unternehmen die Energiekosten als Risiko für ihre wirtschaftliche Entwicklung. Ein weiterer Kostenfaktor sind die hohen Arbeitskosten, die von 62 Prozent der Unternehmen als Geschäftsrisiko eingestuft werden. Infolgedessen erreicht die Ertragslage der Unternehmen derzeit einen neuen Tiefpunkt, wobei jedes dritte Unternehmen eine schlechte Ertragslage meldet. 
Auch Unternehmen in der Papierindustrie sind mit ähnlichen Problemen konfrontiert. Dabei fällt der Mangel an Auftragseingängen besonders ins Gewicht. Schon im Jahr 2023 zeigte sich der Trend im Auftragseingang durchschnittlich im negativen Bereich. Auch die Konjunkturumfrage im Frühsommer 2024 brachte keine positiven Nachrichten. Mehr als ein Viertel der Unternehmen meldet einen rückläufigen Trend im Auftragseingang, und auch der Umsatz im Vergleich zum Vorjahresquartal ist bei etwa 59 Prozent der Unternehmen niedriger.  
Obwohl sich die wirtschaftliche Lage im Fahrzeugbau im Vergleich zum Jahreswechsel etwas verschlechtert hat, bleibt sie mit 28 Punkten auf einem guten Niveau. Allerdings ist ungewiss, wie lange diese positive Situation anhalten kann, da sich die Auftragsbücher leeren. Ein niedriger Inlandsabsatz wird von 83 Prozent der Unternehmen als Risiko betrachtet, und auch der Auslandsabsatz bringt derzeit nicht den erhofften Aufschwung. Lediglich 36 Prozent der Unternehmen rechnen damit, dass ihr Auslandsumsatz in den nächsten 12 Monaten steigen wird. 24 Prozent erwarten einen Rückgang, was rund 6 Prozentpunkte mehr sind als noch zu Jahresbeginn. 
Die Schwankungen bei den Unternehmen der Elektrotechnik halten an. Die guten Ergebnisse des letzten Jahres können momentan nicht erreicht werden. Dies ist hauptsächlich auf die Auftragsflaute zurückzuführen, die sich bereits im Frühsommer 2023 abzeichnete. Der Indikator für die Tendenz der Auftragseingänge fiel von -17 Punkten auf -21 Punkte. Mehr als die Hälfte der Unternehmen verzeichnet einen Umsatzrückgang im Vergleich zum Vorjahresquartal. Ein kleiner Hoffnungsschimmer zeigt sich jedoch in den Exporterwartungen. Der Indikator bleibt mit 10 Punkten im positiven Bereich. Ein Drittel der Unternehmen in der Elektrotechnik rechnet mit einem steigenden Auslandsumsatz in den nächsten 12 Monaten. 
Auch im Maschinenbau zeichnet sich ein ähnliches Muster ab. Bereits seit dem Herbst 2023 ist eine abnehmende Tendenz im Auftragseingang zu beobachten, und auch im Frühsommer 2024 liegt der Indikator für den Auftragseingang bei -32 Punkten. Die seit Monaten bestehende Auftragsknappheit spiegelt sich ebenfalls in den Kapazitätsauslastungen wider, die durchschnittlich bei 83 Prozent liegen, etwa 4 Prozentpunkte unter dem Durchschnitt der letzten zehn Jahre. 
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Die schwache Auftragslage in allen Industriezweigen lässt keine optimistische Prognose für die Geschäftstätigkeit in den kommenden 12 Monaten zu. Obwohl der Indikator für Geschäftserwartungen von -12 Punkten zu Jahresbeginn auf -7 Punkte gestiegen ist, bleibt er insgesamt negativ. Noch immer erwarten 27 Prozent der Unternehmen eine Verschlechterung der aktuellen Geschäftslage, während nur 21 Prozent bessere Geschäfte prognostizieren. 
Hohe Energiekosten, Fachkräftemangel, steigende Arbeitskosten und leere Auftragsbücher sind keine optimalen Bedingungen für die Investitionstätigkeit der Industrieunternehmen in Baden-Württemberg. Ein Drittel der Unternehmen plant, in den kommenden 12 Monaten weniger im Inland zu investieren. Der Indikator bleibt mit -7 Punkten im negativen Bereich und liegt damit fast 18 Punkte unter dem Durchschnitt der letzten zehn Jahre. Die einzige Branche mit derzeit positiven Investitionsplänen ist der Fahrzeugbau, der aufgrund des Transformationsprozesses erhebliche Investitionen tätigen muss. Dass Baden-Württemberg an Standortqualität verloren hat, zeigt auch eine Zusatzfrage, die im Frühsommer den Industrieunternehmen gestellt wurde. Es wurde gefragt, ob in den vergangenen drei Jahren Investitionen im Inland zugunsten des Auslands zurückgestellt wurden. Diese Frage wurde von 14 Prozent der Unternehmen mit “Ja” beantwortet. Besonders häufig wurde die Frage von Produzenten von Investitionsgütern bejaht, mit 20 Prozent der Nennungen. 
In den vergangenen Jahren hat sich die Wirtschaft Baden-Württembergs stets auf ihre Exportwirtschaft verlassen können, um konjunkturelle Aufschwünge zu erzielen. Allerdings werden die Hoffnungen auf blühende Auslandsumsätze durch die schwächelnde Konjunktur in der Eurozone und der EU gedämpft. Der Indikator für die erwarteten Exporte in den kommenden 12 Monaten ist vom Jahreswechsel mit -1 Punkt auf -2 Punkte weiter gesunken. Lediglich 26 Prozent der Unternehmen rechnen mit einem Anstieg der Exporte, wobei insbesondere die Elektrotechnik und der Fahrzeugbau optimistisch sind. Vor allem das Exportgeschäft in die Vereinigten Staaten und nach Asien wird voraussichtlich in den kommenden 12 Monaten weiter wachsen. Trotzdem ist die Tendenz des Indikators im Vergleich zum Jahresbeginn rückläufig. Ein Rückgang der Exporte wird jedoch auch von 28 Prozent der Unternehmen erwartet.
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