Pressemitteilung 24. Juli 2024
Umfrage zeigt: Fast die Hälfte der Betriebe im Land kann nicht alle Ausbildungsplätze besetzen
BWIHK-Vizepräsident Paal: Schulqualität muss besser werden - Jugendlichen stehen alle Möglichkeiten offen
Fast die Hälfte der Unternehmen in Baden-Württemberg konnte im vergangenen Ausbildungsjahr nicht alle Ausbildungsplätze besetzen. Dies geht aus einer aktuellen Online-Umfrage des Baden-Württembergischen Industrie- und Handelskammertages (BWIHK) hervor. Hauptgrund ist, dass die Betriebe keine geeigneten Bewerbungen für ihre Ausbildungsplätze erhalten haben – das sagen immerhin rund drei Viertel der betroffenen Unternehmen. Ein knappes Drittel meldet, überhaupt keine Bewerbungen erhalten zu haben.
Schon jetzt setzen die Betriebe alle Hebel in Bewegung, um Schulabgänger für eine Berufsausbildung zu interessieren, die Ausbildungsformen den Bedürfnissen der Jugendlichen anzupassen und ihnen, vor allem in Ballungsräumen, auch bei der Wohnungssuche zu helfen. Noch mehr Unternehmen als im Vorjahr bieten auch eigene Nachhilfe für leistungsschwächere Auszubildende an. Um die Ausbildungsreife der Bewerber zu verbessern, sei aber auch die Landesregierung gefragt, so Claus Paal, Vizepräsident des BWIHK und Präsident der für das Thema Ausbildung federführenden IHK Region Stuttgart. „Die Qualität der Schulbildung muss jetzt oberste Priorität haben.“
Immer mehr junge Leute nicht ausbildungsreif
„Anstatt wie bisher vor allem über Schulformen und -strukturen zu streiten, sollte die Politik lieber die Unterrichtsqualität in den Blick nehmen und dafür sorgen, dass mehr junge Menschen die Schule ausbildungsreif verlassen“, fordert Paal. Als Alarmzeichen wertet der BWIHK-Vize das schlechte Abschneiden Baden-Württembergs bei der letzten Pisa-Studie. Auch die Ergebnisse der aktuellen Umfrage bestätigten die Dringlichkeit des Problems. „Die Unternehmen sagen klar, dass immer weniger junge Leute die Fähigkeiten mitbringen, die man braucht, um eine Ausbildung erfolgreich zu beginnen und abzuschließen.“
Wichtig sei es in dieser Situation, dass mehr Abiturienten nicht nur ein Studium, sondern auch eine duale Berufsausbildung in Erwägung ziehen, sagt Paal. „Bei den mit dem jetzigen Bildungspaket vereinbarten Maßnahmen werden wir darauf achten, dass auch an den Gymnasien im Land die Information über Karrierechancen einer beruflichen Ausbildung verbindlich verankert wird.“
Probleme auch im Sozialverhalten
In der BWIHK-Umfrage geben 48 Prozent der befragten Unternehmen in Baden-Württemberg an, dass sie im vergangenen Jahr freie Ausbildungsplätze nicht hätten besetzen können. Dieser Anteil ist seit 2019 deutlich gestiegen und liegt seit 2022 gleichbleibend hoch. Als Grund nennen hiervon 74 Prozent, sie hätten keine geeigneten Bewerberinnen und Bewerber gefunden. Im Jahr zuvor hatten dies noch 70 Prozent angegeben. Defizite gibt es bei Grundfertigkeiten wie Schreiben und Rechnen, aber auch im Sozialverhalten. So geben gut 14 Prozent der Betriebe im Land an, dass Bewerberinnen oder Bewerber einen Ausbildungsplatz nicht angetreten hätten. Mit 22 Prozent ist diese „No-show“-Quote in der Region Stuttgart besonders hoch. „Offenbar halten manche Ausbildungsplatzbewerber mehrere Eisen im Feuer, halten es aber nicht für notwendig, abzusagen“, schließt Paal. „Der Ausbildungsplatz fehlt dann möglicherweise jemandem, der ihn dringend braucht, und das Unternehmen steht ohne Nachwuchs da.“
Firmen passen sich Interessen der Bewerberinnen und Bewerber an
„Die Unternehmen warten nicht auf den Staat, sondern tun ihrerseits alles, um die Berufsausbildung für junge Leute so attraktiv wie möglich zu gestalten“, sagt der BWIHK-Vizepräsident. Zu den wichtigsten Maßnahmen zählen der Umfrage zufolge flache Hierarchien im Betrieb (63 Prozent der Antworten, Mehrfachnennungen waren hier möglich), Ausstattung mit moderner IT-Technik (53 Prozent) sowie materielle Anreize (43 Prozent). Viele Betriebe ermöglichen es ihren Azubis auch, an Projekten teilzunehmen, auch im Bereich Nachhaltigkeit oder Soziales Engagement (36 Prozent).
In Städten: Günstige Wohnungen als Anreiz
Vor allem in den Ballungsräumen und Universitätsstädten gewinnt die Verfügbarkeit von erschwinglichen Wohnungen für angehende Auszubildende an Bedeutung. Im Landesdurchschnitt sieht ein Fünftel der Unternehmen die Wohnraumsituation als Hindernis bei der Gewinnung von Azubis, in Städten wie Freiburg sind es sogar 43 Prozent. Nach Einschätzung des BWIHK wird sich das Problem durch die allgemeine Wohnungsnot und den schleppenden Wohnungsbau in den kommenden Jahren noch deutlich verschärfen. Einige Ausbildungsbetriebe reagieren darauf bereits, indem sie Auszubildenden geeignete Wohnungen vermitteln (9,4 Prozent der Antworten, Mehrfachnennungen möglich), ihnen Mietzuschüsse zahlen (5,3 Prozent) oder sogar Wohnungen für ihre Azubis anmieten (5,2 Prozent). „Auch hier werden die Unternehmen ihrer Verantwortung gerecht“, sagt Paal. „Ebenso ist es aber die Aufgabe der Kommunen, für günstigen Wohnraum zu sorgen, den sich junge Menschen in Ausbildung leisten können.“ Impulse erwartet sich Paal von der Förderung von Wohnheimplätzen mit Mitteln des Bundesprogramms Junges Wohnen, die nun endlich auch in Baden-Württemberg möglich sei.
Hintergrundinformationen
An der Online-Umfrage des Baden-Württembergischen Industrie- und Handelskammertages zur Aus- und Weiterbildung haben sich vom 13. bis 31. Mai 2024 in Baden-Württemberg 2095 Unternehmen beteiligt, die meisten aus der Industrie (35 Prozent) und dem Handel (14 Prozent). Rund 62 Prozent der teilnehmenden Unternehmen beschäftigen weniger als 200 Mitarbeiter.
Der Baden-Württembergische Industrie- und Handelskammertag (BWIHK) ist eine Vereinigung der zwölf baden-württembergischen Industrie- und Handelskammern (IHK). In Baden-Württemberg vertreten die zwölf IHKs die Interessen von mehr als 650.000 Mitgliedsunternehmen. Zweck des BWIHK ist es, in allen die baden-württembergische Wirtschaft und die Mitgliedskammern insgesamt betreffenden Belangen gemeinsame Auffassungen zu erzielen und diese gegenüber der Landes-, Bundes- und Europapolitik sowie dem Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) und anderen Institutionen zu vertreten.