Editorial Magazin Wirtschaft

"Luft- und Raumfahrt: Ergreifen wir die Chance!"

Die Metall- und Elektroindustrie, das wirtschaftliche Rückgrat Baden-Württembergs und der Region Stuttgart, befindet sich im Umbruch. Dafür gibt es viele Gründe: Die globale Unsicherheit, schärferen Wettbewerb, ausufernde Bürokratie und kühler werdende Wirtschaftsbeziehungen zu China. Vor allem aber ist es der Wandel in der Automobilindustrie, der die für unser Land so wichtigen Unternehmen zwingt, ihr Geschäftsmodell zu überdenken.
Bis heute sind viele unserer mittelständischen Unternehmen mit den Automobilherstellern und den großen Zulieferunternehmen aufs Engste verbunden. Das war in der Vergangenheit kein Nachteil, sondern ein Erfolgsrezept – schließlich war und ist die Branche weltweit ein Aushängeschild und wird auch in Zukunft maßgeblich zum Wohlstand unserer Region beitragen.

Fahrzeugindustrie allein zieht nicht mehr

Wenn sich aber der Wandel in der Mobilität fortsetzt, und trotz Rückschlägen spricht nach wie vor alles dafür, dann wird die Zugkraft der Automotive- Industrie allein nicht mehr ausreichen, um unseren Wohlstand zu sichern. Denn der Antriebsstrang eines Elektroautos benötigt nun einmal 30 bis 40 Prozent weniger Teile als ein Fahrzeug mit Verbrennungsmotor. Dies wird Auswirkungen auf das Geschäft der Zulieferer und die Zahl der Beschäftigten in der Branche haben.
Die Unternehmen im Südwesten haben schon mehr als einen Strukturwandel gemeistert
Das alles ist kein Grund, zu verzagen, denn die Unternehmen im Südwesten sind innovativ und anpassungsfähig. Sie haben schon mehr als einen Strukturwandel erfolgreich bewältigt. Derzeit orientieren sie sich neu und erschließen Märkte, Branchen und Technologien, die sie bisher nur am Rande auf dem Schirm hatten: Etwa die Umwelt- und Energietechnik, die Gesundheitswirtschaft und Medizintechnik sowie die Luft- und Raumfahrtindustrie. Gerade auch letztere bietet Zulieferern von Teilen und Komponenten, Entwicklungsdienstleistern und industrienahen Softwaredienstleistern, die bisher vor allem für die Fahrzeugtechnik gearbeitet haben, eine interessante Alternative.

Baden-Württemberg ist in der Branche ein Hidden-Champion

Auch wenn man selten davon hört und liest: In der Luft- und Raumfahrt ist unser Land und unsere Region schon jetzt ein „Hidden Champion“. Hochschulen, Forschungseinrichtungen, große und kleine Unternehmen arbeiten hier unentwegt an der Welt von morgen. Nicht wenige Unternehmen zählen zu den Weltmarktführern. Und einige haben sich mit Mut und Tatkraft von der „verlängerten Werkbank“ zum Hochtechnologie-
Spezialisten entwickelt.
Dass insbesondere die Raumfahrt keine teure Spielerei ist, sondern ein Zukunftsbranche, wird zum Beispiel durch das Satellitennetzwerk Starlink immer mehr Menschen bewusst und am Himmel sichtbar. Für die Orientierung via GPS oder Galileo, für das autonome Fahren oder verlässliche Klimaprognosen sind von Satelliten erhobene Daten schon jetzt unverzichtbar. Weil die Landwirtschaft weltweit auf verlässliche Wetterprognosen
und Geodaten angewiesen ist, hängt sogar die Ernährung unzähliger Menschen von der Raumfahrt ab. Und: Künftig werden sich Telekommunikation und Internet mehr und mehr ins All verlagern, was sehr viel teurere Investitionen auf der Erde überflüssig machen könnte.

Die IHK hilft, Kontakte zu knüpfen

Das Land Baden-Württemberg hat im vergangenen Jahr einen Anfang gemacht und eine Luft- und Raumfahrtstrategie aufgesetzt. Dies ist ein wichtiger Schritt, um diese Zukunftsindustrie in der Öffentlichkeit sichtbarer zu machen. Mit Netzwerkveranstaltungen und ihrer Technologieberatung
unterstützt die IHK ihre Mitgliedsunternehmen dabei, Kontakte zu Wissenschaft und Großunternehmen zu knüpfen. Der Umbruch ist nicht in erster
Linie eine Bedrohung, sondern eine Chance. Ergreifen wir sie!
Claus Paal, Präsident der IHK Region Stuttgart