6 min
Lesezeit
Recruiting in den USA: Ein Personalmarkt im Umbruch
Mit dem offiziell verkündeten Ende der Corona-Pandemie zeichnen sich in den USA die Umrisse eines neuen Arbeitsmarktes ab. Nach der sogenannten „Great Resignation“, einer erstaunlichen Welle von Kündigungen, teils ausgelöst von großzügigen Zahlungen an Beschäftigte während der Pandemie, folgt bei vielen Job-Wechslern nun die Ernüchterung auf dem Fuß.
The Great Regret
Vielen wird erst jetzt bewusst, dass nicht jeder neue Job es erlaubt, die persönlichen Interessen voll auszuleben oder ausschließlich von zu Hause zu arbeiten. Auch dringt die Erkenntnis durch, dass ein Arbeitsplatzwechsel nicht automatisch zur Erfüllung von Versprechungen führt. Dieser öffentlich wahrnehmbare Bewusstseinswandel hat seinerseits bereits einen medienwirksamen Slogan erhalten: “The Great Regret”.
Aber die Verwerfungen der letzten zwei Jahre haben auf dem amerikanischen Arbeitsmarkt definitiv zu einer neuen Realität geführt. Manche Änderungen sind schlicht Manifestationen bereits bekannter Trends, so etwa das Ausscheiden der Babyboomer-Generation aus dem Arbeitsmarkt oder das steigende Desinteresse jüngerer Arbeitnehmer, im produzierenden Gewerbe tätig zu sein. Aber auch die Pandemie hat neue Realitäten geschaffen. Hybride Arbeitsmodelle, der Ersatz von persönlichen Meetings durch virtuelle Konferenzen und die rapide Digitalisierung aller Geschäftsprozesse sind unumkehrbare Trends.
Die richtige Zeit, es besser zu machen
Mit dem abrupten Wegfall der Corona-Einschränkungen ist für deutsche Muttergesellschaften jetzt die Zeit für eine Bestandsaufnahme gekommen. Welche Änderungen im Verhältnis der amerikanischen Niederlassungen zu deren Mitarbeitern sind notwendig? Und wo hilft die Unternehmenskultur eines deutschen Arbeitgebers im Hinblick auf das Finden und Binden von Fachkräften?
Das Ansehen deutscher Arbeitgeber in den USA hat jüngst zugenommen. Die Loyalität gegenüber den Beschäftigten, die Bereitschaft, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu schulen und das oft langfristige Denken deutscher Führungskräfte wird von vielen amerikanischen Arbeitnehmenden erkannt und geschätzt. Denn es steht im Kontrast zu manchen amerikanischen Unternehmen, die ihre Mannschaft bei den ersten Anzeichen einer Krise radikal reduzieren.
Bekannt sind auch viele Berichte von Unternehmen, welche zuerst staatliche Zuschüsse einsammelten und dann einen Gutteil ihrer Belegschaft entließen. Wenn deutsche Unternehmen ihr vorbildliches Verhalten im Personalmarketing stärker publik machen, wird ihr Ansehen bei potenziellen Bewerberinnen und Bewerbern gesteigert. Während dieser Aspekt bei der Fachkräftegewinnung eine Rolle spielt, gibt es auch einige Trends, die alle Aspekte der US-Niederlassung oder Tochter eines deutschen Unternehmens betreffen und die deshalb zur Chefsache gemacht werden sollten.
Steigende Gehälter, lockende Benefits
Zuerst sind da die schnell ansteigenden Lohnforderungen der Arbeitnehmer. Seit Mitte 2021 berichten Unternehmen - zunächst in der verarbeitenden Industrie - von Forderungen der Belegschaft auf deutliche Erhöhungen der Stundensätze. Aus Mangel an Alternativen mussten Unternehmen diesen Wünschen oft stattgeben. Ein Anstieg von 15 auf 25 US-Dollar pro Stunde war nicht ungewöhnlich. Große Firmen wie FEDEX, UPS oder Amazon zeigten sich als Vorreiter. Eingesessene Unternehmen mussten nachziehen.
Zeigte sich dieser Trend zuerst bei auf Stundenbasis vergüteten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, so setzte er sich bald auch bei Angestellten fort. Wer neue Mitarbeitende gewinnen wollte, musste wesentlich höhere Einstiegsgehälter anbieten. Um dann wiederum den Abstand zwischen Neueinsteigern und schon lange im Unternehmen Beschäftigten aufrechtzuerhalten, kam es zu einem Dominoeffekt und auch die Gehälter der langjährigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wurden nachgebessert.
Mit etwas Verzögerung, aber umso größerer Wirkung stiegen auch die Gehälter der Führungskräfte steil an - 30 Prozent höhere Basissaläre und die schnellere Ausbezahlung von variablen Vergütungselementen wurden zu Standardforderungen bei der Gehaltsverhandlung. Gegenwärtig zu beobachten ist auch eine verstärkte Nachfrage nach Unternehmensbeteiligungen oder Long Term Incentives. Auch Nebenleistungen, sogenannte Perks oder Benefits, werden immer wichtiger wenn es darum geht, neue Arbeitskräfte zu rekrutieren und Fluktuationen zu verringern. In Deutschland sind diese Nebenleistungen vom Gesetzgeber genau definiert. In den USA hingegen sind sie meist Verhandlungssache zwischen Arbeitgeber und Belegschaft bzw. einzelnen Mitarbeitenden.
Sozialversicherung gibt Sicherheit
Überraschend für deutsche Manager ist ebenfalls oft, dass auch die Krankenversicherung, Altersvorsorge sowie Urlaubs- und Krankentage nicht vorab geregelt, sondern Teil der Verhandlungen sind. Die Wichtigkeit “to get it right” ist enorm: Umfragen bestätigen immer wieder, dass diese Sozialleistungen enorm wichtig sind. Die Bedeutung der freiwilligen aber de facto doch notwendigen Leistungen haben zahlreiche Unternehmen erkannt und setzen sie auf allen Ebenen um. Selbst Unternehmen mit einem hohen Anteil ungelernter Arbeitskräfte wie Starbucks oder McDonalds bieten solide Nebenleistungen an.
Die Krankenversicherung ist für US-Arbeitnehmer oftmals sogar der wichtigste Grund, einem Arbeitgeber treu zu bleiben, selbst wenn andere Gründe für einen Wechsel sprechen. Das amerikanische System ist in diesem Punkt ausgesprochen flexibel - einen Fakt, den sich deutsche Unternehmen zunutze machen können: Die Krankenversicherung ist vom Gesetzgeber meist nicht vorgeschrieben und stellt somit eine freiwillige Leistung des Arbeitgebers dar. Alle Komponenten des Versicherungsschutzes sind flexibel gestaltbar. So bieten Anwartschaftszeiten, die Höhe des Arbeitnehmerbeitrages und die Möglichkeit, auch Familienmitglieder in die Versicherung aufzunehmen, einer Betriebsstätte gute Möglichkeiten, sich von anderen Unternehmen positiv abzuheben.
Deutschen Unternehmen ist oft unbekannt, dass durch den Wechsel des Arbeitgebers auch der Versicherungsträger wechselt. Häufig passiert es, dass vertraute Ärzte dann nicht im Netzwerk der neuen Versicherung sind und nicht mehr konsultiert werden können. Auch hier gibt es für deutsche Arbeitgeber gute Möglichkeiten, sich positiv abzuheben: Der Gesetzgeber bietet viel Gestaltungsspielraum.
Altersvorsorge macht attraktiv
Fast ebenso wichtig für den amerikanischen Arbeitnehmer ist das Thema Altersvorsorge. Von besonderer Bedeutung sind die sogenannten 401(k)-Pläne. Während das Grundprinzip einfach ist, haben Unternehmen auch hier enormen Gestaltungsspielraum. Grundlegend ist die Möglichkeit, dass Arbeitnehmende einen Teil ihres Bruttogehaltes in verschiedene Anlagemöglichkeiten investieren, der Arbeitgeber gibt seinerseits einen Teil dazu. Auch mit dieser Option lassen sich Arbeitskräfte langfristig binden - vor allem, wenn überdies Möglichkeiten der Gewinnbeteiligung integriert werden.
Die Kosten der Nebenleistungen und deren Verwaltung ist jedoch vor allem für kleinere Unternehmen aufwendig. Dennoch bestehen einige Möglichkeiten, den Kostenrahmen nicht zu sprengen. Spezialisierte Anbieter, die die Belegschaften mehrerer Firmen kombinieren, können aufgrund ihrer Marktmacht gute Konditionen mit Finanzinstitutionen und Versicherungsanbietern verhandeln und diese an ihre Kunden weitergeben. Kleinere Unternehmen wie auch die Niederlassungen deutscher Mittelständler, haben somit die Möglichkeit, Leistungen anzubieten, die der oft größeren Konkurrenz ebenbürtig sind.
Chancen als deutsches Mutterunternehmen nutzen
Der amerikanische Absatzmarkt ist vor allem im Blick auf die politischen Entwicklungen in Osteuropa und China noch wichtiger geworden. Amerikanische Arbeitnehmer sind hochproduktiv und die hohen Lohnsteigerungen relativieren sich, wenn man berücksichtigt, dass über Dekaden das Einkommensniveau in den USA stagnierte oder inflationsbedingt sogar rückläufig war. Deutsche Arbeitgeber können mit einer Kombination deutscher Tugenden mit der Berücksichtigung der Besonderheiten des US-Arbeitsmarktes ein hohes Potenzial abschöpfen.
Tilman Bender, TH Bender & Partners, Inc. www.thbender.com, info@thbender.com
Kontakt
Dagmar Jost