Lateinamerika, Teil 1

Geschäftschancen in Lateinamerika

Seit einigen Jahren führen geopolitische Veränderungen dazu, dass Unternehmen ihre bestehenden Strategien überdenken und den Blick auf andere Regionen lenken, die vorher nicht im Vordergrund standen. So rückt nun auch Lateinamerika vermehrt wieder in den Fokus.
Die Pandemie, unterbrochene oder erschwerte Lieferwege, geopolitische Umwälzungen und ein Krieg in Europa haben unser als stabil empfundenes Lebens-, Handels- und Wirtschaftsverständnis deutlich verändert. Dies führt auch dazu, dass der Produktion entnommene Begriffe wie „Nearshoring“, aus geopolitischen Überlegungen nun zu neuen Schlagwörtern wie „Friendshoring“ werden, oder aus effizienten Lieferketten heute resiliente Lieferketten.
Diese Veränderungen im Weltgeschehen haben den Blick auf andere Regionen gelenkt, die vorher nicht im Vordergrund standen. So rückt nun auch Lateinamerika vermehrt wieder in den Fokus. Geschichtlich lang zurückgreifende Verbindungen, überlieferte Traditionen, langjährig bestehende Handelsbeziehungen, Niederlassungen vieler deutscher Firmen vor Ort und ein starkes Image von „Made in Germany“ erleichtern uns heute den Weg nach Lateinamerika. Unternehmen können dabei auf einen breiten Erfahrungsschatz zurückgreifen.

Unterschiedliche Märkte- und Investitionsmöglichkeiten

Obwohl wir oft dazu neigen, Lateinamerika als eine einheitliche Region zu betrachten, sind die Länder doch sehr unterschiedlich. So variieren die Rahmenbedingungen, die Marktgegebenheiten, die Investitionsmöglichkeiten und die Wirtschaftsstrukturen von Land zu Land sehr stark. Das wiederum bedeutet jedoch, dass dort für jedes Unternehmen geeignete Märkte, Lieferanten oder Investitionsmöglichkeiten zu finden sind. Natürlich steht die Region weiterhin als Lieferant für Rohstoffe und Agrarprodukte im Visier. Fossile Brennstoffe, wie Öl und Kohle, Metallerze, wie Kupfer, Eisen, Silber, Gold, Zinn und andere sind weiterhin die wichtigsten Exportprodukte. Auch Agrarprodukte sind nach wie vor einer der wichtigsten wirtschaftlichen Standbeine der Region, so sind zum Beispiel Soja, Mais, Kaffee, frische Früchte und Gemüse traditionell wichtige Exportgüter für viele Länder. Aber Lateinamerika bietet in vielen verschiedenen Bereichen so viel mehr von dem, was für die deutsche Wirtschaft wichtig ist.
Die Tatsache, dass Aspekte wie Nachhaltigkeit und Klimaschutz bei allen wirtschaftlichen Aktivitäten immer mehr in den Vordergrund rücken, schafft enorme Möglichkeiten für deutsche Technologien. Viele Länder Lateinamerikas sind ausgezeichnete Standorte, um erneuerbare Energie zu produzieren. Diese wird verwendet, um den lokalen Bedarf an Energie zu decken oder auch, um grünen Wasserstoff und seine Derivate für den Export herzustellen. Auch im Bereich Digitalisierung bieten Lateinamerika und die Karibik ausgezeichnete Konditionen mit einer technologie- und innovationsoffenen Gesellschaft.

Brasilien – Breites Branchenspektrum

Brasilien ist die größte Volkswirtschaft der Region – die Nummer elf in der Welt – und das bevölkerungsreichste Land Lateinamerikas. Die Erfolgsfaktoren dieses Landes sind eine große multikulturelle und aufgeschlossene Bevölkerung, die offen ist für eine schnell fortschreitende Digitalisierung und Modernisierung der Gesellschaft. Dazu kommen die immense Biodiversität, vorteilhafte Klimazonen sowie ein großer Rohstoffreichtum. Faktoren, die die autonome Versorgung, aber auch herausragende Exportmöglichkeiten gewährleisten. Geografisch und klimatisch bietet Brasilien sehr hohe Potenziale für die erneuerbare Energiegewinnung, die sowohl für die interne steigende Nachfrage als auch für die Herstellung von exportfähigen Wasserstoff-Produkten verwendet werden kann. Zusätzlich besitzt Brasilien einen stabilen und innovativen Finanzsektor. Diese Faktoren werden derzeit durch hohe Rohstoffpreise gestärkt, einem verstärkten Infrastrukturausbau durch Konzessionäre und die Vergabe der 5G-Frequenzen.
Brasilien verfügt über ein sehr attraktives Startup-Ökosystem, E-Commerce und E-Finance haben Hochkonjunktur. Auch befindet sich das Land auf einem Kurs der Marktöffnung und OECD-Vollmitgliedschaft, was das gegenseitige Verständnis erhöhen wird. Doch natürlich gibt es einige Risiken, die beachtet werden müssen. Die notwendigen Wirtschaftsreformen stocken und die Staatsausgaben steigen. Dadurch bleiben Unsicherheiten groß, was wiederum zu höherer Volatilität des Wechselkurses führen kann. Der hohe Zinssatz wirkt sich abkühlend auf die Konjunktur aus und Arbeitslosigkeit, Informalität und Inflation schaden dem Konsum.
Besondere Möglichkeiten bieten sich für deutsche Unternehmen in den Bereichen Digitalisierung, Agrobusiness, erneuerbare Energien, Pharmaindustrie und Health Care, Bauwirtschaft, Maschinenbau, Kraftfahrzeuge und Chemie. In all diesen Bereichen hat Europa mit China einen starken Konkurrenten, der mittlerweile zum stärksten Wirtschaftspartner Brasiliens geworden ist. Eine wichtige Unterstützung für den Ausbau unserer bi-regionalen Beziehungen mit starker Signalwirkung wäre die Ratifikation des EU-Mercosur-Abkommens. Zurzeit stehen die Zeichen wieder positiv, die spanische EU-Ratspräsidentschaft wird hierfür entscheidend sein. In unserer Rubrik „Länder und Märkte“ steht Brasilien im Fokus.

Mexiko – Wichtigster Handelspartner Deutschlands

Mexiko ist das Land mit den meisten Freihandelsabkommen der Welt und dadurch ein idealer Standort für global agierende Unter- nehmen. Das Land belegt den zweiten Platz bei den Wirtschaftsleistungen der Region und den fünfzehnten weltweit. Natürlich sind die Handelsbeziehungen zu den USA prägend. So gehen über 75 Prozent der Exporte Mexikos in das nördliche USMCA – Partnerland (USMCA – United States Mexico Canada Agreement). Aber auch für die USA ist Mexiko der wichtigste Handelspartner geworden und hat China damit den Spitzenplatz genommen. Mexikos Wirtschaft ist stark exportabhängig. Die größten Exportgüter sind Straßenfahrzeuge, gefolgt von elektrischen Maschinen, Apparaten und Geräten. Die wichtigsten Importe stellen ebenfalls Maschinen und Industriegüter unterschiedlicher Art dar.
Ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und Mexiko existiert seit dem Jahr 2000. Die Verhandlungen zur Modernisierung des Abkommens wurden 2020 abgeschlossen, die Ratifizierung steht allerdings noch aus. Auch ein Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung zwischen Deutschland und Mexiko ist seit 2008 in Kraft. Mit unterschiedlichen Industriestandorten und Clustern bietet Mexiko sehr gute Bedingungen für Investitionen. Gerade in Zeiten der Diversifizierung der Lieferketten und geopolitischer Spannungen ist Mexiko eine gute Alternative. Eine stabile Währung und eine starke Infrastruktur sind weitere Vorteile, die Mexiko in der Investitionsgunst gut positionieren.
Im nächsten Jahr finden Wahlen in Mexiko statt und der Wahlkampf ist bereits in vollem Gange. Dieser Zustand, gepaart mit der immer noch hohen Kriminalität und Gewalt im Land, ist ein Aspekt, den es zu berücksichtigen gilt. Doch aufgrund der sehr starken Präsenz deutscher Unternehmen kann man auf einen guten Erfahrungsschatz zählen.

Argentinien – Ewiges Potenzial

Die drittgrößte Volkswirtschaft der Region ist voller Gegensätze. Einerseits gibt es enorme Reichtümer und Potenziale, zum Beispiel in der Agrarwirtschaft, bei den Rohstoffen, der Energiegewinnung, in der pharmazeutischen Industrie und andere. Andererseits gibt es viele Herausforderungen zu meistern, wie eine extrem hohe Inflation, Wechselkursrisiken und komplexe Regularien. Nichtsdestotrotz bietet Argentinien sehr gute Möglichkeiten. Es ist und wird in vielen für Europa und Deutschland wichtigen Sektoren immer stärker. Eine gute Beratung und der Austausch mit Firmen, die lange vor Ort sind, unterstützen bei der Orientierung und Geschäftsanbahnung.

Kolumbien – Chancen im Energiesektor

Mit einer stark diversifizierten und zum Teil dezentralen Wirtschaftsstruktur zeichnet sich Kolumbien durch eine für die Region manchmal untypische Stabilität aus. Geographisch sehr gut gelegen und bestens vernetzt bietet sich das Land als ein günstiger Standort an, um Lateinamerika zu beliefern. Eine klare Ausrichtung auf erneuerbare Energien, Maßnahmen für eine nachhaltige Reindustrialisierung des Landes und gut ausgebildete Fachkräfte zeichnen das Land heute aus. Gewalt und Kriminalität stellen weiterhin ein Problem dar, mit dem man sich auseinandersetzen muss, doch auch hier kann das Land Fortschritte vorzeigen. Als Ziel unternehmerischer Aktivitäten zur Diversifizierung und/oder zum Nearshoring in der Region, ist Kolumbien ein Land, das man näher betrachten sollte.

Chile – Kulturell sehr nah an Europa

Das Bergbau- und Agroindustrieland Chile ist sehr interessant. Als ein traditionell stabiles Land mit einem guten Geschäftsklima, einer klaren Ausrichtung auf erneuerbare Energien und die nachhaltige Modernisierung seiner Wirtschaft, bietet Chile für viele deutsche Unternehmen sehr gute Möglichkeiten. Gerade der Bergbau, mit den für die Energiewende notwendigen Produkten Kupfer und Lithium steht dafür, dass Chile für die EU und Deutschland ein wichtiger Partner ist und bleibt.

Peru – Bergbau und Agrarindustrie

Auch Peru, ein Land, das gerade eine Phase der politischen Instabilität durchläuft, ist ein wichtiger Partner in der Region. Die makroökonomischen Zahlen des Landes sind ausgezeichnet und es bestehen in fast allen Bereichen der Wirtschaft enorme Potenziale. Dazu zählen der Bergbau, die Agrarindustrie, aber auch der Ausbau der Infrastruktur und der erneuerbaren Energien, um nur einige zu nennen
Peru wie Chile zeichnen sich durch eine sehr offene Wirtschaft aus. Die beiden Länder sind durch zahlreiche Freihandelsabkommen in die globale Wirtschaft sehr gut integriert.

Vielfältige Absatzmöglichkeiten dank der hohen Diversität

Durch die Diversität der Länder Lateinamerikas, mit ihren unterschiedlichen Wirtschaftsstrukturen und politischen Ausrichtungen bietet sich für Unternehmen jeder Branche und Größe eine Vielzahl an Möglichkeiten, um dort geschäftlich aktiv zu werden beziehungsweise seine Aktivitäten zu verstärken. Es gilt, den guten Ruf unserer Unternehmenskultur und technischen Produkte sowie die bestehenden Strukturen der zahlreichen deutschen Unternehmen vor Ort zu nutzen.
Für deutsche Unternehmen bieten sich zahlreiche Anlaufstellen, um sich zu informieren oder beraten zu lassen. Die IHKs sind die ersten Ansprechpartner vor Ort in Deutschland und in fast allen Ländern Lateinamerikas bieten etablierte Auslandshandelskammern professionelle Unterstützung an. Aber auch der Lateinamerika Verein, mit seiner über 100-jährigen Geschichte ist eine kompetente und sehr gut vernetzte Institution, die sehr gerne unterstützend tätig sein kann. Nutzen Sie dieses Expertenwissen und schauen Sie sich Lateinamerika und die Karibik genauer an.

Orlando Baquero, Hauptgeschäftsführer, Lateinamerika Verein e. V.