IHK-Konjunkturbericht Esslingen-Nürtingen Herbst 2024
IHK-Konjunkturbericht Esslingen-Nürtingen: Längere Durststrecke statt Erholung
Passend zur Jahreszeit bleiben auch in der regionalen Wirtschaft die Aussichten trüb. Bereits seit Jahresbeginn wartet man auf belebende Impulse und ein zumindest moderates Wachstum, doch anstelle einer zaghaften konjunkturellen Kehrtwende gab es einen Richtungswechsel zuletzt doch wieder nur bei den Wirtschaftsprognosen. Mittlerweile muss auch das Jahr 2024 aus ökonomischer Sicht abgeschrieben werden und die vorsichtigen Hoffnungen richten sich auf das kommende Jahr.
Die mit Beginn der Pandemie eingetretene und mit dem Ukrainekrieg verlängerte Durststrecke zeigt allerdings immer deutlichere Spuren in der regionalen Wirtschaft. Die aktuellen Ergebnisse der IHK-Konjunkturumfrage sind ein nicht zu übersehendes Warnsignal, dass ausländische Wachstumsimpulse ohne Reformen im Inland an Deutschland vorbei gehen werden.
War zumindest der Lageindikator im Landkreis Esslingen die letzten zwei Jahre noch im positiven Bereich, ist er mit dem Herbst um fast 18 Punkte auf minus 4 deutlich eingebrochen.
War zumindest der Lageindikator im Landkreis Esslingen die letzten zwei Jahre noch im positiven Bereich, ist er mit dem Herbst um fast 18 Punkte auf minus 4 deutlich eingebrochen.
Die Erwartungen waren bereits seit über einem Jahr negativ und lassen jetzt mit einem Indikator von minus 21,3 deutliche Zweifel aufkommen, ob die Unternehmen noch an politische Veränderungen glauben. Rund 38 Prozent der Umfrageteilnehmer erwarten, dass sich ihre Geschäfte in den kommenden 12 Monaten weiter verschlechtern werden. Nur noch jedes sechste Unternehmen ist optimistisch gestimmt.
Im Vergleich der Branchen zeigt sich gegenüber der letzten Umfrage im Frühsommer deutlich, dass der Pessimismus in der ganzen Breite der Esslinger Wirtschaft angekommen ist. Der Anteil der Unternehmen, die mit negativen Erwartungen auf die kommenden Monate blicken, ist durchweg angestiegen: um knapp 8 Prozentpunkte in der Industrie, 14 Prozentpunkte bei den Dienstleistern und um über 20 Prozentpunkte im Handel. Für die Gesamtwirtschaft bedeutet dieser Gleichlauf ein Minus von gut 11 Punkten beim Erwartungsindikator.
Bedenklich sind auch die Investitionspläne der Wirtschaft. Nicht mehr nur die Industrie, sondern auch die Dienstleister wollen ihre Investitionen in den nächsten Monaten deutlich zurückfahren. Der Investitionsindikator liegt damit für die Gesamtwirtschaft bei fast minus 18 Punkten und damit über 23 Punkte niedriger als im Frühsommer. Zusammen mit den nach wie vor zurückhaltenden Konsumenten besteht somit kaum Hoffnung auf steigende Binnennachfrage.
Auch auf dem Arbeitsmarkt ist die anhaltende Stagnationsphase nun deutlich wahrnehmbar. Nur noch 10 Prozent der Unternehmen wollen Beschäftigung erhöhen, rund ein Viertel geht hingegen von einer sinkenden Beschäftigung aus. Der Beschäftigungsindikator ist damit um über 10 Punkte auf knapp minus 15 gesunken.
Mit der anhaltenden konjunkturellen Flaute hat sich auch die Lage der Gesamtwirtschaft in der Region Stuttgart insgesamt eingetrübt. Die Nennungen zur aktuellen Lage waren erstmals seit dem Jahr 2020 per Saldo wieder leicht im negativen Bereich.
Vor allem die Industrie trug als Branchenschwergewicht mit einem Rückgang des Lageindikators um fast 20 Prozentpunkte maßgeblich hierzu bei. Aber auch im Handel lag der Indikator im Herbst mit rund 32 Punkten doppelt so stark im Minus wie noch im Frühsommer.
Vor allem die Industrie trug als Branchenschwergewicht mit einem Rückgang des Lageindikators um fast 20 Prozentpunkte maßgeblich hierzu bei. Aber auch im Handel lag der Indikator im Herbst mit rund 32 Punkten doppelt so stark im Minus wie noch im Frühsommer.
Lediglich die Landeshauptstadt weist derzeit noch einen deutlich positiven Lagewert auf. Die in den vergangenen Monaten zu beobachtende positivere Entwicklung in der Stadt Stuttgart war zu einem großen Teil strukturell auf einen höheren Dienstleistungsanteil zurückzuführen. Mit zunehmendem Pessimismus der Dienstleister schwächt sich dieser Effekt jedoch ab, zumal die Stuttgarter Dienstleister in ihrer Lagebewertung leicht hinter Böblingen und Esslingen zurückgefallen sind.
Bei den Erwartungen in der Gesamtwirtschaft liegen Esslingen und Ludwigsburg mit minus 21 beziehungsweise minus 29 Punkten deutlich hinter dem regionalen Wert von 15 Punkten zurück. Allerdings sind hier alle Landkreise der Region im zweistelligen Minusbereich und lediglich die Stuttgarter Gesamtwirtschaft liegt mit Ihren Erwartungen von 0,5 Punkten rein formal noch im Plus.
Risiken
- Die Sorgen der Unternehmen vor weiterhin ausbleibenden Impulsen zeigt sich deutlich im Ranking der wirtschaftlichen Risiken. An erster Stelle steht die Inlandsnachfrage mit 77 Prozent und bereits an dritter Stelle mit 44 Prozent die Auslandsnachfrage, von der allerdings auch weniger Unternehmen unmittelbar betroffen sind.
- Auf dem Arbeitsmarkt dominiert immer deutlicher das Risiko der Lohnkosten, nachdem sich die Inflationsraten zwar normalisiert haben, die vorherigen Sprünge beim Preisniveau aber zunehmend in den Gehaltsforderungen angekommen sind. Die Arbeitskosten liegen mit über 50 Prozent der Nennungen somit auch deutlich über dem Risiko Fachkräftemangel mit jetzt unter 40 Prozent.
- Bei den Energiekosten ist gegenüber Frühsommer zwar ein Rückgang um rund 7 Prozentpunkte auf 36 Prozent zu verzeichnen. Dies relativiert sich allerdings gegenüber dem zehnjährigen Mittelwert von rund 30 Prozent. Gegenüber dem Durchschnittsniveau in den Jahren vor dem Ukrainekrieg bleibt sogar ein Abstand von rund 15 Prozentpunkten, so dass von einer Entspannung auch hinsichtlich des Industriestandortes Deutschland keine Rede sein kann.
- Das Risiko der Finanzierung rangiert im Ranking zwar nach wie vor im hinteren Bereich, allerdings mit einer Zunahme um fast 4 Prozentpunkte seit dem Frühsommer auf nun rund 16 Prozent. Die restriktivere Kreditvergabe sowohl für Betriebsmittel als auch für Investitionen zeugt davon, dass auch die Banken angesichts der anhaltenden konjunkturellen Schwäche in ihren Einschätzungen vorsichtig geworden sind.
- Wenig überraschend ist die häufige Nennung des Risikos Wirtschaftspolitik, wobei hier nicht nur die aktuelle Unsicherheit über deren künftige Ausrichtung und die stetige Kakophonie der Regierungsparteien ausschlaggebend sind, sondern auch grundsätzliche strukturelle Aspekte wie eine tendenziell wenig wirtschaftsfreundliche Politik mit immer mehr Bürokratie.
Industrie
- Die konjunkturelle Unsicherheit wie auch die grundsätzlichen strukturellen Probleme der hiesigen Wirtschaft schlagen sich besonders in den Ergebnissen für die Industrie nieder. Gegenüber dem Frühsommer ist der Lageindikator um fast 27 Prozent dramatisch eingebrochen. Rund 43 Prozent der Industrieunternehmen beurteilen ihre Lage als schlecht, nur noch 14 Prozent als gut.
- Die Erwartungen haben sich von einem bereits deutlich negativen Wert von 19 Punkten ebenfalls noch einmal deutlich auf minus 30 verschlechtert. Die Industrie im Landkreis verzeichnet damit seit über einem Jahr zweistellige Werte beim Erwartungsindikator. Dieser liegt zwar noch deutlich über dem Wert aus dem Herbst 2022, als Kostenschocks und Lieferkettenstörungen die regionale Wirtschaft belasteten. Andererseits waren vor zwei Jahren noch gut 16 Prozent der Unternehmen optimistisch, heute hingegen nur noch knapp 14 Prozent.
- Der Pessimismus speist sich zum einen aus einem negativen Auftragseingang aus dem Ausland. Aber auch die Inlandsnachfrage ist angesichts der Konsum- und Investitionszurückhaltung weiter deutlich zurückgegangen. Die Kapazitätsauslastung der Esslinger Industrie war in den vergangenen eineinhalb Dekaden nur unmittelbar nach dem Corona-Lockdown niedriger als die derzeitigen rund 74 Prozent.
- Dies wirkt sich auch deutlich auf Investitions- und Beschäftigungsabsichten aus. Fast 40 Prozent der Industrieunternehmen wollen ihre Investitionsausgaben im Inland zurückfahren (Frühsommer 27,5 Prozent), Beschäftigungsrückgänge erwartet auf dem gleichen Niveau wie im Frühsommer rund ein Drittel.
Handel
- Sorgenvoll blickt der Esslinger Handel in die Zukunft. 46 Prozent der Teilnehmer erwarten eine weitere Verschlechterung der Geschäftslage in den nächsten 12 Monaten, obwohl der Lageindikator bereits jetzt nur noch bei minus 38,5 liegt. Das sind noch einmal 7 Prozentpunkte weniger als im Durchschnitt der Region Stuttgart. Während im Frühsommer noch wenigstens 10 Prozent der Händler ihre Lage positiv einschätzten, ist der Anteil nun auf Null gesunken. Die Einschätzungen verteilen sich rund 60 zu 40 auf „befriedigend“ und „schlecht“.
- Verhältnismäßig positiv sind zwar die Beschäftigungserwartungen im Handel. Der Indikator liegt mit einem Minus von knapp 4 Punkten nur knapp unter den Dienstleistern. Auch bei den Investitionserwartungen schneidet der Handel überdurchschnittlich positiv ab und kommt auf einen Indikator von Null.
- Allerdings wiesen sowohl Beschäftigung als auch Investitionen in den vergangenen Monaten deutlich unterdurchschnittliche Werte im Vergleich zur Gesamtwirtschaft aber auch im Vergleich zu anderen Branchen auf (im Herbst 23 mit einem Investitionsindikator rund 30 Punkte unter der Gesamtwirtschaft, beim Beschäftigungsindikator seit Herbst 23 durchgehend mehr als 20 Indikatorpunkte Abstand nach unten). Daher dürfte in der aktuellen Entwicklung eher ein Nachholeffekt als eine Kehrtwende zum Ausdruck kommen.
Dienstleistungen
- Während im Frühsommer die regionalen Dienstleister noch positiv gestimmt waren und der Gesamtwirtschaft damit eine insgesamt positive Lage bescherten hat sich nun auch dort das Bild wieder gedreht.
- Mit einem Erwartungsindikator von rund minus 6 Punkten breitet sich die industrielle Flaute entlang der Wertschöpfungsketten weit in die Dienstleistungssektor hinein aus. So melden in der Region besonders die unternehmens- beziehungsweise industrienahen Beratungs- und IT-Dienstleister eine deutliche Lageverschlechterung.
- Zwar waren die Einschätzungen der Dienstleistungsbranche in Esslingen auch im Herbst des Vorjahres und um die Jahreswende mit Indikatorwerten um jeweils minus 6 Punkte ähnlich negativ. Allerdings erwarteten im Frühsommer nur noch etwa halb so viele Unternehmen eine weitere Verschlechterung der Lage wie zum Jahresbeginn. Leider zeichnete sich damit doch keine Kehrtwende ab.
- Entsprechend fahren auch die Dienstleister nun zunehmend ihre Investitionen zurück. Der Indikator ist um fast 28 Punkte auf über minus 14 eingebrochen, was sich auch wiederum in den Auftragsbüchern der Industrie widerspiegeln wird.
Fazit
- Die Hoffnung auf eine zumindest zaghafte konjunkturelle Wende hat sich zum Jahresende zerschlagen. Die Wirtschaft in der Region kommt nicht in Schwung.
- Insbesondere der Industrie machen ausbleibende Auftragseingänge aus dem In- und Ausland zu schaffen. Mittelbar trifft dies zunehmend die industrienahen Dienstleister.
- Wichtige Zielmärkte der regionalen Unternehmen entwickeln sich zu schwach, als dass dortige Wachstumsimpulse der hiesigen Wirtschaft einen Schub geben könnten. Eine Wende ist nicht in Sicht, zumal sowohl in den USA als auch in China die künftige Freihandelsorientierung mit großen Fragezeichen zu versehen ist.
- Allerdings zeigt sich im europäischen Vergleich, dass keineswegs alle Länder gleichermaßen negativ von der globalen Entwicklung betroffen sind. Insofern deutet in der gegenwärtigen Situation vieles auch auf eine strukturelle Schwäche des Standortes Deutschland hin.
- Die Investitionspläne der Unternehmen für die nächsten 12 Monate sollten von der Politik als ein lautes Warnsignal wahrgenommen werden, dass die politische Überreizung der ökonomischen Widerstandsfähigkeit ein grundlegendes strukturelles Problem und keinen kurzfristigen psychologischen Konjunktureffekt darstellt.
- Die Baden-Württembergische Wirtschaft verfügt nach wie vor über hohe Standortvorteile. Ein Abgesang auf die hiesigen Unternehmen ist ebenso unangebracht wie ein „Wird schon alles wieder gut“ seitens der Politik.