IHK-Konjunkturbericht Esslingen-Nürtingen Frühsommer 2024

IHK-Konjunkturbericht Esslingen-Nürtingen: Wirtschaft bleibt im Kriechgang

Die Wirtschaft im Landkreis Esslingen wartet weiter auf Impulse für den wirtschaftlichen Aufschwung. Auch wenn sich global die konjunkturelle Lage wieder aufhellt, wird es in Deutschland allen Prognosen nach im laufenden Jahr zu keinem nennenswerten Wirtschaftswachstum kommen. Nachfrageimpulse aus dem In- und Ausland stoßen auf verunsicherte Unternehmen, die sich in Anbetracht einer erratischen Wirtschaftspolitik mit Investitionen im Inland zurückhalten.
Die Geschäftslage der Unternehmen in Esslingen ist mit einem Indikator von derzeit 14,5 Punkten auf dem Niveau vom Jahresbeginn. Zwar melden fast doppelt so viele Unternehmen eine gute Lage (30,7%) wie eine schlechte Lage (16,3%), ausschlaggebend für die fehlende Dynamik sind jedoch die übrigen gut 50% der Unternehmen, die ihre Lage derzeit als befriedigend beurteilen.
Gleichzeitig verharrt der Erwartungsindikator ebenfalls nahezu unverändert bei minus 10 Punkten. Rund jedes vierte Unternehmen geht von einer Verschlechterung seiner wirtschaftlichen Lage in den kommenden 12 Monaten aus, lediglich gut 16 Prozent erwarten eine Verbesserung. Somit stehen die Signale für eine wirtschaftliche Erholung weiterhin auf Rot.
Die Investitionen der Unternehmen in Esslingen bleiben auf einem niedrigen Niveau, vor allem in der Industrie. Dort liegt der Investitionsindikator nahe dem Nullpunkt, so dass aus dieser Branche kein wesentlicher Beitrag zu sich wieder füllenden Auftragsbüchern zu erwarten ist. Die Konsumnachfrage leidet ebenfalls unter der schlechten Stimmung. Die Verbraucher sparen aus Unsicherheit über die Zukunft und halten sich mit größeren Anschaffungen zurück.
FS24 ES Lage und Erwartungen
Angesichts der trüben Aussichten zeigt sich auch der Arbeitsmarkt in einem leichten Abwärtstrend. Trotz Fachkräftemangel planen die Unternehmen per Saldo, in den kommenden 12 Monaten Beschäftigung abzubauen. Der Beschäftigungsindikator liegt im Frühsommer bei minus 3,5.
In der Region Stuttgart wird die aktuelle wirtschaftliche Lage weiterhin deutlich von der Branchenstruktur beeinflusst. So geben die Dienstleister in Esslingen verhältnis-mäßig positive Rückmeldungen und liegen leicht über dem Regionsdurchschnitt, wohingegen die Händler rund 5 Punkte unter dem regionalen Mittel liegen.
FS24 ES Beschäftigungspläne
Der hohe Anteil an Dienstleistern zieht die gesamtwirtschaftliche Lage in der Landeshauptstadt deutlich nach oben auf einen Indikator von jetzt 34,2 Punkten. Esslingen kommt mit einem Indikator von 14,5 lediglich auf die Hälfte, liegt damit aber noch über den übrigen Landkreisen der Region.
Allerdings liegt der Erwartungsindikator in Esslingen mit minus 10,1 deutlich unter dem Regionsdurchschnitt, der ebenfalls von der Stadt Stuttgart nach oben gezogen wird. Die übrigen Landkreise in der Region decken hier einen Bereich von minus 6 (Rems-Murr) bis minus 17,4 (Ludwigsburg) ab.
Auch wenn der 12-Monats-Ausblick keine Erholung andeutet, liefert zumindest die Beschäftigungssituation Anlass zur Hoffnung für den Arbeitsmarkt. Getrieben von überdurchschnittlich positiven Einschätzungen von den Dienstleistern (35,8 Prozent sehen bei sich einen Beschäftigungsaufbau anstehen) ist in Esslingen der Beschäftigungsindikator der Gesamtwirtschaft mit minus 3,5 nicht ganz so negativ wie in der Region (minus 8,7). Der Beschäftigungsrückgang in Handel und Industrie kann damit vom knappen Fachkräfteangebot und der damit verbundenen Arbeitskräftenachfrage der Dienstleister etwas ausgeglichen werden.
FS24 Lage der Unternehmen in der Region

Risiken

  • Ein leichter Rückgang der Nennungen bei der Inlandsnachfrage ist ein Hoffnungsschimmer, zeigt aber, dass für einen sich selbst tragenden Aufschwung sowohl Konsumenten als auch Unternehmen wieder deutlich mehr Zuversicht an den Tag legen müssen.
  • Die Kostensituation der Unternehmen hat sich leicht verbessert. Vor allem Rohstoff- und Energiepreise haben sich vom hohen Niveau wieder nach unten bewegt. Im internationalen Vergleich bleiben jedoch die Wettbewerbsnachteile bestehen.
  • Das Risiko der Fachkräfteengpässe hält sich weiterhin auf hohem Niveau. Jedes zweite Unternehmen sieht sich mit Schwierigkeiten bei der Stellenbesetzung konfrontiert. Daran ändert auch die schwache Entwicklung am Arbeitsmarkt nichts. Spiegelbildlich zum geringen Fachkräfteangebot und den zuletzt deutlich-en Reallohnerhöhungen sind die Arbeitskosten auch weiterhin ein hohes Risiko.
  • Die Wirtschaftspolitik liegt im Ranking der Risiken derzeit auf dem sechsten Rang, gleichauf mit den geopolitischen Spannungen. Die unrühmliche Erkenntnis für die Politik ist, dass dem eigenen Handeln ein ebenso großes Risiko zugeschrieben wird wie der internationalen Politik ausländischer Regierungen. Dies veranschaulicht die derzeitige Standortproblematik mehr als deutlich.
FS24 ES Risiken
  • Die Auslandsnachfrage wird im Frühsommer als Risiko ähnlich eingeschätzt wie
    zu Beginn des Jahres. Die Industrie sieht sich trotz anziehendem Wachstum in
    Europa und anderen Weltregionen weiterhin nur moderaten Auftragseingängen
    gegenüber.
FS24 ES Geschäftserwartungen der Branchen

Industrie

  • Enttäuschende Rückmeldungen kommen aus der Industrie. Die frühere Rolle als zuverlässiges, exportstarkes Zugpferd aus Phasen wirtschaftlicher Schwäche kann sie angesichts der zahlreichen Herausforderung derzeit nicht wahrnehmen.
  • Zum ersten Mal seit drei Jahren rutscht der Lageindikator in den negativen Bereich und liegt nun bei knapp minus 3 Punkten. Dies sind knapp 8 Punkte weniger im Vergleich zur letzten Umfrage Anfang des Jahres.
  • Zwar ist der Anteil der Unternehmen, die eine schlechte Lage melden, zuletzt sogar wieder etwas gesunken. Gleichzeitig melden aber auch nur noch etwa halb so viele Unternehmen eine gute Lage wie zu Jahresbeginn (13,4 gegenüber 27,9 Prozent). Die gute Stimmung, die bis zuletzt noch bei gut einem Viertel der Unternehmen zu sehen war, schwindet also deutlich. 
  • Nachfrageimpulse aus dem Ausland, das sind derzeit vor allem die USA und Asien, reichen alleine nicht aus, das Produktionspotenzial auszuschöpfen, weil die Angebotsbedingungen nicht stimmen und hohe Kosten und fehlende Fachkräfte bremsen. 
  • Bedenklich sind die Erwartungen angesichts eines Indikators, der seit Jahresbeginn von minus 14,1 auf minus 18,8 weiter gesunken ist. 36,2 Prozent der Unternehmen erwarten dabei eine weitere Verschlechterung ihrer Geschäfte.
FS24 ES Industrie
  • Ohne Kehrtwende im Industriesektor ist jedoch auch gesamtwirtschaftlich kein Aufschwung zu erwarten, zumal die Dienstleister in der Region viel Umsatz in den industriellen Wertschöpfungsketten generieren. Der Indikator für die Inlandsinvestitionen der Industrie liegt bei nur 2,2 Punkten und dürfte in den nächsten Monaten keine nennenswerten Nachfrageimpulse erwarten lassen.
  • Die Beschäftigungsentwicklung im Kreis Esslingen dürfte durch die schwache Industriekonjunktur kräftig gebremst werden. Ein Drittel der Branche will die Zahl der Beschäftigten reduzieren, nur knapp 9 Prozent wollen hingegen aufbauen.

Handel

  • Der Esslinger Handel beurteilt seine Lage weiterhin überwiegend negativ. Nur noch jedes zehnte Unternehmen meldet gute Geschäfte, dreimal so viele (30%) melden jedoch eine schlechte Lage.
  • Der Lageindikator war mit minus 20 Punkten seit den pandemiebedingten Schließungen in 2020 und 2021 nicht mehr so niedrig. Damals erreichte der Indikator jeweils Werte von rund minus 40 Punkten, um sich aber kurz darauf wieder deutlich zu erholen. Die damaligen Nachholeffekte bleiben zur Zeit angesichts der Kaufzurückhaltung verunsicherter Verbraucher aus.
  • Die Erwartungen haben sich zwar nicht weiter verschlechtert, machen aber auf dem derzeitigen Niveau mit knapp minus 22 Punkten keine Hoffnung auf eine Kehrtwende. Mittlerweile sind die Händler mit negativen Geschäftserwartungen die dritte Umfrage in Folge deutlich in der Minderheit.
  • Entsprechend negativ fallen auch die Beschäftigungsaussichten aus. Der Indikator liegt sogar noch um fast 4 Punkte unter dem der Industrieunternehmen. Rund 29 Prozent der Unternehmen wollen Beschäftigung abbauen, die übrigen wollen sie lediglich konstant halten, kein einziger Händler plant einen Beschäftigungsaufbau.
  • Die Investitionsabsichten der Esslinger Händler weichen deutlich nach oben vom Regionsdurchschnitt ab. Der Indikator ist sogar im positiven Bereich (14,3 Punkte). Getrieben sind diese Investitionen allerdings eher von Wettbewerbs- und Kostendruck als von einer positiven Grundstimmung, denn rund 60 Prozent der Händler nennen als Motiv Ersatzbedarf, 36 Prozent Umweltschutz und Energieeffizienz. Nur gut 20 Prozent planen hingegen Erweiterungsinvestitionen.
FS24 ES Handel

Dienstleistungen

  • Wie schon zum Jahresbeginn hält sich die aktuelle gesamtwirtschaftliche Lage hält im Landkreis Esslingen weiterhin nur dank der Dienstleister deutlich im positiven Bereich.
  • Deren Lageindikator von 36,5 liegt mehr als doppelt so hoch wie der Wert für die Gesamtwirtschaft und ist seit Jahresbeginn sogar noch einmal um 4 Punkte angestiegen. Dies resultiert daraus, dass gut die Hälfte aller Unternehmen eine gute Lage und nur rund 15 Prozent eine schlechte Lage melden.
  • Neben personenbezogenen Dienstleistungen profitieren auch technische, kaufmännische und rechtliche Berater von hohem Bedarf an ihren Diensten. Ebenfalls positiv gestimmt sind vor dem Hintergrund der aktuellen Geldpolitik die Finanzinstitute.
  • Allerdings bleiben auch die Dienstleister nicht von der geringen allgemeinen Nachfragedynamik verschont. Bei den Erwartungen für die kommenden 12 Monate halten sich Optimisten und Pessimisten die Waage, der Indikator verharrt somit ganz knapp im negativen Bereich.
  • Die positive Grundstimmung unterstreichen sowohl der Investitionsindikator (13,1 Punkte) als auch der Beschäftigungsindikator (24,1). 27 Prozent der Dienstleister wollen in den kommenden 12 Monaten ihre Inlandsinvestitionen erhöhen. Seit Herbst 2022 ist der Beschäftigungstrend ungebrochen positiv.
  • In der Region liegt der Erwartungsindikator der kaufmännisch und rechtlich orientierten Unternehmensdienstleister doppelt so hoch wie der Indikator der technisch orientierten Unternehmensdienstleister. Die industriellen Wertschöpfungsketten sind als auch in der Dienstleistungsbranche derzeit nicht die Impulsgeber für Wachstumsdynamik, die sie in der Vergangenheit waren.
FS24 ES Dienstleistungen

Fazit

  • Die regionale Wirtschaft verharrt weiter in der Stagnation, anstatt sich aus der Phase der Unterauslastung mit aufzuholendem Wachstum zurückzumelden.
  • Die deutschlandweit ausbleibende Dynamik lässt auch den Südwesten nicht außen vor. Das preisbereinigte Bruttoinlandsprodukt von Baden-Württemberg lag Ende 2023 auf dem gleichen Niveau wie Ende 2017.
  • Dabei führt der hohe Anteil an Industrieunternehmen in Baden-Württemberg und der Region Stuttgart zu geringerem Wachstum, solange nicht auch im produzierenden Sektor am heimischen Standort wieder eine Kehrtwende ansteht.
  • Dass das schwache Wachstum nicht naturgegeben ist, zeigt das Ausland. Deutschland fällt insgesamt im europäischen Vergleich zurück. Dazu tragen weiterhin auch die hohen Standortkosten bei, selbst wenn diese etwas zurückgegangen sind.
  • Derzeit sieht es allerdings nicht danach aus, als könnte die Politik mit überzeugender Wirtschaftspolitik die Unsicherheiten in der Wirtschaft zumindest mildern und damit Investitionen der Unternehmen in Deutschland anschieben.
    Vor gut 20 Jahren gelang mit der Agenda 2010 eine wirtschaftspolitische Großreform, die damals den Grundstein für eine sehr erfolgreiche Entwicklung gelegt hatte. Trotz der Warnzeichen aus der Wirtschaft, sind derzeit keine vergleichbaren Wirtschaftsreformen auf Bundes- und Landesebene erkennbar.
  • Die Vernachlässigung der Angebotspolitik und der fehlende Blick der Politik auf den internationalen Standortwettbewerb führen dazu, dass Nachfrageimpulse vom Weltmarkt auch nicht mehr in dem Maße wie früher den exportorientierten Leitbranchen in der Region zugutekommen, sondern anderswo die Produktionskapazitäten auslasten oder gar in dortigen Investitionen münden.
  • Da die Region Stuttgart und insbesondere der Landkreis Esslingen weiterhin überproportional von der produzierenden Industrie geprägt ist, sollte ein zentrales Augenmerk auf diesem Bereich liegen. Ziel muss es sein, die Wertschöpfungsketten hier vor Ort zu halten: bestehende durch die Transformation zu führen und neue zu etablieren. Hier konkurriert die Region jedoch mit anderen, zunehmend attraktiveren, Wirtschaftsregionen weltweit.
  • Die Sorge um die eigene finanzielle Lage und die unsicheren Aussichten bremsen auch die Verbraucher in ihrem Konsum.