Seeperle in Wismar

„Ohne unsere Mitarbeiter sind wir nichts.“, Gisela und Frank Schadwinkel, Geschäftsführer der Fischräucherei "Seeperle" OHG Wismar
Fisch prägt die Mecklenburger Ostseeküste mindestens genauso wie die Steilküsten. Der Mauerfall sorgte auch dafür, dass der Fischfang und dessen Verkauf neu geregelt wurden. In Wismar hat sich seit 35 Jahren ein Familienbetrieb etabliert, der heute sowohl das beliebte Fischbrötchen auf die Hand als auch hochwertige Meeresspeisen im eigenen Restaurant anbietet. Hier in der “Seeperle” am Hafen in Wismar dreht sich alles um Fisch.
Gisela Schadwinkel nutzt die Gelegenheit: Noch bevor das Interview anlässlich des Tags der Einheit und des 35. Jahrestages des Mauerfalls beginnt, lotst sie die IHK-Mitarbeiter direkt in den Bereich ihres Gebäudes, wo der frische Fisch zerlegt und geräuchert wird. Stolz rückt sie dabei ihre Mitarbeiter in Szene. Man merkt gleich, dass hier eine Unternehmerin und Arbeitgeberin mit Herz und Seele am Werk ist.

Zusammen mit ihrem Sohn Frank Schadwinkel nimmt sie sich im Anschluss die Zeit für das Interview im Oberdeck - dem familieneigenen Restaurant in der Seeperle direkt am Wismarer Hafen.

Danach gefragt, was beide mit der Region verbindet, sprudelt es gleich aus ihr heraus: „Heimatverbundenheit – Wismar bedeutet Wasser und Wasser bedeutet Fisch“.
Auch auf die Frage, wie Gisela Schadwinkel denn zur Fischerei gekommen sei, antwortet sie mit leuchtenden Augen:
„Mein Großvater war früher Lehrer und ich sollte das auch werden. Aber ich dachte mir, dass das nichts für mich ist. Ich habe dann heimlich an die Studienplatzvergabe geschrieben, dass ich das nicht will. Ja und dann hieß es schnell, was macht man dannß Und so landete ich in der Fischerei. Ich habe das nie bereut. Denn ich denke bis heute, dass Fisch als Naturprodukt dermaßen interessant ist und man damit ganz viel machen kann. Ich bin also in der Fischerei gelandet und habe dort eine Kaufmannsausbildung gemacht. Und seitdem kenne ich nur Fisch.“

Leben in und mit der Fischerei vor 1989

Die Familie Schadwinkel fischte mit dem eigenen Kutter und auch Sohn Frank lernte mit 3 Jahren die Planken des Kutters und die Fische kennen. Ihre Lehre begann Gisela Schadwinkel 1967 in der Fischereiproduktionsgenossenschaft.
Er erinnert sich an die Beschränkungen des Fischfangs in der DDR, die vor allem aufgrund des Grenzregimes für die Fischer mitunter sehr anstrengend waren:
„Wir durften damals als Familie ja nur in der Wismeraner Bucht fischen, zum Beispiel Aal und Dorsch. Um als Fischer über Timmendorf hinaus zu fahren, durfte nie die ganze Familie mit. Dabei hatten wir immer auch Polizei bzw. Grenzschutz mit auf dem Schiff. Die sind dann durch die Boote gekrochen, um zu gucken, was und wer alles an Bord ist.“
Für Gisela Schadwinkel war die Arbeit im Betrieb dennoch erfüllend. Sie arbeitete sich sogar bis zur Abteilungsleiterin hoch und leitete den Bereich Absatz bis zur Wende. Dabei wurde die Ware nicht nur in der DDR verteilt, sondern auch in den Westen exportiert. Ihr Arbeitsplatz war dabei keine 500 Meter von dem Ort entfernt, wo sich die Seeperle heute befindet.
An den Mauerfall und die Tage danach erinnern sich beide heute mit Gefühlen der Überwältigung. Die Familie fuhr nach Lübeck:
„Die Stände, die von Lübeckern unmittelbar aufgebaut waren, lockten mit frischem Obst und Gemüse. Da wir über ein wenig Westgeld verfügten, kauften wir uns Weintrauben, die auch ungewaschen ein Genuss waren.“
Frank Schadwinkel, Jahrgang 1974, erinnert sich ebenfalls noch gut an diese besondere Zeit:
„Das war für mich eine total neue Welt. Man redet ja heute oft etwas abwertend über die Banane als Symbol für die Ossis. Aber ich kann mich erinnern, dass ich total überrascht war, dass es da im Westen überall Bananen gab und keiner interessierte sich wirklich dafür. Für uns war das aber was Besonderes. Überhaupt sei das eine tolle Sache für den damals 15-Jährigen gewesen, wie er heute sagt: „Was wollte man denn in der DDR vorher werden?! Am liebsten Fernfahrer, so dass man mal in den Westen kommt. Ich bin wirklich froh, dass es so gekommen ist. Ich habe die DDR noch voll mitbekommen und bin dankbar für das, was wir heute haben.“

Neustart in die Marktwirtschaft

Die Wende brachte aber auch für den Betrieb der Eltern gravierende Veränderungen mit sich. Gisela Schadwinkel, die sich auf Vertrieb verstand, reagierte rasch. Sie kaufte sich einen Fiat, lud ihn voll mit dem frisch gefangenen Fisch und fuhr nach Schleswig-Holstein, um in Restaurants z. B. Steinbutt anzubieten. Diese Delikatesse war damals wie heute sehr begehrt und brachte gutes Geld ein:
„Den haben die uns damals abgekauft und ich fühlte mich dann hier in Wismar als reichste Frau der Welt mit dem Westgeld. Ich war sowas von glücklich, aber das waren auch harte Verhandlungen“, so Gisela Schadwinkel. Im September 1990 bekam sie ihre Gewerbegenehmigung zum Verkauf und Handel mit Fischprodukten.
Für Sohn Frank bedeutete das den Startschuss, im Betrieb mitzuarbeiten:
“Ich wusste damals nicht, ob ich wirklich Fischer werden wollte und begann eine Ausbildung zum KfZ-Schlosser. Dann starb aber ein Kollege im Betrieb und so fuhr ich dann beim Verkauf mit und bin auch rausgefahren um die Netze rauszuholen.”
Das war also eigentlich ein Zufall. Über diesen Zufall ist seine Mutter noch heute sehr glücklich wie sie stolz erklärt. Denn so entstand der Familienbetrieb Mitte der 1990er Jahre, der zunächst unter abenteuerlichen Bedingungen funktionierte, wie sich Frank Schadwinkel erinnert:
"Das waren wilde Zeiten. In unserem eigenen Garten räucherten wir dann den Fisch, den wir später verkauften. Das ganze Durcheinander auch an der Struktur unseres Hafens war aber auch eine tolle Herausforderung.“

Neubauprojekt am Schiffbauerdamm

Schließlich wurden im Hafen Räumlichkeiten angemietet, um Fisch zu räuchern und zu verkaufen. Das Unternehmen zählte damals etwa 10 Angestellte. Gefangen wurde der Fisch noch selbst auf der Ostsee. Damals waren die Bestände noch ganz andere und so erinnern sich Mutter und Sohn, dass damals zum Beispiel noch hunderte Kilo Aal pro Fang herausgeholt werden konnten.
Heute ist Fisch aus der Ostsee eine Rarität, und schon damals standen die Leute Schlange. Der Betrieb platzte aus allen Nähten. Frank Schadwinkel überredete seine Mutter 2006, einen Neubau in Angriff zu nehmen, um genügend Platz für Produktion und Verkauf zu haben.
Als Standort wählten die beiden ein Gelände am Schiffbauerdamm unmittelbar am Hafen, denn wie Frank Schadwinkel betont, sollte der Betrieb künftig dort sein, wo auch die Urlauber sind.
Die Planungen für den Neubau beinhalteten vom Beginn an die Produktion, den Verkauf von eigenen Erzeugnissen und Frischfisch sowie einen Imbiss mit Innen - und Außenplätzen.
Frank Schadwinkel: „Der Bebauungsplan zeigte an, dass wir zweigeschossig bauen mussten. Frank Schadwinkel erzählt: „Außerdem hatten wir die Idee in der zweiten Höhe ein attraktives Fischrestaurant zu integrieren, allerdings wollten wir uns erst einmal darauf konzentrieren, was wir bereits konnten. Da wir nicht aus dem Bereich Gastronomie kamen, wollten wir das Vorhaben etwas ruhiger angehen. Dann stand unsere Hausbank, die Sparkasse Mecklenburg Nordwest, uns bei der Entscheidung zur Seite - die Finanzierung für das gesamte Objekt stand.“
Die Eröffnung des Gebäudes erfolgte vor 15 Jahren am 17. Juli 2009. Seitdem wuchs auch das Mitarbeiterteam von Mutter und Sohn ebenso stetig wie rasant von zwölf auf heute 48 Mitarbeiter.
Eine Entwicklung, die auch Frank Schadwinkel mitunter staunen lässt:
„Ich muss sagen, uns erschreckt das auch manchmal. Denn man hat ja auch Verantwortung, dass die Leute glücklich sind und dass man sie in der heutigen Situation auch gehalten kriegt. Wir zahlen gut und setzen auf ein gutes, familiäres Arbeitsklima. Wir haben Mitarbeiter, die seit vielen Jahren bei uns arbeiten. Ohne unsere Mitarbeiter sind wir nichts und mit dem Neubau entschieden wir uns dann auch für den neuen Firmennamen – SEEPERLE. Ich freue mich, dass wir aus der Seeperle mittlerweile eine Marke gemacht haben. Wir sind als Betrieb stetig gewachsen und wir bleiben nicht stehen.“
Wie international das Team dabei ist, zeigt sich sowohl im Oberdeck als auch bei den Beschäftigten in der Produktion und dem Verkauf. Die Seeperle hat unter anderem Mitarbeiter aus Lettland, der Ukraine, Indien und Kasachstan. Gisela Schadwinkel betont stolz:
„Jeder Mitarbeiter hat seine eigene Geschichte - egal aus welchem Land. Und mit Interesse können wir alle voneinander lernen."
Die Seeperle engagiert sich außerdem nicht nur vor Ort wie unter anderem als Sponsor der C-Jugend-Fußballmannschaft des SV Schifffahrt Hafen Wismar. Auch für das Land Mecklenburg-Vorpommern und die Region Westmecklenburg tritt das Unternehmen gerne als Aussteller auf der Grünen Woche in Berlin auf. Ein echtes Highlight für die Belegschaft, freut sich Gisela Schadwinkel:
„Unsere Mitarbeiter wetteifern schon immer darum, wer dieses Jahr auf die Grüne Woche darf. Das ist zwar richtig anstrengend, aber alle sind hochmotiviert.“

Tipps für junge Unternehmerinnen und Unternehmer

Gefragt nach den Voraussetzungen für einen erfolgreichen Start in die Selbstständigkeit sind sich Mutter und Sohn Schadwinkel schnell einig:
„Unterstützung von Anfang an ist genauso wichtig. wie zu wissen, wo man sich Hilfe holen kann“, so Gisela Schadwinkel. Sohn Frank sieht aber auch Handlungsbedarf: „Es müsste mehr Schulungsmöglichkeiten geben, damit die Leute wissen, was in der Selbstständigkeit auf sie zukommt. Es tut mir dermaßen leid zu sehen, wie junge Unternehmer, entschuldigen Sie, aber wirklich auf die Schnauze fallen. Klar es gibt Angebote, aber manchmal habe ich das Gefühl, dass man die Leute zur Teilnahme zwingen sollte, damit sie das Rüstzeug an die Hand bekommen und damit sie auch keine Illusionen haben, dass es ein steiniger Weg ist und man einen langen Atem braucht.“
Beide ziehen dabei auch Parallelen zu ihrem Familienbetrieb:
„Wir hatten hier in den ersten Jahren auch wirklich zu tun, aber nach ein paar Jahren haben die Leute dann gesehen, dass wir am Markt sind und dann beginnt das Geschäft sich zu entwickeln.“, wie Frank Schadwinkel betont.
Seine Mutter ergänzt dabei sogleich: „Man muss gefordert werden, sich auch zu bilden. Alleine schon, was die Kostenseite angeht. Wenn man schaut, wie sich der Mindestlohn entwickelt hat, dann ist das zwar einerseits eine gute Sache, aber man muss auch sehen, wie man überhaupt seine Leute bezahlen kann. Das betrifft ja nicht nur den Lohn, sondern auch die Krankenkassenbeiträge, den Steuerberater etc.“
Das Mutter-Sohn-Gespann sieht die gegenwärtigen Bedingungen dabei auch durchaus kritisch und moniert die hohen Belastungen, die - unter dem Druck, das Geschäft in der Saison zu machen - mitunter an den Nerven zerren. Frank Schadwinkel:
„Wir wollen ja unsere Mitarbeiter auch im Winter bezahlen, denn wir entlassen keinen. Erstens, weil wir es nicht wollen, und zweitens, weil wir es uns auch gar nicht leisten könnten, die guten Leute gehen zu lassen, denn die bekommen wir dann nicht wieder.“
Meckern wollen beide allerdings nicht und sind froh, dass sich Mutter und Sohn so gut verstehen.
Während Frank Schadwinkel glücklich betont:
„Uns geht es heute gut und der Betrieb steht gut da. Mir ist auch wichtig, dass wir beide das zusammen machen, sodass wir dann auch einen fließenden Übergang haben.“

Hier springt ihm seine Mutter direkt bei:
„Gott sei Dank! Wir haben damals ohne Eigentum oder Vermögen angefangen, den Betrieb aufzubauen, und wenn man heute zurückschaut auf das Erreichte, dann darf man schon ein bisschen stolz sein.“

Rückblick auf die Zeit seit dem Mauerfall und der Wiedervereinigung

Der Blick zurück auf die vergangenen 35 Jahre fällt aus Sicht der Familie Schadwinkel positiv aus.
Sohn Frank bilanziert:
„Für mich war das eigentlich nur eine positive Entwicklung. Wie großartig die Entwicklung unserer Stadt Wismar doch ist: Weltkulturerbe. Das ist doch traumhaft. dass wir hier leben und arbeiten können. Ich war während der Wende 15 Jahre alt. Für mich ging es dann eigentlich immer nur aufwärts. Natürlich habe ich mitbekommen, wie viele Leute arbeitslos waren, aber ich hatte da eben auch Glück und bin froh in Deutschland zu leben.“
Mutter Gisela, deren Leben sich seit mittlerweile 57 Jahren rund um den Fisch dreht, blickt zufrieden auf die vergangenen Jahrzehnte zurück. Dabei genießt sie es auch, die Verantwortung für das Unternehmen zunehmend in die Hände des Sohnes abgeben zu können:
„Ich bin sehr dankbar für die Einheit und dafür, dass ich die Zeit so erleben durfte. Und ich bin auch dankbar, dass mein Sohn von Anfang mitgemacht hat. Heute sagt er auch mal: ‚Mutti bleib doch gern zu Hause, wenn Du möchtest.‘ Und das mache ich in der letzten Zeit auch sehr gern. Wenn auch viele Leute sagen, die Seeperle ist mein Baby, so stimmt es allerdings nicht: Die Seeperle ist mein zweites Wohnzimmer und in diesem fühle ich mich genauso wohl wie in meinem zu Hause.“
Dieses Interview der IHK zu Schwerin in der “Seeperle” in der Hansestadt Wismar wurde am 12. Juli 2024 geführt.