Parfümerie Hennings in Wismar

„Es war für mich ganz klar, dass ich das Geschäft einmal übernehme.“, Britt Heinrich, Inhaberin der Parfümerie Hennings

Familiengeführte Einzelhändler prägen unsere Innenstädte seit vielen Jahrzehnten und haben auch die Verstaatlichungswellen in der DDR besser überstanden, als größere Industriebetriebe. Dabei waren und sind die Händler wichtige Anlaufpunkte für die Versorgung der Bevölkerung. Zu den inhabergeführten Leuchttürmen, die die Wismeraner Innenstadt prägen, zählt die Parfümerie Hennings in Wismar, die 2024 ihren 120. Geburtstag feiert.

Aufwachsen im Familienbetrieb

Britt Heinrich, Inhaberin der Firma Hennings Parfümerie, blickt im Sommer 2024 stolz zurück auf ihre Familie und die Geschichte des dazugehörigen Geschäftes, das 1904 gegründet wurde und von ihr heute in vierter Generation geführt wird:
„Mein Urgroßvater hat den Betrieb damals als Groß- und Außenhandel für Kräuter, Tees, Schokolade, Lakritze, Waschmittel, Farben, Malereibedarf und Seifen in Wismar in der Dankwartstraße eröffnet und ist 1909 in das Haus gezogen, dort wo der Laden heute noch nahe des Marktplatzes seinen Platz hat.

Eigentlich war das Drogeriegeschäft damals eine Männerdomäne, aber da der Sohn und der Schwiegersohn des Firmengründers im Ersten Weltkrieg starben, übernahm zuerst meine Oma den Betrieb, und 1976 dann meine Mutter.“
Zu DDR-Zeiten firmierte das Geschäft als Drogerie, dort wurden unter anderem auch pharmazeutische Produkte oder Holzbeizen verkauft. Wenn man den Erzählungen von Britt Heinrich über ihre Kindheit folgt, dann wurde früh deutlich, dass sie eines Tages selbst das Geschäft übernehmen würde:
„Ich bin in Wismar und in diesen Betrieb hineingeboren und hier eigentlich groß geworden. Das ist auch mein Elternhaus. Ich habe im Lager mit meinen Freundinnen Versteck gespielt oder wir haben uns in den Wattekartons gewälzt. Ich habe schon früh gewusst, dass es für mich eigentlich nichts Anderes gab, als den Betrieb. Das lag mir irgendwie in den Genen, so dass es für mich ganz klar war, dass ich das Geschäft mal übernehme", so Britt Heinrich.

Ausbildung im elterlichen Betrieb

Der Weg in das Familienunternehmen war damit vorgezeichnet.
Nach dem Schulabschluss absolvierte Britt Heinrich die Ausbildung zur Drogistin im elterlichen Betrieb „unter der Fuchtel der Mutter“, wie sich Frau Heinrich süffisant erinnert.
Zugleich hatten die Eltern aber auch Wert daraufgelegt, dass die Tochter nicht nur im eigenen Geschäft ihre Erfahrungen machen sollte:
„Ich hatte das Glück, dass meine Eltern sagten: ‚Schaue über den Horizont.‘ Sie haben mich dann im besten Sinne viel herumgeschickt, auch deshalb, damit ich das komplette Spektrum kennenlerne. Zum Beispiel in der Deko-Abteilung und der Teeabteilung der Handelsorganisation unter anderem in Bützow, oder was Pyrotechnik, Farbenladen und Tapeten, Fotoentwicklung angeht, bei den Großeltern in Wismar und auf Poel.“
Für Britt Heinrich war das aus heutiger Sicht genau der richtige Weg:
„Ich wollte das Beste aus mir herausholen. Eigentlich ist ja das Schöne an einer Lehre, wenn man mal von zu Hause weggeht, um andere Dinge kennenzulernen. Es war aber damals faktisch nicht möglich einen richtigen Ausbildungsplatz in dieser Branche zu finden. Meine Eltern haben dann Kontakte zu anderen Betrieben genutzt, um mir dort die Möglichkeit geben zu können, Praxiserfahrung zu erhalten.“
Und so erfolgte ihr Einstieg in das elterliche Geschäft. 1989 begann sie zudem eine Schulung zur Meisterin des Handels. In Greifswald erlebte sie damals die Wende, die für sie und das Familiengeschäft tiefgreifende Veränderungen mit sich brachte:
„Ich habe den Mauerfall damals gar nicht mitbekommen, sondern tatsächlich verschlafen. Ich war damals auf einer Faschingsfeier in meinem Internat in Greifswald. Ich habe dort bei meiner damaligen Erzieherin übernachtet und als ich zu Hause anrief, meinte meine Mutter nur, dass mein Vater mit meinem Bruder im Westen ist. Das konnte ich gar nicht verstehen. Ich bin dann einen Monat später erst rüber zu einer Familienfeier nach Wolfsburg. Aber das sind Erinnerungen, die man ewig im Herzen trägt. Da habe ich heute noch Pipi in den Augen.“

Folgen des Mauerfalls und Start in die Marktwirtschaft

Die Grenzöffnung sorgte für neue Strukturen. Britt Heinrich erinnert sich dabei auch an die zahlreichen Vertreter, die sofort aus dem Westen nach Wismar kamen. Dabei war die Situation damals ohnehin angespannt:
„Die D-Mark-Einführung war sehr speziell. Die Leute haben erwartet, dass dann die Regale plötzlich über Nacht voll sind. Das war für uns ja eine komplett neue Welt. Wir waren bis dahin über die Handelsorganisation (HO) als Kommissionshändler organisiert und mit einem Mal mussten wir alles komplett selbst abwickeln. Es war dann total wichtig zu wissen, welche Produkte im Westen gefragt waren, welche Firmen man kontaktieren sollte.“
Das war alles andere als einfach, denn in der Kosmetikbranche gab es ein Depotsystem. Nicht jedes Geschäft darf die Produkte bestimmter Marken führen, was Eltern und Tochter damals allerdings nicht bekannt war. Der Start mit der Währungsunion ab dem 1. Juli 1990 und der dazugehörigen Einführung der D-Mark war dann allerdings vielversprechend:
„Wir haben das aber irgendwie hinbekommen. Und dann hieß es Schaufenster abhängen und über Nacht die Westware – zum Beispiel Nivea-Paletten – einräumen. Es war damals ein Wahnsinnsboom. Die Leute mussten ja nicht mehr rüberfahren. Es gab damals im Haus noch eine Theaterkasse auf der anderen Seite. Die sind dann raus. Und ich habe dann dort im ersten Jahr ein Weihnachtslädchen eingerichtet. Da gab es wirklich einen richtigen Run.“
Der Weihnachtsladen war dann der Startschuss in die Selbstständigkeit. Auch das Drogeriegeschäft, das sich mehr und mehr auf Parfums mit bekannten Marken wie Joop, Jil Sander oder 4711 spezialisierte, lief gut, wenngleich auch Vertreter der Industrie die Familie darauf aufmerksam machten, wie das Geschäft mit den Marken in der Bundesrepublik abzulaufen habe.



Hier ist Britt Heinrich ihrer Mutter noch heute dankbar, dass diese damals die Gelegenheit ergriff und für ihre Tochter den Weg in die neue Welt der Düfte nach westdeutschem Standard öffnete:
„Damals war meine Mutter gleich sehr blickig und fragte nach, ob wir das nicht mal in einer schönen westdeutschen Parfümerie erklärt bekommen können, wie das denn eigentlich so läuft. Und so habe ich dann drei Wochen in einer Hamburger Parfümerie verbringen dürfen und das hat mich natürlich völlig umgehauen. Allein die Produktauswahl und was da an Scheinen über die Ladentheke ging. Klar ist Hamburg natürlich ein anderes Pflaster, aber ich habe dann einfach mal so zu meinem Vater gesagt: ‚Papa, gib mir Geld, ich mache eine Parfümerie auf.‘ Und dann ist es eigentlich so nach und nach gewachsen, dass man so die eine oder andere Marke angeboten hatte. Die wollten hier dann ihre Produkte verkaufen, die vielleicht im Westen gar nicht mehr so ,in‘ waren.“
In den ersten Jahren hatte der Familienbetrieb dabei auch Unterstützung aus Hamburg. Man half den Wismarer Neulingen, das Parfumgeschäft zu verstehen und neue Trends zu erkennen sowie den Umgang mit den großen Duftvertreibern zu lernen. So sollte man sehen, was der Markt hergibt und welche Bedürfnisse in Wismar bestehen. Dass der Einkauf von Düften auch finanziell kein geringes Risiko darstellte, schildert Frau Heinrich anschaulich:
„Wir haben dann angefangen, die großen Marken zu führen und dann stehen eben auch mal ein, zwei Kleinwagen auf einen Schlag im Regal. Das ist auch finanziell nicht einfach gewesen.“

Neuausrichtung des Betriebes und Generationenwechsel

Das unternehmerische Risiko ging die Familie nicht zuletzt deshalb ein, weil sich wenige Jahre nach der Einheit auch die großen westdeutschen Drogerieketten in Wismar einfanden. So platzierte Rossmann 1993 in unmittelbarer Nähe eine Filiale. Aus dem Weihnachtslädchen wurde dann nach einem großen Umbau eine Mischung aus Drogerie und Parfümerie, die immer größer wurde:
„Mit Rossmann mussten wir uns dann neu orientieren, denn ein Discounter nebenan bedeutete auch, sich die Frage zu stellen: Was machen wir jetzt? So fiel dann die Entscheidung Richtung Parfümerie zu gehen, um sich abzuheben“.
Das Geschäft gehörte damals noch ihrer Mutter. Der Vater hatte zur gleichen Zeit auch noch ein eigenes Unternehmen, kümmerte sich aber um die Finanzen und beriet Ehefrau und Tochter. 2015 erfolgte schließlich der Generationenwechsel, und Britt Heinrich trat die Nachfolge als Inhaberin des Geschäfts an. Kein leichter Weg, wie sie sich erinnert:
„Das war doch irgendwie ein großer Kampf. Denn jede Generation hat ihre eigenen Vorstellungen. Ich merke das heute auch in vielen Dingen heute, wo ich sage: ‚Hätte ich einen Nachfolger, gebe ich das gerne jetzt schon mal in die neuen Hände ab‘. Aber meine Mutter konnte damals nicht so loslassen. Das war nicht einfach, denn ich hatte damals wahnsinnig viele Ideen, was Kooperationen mit anderen Einrichtungen hier in Wismar angeht.“
Bevor es dazu kam, stand die Übergabe an die Tochter sogar auf der Kippe, die sich aufgrund der Konflikte um die Zukunft des Geschäfts kurzzeitig anderweitig orientiert und für einige Monate in einer Eventagentur gearbeitet hatte. In dieser Zeit wurde ihr aber klar, dass ihr Weg doch in das Familiengeschäft zurückführen würde:
„Aber da habe ich dann für mich gedacht: Irgendwie fühlt sich hier jeder Handgriff falsch an. Dann habe ich zu meiner Mutter gesagt: ‚Mama, wir müssen reden. Ich komme gerne wieder. Aber unter der Voraussetzung; Wir arbeiten gemeinsam an der Übernahme mit einem Stichtag 01.01.2015.“

Das hat schließlich funktioniert. Vielleicht auch aus Altersgründen, denn meine Mutter war damals auch schon über 70 Jahre alt. Trotzdem: “So etwas kostet viel Kraft."

Corona als große Herausforderung

Kraft gekostet hat sie damals auch die bisher größte Herausforderung ihrer Selbstständigkeit: Die Corona-Pandemie und ihre Folgen für den Einzelhandel.
„Das war wirklich eine Existenzangst. Eine Parfümerie ist ja im Angebot beschränkt. Die Angst war da, wie es weitergeht! Wir haben dann aber gesehen, dass sich die Leute mit Wohnungseinrichtungen oder Mode eingedeckt haben. Also alles, was einem guttut. Und darauf habe ich reagiert und den Standort am Hafen entsprechend ausgerichtet. Wir haben dann u. a. mehr Mode mit reingenommen.“
Dabei profitierte sie auch von einem Leitspruch ihrer Mutter: Ich habe mir dann auch auf Rügen ein paar Läden angeschaut. Meine Mutter hatte mir schließlich mal den Satz beigebracht: ‚Mit den Augen und den Ohren darfst du stehlen, nur nicht mit den Händen.‘ Und das habe ich gemacht. Denn das war ja für mich zunächst ein ganz anderes Metier. Ich habe dann so nach und nach angefangen, Dekoration und Wohnen mit aufzunehmen.“

Zukunft des Unternehmens und Nachfolge

Heute hat die Parfümerie Hennings zwei Geschäfte in Wismar. Neben dem Stammhaus in der Altstadt seit 2017 auch das Geschäft am Hafen.
Eine neue Kollegin schlug vor, noch mehr Mode dort in touristischem Ambiente anzubieten. Das Geschäft, das während der Corona-Zeit umstrukturiert wurde, funktioniert. Um den besonderen Charakter des Ladens auszudrücken, erhielt er in diesem Jahr einen neuen Namen: „Britts. Viel mehr Schönes.“
Unterstützt wird Britt Heinrich bei der Leitung der beiden Geschäfte auch von ihrem jüngeren Bruder, der sich um Logos und Merchandise für die Geschäfte kümmert.
Bleibt es ein Familienunternehmen auch in fünfter Generation?
„Der Wunsch ist natürlich da. Grundsätzlich ist das für mich ein Herzensstück. Und ich würde mich natürlich freuen, wenn das mal jemand übernimmt. Es gibt aber aktuell keine Nachfolge. Mein Sohn hat auf jeden Fall andere Ambitionen. Ich habe aber in meinem Umfeld noch die eine oder andere Option, wo ich das Thema noch mal hier und da platziere.“

Gerne würde sie nach der Übergabe dann im Betrieb auch noch mitarbeiten, wenn es sich anbietet. Dabei ist sie auch bereit loszulassen: „Ich weiß aber natürlich auch, dass die Jugend heute anders tickt. Das fängt schon bei der Technik und Social Media an. Ich brauche den Menschen, ich möchte Kontakt zu den Menschen im Geschäft haben. Online-Verkauf geht für mich nicht, denn ich bin Einzelhändler.“
Angesprochen auf das generelle Problem, für viele Einzelhändler und Geschäfte in den Innenstädten Nachfolger zu finden, glaubt Britt Heinrich, dass es derzeit an aktiver Unterstützung mangelt:
„Ich wünsche mir, dass es wirklich klare Fahrpläne gibt. Wenn ich also plane mein Geschäft abzugeben, zu verkaufen etc., was muss ich dann fünf Jahre vorher machen oder drei Jahre vorher? Also ein Fahrplan, an dem ich mich entlangarbeiten kann. Dazu zählt auch der Verkauf, die Übergabe, weitere Möglichkeiten, worauf muss man achten usw., also gerne eine Abhakliste.
„Was ich wichtig finde, ist so eine Art Erste-Hilfe-Koffer zu der Frage, was mach ich denn, wenn die/der Geschäftsführerin plötzlich nicht mehr da ist.“

Tag der Einheit: Bilanz und Blick nach vorne

Den 35. Jahrestag des Mauerfalls nutzt Britt Heinrich um zurückzublicken, aber auch Kritik an den Problemen der Gegenwart zu äußern:
„Der Mauerfall war für mich einer der schönsten Tage, denn wir konnten plötzlich reisen. Aber ich möchte aus heutiger Sicht auch sagen, dass ich froh und dankbar bin, dass ich meine Kindheit in der DDR verbringen durfte. Denn das war ein Land, was viel für die Kinder und die Familie getan hatte.“
Den Vergleich zwischen gestern und heute sieht sie dabei durchaus ambivalent. Angesprochen auf die großen Herausforderungen der Vergangenheit und Gegenwart im Privaten wie Geschäftlichen gibt sie sich durchaus nachdenklich:
„Früher hatten wir Grenzen, in denen wir frei waren. Heute sind wir frei, aber darin oft sehr eingegrenzt. Das Geschäft ist mein Leben, mein Hobby, meine Leidenschaft. Ich möchte gerne auch Events umsetzen, besondere Veranstaltungen. Heute kommt aber gefühlt jedes Mal das Amt um die Ecke und sagt, das geht nicht, weil dies und jenes. Das gab es früher so nicht und das macht heute keinen Spaß, das sage ich ganz ehrlich. Die Bürokratie nimmt mir und uns mittlerweile sehr oft die Lust an unserem Hobby – und das sind nun mal unsere Unternehmen.“
Britt Heinrich sehnt sich dabei auch zurück nach den 1990er Jahren. Zwar hätte es damals andere Probleme gegeben, aber eben nicht diese drückende Last an Vorschriften. Für sie war das damals eine Zeit des Aufbruchs, die sie sich ein Stück weit zurückwünscht, gerade auch wenn sie abschließend an die junge Generation von Unternehmerinnen und Unternehmern oder Einzelhändlern heute denkt, die zum Teil zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung noch gar nicht geboren waren:
„Manchmal denke ich: Lasst es am besten sein! Aber das ist natürlich Quatsch. Nur glaube ich ganz fest, dass junge Unternehmerinnen und Unternehmer für das, was sie tun, unbedingt brennen müssen. Sie brauchen ganz viel Selbstvertrauen. Sie brauchen Mut, Leidenschaft, Herzblut und Durchhaltevermögen und ganz viel Kraft.“

Kontakt

Parfümerie Hennings
Hegede 17
23966 Wismar
Telefon: 03841 2473030
Telefax: 03841 2473440
E-Mail: service@parfuemerie-hennings.de
Internetseite: www.parfuemerie-hennings.de
Dieses Interview der IHK zu Schwerin bei der Parfümerie Hennings wurde am 9. Juli 2024 geführt.