EMH metering GmbH & Co. KG in Gallin
"Wir machen die Energiewende möglich und bezahlbar“, Dr. Peter Heuell, Geschäftsführer EMH metering GmbH & Co. KG in Gallin.
35 Jahre nach dem Mauerfall wird Ostdeutschland oft als verlängerte Werkbank westdeutscher Unternehmen bezeichnet. Im Businesspark A24 sitzt mit der EMH metering GmbH & Co. KG ein Unternehmen, das diesem Klischee ganz und gar nicht entspricht – eine echte deutsch-deutsche Erfolgsstory nach der Wiedervereinigung.
Auf den ersten Blick wirkt das Firmengelände der EMH metering etwas unscheinbar. Doch wer Gelegenheit bekommt hinter die Fassaden der Produktionsanlagen zu schauen, erkennt sofort: Hier wird echte High-Tech gefertigt. Denn das Unternehmen mit Sitz im Businesspark A24 bei Valluhn-Gallin an der ehemaligen innerdeutschen Grenze stellt hochmoderne digitale Stromzähler und Systeme zur intelligenten Steuerung von Strom in Eigenregie her.
© IHK zu Schwerin/Andrey Drachevsky
EMH-Geschäftsführer Dr. Peter Heuell betont dabei im Rahmen einer Werksbegehung stolz:
„Die EMH hat hier mit 250 Beschäftigten eine Wertschöpfung von fast 50 Prozent. Wir erhalten unbestückte Leiterplatten und fertigen dann eigentlich alles andere selbst. Unsere Kunden sind die großen Energieversorger und Netzbetreiber wie die WEMAG. Dieses nehmen die EMH-Geräte und bauen sie in den Haushalten ein, z.B. dort, wo eine PV-Anlage auf dem Dach installiert und der Strom ins Netz eingespeist wird.“
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Dabei exportiert das Unternehmen auch weltweit in 50 Länder. Aber nicht nur dort kommen Messgeräte der EMH zum Einsatz, wie Heuell erklärt:
„In Deutschland sind wir im Roll-Out von intelligenten Messsystemen und sogenannten Smart Meter Gateways. Das sind Plattformen, um die Energiewende zu ermöglichen. Sie verbinden die Messgeräte und schaffen eine Konnektivität in Verbindung mit hoher Sicherheit. So können Erneuerbare Energien in die Netze integriert werden. Die Geräte beantworten etwa die Frage, wie ich das Netz vor Überlastung schützen kann. Damit können z.B. dynamische Tarife genutzt werden, um die Stromnetze besser auszulasten.“
Ein deutsch-deutsches Unternehmen
Doch wie kam es dazu, dass ein für die Energiewende so wichtiges Unternehmen heute an einem Standort produziert, der vor 1990 noch durch die innerdeutsche Grenze geteilt worden war?
Die Antwort auf die Frage lässt sich vor allem mit der Wiedervereinigung beantworten:
- 1984 wurde die EMH Energiemesstechnik im niedersächsischen Brackel südlich von Hamburg gegründet.
Das Unternehmen entwickelte damals Prüftechnik für Stromzähler und forschte an einer Möglichkeit der digitalen Erfassung des Stromverbrauchs, um die alten und manipulierbaren mechanischen Zähler abzulösen. - Im Jahr des Mauerfalls 1989 wurde dann der erste eigene digitale Stromzähler vorgestellt und daraufhin nach einem Platz für die Fertigung gesucht.
- Diesen fand man 1991 in Wittenburg, wo die neuen Stromzähler gebaut werden sollten.
Heuell: „In Brackel fehlte die Fläche, um zu wachsen. Nach der Wiedervereinigung gab es zudem im Osten genügend Arbeitskräfte. Es war damit einfach durchaus interessant, dort hinzugehen, und das war die richtige Entscheidung. Nach Mecklenburg gehen ja sonst eher Unternehmen, die viel Fläche und verhältnismäßig wenig Mitarbeiter haben. Bei uns ist es heute genau andersherum. Wir haben wenig Fläche und viele Mitarbeiter.“
Die Entwicklungsabteilung ist bis heute in Brackel angesiedelt. Der Standort in Wittenburg wurde allerdings irgendwann zu klein und so entschied man sich 2012 in den neuen Industriepark an der A24 bei Valluhn und Gallin umzuziehen. Dort sind heute die Produktion, der Vertrieb, die IT und die Verwaltung angesiedelt.
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Für Peter Heuell handelt es sich damit um ein gemeinsames „West-Ost-Venture“. Das besondere deutsch-deutsche-Flair im Unternehmen zeigt sich auch bei den Biografien von Geschäftsführer Heuell sowie von Fertigungsleiter Christopher Kämpf. Peter Heuell, seit 2017 Geschäftsführer am Standort Gallin, studierte zur Zeit der Wiedervereinigung in München, war in seiner Jugend zuvor allerdings oft im Hamburger Umland unterwegs. Er schätzt an der Region vor allem die Landschaft:
„Ich habe einen besonderen Hang zur Natur. Das Biosphärenreservat ist einfach klasse.“
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Christopher Kämpf, Jahrgang 1984, ist wiederum ein echter Mecklenburger und in der Nähe von Ludwiglust aufgewachsen. Nach seinem Studium in Lüneburg arbeitete er als Unternehmensberater und lernte so auch die EMH kennen, für die er seit drei Jahren als Fertigungsleiter tätig ist. 2025 wird Kämpf Mitglied der Geschäftsleitung und steht damit für eine noch recht junge Generationen Ostdeutscher, die jetzt in neue Führungspositionen rückt.
Beide sind sich sicher, dass der Standort des Unternehmens ein echter Vorteil ist.
Heuell: „Der Standort ist eigentlich perfekt. Wir haben die tolle Natur, tolle Seenlandschaften, das Biosphärenreservat. Wir sind direkt an der Autobahn und wir sind nahe an der Großstadt Hamburg.“
Und Kämpf pflichtet bei: „Für uns als Partner der Energiebranche ist es auch wichtig, dass wir nah an der Politik sind, also an Berlin. Außerdem können wir hier im Businesspark auch mit Logistikern zusammenarbeiten, wenn der Platz mal knapp sein sollte. Es ist diese Kombination, die passt.“
Zentraler Akteur des digitalen Wandels
Der Politikbezug ist nachvollziehbar, denn die EMH spielt eine zentrale Rolle bei der Digitalisierung der Strommesspunkte in Industrie, Haushalt und Gewerbe. was sich an den bundesweiten Marktanteilen des Unternehmens zeigt: In nahezu jedem ICE findet sich heute ein EMH-Stromzähler. Bei Zählern für den Verbrauch über 100.000 Kilowattstunden, liegt der Marktanteil bei über 50 Prozent, ebenso bei Zählern für E-Ladesäulen. Damit ist das Unternehmen ein echter Hidden Champion. Und auch im Haushaltsbereich kommt die EMH auf über 20 Prozent.
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Doch das Produktportfolio endet bei weitem nicht bei Stromzählern, die in Haushalten, Offshore-Windparks oder Industrieanlagen zum Einsatz kommen. In Gallin werden zudem Kleingeräte für große Verbrauchermärte und vor allem Smart Meter Gateways gebaut. Diese verbinden die Messtechnik, um den Energieverbrauch abzurechnen, mit der Fähigkeit als Plattform für dynamische Tarife zu dienen, um die Netze intelligent auszulasten. Damit lassen sich autarke Energiemanagementlösungen aufbauen, um den Eigenstromverbrauch zum Beispiel für die PV-Anlage oder die Wärmepumpe zu optimieren. Für die Smart Meter Gateways ist die EMH heute einer von nur fünf in Deutschland zugelassenen Herstellern. Heuell bringt es dabei auf den Punkt:
„Wir machen die Energiewende möglich und bezahlbar. Dies gelingt nur, wenn man verhindern kann, dass die Netze überlastet werden. Und das geht unter anderem auch dadurch, dass man dem Kunden Anreize gibt, Energie dann zu verbrauchen oder einzuspeisen, wenn es für ihn auch finanziell reizvoll ist.“
Hinsichtlich des Produktportfolios ist er sich zudem sicher:
„Unser größtes Asset ist, dass wir alles in einer Hand haben: Wir entwickeln die Produkte, fertigen sie vor Ort, haben den Vertrieb. Deswegen können wir auch so schnell reagieren. Wenn ein Kunde einen Wunsch hat, können wir das sofort umsetzen.“
Er sieht dabei gerade in den Produktionskapazitäten einen großen Vorteil:
„Wir haben aufgrund der Fertigungstiefe am Standort eine extrem große Flexibilität, wenn der Kunde bestimmte Wünsche hat. Wir können das Produkt dann direkt anpassen und fertigen. Das ist unsere DNA am Standort hier und damit konnten wir zum Beispiel auch die Corona-Zeit gut überstehen.“
Das zeigt sich nicht zuletzt auch am Umsatz, der sich nach Auskunft von Heuell und Kämpf in den letzten vier Jahren beinahe verdoppelt hat. Und dabei soll es bleiben, wie beide betonen, die hervorheben, dass das Unternehmen viel in Effizienz investiert hat und jetzt die erste Roboterzelle aufbaut.
Diese Entwicklung bleibt nicht unbeobachtet. Im Mai 2024 würdigte das Ostdeutsche Wirtschaftsforum die EMH metering als herausragendes Unternehmen mit dem Wirtschaftspreis „VORSPRUNG“. Geschäftsführer Heuell ist darauf stolz:
„Wir haben uns sehr gefreut, weil es eben ein Preis für Innovation ist. Wir investieren 8 bis 9 Prozent des Umsatzes in Innovation, das ist gerade für diese Region sehr ungewöhnlich. Das machen wir, weil wir das als unsere Kernkompetenz sehen und uns damit durchsetzen können. Und der Preis tut einfach unserer Seele sehr gut, weil es ein ostdeutscher Preis ist. Ehrlich gesagt wäre er auch nur halb so interessant, wenn es ein gesamtdeutscher Preis wäre.“
Herausforderungen am Standort
Auch Christopher Kämpf sieht die Entwicklung des Unternehmens sehr positiv und verweist auf die Entwicklungsmöglichkeiten, denn das Firmengelände im Businesspark bietet noch ausreichend Platz:
„Die Fertigung und Logistik könnten noch gespiegelt werden und auch der Verwaltungsbereich könnte noch wachsen.“
Gleichzeitig erwähnt er aber auch die Herausforderungen am Standort: „Wir liegen zwar direkt an der Landesgrenze und die meisten unserer Mitarbeiter kommen aus Mecklenburg, aber wir haben auch in Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Hamburg Mitarbeiter. Das macht es gar nicht so einfach, gerade im operativen Geschäft, zum Beispiel wegen der Sommerferien, denn wir arbeiten im Drei-Schicht-Betrieb.“
Gleichzeitig erwähnt er aber auch die Herausforderungen am Standort: „Wir liegen zwar direkt an der Landesgrenze und die meisten unserer Mitarbeiter kommen aus Mecklenburg, aber wir haben auch in Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Hamburg Mitarbeiter. Das macht es gar nicht so einfach, gerade im operativen Geschäft, zum Beispiel wegen der Sommerferien, denn wir arbeiten im Drei-Schicht-Betrieb.“
Zusammen mit Heuell wünscht er sich zudem eine bessere ÖPNV-Anbindung:
„Bei uns kommen alle Mitarbeiter mit dem Auto. Und sie kommen aus allen Himmelsrichtungen, sodass es für uns schwierig ist, Shuttle oder Fahrgemeinschaften einzurichten“.
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Dabei wirbt das Unternehmen um neue Mitarbeiter, ohne dass diese sich schon bis ins Detail mit den Produkten auskennen müssen, wie Kämpf betont:
„Wir sind in einem Spezialsektor unterwegs, verfügen über bestimmte Kenntnisse, die nur bei uns im Haus erlebbar und auch erlernbar sind. Daher bilden wir die Leute hier in der Regel noch einmal gezielt aus, selbst wenn sie eine passende Berufsqualifikation mitbringen.“
Sorgen bereitet Peter Heuell dabei allerdings der gegenwärtige und zukünftige Bedarf an Mitarbeitern, der nicht immer gedeckt werden kann:
„Wir wollen natürlich auch gerade mit Blick auf die Zukunft gerne neue Kollegen gewinnen, die ein Know-how für die Fertigung mitbringen. Und da sind wir auch ganz ehrlich, dass wir uns in der Vergangenheit für bestimmte Automatisierungsvorgänge entschieden haben, weil wir einfach die Mitarbeiter für bestimmte Anwendungen nicht bekommen haben“, so Heuell.
Blick auf die Wiedervereinigung und die Zukunft
© IHK zu Schwerin/Andrey Drachevsky
Im Hinblick auf die Wiedervereinigung und ihre Folgen ziehen beide ein gemischtes Fazit, gerade wenn es um die gesellschaftlichen Folgen geht. Peter Heuell merkt durchaus kritisch an:
„Ich denke, wir sind noch nicht so wiedervereinigt, wie man oft denkt. Bei weitem nicht alle Erfahrungen in Ostdeutschland nach 1990 waren positiv. Und ich denke, dass es in dieser Gesellschaft insgesamt noch nicht mental angekommen ist, was der Osten geleistet hat. Wenn man die Entwicklung der vergangenen 30 Jahre betrachtet, dann sieht man doch, dass die höhere Dynamik im Osten gewesen ist.“
Christopher Kämpf, ein Kind der 1990er Jahre, sieht den Unterschied gar nicht so sehr entlang der alten Staatsgrenze des Kalten Krieges:
„Je nachdem, wie man das persönlich erfahren hat, gibt es eine unterschiedliche Sicht auf die Zeit der Wiedervereinigung und danach. Als Berater war ich in vielen Bundesländern unterwegs. Und was, glaube ich, viel stärker wahrnehmbar ist, ist nicht, ob man aus Ost oder West kommt, sondern die Region, aus der man stammt. Die kulturellen Unterschiede zwischen dem Rheinland und Bayern sind im unternehmerischen Kontext aus meiner Sicht jedenfalls deutlich spürbarer als zwischen Ost und West.“
Dem kann Peter Heuell nur zustimmen, wenn er auf das Hier und Jetzt blickt:
„Natürlich gibt es auch bestimmte Unterschiede in der Prägung. Das ist doch normal, gerade bei den Älteren. Aber glauben Sie mir: Ich bin hier in der Region als Jäger aktiv und habe dadurch viele Menschen kennenlernen dürfen. Wenn man ein gemeinsames Hobby hat, treten diese vermeintlichen Unterschiede in den Hintergrund.“.
Fertigungsleiter Christopher Kämpf nimmt in seinem Fazit anlässlich des Tags der Einheit zugleich Vergangenheit und Zukunft in den Blick und klingt dabei gleichermaßen versöhnlich wie optimistisch:
„Ich bin wirklich fasziniert vom zeitlichen Verlauf der unterschiedlich schnellen Entwicklung. Aus meiner Sicht - auch durch meine Erfahrung als Unternehmensberater in ganz Deutschland – muss ich sagen, dass sich die Region zwischen Hamburg und Berlin viel schneller und dynamischer entwickelt hat als der Rest Deutschlands oder auch andere Regionen in Europa. Und ich bin wirklich froh darüber, genau an dieser Entwicklung beteiligt zu sein.“
Dieses Interview der IHK zu Schwerin bei der EMH metering GmbH in Gallin wurde am 10.07.2024 geführt.