Bundesverfassungsgericht kippt steuerliche Verzinsungspraxis
In Zeiten, in denen für Sparanlagen sogar Negativzinsen keine Ausnahme mehr sind, werden Steuernachforderungen und -erstattungen hierzulande mit 0,5 Prozent für den vollendeten Monat verzinst, jährlich also mit 6 Prozent. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat nun entschieden, dass diese Praxis verfassungswidrig ist.
Nach dem am 18. August 2021 veröffentlichten Beschluss des BVerfG (Verlinkung am Ende des Textes) ist die aktuelle Zinsregelung seit Januar 2014 nicht mehr mit dem Grundgesetz vereinbar.
Dennoch kann das geltende Recht für Verzinsungszeiträume bis einschließlich 2018 weiter angewendet werden. Andernfalls entstünden aus Sicht des BVerfG erhebliche haushaltswirtschaftliche Unsicherheiten, die im Interesse einer verlässlichen Finanz- und Haushaltsplanung nicht geboten seien.
Der Gesetzgeber muss jedoch bis spätestens 31. Juli 2022 eine verfassungsgemäße Neuregelung treffen, die dann auch rückwirkend für alle Sachverhalte ab 2019 gilt.
Aktueller Satz stammt aus 1961
In Karlsruhe geklagt hatten zwei Unternehmen, die nach Steuerprüfungen Gewerbesteuer samt Zinsen für die Jahre 2005 und 2006 nachzahlen mussten. Dabei ging es beiden Verfahren zusammen um Nachzahlungszinsen von insgesamt mehr als 1,45 Millionen Euro.
Die Gerichtsentscheidung bestätigt die Auffassung des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), dass die seit 1961 in § 238 der Abgabenordnung festgeschriebene Zinshöhe von 6 Prozent pro Jahr nicht verfassungskonform ist.
Denn eigentlich soll nach dem Willen des Gesetzgebers mit der Verzinsung von Steuernachforderungen und Steuererstattungen der Vorteil abgeschöpft werden, der durch eine verspätete Steuerfestsetzung entsteht. Dabei muss jedoch auf das aktuell bestehende Zinsniveau abgestellt werden, und die gesetzliche Fiktion von 6 Prozent entspricht schon seit Langem nicht mehr der realen Zinssituation.
Langwierige Betriebsprüfungen sorgen für hohe Zinslast
Die aktuelle Entscheidung sei deshalb "ein gutes Signal für viele in der Wirtschaft", sagt der stellvertretende DIHK-Hauptgeschäftsführer Achim Dercks. "Gerade für Unternehmen, die wegen der langen Dauer der Betriebsprüfungen erst viele Jahre nach ihrer Steuererklärung einen endgültigen Steuerbescheid erhalten, sind die extrem hohen Nachzahlungszinsen eine erhebliche Belastung." Und er betont: "Neben einer möglichst raschen Anpassung der Zinshöhe auf ein realitätsgerechtes Maß sollten aus Sicht des DIHK auch die Betriebsprüfungen beschleunigt werden. Denn das bringt den Unternehmen die gerade jetzt dringend benötigte Rechts- und Planungssicherheit."
(Quelle: DIHK)