Diesel-Betrieb der Bahn im Allgäu soll ab 2029 enden

Neue Ausschreibung beendet das Diesel-Zeitalter der Bahn im Allgäu

Nach jahrzehntelangem Tauziehen um die Elektrifizierung von Strecken soll der Bahnverkehr mit Dieselzügen nach dem Willen des Freistaats von Ende 2029 an schrittweise auslaufen. Weil neue Oberleitungen – mit Ausnahme der seit drei Jahren elektrifizierten Strecke München–Memmingen–Lindau – bis dahin absehbar nicht zur Verfügung stehen werden, muss für das ehrgeizige Vorhaben ein neuer Zugtyp entwickelt werden, der zudem mit Neigetechnik fahren kann, um den Taktfahrplan und die Anschlüsse in den Knotenbahnhöfen einhalten zu können. Der „trimodale“ Zug wird aus drei Quellen elektrisch angetrieben – mit Oberleitung, mit Batterie/Akku und mit Wasserstoff/Brennstoffzelle; außerdem soll er barrierefrei sein.

Zugtyp ist eine Weltneuheit

Die Bayerische Eisenbahngesellschaft (BEG), die im Auftrag des Freistaats den Regionalverkehr plant, bestellt und organisiert, hat hierzu am 15. Juli 2024 den Start des Vergabeverfahrens „Neigetechnik Allgäu“ angekündigt. Der geforderte „lokal emissionsfreie“ Neigetechnik-Zug ist bislang weltweit nicht auf dem Markt. „Dieses Fahrzeug wird eine Weltneuheit sein und in Bayern das Neigetechnik-Zeitalter 2.0 einläuten. Das ist eine der spannendsten und herausforderndsten Ausschreibungen, seit der Freistaat vor fast 30 Jahren die Zuständigkeit für den Schienenpersonennahverkehr im Freistaat übernommen hat“, erklärte Bayerns Verkehrsminister Christian Bernreiter, der zugleich BEG-Aufsichtsratsvorsitzender ist. „Bayern bringt mit diesem Projekt attraktive Zugangebote, Klimaschutz und Innovation gleichsam aufs Gleis.“
Der neue Zugtyp soll perspektivisch voraussichtlich ab Ende 2032 auch in Nordostbayern die Dieselzüge ablösen – und so dem potenziellen Hersteller eine Mindestzahl an Fahrzeugbestellungen gewähren, um wirtschaftlich in die Entwicklung und Produktion des Zuges einsteigen zu können.

„Allgäu-Franken-Express“ als „Eventualposition“

Die Vergabe umfasst mehrere Linien zwischen Augsburg beziehungsweise München und Buchloe, die über Kempten und Immenstadt nach Lindau sowie Oberstdorf weitergeführt werden. Die Durchbindung von zwei Zugpaaren über Augsburg hinaus von/nach Nürnberg („Allgäu-Franken-Express“) wird als Option („Eventualposition“) ausgeschrieben. Hinzu kommen die Linien von Augsburg über Türkheim nach Memmingen und Bad Wörishofen. Aktuell werden sämtliche Linien von DB Regio betrieben.
Der „Allgäu-Franken-Express“ (AFX) war zur Inbetriebnahme der Neubaustrecke Nürnberg–Ingolstadt–München 2006 vom Freistaat „bestellt“ und der Region Schwaben zugesagt worden, um Lücken im ICE-Angebot zwischen Augsburg und Nürnberg zu schließen und den Raum Allgäu/Bodensee (Oberstdorf und Lindau) mit einem schnellen Zug umsteigefrei an den ICE-Knoten Nürnberg anzuschließen. Zwischen Augsburg, Donauwörth und Nürnberg erreicht dieser Diesel-Neigetechnik-Zug die gleiche Fahrzeit wie ein ICE; die Strecke Kempten–Augsburg schafft der Zug in weniger als einer Stunde. Wegen häufiger längerer Bauarbeiten auf der Strecke, seit etlichen Monaten aber auch wegen Fahrzeugausfällen, fehlendem Personal für die Instandhaltung in der Werkstatt in Kempten und nicht verfügbaren Ersatzteilen verkehrt der „AFX“ in den vergangenen Jahren nur noch lückenhaft; aktuell (Juli 2024) wird der sonst äußerst stark nachgefragte Zug im Online-Fahrplan nicht einmal mehr ausgewiesen.

Ulm–Kempten ist nicht im „Paket“

Die Regionalexpress-Verbindung Ulm–Kempten, die Bestandteil des bisherigen Ausschreibungspakets „Dieselnetz Allgäu“ ist, gehört nicht zu dem neuen Vergabe-Paket. Für Ulm–Kempten ist eine durchgehende Elektrifizierung geplant, die allerdings 2029 auch noch nicht verwirklicht sein wird. Unabhängig von der Antriebsart setzt sich die IHK Schwaben seit Jahren für den Erhalt einer durchgehenden Verbindung Ulm–Kempten–Oberstdorf ein, um Reisenden auf der touristisch wichtigen Strecke ins Allgäu einen zusätzlichen Umstieg in Kempten und die zusätzliche Gefahr verpasster Anschlüsse zu ersparen.

Unter Zeitdruck, aber „behutsam“

Das ambitionierte neue Vergabeverfahren für das Allgäu steht unter hohem Zeitdruck, vor allem wegen der erforderlichen Entwicklung des neuen Zugtyps, der während der Vertragslaufzeit von Dezember 2029 bis Dezember 2041 schrittweise die bisherigen Neigetechnik-Züge ersetzen soll. Es handelt sich um ein Verhandlungsverfahren mit vorgeschaltetem europaweiten Teilnahmewettbewerb. Interessierte Unternehmen können sich bis spätestens Ende August 2024 bewerben. Den Zuschlag erteilt die BEG voraussichtlich Mitte 2025.
Bei der Umstellung des Fuhrparks will die BEG nach eigener Ankündigung „behutsam“ vorgehen, gewisse auch nach Erfahrungen andernorts mit „Kinderkrankheiten“ von neuen Zugtypen. Die Laufzeit des Verkehrsvertrags ist deshalb in zwei Betriebsstufen aufgeteilt: In der ersten Betriebsstufe sind gebrauchte Neigetechnikfahrzeuge noch zugelassen und die Flotte wird nach und nach durch die neuen “trimodalen” Neigetechnikfahrzeuge ersetzt. Dieser Übergangszeitraum solle die reibungslose Inbetriebnahme der gesamten Flotte gewährleisten. „Die Zuverlässigkeit des Regionalverkehrs hat für uns gerade im Hinblick auf die Fahrgäste höchste Priorität“, erklärt Bärbel Fuchs, Geschäftsführerin der BEG. „Deshalb gehen wir beim Einsatz der neuen Neigetechnikfahrzeuge so behutsam wie möglich vor, mit ausreichend Zeit für den Probebetrieb in kleinen Stückzahlen. Erst wenn sich das neue Neigetechnikfahrzeug im Betriebsalltag bewährt hat, wird die Flotte komplett ersetzt.“
Sobald sämtliche Fahrzeuge ausgetauscht sind, startet die zweite Betriebsstufe. Zu diesem Zeitpunkt werden die beiden Linien RE 71 und RE 73 (Augsburg–)Türkheim–Memmingen/Bad Wörishofen aus dem Verkehrsvertrag herausgelöst. Auf diesen Linien fahren dann voraussichtlich Fahrzeuge ohne Neigetechnik, was sich im Fahrplan nicht signifikant auswirkt. Im Gegenzug wird die Linie RE 79 Augsburg–Buchloe–Kempten in das Netz Neigetechnik Allgäu aufgenommen und erstmals mit Neigetechnikfahrzeugen bedient. Aktuell gehört diese Linie noch zum Los 1 des Dieselnetzes Allgäu. Die Fahrtzeitgewinne durch die schnelleren Neigetechnikfahrzeuge werden auf dieser Linie unter anderem genutzt, um perspektivisch die geplanten neuen Stationen Aitrang und Kempten-Ludwigshöhe im Stundentakt bedienen zu können.
Informationen zur Ausschreibung und eine Grafik der Linien finden Sie hier!