Positionspapier der IHK Flensburg

Digitalisierung in der beruflichen Bildung

Mit dem 2019 geschlossenen Digitalpakt Schule zwischen Bund und Ländern soll der flächendeckende Aufbau einer zeitgemäßen digitalen Bildungsinfrastruktur unter dem Primat der Pädagogik unterstützt werden. Für Investitionen in die digitale Bildungsinfrastruktur werden in den kommenden fünf Jahren über fünf Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Mit einem Kofinanzierungsanteil des Landes Schleswig-Holstein fließen damit rund 170 Millionen Euro an die Schleswig-Holsteinischen Schulen.
Der Digitalpakt Schule knüpft an das am 8. Dezember 2016 beschlossene Strategiepapier der Länder "Bildung in der digitalen Welt" an. Dort heißt es zur beruflichen Bildung: "Wegen ihrer Nähe zum Beschäftigungssystem und als Partner in der dualen Berufsausbildung sind die beruflichen Schulen vom technologischen und wirtschaftlichen Wandel durch die Digitalisierung besonders und in unmittelbarer Art und Weise berührt. (...) Durch die fortschreitende Digitalisierung ausgelöste Entwicklungen in der Arbeitswelt (müssen) zeitnah in den Unterricht an beruflichen Schulen Eingang finden."
Strategische Leitlinien und Handlungsfelder der IHK-Organisation wurden von der DIHK Vollversammlung im Dezember 2015 unter dem Titel "Berufliche Bildung 2025" beschlossen. Der enge Zusammenhang zwischen beruflicher Bildung und Digitalisierung wird dort hervorgehoben: "Mit innovativen Produkten und Dienstleistungen entstehen auch neue Qualifikationsanforderungen. Die berufliche Aus- und Weiterbildung darf daher nicht auf dem Status Quo verharren, sondern muss sich den Anforderungen stellen, die Wirtschaft 4.0 mit sich bringt."
Der Prozess der Digitalisierung in der beruflichen Bildung ist ein unmittelbares Erfordernis gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Bedingungen. Dies machten die landesweiten pandemiebedingten Schulschließungen im Frühjahr 2020 deutlich. Der spontan entstandene Handlungsdruck, den Unterricht ortsunabhängig fortzuführen, zeigt, dass neben den technischen Voraussetzungen vor allem die Anwendungskompetenz der Lehrkräfte und Lernenden erfolgsentscheidend sind. Es gilt, die Lernkurve im Umgang mit digitalen Lernumgebungen zu nutzen und positive pädagogische Effekte zu verstetigen. Zur Teilhabe am Distanzunterricht wurde vom Bund und vom Land Schleswig-Holstein ein Sofortausstattungsprogramm ins Leben gerufen, durch das Schülerinnen und Schüler mit digitalen Endgeräten versorgt werden sollen. Die Aufstockung der Infrastruktur führt zu einem erhöhten Wartungsbedarf, der von den Fördergeldern nicht gedeckt wird.
Die Aktualität der Thematik und die Positionierung der IHK Flensburg zum jetzigen Zeitpunkt resultieren aus den Anschlussfragen, die sich aus dem begrüßenswerten Digitalpakt Schule und aus den Erfahrungen mit dem Corona-bedingten Distanzunterricht ergeben. So stellt sich die Frage, was über die Investitionen in die technische Infrastruktur hinaus gebraucht wird, um den Prozess der digitalen Transformation in der beruflichen Bildung nachhaltig zu gestalten. Darüber hinaus müssen Modelle dafür gefunden werden, wie der Ausbau der digitalen Infrastruktur die Qualität der beruflichen Bildung im Sinne der Dual Partner weiter erhöht.

Die Positionen im Überblick

Position 1: Der digitale Wandel in den Betrieben und der Gesellschaft stellt neue Qualifikationsanforderungen an Auszubildende aller Berufe. Deren Vermittlung muss alle Schülerinnen und Schüler im berufsschulischen Unterricht und am Lernort Betrieb erreichen. Es gilt, die berufliche Handlungsfähigkeit sowohl durch erweiterte berufsübergreifende und passgenaue berufsspezifische Digitalkompetenzen in enger Abstimmung mit den regionalen Betrieben zu verbessern.
Position 2: Die regionale Wirtschaft setzt sich für eine Stärkung des dualen Systems der beruflichen Bildung ein. Voraussetzung für die hohe Qualität und Praxisnähe der dualen Ausbildung ist die enge Kooperation zwischen den Dual Partnern. Diese Kooperation gilt es auch durch digitale Möglichkeiten zu intensivieren, um den direkten Bezug zur betrieblichen Praxis konsequent im Unterricht zu berücksichtigen.
Position 3: Berufliche Schulen sind genauso gefragt wie Ausbildungsbetriebe, die Potenziale der Digitalisierung zur Gestaltung moderner Lernumgebungen zu nutzen. Durch den Einsatz digitaler Technologien und Medien kann die Effektivität und Effizienz des Lernens individuell gesteigert werden. Voraussetzung dafür ist jedoch ein organisatorischer und kultureller Transformationsprozess, für den die Schulen mit den notwendigen Ressourcen auszustatten sind.
Position 4: Eine zukunftsorientierte technische Ausstattung der beruflichen Schulen in der Region bildet die Grundlage für die Vermittlung digitaler Kompetenzen und den Einsatz digitaler Lernmedien. Die IHK Flensburg fordert daher die Sicherstellung der Finanzierung zur Planung, Erweiterung, Instandhaltung und Erneuerung der technischen Infrastruktur.
Position 5: Die IHK Flensburg unterstützt dabei, die Kooperation bei der digitalen Transformation in Schulen und Betrieben durch die Einrichtung von Austauschformaten auszubauen und die Interessen der beruflichen Bildung aktiv gegenüber den politischen Akteuren zu vertreten. Zur Unterstützung der Ausbildungsbetriebe initiiert die IHK Flensburg ein Programm für Auszubildende, das darauf abzielt, Digitalisierungsprojekte im Betrieb zu planen und durchzuführen.

Digitale Kompetenzen definieren und vermitteln

Zahlreiche Studien weisen darauf hin, dass aktuell noch deutliche Defizite in der Vermittlung digitaler Kompetenzen an Schülerinnen und Schüler bestehen. Die Ausbildungsumfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) aus dem Jahr 2019 zeigt, wie groß der Handlungsbedarf ist. Während die befragten Betriebe aus dem Kammerbezirk Flensburg zwar angeben, dass ihre Auszubildenden gute Kompetenzen im Bereich Social Media bei Beginn ihrer Ausbildung mitbringen, sehen sie deutliche Schwächen im Reflexionsvermögen über digitale Prozesse. Nur knapp 13 Prozent der befragten Betriebe schätzen diese Kompetenz bei Ausbildungsbeginn als sehr gut ein. Weiterer Handlungsbedarf besteht in Bezug auf die Vermittlung von Kenntnissen im Bereich IT-Sicherheit und Datenschutz. Obwohl Digitalisierung schon lange Thema im Bildungswesen ist, verdeutlichen die Befunde, dass junge Menschen bei Ausbildungsbeginn häufig unzureichend auf die Anforderungen der modernen Arbeitswelt vorbereitet sind.
Quelle: DIHK-Online-Unternehmensbefragung Ausbildung 2019, n=115-116
Dieses Ergebnis wird auch durch eine Studie aus dem Jahr 2018 bestätigt, in der die computer- und informationsbezogenen Basiskompetenzen von Studierenden und Schülern untersucht wurden. Laut dieser Studie verfügten nur knapp 18 Prozent der Schülerinnen und Schüler des 12. Jahrgangs über ausreichende Kompetenzen zur Aufnahme eines Studiums (Senkbeil, Schöber, Ihme 2018). Auch die Studie ICILS 2018 kommt zu dem Ergebnis, dass etwa ein Drittel der Achtklässlerinnen und Achtklässler nur über sehr rudimentäre und basale computer- und informationsbezogene Kompetenzen verfügen (Eikelmann et al. 2019). Insbesondere die hohe Leistungsstreuung zwischen Schülerinnen und Schülern von Gymnasien und anderen Schulformen der Sekundarstufe I stellt ein Problem dar, dass sich auf die Ausbildungsreife der Jugendlichen auswirkt.
Laut der Umfrage des DIHK aus dem Jahr 2019 wird in 75 Prozent der befragten Ausbildungsbetriebe aus dem Bezirk der IHK Flensburg davon ausgegangen, dass die Bedeutung von IT-Kompetenzen neuer Auszubildender angesichts der digitalen Transformation zunehmen wird. Dies zeigt eine Befragung des DIHK aus dem Jahr 2019. Auch im Hinblick auf die Kommunikationsfähigkeit und das selbstständige Handeln gehen mehr als die Hälfte der befragten Betriebe von einer Bedeutungszunahme aus. Neben der Aneignung eines adäquaten Umgangs mit der Technik steigt somit insbesondere der Stellenwert der Vermittlung von sozialen und organisatorischen Kompetenzen in der digitalisierten Arbeitswelt.
Quelle: DIHK-Online-Unternehmensbefragung Ausbildung 2019, n=112-116
Dies ist das Resultat von umfassenden arbeitsorganisatorischen und gesellschaftlichen Veränderungen, die mit dem Prozess der Digitalisierung einhergehen. Arbeits- und Produktionsprozesse werden optimiert und automatisiert, neue Methoden der Informationsverarbeitung und des Wissensmanagements werden genutzt, neue Vertriebswege beschritten und neuartige Geschäftsmodelle umgesetzt. Der Begriff Digitalisierung beschreibt darüber hinaus nicht mehr allein die technische Umwandlung analoger in digitale Informationen. Er fasst vielmehr diejenigen technologischen und gesellschaftlichen Veränderungsprozesse zusammen, die mit der Anwendung digitaler Technologien und Medien einhergehen, durch sie befördert werden oder zum Ausdruck kommen.
Es handelt sich nicht um ein neuartiges Phänomen, selbst wenn dieser Eindruck angesichts der großen medialen Präsenz des Themas entstehen könnte. In den letzten Jahren hat sich der digitale Wandel jedoch in seiner Intensität, Reichweite und Dynamik weiter verstärkt. Auch im Bereich der beruflichen Bildung kann nicht von einer neuartigen Entwicklung gesprochen werden. Das duale System zeichnet sich seit jeher durch seine Anpassungsfähigkeit an den Wandel der Arbeitswelt aus. Die Ausbildungsumfrage des DIHK aus dem Jahr 2019 zeigt, dass die große Mehrheit der Betriebe daher auch keinen Bedarf sieht, Berufe grundsätzlich zu erneuern (DIHK 2019, S. 17). So wurden in den beruflichen Schulen in den vergangenen Jahren bereits erhebliche Anstrengungen unternommen, um sich auf den digitalen Wandel einzustellen. Dennoch konnte noch nicht die notwendige Reichweite in der Vermittlung von Kompetenzen für die digitale Arbeitswelt erreicht werden. Die beruflichen Schulen stehen vor allem abseits von Fragen der technischen Ausstattung und dem vorherrschenden regionalen Lehrkräftemangel noch vor weiteren großen Herausforderungen. Diese betreffen neben der digitalen berufsfachlichen Ausgestaltung des Unterrichts insbesondere auch die Gestaltung des pädagogisch-didaktischen und kulturellen Transformationsprozesses an beruflichen Schulen. Gerade in Bezug auf die Ausbildung gewerblich-technischer Berufe besteht ein hoher und fortlaufender Anpassungsbedarf, da in industriellen Produktionsprozessen mit hoher Innovationsgeschwindigkeit gearbeitet wird.
Eine weitere Herausforderung besteht darin, die zu vermittelnden Kompetenzen passgenau in Abstimmung mit der regionalen Wirtschaft zu definieren, denn in der beruflichen Bildung sollen junge Menschen berufsspezifisch und handlungsorientiert auf den digitalen Wandel und dessen Folgen vorbereitet werden. Den Grundbaustein bilden dabei allgemeine Medien-, Informations- und IT-Kompetenzen. Aber auch die Anforderungen an Analyse- und Problemlösungsfähigkeiten, das Kommunikations- und Reflexionsvermögen sowie die Kreativität und Selbstorganisation junger Menschen nehmen zu.
Über die Definition der grundlegenden digitalen Kompetenzen in der modernen Arbeitswelt besteht in der Bildungsforschung weitestgehend Einigkeit. Die IHK Flensburg unterstützt diesbezüglich die Strategie der Kultusministerkonferenz (KMK) zur digitalen Bildung aus dem Jahr 2016. Gefordert wird eine unmittelbare und konsequente Implementierung digitaler Kompetenzen in den berufsschulischen Unterricht. Nur so kann eine nachhaltige Vorbereitung aller Schülerinnen und Schüler auf die Arbeits- und Lebenswelt von Morgen gewährleistet werden.
Position 1: Der digitale Wandel in den Betrieben und der Gesellschaft stellt neue Qualifikationsanforderungen an Auszubildende aller Berufe. Deren Vermittlung muss alle Schülerinnen und Schüler im berufsschulischen Unterricht und am Lernort Betrieb erreichen. Es gilt, die berufliche Handlungsfähigkeit sowohl durch erweiterte berufsübergreifende und passgenaue berufsspezifische Digitalkompetenzen in enger Abstimmung mit den regionalen Betrieben zu verbessern.
Der hohe Spezialisierungsgrad von 327 anerkannten Ausbildungsberufen erfordert die Vermittlung grundlegender Medien-, Informations- und IT-Kompetenzen und berufsfachlicher Digitalkompetenzen. Um einen stärkeren Fokus auf die in Betrieben bedeutsamen berufsfachlichen Digitalkompetenzen legen zu können, sind die beruflichen Schulen auf eine gute Vorarbeit der allgemeinbildenden Schulen angewiesen. Schülerinnen und Schüler verlassen die allgemeinbildenden Schulen häufig jedoch mit einem sehr heterogenen Kompetenzniveau. Doch anhand welcher Strategie können digitale Kompetenzen passgenau und strukturiert in den schulischen Teil der Ausbildung implementiert werden?
Klose und Wilbers (2019) vergleichen diesbezüglich zwei Strategien der schulischen Praxis. Die Zielsetzung der ersten Strategie ist auf die Implementierung berufs- und bildungsgangsübergreifender Digitalkompetenzen in die schulischen Curricula begrenzt. Digitale Lern- und Lehranforderungen werden nach dem Vorbild von Kompetenzmodellen wie dem der Kultusministerkonferenz definiert. Die Autoren weisen allerdings auf das Risiko hin, dass damit lediglich rein formelle Anpassungen von Curricula verbunden werden könnten. Eine Alternative hierzu wäre, digitale betriebliche Handlungsfelder in digitale schulische Lernfelder und Lernsituationen zu übersetzen. Dabei handelt es sich um einen Ansatz mit hoher Komplexität unter Einbezug der Bildungskoordination, der Abteilungsleitungen und externen Stakeholder (Klose & Wilbers 2019, S. 16).
Die IHK Flensburg plädiert bei der Vermittlung digitaler Kompetenzen im Unterricht dafür, den direkten Bezug zur betrieblichen Praxis konsequent zu berücksichtigen und berufsspezifische Digitalkompetenzen im Unterricht zu verankern. Dies würde zudem der größeren Handlungsorientierung als auszeichnendes Merkmal der beruflichen Bildung Rechnung tragen. Dabei ist die enge Kooperation der Dual Partner eine Voraussetzung für die passgenaue Gestaltung digitaler Lernfelder mit dem Anspruch, ein reelles Bild der digitalisierten Wirtschaft im Unterricht nachzuzeichnen. Das praxisnahe Wissen darüber, wie sich Betriebe mit neuen Themen wie künstlicher Intelligenz oder Big Data auseinandersetzen und welche gesellschaftlichen Folgen dies nach sich zieht, ist eine Voraussetzung für die Lehre im digitalen Zeitalter.
Daher unterstützt die IHK Flensburg den aktiven Austausch und Kompetenztransfer zwischen den Lehrkräften und Berufspraktikern, um im Unterricht auch beim Thema Digitalisierung den Bezug zur betrieblichen Praxis weiter zu intensivieren.
Position 2: Die regionale Wirtschaft setzt sich für eine Stärkung des dualen Systems der beruflichen Bildung ein. Voraussetzung für die hohe Qualität und Praxisnähe der dualen Ausbildung ist die enge Kooperation zwischen den Dual Partnern. Diese Kooperation gilt es auch durch digitale Möglichkeiten zu intensivieren, um den direkten Bezug zur betrieblichen Praxis konsequent im Unterricht zu berücksichtigen.

Potenziale für die Gestaltung von Lernumgebungen im digitalen Zeitalter

Der digitale Transformationsprozess in der beruflichen Bildung betrifft nicht nur die Vermittlung digitaler Kompetenzen, sondern auch den Wandel der Lernumgebungen. Genauso wie technische Entwicklungen seit einiger Zeit tiefgreifende Veränderungen bei betrieblichen Prozessen und Strategien hervorrufen, lösen digitale Technologien und Medien auch in der beruflichen Bildung einen Veränderungsdruck auf bestehende Lernkonzepte und Organisationsformen aus.
Über reine Ausstattungsfragen hinaus besteht die Herausforderung darin, die Rolle von Lehrkräften und bestehenden Unterrichtskonzepten neu zu definieren. Dabei folgt die Anwendung digitaler Lernmittel dem Ziel, Lernprozesse auf die individuellen Bedarfe von Schülerinnen und Schüler abzustimmen. Die Qualität der Ausbildung kann durch Digitalisierung verbessert werden, wenn ein didaktischer Mehrwert generiert wird, der über die reine Substitution analoger Unterrichtsmethoden hinausgeht. Berufliches Lernen sollte für die Lernenden motivierend(er), aktivierend(er), anschaulich(er) und (besser) auf ihre individuellen Voraussetzungen angepasst werden (Euler & Severing 2019, S. 22). Moderne Lernsoftware, die einen erweiterten Zugang zu Lernressourcen, individualisierte Selbstlernprozesse und die gezieltere Berücksichtigung der Lernbedarfe besonders leistungsstarker oder benachteiligter Jugendlicher ermöglicht, kann dazu beitragen.
Die Nutzung digitaler Medien im Unterricht und die Vermittlung digitaler Kompetenzen ist zwar schon lange Teil der Schulentwicklungsstrategien der beruflichen Schulen, die genannten Potenziale digitaler Technologien und Medien für den Unterricht werden aber häufig noch nicht angemessen ausgeschöpft. Zwar verfügen alle beruflichen Schulen über fortschrittliche Medienentwicklungskonzepte, um den digitalen Transformationsprozess voranzutreiben, die Anwendung der digitalen Medien und Technologien geht aber häufig noch nicht über die Substitution analoger Technologien hinaus.
Laut einer Umfrage des Instituts für Qualitätsentwicklung an Schulen Schleswig-Holstein (IQSH) aus dem Jahr 2018 nutzen die meisten beruflichen Schulen in Schleswig-Holstein Lernplattformen wie SchulCommSy oder Moodle. Diese Plattformen werden laut der Umfrage aber bisher vor allem für organisatorische Einsatzzwecke verwendet. Dazu zählen zum Beispiel die schulinterne Kommunikation, der Materialaustausch unter Schülerinnen und Schülern sowie Lehrkräften und die Verwaltung von Schülerleistungen und Terminen (Olsen & Ramm 2018, S. 27). In Bezug auf pädagogische Einsatzzwecke sind die beruflichen Schulen zwar bereits weiter vorangeschritten als die allgemeinbildenden Schulen, es besteht jedoch noch ein deutliches Steigerungspotenzial bei der Nutzung von Lernplattformen.
Position 3: Berufliche Schulen sind genauso gefragt wie Ausbildungsbetriebe, die Potenziale der Digitalisierung zur Gestaltung moderner Lernumgebungen zu nutzen. Durch den Einsatz digitaler Technologien und Medien kann die Effektivität und Effizienz des Lernens individuell gesteigert werden. Voraussetzung dafür ist jedoch ein organisatorischer und kultureller Transformationsprozess, für den die Schulen mit den notwendigen Ressourcen auszustatten sind.
Mit der Bereitstellung der Lernsoftware “itslearning” im Jahr 2020 plant das Land Abhilfe in den schleswig-holsteinischen Schulen zu schaffen. Das System soll es ermöglichen Unterrichtsmaterialien und Aufgaben bereitzustellen, Feedback zu geben, gemeinsam an Projekten zu arbeiten und untereinander zu kommunizieren. Eine verbreitete Nutzung der neuen Software vorausgesetzt, wäre dies ein weiter Schritt zur Gestaltung moderner Lernumgebungen, deren höchster Anspruch ein Redesign des Ausbildungsprozesses ist (Euler & Severing 2019, S. 24). Die damit gemeinten Veränderungen hin zu Blended-Learning-Arrangements und zur Selbststeuerung von Lernprozessen (siehe Abbildung 3) werden laut der IHK-Ausbildungsumfrage 2020 auch von den Betrieben im Kammerbezirk Flensburg befürwortet. Diese geben an, sich im Rahmen des Digitalpaktes Schule insbesondere die Etablierung von Blended-Learning-Konzepten (65 Prozent) und die Einrichtung von digitalen Lernplattformen (76 Prozent) zu wünschen.

Reichweite und Intensität in der Nutzung digitaler Technologien

nach Euler & Severing 2019, S. 24
Um die erforderliche Modernisierung der Lernumgebungen weiter voranzutreiben, sind die beruflichen Schulen auf Rahmenbedingungen angewiesen, die die notwendigen finanziellen und zeitlichen Ressourcen bereitstellen. Die Effektivität des Einsatzes digitaler Technologien und Lernmedien im Unterricht ist maßgeblich abhängig von der Qualifizierung des Lehrpersonals. Lehrerinnen und Lehrer sind auf die professionelle Unterstützung durch Beratungsangebote und auf mehr Flexibilität durch Zeitressourcen angewiesen, um den digitalen Wandel des Unterrichts zu gestalten. Insbesondere durch ein umfangreiches Angebot an Fortbildungen und Beratungsmöglichkeiten kann die Akzeptanz in der Lehrerschaft vergrößert und so die Reichweite der digitalen Transformation im Unterricht nachhaltig erhöht werden.

Rahmenbedingungen für einen erfolgreichen digitalen Transformationsprozess

Die Grundlage der digitalen Transformation an beruflichen Schulen ist eine funktionsfähige und moderne technische Infrastruktur. Sie bestimmt darüber, ob digitale Medien in den Unterricht eingebunden werden können. Der Digitalpakt Schule unterstützt das Schulwesen bei dem Ausbau dieser Infrastruktur. Alle Schulen sollen in den kommenden fünf Jahren mit einer modernen IT-Grundausstattung versehen werden. 25 Prozent der Mittel des Digitalpakts sind in Schleswig-Holstein für die berufsbildenden Schulen vorgesehen. Dies entspricht dem Verhältnis zwischen Schülerinnen und Schüler an berufsbildenden und allgemeinbildenden Schulen im Bundesland. Die IHK Flensburg begrüßt den Beschluss des Digitalpakts Schule und des Sofortausstattungsprogrammes sowie das Verteilungskonzept in Schleswig-Holstein.
Ein Jahr nach Inkrafttreten des Digitalpaktes Schule wurden von den 170 zur Verfügung stehenden Millionen jedoch erst 3,2 Prozent des Förderbudgets durch die öffentlichen Schulträger in Schleswig-Holstein abgerufen. Einige weitere Anträge liegen zwar bereits zur Bearbeitung vor, die Ausschüttung der Fördergelder des Digitalpaktes Schule geschieht aber angesichts der großen Herausforderungen zu schleppend. Die Gründe hierzu liegen in einem zu hohen bürokratischen Aufwand bei der Antragstellung und den eng definierten Kriterien zur Verwendung der Gelder. Die IHK Flensburg fordert daher die Beschleunigung des Verteilungsprozesses und einen Abbau der bürokratischen Hürden.
Unternehmensvertreter, die Schulleitungen und die IHK Flensburg befürworten, dass mit dem Digitalpakt Schule den beruflichen Schulen ein größerer Spielraum bei den Verwendungsmöglichkeiten der Mittel zugestanden wird. Die verfügbaren Mittel des Digitalpakts müssen dort einsetzbar sein, wo der individuelle Bedarf einer Schule liegt. Dabei handelt es sich häufig um die berufsfachbezogene technische Ausstattung. Es bedarf einer fortwährenden Abstimmung der technischen Ausstattung mit den didaktischen Konzepten der Schule und den Bedarfen der Wirtschaft. Eine intensive Kooperation mit den Ausbildungsbetrieben der Region kann dabei helfen, die zukünftigen technischen Entwicklungspfade in den Unternehmen abzuschätzen, um die Planungssicherheit bei der Anschaffung berufsspezifischer digitaler Ausstattung zu erhöhen.
Die landesweite Umfrage zur IT-Ausstattung und Medienbildung der Schulen in Schleswig-Holstein aus dem Jahr 2018 zeigt, dass die Berufsschulen im Durchschnitt zwar über eine bessere digitale Ausstattung verfügen als die allgemeinbildenden Schulen im Land. Eine Computer-Schüler/in-Relation von 6,2 Personen je Endgerät bleibt jedoch deutlich ausbaufähig (Olsen & Ramm 2018, S. 16). Die Schulleitungen weisen außerdem darauf hin, dass sich die Ausstattung von Schulen und deren Standorten stark unterscheidet. Während manche Standorte bezüglich der IT-Infrastruktur und der Verfügbarkeit von Endgeräten gut aufgestellt sind, gibt es andere Standorte in der Region, die erst jüngst an das Breitbandnetz angeschlossen wurden und den Prozess der digitalen Transformation somit deutlich später begonnen haben. Ursachen für diese divergierenden Entwicklungspfade sind unter anderem die unzulängliche regionale Netzinfrastruktur und die unterschiedliche Investitionskraft der jeweiligen Schulträger. Mit dem Beschluss des Sofortausstattungsprogrammes im Mai 2020 wurde schnell auf die Situation einer unzureichenden Ausstattung mit digitalen Endgeräten für den Corona-bedingten Distanzunterricht reagiert. Durch die resultierende Aufstockung der Anzahl digitaler Endgeräte wächst jedoch der Administrations- und Wartungsbedarf an den Schulen. Der Digitalpakt Schule und das Sofortausstattungsprogramm sehen keine Förderung für die Professionalisierung der technischen Betreuung an den Schulen vor.
Eine weitere Herausforderung stellt die fortwährende Erneuerung und Erweiterung der IT-Infrastruktur unter Berücksichtigung kurzer technischer Innovationszyklen dar. Laut der Studie des IQSH aus dem Jahr 2018 verfügen lediglich 36,7 Prozent der beruflichen Schulen und Regionalen Bildungszentren (RBZ) in Schleswig-Holstein über ein festes Budget für die IT-Ausstattung (Olsen & Ramm 2018, S. 22). In 70 Prozent der beruflichen Schulen und RBZ gibt es zumindest eine Festlegung für die regelmäßige Erneuerung der IT-Ausstattung (Olsen & Ramm 2018, S. 23). Die Investitionen in die digitale Infrastruktur bedingen allerdings Folgekosten weit über die Laufzeit des Digitalpakts Schule hinaus. Bei der Bildung notwendiger finanzieller Rücklagen für die Instandhaltung und Erneuerung der technischen Ausstattung sind daher die Schulträger gefordert.
Der Studie des IQSH folgend, wird der technische Support, über alle Schularten hinweg betrachtet, nur an etwas mehr als der Hälfte der Schulen in Schleswig-Holstein von nicht-pädagogischem Personal übernommen (siehe Abbildung 4). In knapp einem Drittel der beruflichen Schulen sind bislang Lehrkräfte selbst für den technischen Support zuständig (Olsen & Ramm 2018, S. 21). Um die Nachhaltigkeit der Investitionen in die technische Infrastruktur sicherzustellen, sind daher perspektivisch alle beruflichen Schulen entweder mit hierfür reservierten Arbeitszeiten oder mit Mitteln für den professionellen Support auszustatten. Mit anderen Worten: Es bedarf eines Konzeptes für die Planung, den Support und den Betrieb der IT-Infrastruktur.
Quelle: Olsen & Ramm 2018, prozentuale Aufteilung, alle Schularten, n=704
Die zunehmenden Anforderungen an den technischen Support in den Schulen gehen auch von einem erhöhten Beratungsbedarf bei Lehrkräften aus, die auf Unterstützung bei der technischen Transformation des Unterrichts angewiesen sind. Schulische Ausstattung, deren Funktionalität nicht gewährleistet ist, stellt ein maßgebliches Hemmnis für den Einsatz digitaler Medien in der Lehre dar. Die ständige Einsatzbereitschaft der Endgeräte muss an allen Schulen durch einen professionellen IT-Support gesichert werden. Dabei handelt es sich um eine Herausforderung, die unabhängig von den finanziellen Mitteln des Digitalpakts Schule zu betrachten ist.
Position 4: Eine zukunftsorientierte technische Ausstattung der beruflichen Schulen in der Region bildet die Grundlage für die Vermittlung digitaler Kompetenzen und den Einsatz digitaler Lernmedien. Die IHK Flensburg fordert daher die Sicherstellung der Finanzierung zur Planung, Erweiterung, Instandhaltung und Erneuerung der technischen Infrastruktur.

Kooperation der Dual Partner als Erfolgsfaktor

Der enge Austausch zwischen den Dual Partnern stellt die Grundlage für die erfolgreiche Gestaltung der Digitalisierung in der beruflichen Bildung dar. Dies betrifft sowohl die Abstimmung über Kompetenzanforderungen und Qualifikationsbedarfe als auch die bessere Verzahnung der Lernorte Schule und Betrieb durch digitale Technologien. Um den digitalen Wandel im Betrieb praxisnah im berufsschulischen Unterricht abzubilden und berufsspezifische Digitalkompetenzen in den Unterricht zu integrieren, empfiehlt es sich, Kooperationen zwischen den beruflichen Schulen, den Betrieben und der Bildungskoordination auszuweiten.
Zur Intensivierung des Dialoges soll die Einrichtung eines Digitalisierungsforums durch die IHK Flensburg beitragen, um Unterstützung bei Fragen der Gestaltung der digitalen Transformation zu leisten. Im Rahmen von Schule-Betriebs-Kooperationen können Lehrkräften praktische Einblicke in den Digitalisierungsprozess der Betriebe geboten werden, um eine praxisnähere Gestaltung des Unterrichts zu erwirken. Außerdem verfolgt die IHK Flensburg gemeinsam mit den Dual Partnern das Ziel, die Interessen der beruflichen Bildung aktiv gegenüber den politischen Akteuren zu vertreten, um die Rahmenbedingungen für die digitale Transformation zu optimieren.
Zur Unterstützung der Ausbildungsbetriebe initiiert die IHK Flensburg ein Programm für Auszubildende, das darauf abzielt, Digitalisierungsprojekte im Betrieb zu planen und durchzuführen. Das von Experten aus der Praxis begleitete Angebot soll die bestehenden Aktivitäten der Schulen und Betriebe ergänzen und Betrieben eine konkrete Möglichkeit bieten, die Ausbildungsqualität durch anwendungsbezogene digitale Bildung weiter zu erhöhen.
Position 5: Die IHK Flensburg unterstützt dabei, die Kooperation bei der digitalen Transformation in Schulen und Betrieben durch die Einrichtung von Austauschformaten auszubauen und die Interessen der beruflichen Bildung aktiv gegenüber den politischen Akteuren zu vertreten. Zur Unterstützung der Ausbildungsbetriebe initiiert die IHK Flensburg ein Programm für Auszubildende, das darauf abzielt, Digitalisierungsprojekte im Betrieb zu planen und durchzuführen.

Quellverzeichnis

  • Deutscher Industrie- und Handelskammertag e.V. (DIHK) (2015): Berufliche Bildung 2025. Strategische Leitlinien und Handlungsfelder der IHK-Organisation. Berlin.
  • Deutscher Industrie- und Handelskammertag e.V. (DIHK) (2019): Ausbildung 2019. Ergebnisse einer DIHK-Online-Unternehmensbefragung. Berlin.
  • Eickelmann, B.; Bos, W.; Gerick, J.; Labusch, A. (2019): Computer- und informationsbezogene Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern der 8. Jahrgangsstufe in Deutschland im zweiten internationalen Vergleich. In: Eickelmann, B.; Bos, W.; Gerick, J.; Goldhammer, F.; Schaumburg, H.; Schwippert, K.; Senkbeil, M. & Vahrenhold, J. (Hrsg.): ICILS-2018 #Deutschland – Computer- und informationsbezogene Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern im zweiten inter­nationalen Vergleich und Kompetenzen im Bereich Computational Thinking. Münster, New York: Waxmann.
  • Euler, D.; Severing, E. (2019): Berufsbildung für eine digitale Arbeitswelt. Fakten, Gestaltungsfelder, offene Fragen. Gütersloh: Bertelsmann Stiftung.
  • Klose, J.; Wilbers, K. (2019): Strategien der digitalen Transformation beruflicher Schulen. In: Berufsbildung. Zeitschrift für Theorie-Praxis-Dialog 175, S. 15-16.
  • KMK (Kultusministerkonferenz) (2016): Bildung in der digitalen Welt. Strategie der Kultusministerkonferenz. Berlin.
  • Olsen, C.; Ramm, G. (2018): Landesweite Umfrage zur IT-Ausstattung und Medienbildung der Schulen in Schleswig-Holstein 2018. Kiel: Institut für Qualitätsentwicklung an Schulen Schleswig-Holstein (IQSH).
  • Schmid, U.; Goertz, L.; Behrens, J. (2016): Monitor Digitale Bildung - Berufliche Ausbildung im digitalen Zeitalter. Gütersloh: Bertelsmann Stiftung.
  • Senkbeil, M.; Schöber, C.; & Ihme, J. M. (2018): Fit fürs Studium? Computer- und informationsbezogene Basiskompetenzen Studierender und angehender Studierender. In: SchulVerwaltung Nordrhein-Westfalen 29, 7-8, S. 221-224.
September 2020