Forderungen der IHK Nord

Norddeutsche Infrastrukturprojekte beschleunigen

Hintergrund

Wichtige Infrastrukturvorhaben kommen aus Sicht der norddeutschen Wirtschaft nicht schnell genug voran. Prominente Beispiele im Rahmen der Bundesverkehrswege sind in jüngster Zeit die Ausbauprojekte an der Unter- und Außenweser sowie an der Unter- und Außenelbe. Im Anhang hat die IHK Nord eine Liste von Vorhaben zusammengestellt, die derzeit oder bis vor Kurzem beklagt wurden, oder bei denen eine Klage angedroht ist.
Die lange Dauer bis zur Umsetzung von Infrastrukturprojekten in Deutschland lässt sich zum einen mit den umfangreichen und komplexen Planverfahren erklären. Sie erfordern regelmäßig einen hohen Abstimmungsaufwand innerhalb der Verwaltung und mit externen Stellen. Vom Beginn der Planungen eines Vorhabens bis zum Planfeststellungsentwurf vergehen oft vier bis sechs Jahre.
Zum anderen strengen häufig Umweltverbände Klageverfahren mit unkalkulierbarer Dauer vor den Verwaltungsgerichten gegen die Planfeststellungsbeschlüsse an. So wurde zum Beispiel im April 2012 der Planfeststellungsbeschluss für die Fahrrinnenanpassung Elbe erlassen. Im Juli 2012 klagten dann die Umweltverbände. Erst im Februar 2017 wurde vom Bundesverwaltungsgericht das Urteil gesprochen.
Mit Blick auf die Beschleunigung der Planungsverfahren und -abläufe haben bereits diverse von der Politik eingesetzte Kommissionen in Zusammenarbeit mit den Verbänden Vorschläge erarbeitet. Zu nennen sind hier vor allem die Lösungsansätze der "Reformkommission Bau von Großprojekten" und das hieran anknüpfende "Innovationsforum Planungsbeschleunigung" beim Bundesverkehrsministerium. Was die verwaltungsinternen Planverfahren betrifft, haben wir insoweit in Deutschland kein Erkenntnisdefizit, sondern vielmehr Probleme mit der Umsetzung.
Hinsichtlich der Klageverfahren zeigt sich jedoch ein anderes Bild: Hier hat der deutsche Gesetzgeber nur einen eingeschränkten Gestaltungsspielraum, da er sich an EU-Vorgaben halten muss. So geht die Umweltverbandsklage auf Artikel 9 der Aarhus-Konvention der Vereinten Nationen für Europa (UNECE) zurück. Sie wurde 1998 unterzeichnet und trat 2001 in Kraft. Die EU hat 2003 zur Umsetzung von Artikel 9 eine Richtlinie erlassen (RL 2003/35/EG). Deutschland verankerte diese Vorgaben wiederum 2006 im Umweltrechtsbehelfsgesetz.
Aufgrund des EU-Rechts und der Aarhus-Konvention ist die oft geforderte Abschaffung der Umweltverbandsklage realistisch gesehen kaum möglich. Hier müsste schon die Konvention geändert werden oder Deutschland gemäß Artikel 21 von dem Übereinkommen zurücktreten. Selbst dann wäre immer noch die entsprechende EU-Richtlinie maßgeblich.
Das Urteil erntet in der Fachwelt erhebliche Kritik: Zum einen berücksichtige der EuGH in seiner Entscheidung fast gar nicht die Gründe für das Rechtsinstitut. Zum anderen sei die materielle Präklusion Teil der Verwaltungsverfahren der EU-Staaten. Hier dürfe der Gerichtshof nur begrenzt reinregieren, wenn die Mindestanforderungen der Äquivalenz und der Effektivität unterschritten würden. Dies hätte in der Konsequenz aber maximal zu kleinen Korrekturen mit Blick auf die Einwendungsfristen geführt. Das Urteil stellt die materielle Präklusion aber gänzlich infrage.
Kritik an dem EuGH-Urteil wurde nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Mitgliedstaaten geübt. Deshalb sollte die EU-Gesetzgebung überarbeitet und angepasst werden, um den Gerichtshof in dieser Frage zu korrigieren.

Beschleunigungsgesetze in Deutschland und den Niederlanden

Mit dem „Gesetz zur Beschleunigung von Planungsverfahren für Infrastrukturvorhaben“, ebenfalls wie das Umweltrechtsbehelfsgesetz aus dem Jahr 2006, ist unter anderem das Bundesverwaltungsgericht in erster und letzter Instanz für eine festgelegte Liste von Verkehrsinfrastrukturprojekten zuständig. Der Gesetzgeber erhoffte sich damit eine deutliche Verkürzung der Verfahren.
Bei der Fahrrinnenanpassung für die Elbe erfolgte der Urteilsspruch aus Leipzig aber erst knapp fünf Jahre später. Von einer echten Beschleunigung kann deshalb nicht die Rede sein. Als Grund für die langen Klageverfahren bei Infrastrukturprojekten in Deutschland werden regelmäßig die EU-Umweltvorschriften sowie die im europäischen Recht verankerte Verbandsklage genannt.
Vor dem Hintergrund der Wirtschafts- und Finanzkrise haben die Niederlande 2010 ebenfalls ein Gesetz zur Beschleunigung von Infrastrukturvorhaben eingeführt, das sogenannte Crisis en Herstelwet. Damit sollten auch die Klageverfahren für bestimmte Infrastrukturvorhaben gestrafft werden. Bei den im Gesetz genannten Projekten handelt es sich um Maßnahmen wie die Erweiterung industrieller Standorte, der Neu- und Ausbau großflächiger Windparks oder zentraler Verkehrsinfrastruktur (Autobahnen, Eisenbahnen, Flughäfen, Wasserstraßen, Brückenbauwerke).
Im Crisis en Herstelwet sind die Verwaltungsgerichte in Artikel 1.6 (4) angehalten, bei Einwendungen gegen ein Projekt innerhalb von sechs Monaten zu entscheiden. Das Gesetz verletzt dabei weder die Aarhus-Konvention noch die einschlägigen EU-Vorgaben. Dies hat zumindest die niederländische Rechtsprechung in mehreren Urteilen bestätigt.
In den Niederlanden wird derzeit das gesamte Planungs- und Umweltrecht überarbeitet und besser miteinander verzahnt. Das ist das erklärte Ziel der Politik. Bis dahin wird auch das Beschleunigungsgesetz (Crisis en Herstelwet) aufgrund der guten Erfahrungen in Kraft bleiben. Ursprünglich war das Gesetz nur für einen begrenzten Zeitraum von vier Jahren gedacht. Es wurde aber auf unbestimmte Zeit verlängert, bis das neue Planungs- und Umweltrecht greift.

Urteil des Europäischen Gerichtshofs zur materiellen Präklusion

Das deutsche Umweltrecht sah sowohl im Umweltrechtsbehelfsgesetz als auch im Verwaltungsverfahrensgesetz sogenannte Präklusionsregelungen vor. Danach ist ein Kläger (Umweltverband) im Gerichtsverfahren mit allen Einwendungen ausgeschlossen, wenn er sie nicht oder nicht rechtzeitig geltend macht, er dies aber hätte tun können.
Die materielle Präklusion hat das Ziel, die Rechtssicherheit für Planungsbehörden und Vorhabenträger zu stärken. Es soll früh erkennbar sein, welche Bedenken gegen ein Projekt bestehen. Die Behörden können rechtzeitig alle Einwendungen mit in die Planungen einbeziehen. Dies soll ein effizientes Verwaltungsverfahren garantieren.

Baugesetze in Dänemark als Alternative zur Deutschen Planfeststellung

Im Rahmen der Bundesverkehrswegeplanung beschließt der Bundestag die jeweiligen Infrastruktur-Ausbaugesetze mitsamt den dazugehörigen Bedarfsplänen. Damit besteht für die Verwaltung ein uneingeschränkter Planungsauftrag. Der am Ende von der Planungsbehörde erlassene Planfeststellungsbeschluss kann dann auch von den Umweltverbänden beklagt werden.
Während hierzulande die Genehmigung von Infrastrukturvorhaben durch ein Verwaltungsverfahren erfolgt, werden sie in Dänemark durch Baugesetze legitimiert. Sie sind das Pendant zum deutschen Planfeststellungsbeschluss und werden vom dänischen Parlament gebilligt. Zwar besteht die Möglichkeit, dagegen gerichtlich Einspruch zu erheben: Eine Klage darf sich dabei aber nicht auf den materiellen Inhalt des Gesetzes beziehen, sondern muss vielmehr die Verfassungskonformität des Baugesetzes per se infrage stellen.
Aufgrund dieser großen Hürden sind die Klagemöglichkeiten in Dänemark sehr begrenzt und kommen deshalb kaum vor. Bis heute gab es keine erfolgreichen Einwendungen gegen dänische Baugesetze, die vom Parlament beschlossen wurden. Auch diese Praxis in Dänemark ist mit dem EU-Recht und der Aarhus-Konvention vereinbar.
In diesem Zusammenhang sei noch darauf hingewiesen, dass mit dem Beschluss des dänischen Parlaments auch die Finanzierung des Projekts sichergestellt ist. In Deutschland wird für den Bundesfernstraßenbau im Rahmen der Entwurfsplanungen der Länder dagegen noch der sogenannte Gesehen-Vermerk vom Bund benötigt. Dieser enthält dann auch die grundsätzliche Finanzierungszusage. Das Verfahren des Gesehen-Vermerks kann aber bis zu zwei Jahre in Anspruch nehmen.

Handlungsempfehlungen

Deutschland könnte von den niederländischen Erfahrungen des Crisis en Herstelwet sowie von den dänischen Baugesetzen lernen und das nationale Recht anpassen, ohne EU-Vorschriften oder die Aarhus-Konvention zu verletzen.
Mit Blick hierauf fordert die IHK Nord
  • ein neues Infrastrukturbeschleunigungsgesetz nach der Bundestagswahl im Koalitionsvertrag zu verankern und in der nächsten Legislatur auf den Weg zu bringen.
  • für eine zusätzliche Zahl von Projekten den gerichtlichen Instanzenweg zu verkürzen.
  • gesetzlich festzulegen, dass Verwaltungsgerichte bei Klagen gegen Planfeststellungsbeschlüsse innerhalb einer bestimmten Frist (Niederlande: sechs Monate) zu einem Urteil kommen.
  • als Alternative zur deutschen Planfeststellung die Einführung von Baugesetzen wie in Dänemark zu prüfen.
  • die materielle Präklusion durch die EU-Gesetzgebung neu zu regeln - die Bundesregierung muss hier in Brüssel initiativ werden.
  • die Vorschläge der "Reformkommission Bau von Großprojekten" und des "Innovationsforums Planungsbeschleunigung" umzusetzen.
  • die übliche Praxis des "Gesehen-Vermerks" abzuschaffen.

IHK Nord-Liste beklagter Infrastrukturprojekte

Bundeswasserstraßen

  1. Fahrrinne Unter- und Außenelbe – Klage von NABU, BUND und WWF
  2. Fahrrinne Unter- und Außenweser – Klage von BUND
  3. Fahrrinne Außenems – Klage angedroht

Bundesfernstraßen

  1. A20 Küstenautobahn – BUND-Klage gegen Elbtunnel vom BVerwG abgewiesen, Klagen gegen weitere Bauabschnitte erwartet
  2. A26 West – Neubau von Stade (A20) bis Hamburg (A7), hier: Bauabschnitt 4, Klage vom NABU nicht ausgeschlossen
  3. A26 Ost – NABU hat Klage gegen das Projekt angekündigt
  4. A39 Lüneburg-Wolfsburg – Klage angedroht
  5. B3 Ortsumfahrung Celle – Klage vom BUND
  6. B74 Ortsumfahrung Ritterhude – Klage angedroht
  7. B96n Rügen – wurde beklagt von BUND und NABU, später aber zurückgezogen
  8. B210n Ortsumfahrung Aurich – Klage angedroht
  9. B212n Harmenhausen – Landesgrenze Niedersachsen/Bremen – Klage angedroht

Bundesschienenwege

  1. Hinterlandanbindung Fehmarnbeltquerung – Klage angedroht
  2. Alpha E – Klage angedroht

Sonstige Projekte

  1. Tunnel Fehmarnbeltquerung – Klage angedroht
  2. Offshore Terminal Bremerhaven (OTB) – Klage von BUND
  3. Hafenplanungsverordnung Altenwerder West – Klage von BUND und NABU
Veröffentlicht im Oktober 2017