Positionspapier der IHK Nord

Herausforderungen und Chancen durch die Energiewende

Die Sicherung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der maritimen Wirtschaft ist eine nationale Aufgabe. Die IHK Nord begrüßt und unterstützt die Arbeit des Maritimen Koordinators der Bundesregierung ausdrücklich. Die bewährten „Nationalen Maritimen Konferenzen“ als größte Dialogplattform der maritimen Branche mit Vertretern aus Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Verbänden sollten auch in Zukunft im Zweijahresrhythmus fortgeführt werden.
Die maritime Wirtschaft ist von herausragender Bedeutung für die Wertschöpfung und Wettbewerbsfähigkeit von ganz Deutschland als Technologie-, Produktions- und Logistikstandort. Sie ist in Deutschland sehr breit aufgestellt, viele Unternehmen in den beteiligten Branchen sind global erfolgreich tätig und müssen sich einem harten internationalen Wettbewerb stellen. Zwei Drittel der deutschen Exporte werden über den Seeweg transportiert. Wichtige Rohstoffe für die großen deutschen Schlüsselindustrien werden fast ausschließlich über den Wasserweg beschafft. Laut der ISL-Studie „Maritime Wertschöpfung und Beschäftigung in Deutschland“ (2021) waren im Jahr 2018 in Deutschland über 190.700 Personen in der maritimen Wirtschaft im engeren Sinne beschäftigt. Sie erwirtschafteten einen Umsatz in Höhe von 47,5 Milliarden Euro, die Bruttowertschöpfung betrug dabei 11,7 Milliarden Euro. Die gesamtwirtschaftlichen Effekte beliefen sich auf einen Umsatz in Höhe von 86,3 Milliarden Euro, aus dem eine Wertschöpfung von 29,8 Milliarden Euro resultierte. Die maritime Wirtschaft sichert in Deutschland damit bundesweit mehr als 450.000 Arbeitsplätze.
Die maritime Branche steht nach der Corona-Pandemie insbesondere im Hinblick auf die Energiewende und die Transformation zu einer klimaneutralen Wirtschaft vor großen Herausforderungen. Auch der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine führt vor allem im Bereich der maritimen Sicherheit zu einem Umdenken. Ein großes Problem bei der Implementierung neuer Technologien ist – nicht nur in der maritimen Branche – der allgegenwärtige Arbeits- und Fachkräftemangel. Im Rahmen der 13. Nationalen Maritimen Konferenz in Bremen stehen deshalb die vier Themenschwerpunkte Klima- und Meeresschutz, Maritime Energiewende, Maritime Sicherheit sowie Beschäftigung und Ausbildung auf der Agenda. Die Wirtschaft im Norden setzt zudem große Hoffnung in die Nationale Hafenstrategie als wichtigem Baustein zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Häfen.
Die große Bedeutung der Branche wurde in einer Diskussion zur maritimen Wirtschaft im Bundestag am 6. Juni 2023 deutlich. Sowohl der von den Abgeordneten angenommene Antrag zur „Maritimen Souveränität in der Zeitenwende“ der Fraktionen SPD, Bündnis90/Die Grünen und FDP als auch der an den Wirtschaftsausschuss überwiesene Antrag der CDU/CSU-Fraktion „Zukunft der maritimen Wirtschaft sichern“ greifen aus Sicht der norddeutschen Wirtschaft wichtige Themen auf und zeigen, dass ein Konsens hinsichtlich eines großen Handlungsbedarfs besteht.

Die IHK Nord fordert die Bundesregierung auf,

  • vor dem Hintergrund veränderter weltweiter Rahmenbedingungen eine nationale maritime Strategie als Teil einer Hightech-Gesamtstrategie für Wachstum und Beschäftigung zu entwickeln. Diese sollte an den siebten Bericht über die Entwicklung und Zukunftsperspektiven der maritimen Wirtschaft in ganz Deutschland im Rahmen der 12. Nationalen Maritimen Konferenz 2021 sowie an die Maritime Agenda 2025 der Bundesregierung anknüpfen und die Nationale Hafenstrategie integrieren.
  • sich deutlich stärker als bisher finanziell am Erhalt und Ausbau der Infrastruktur der deutschen Seehäfen sowie deren see- und landseitigen Zufahrten zu engagieren. Dazu gehören die Verkehrsträger Straße, Schiene und Wasserstraße sowie Stromleitungen und unterirdische Pipelines. Die Seehäfen haben als Industriestandorte und logistische Drehkreuze auch für die Energiewende eine herausragende Bedeutung für den Wirtschaftsstandort Deutschland insgesamt. Gleichzeitig sollen sie durch die aktuelle Erarbeitung der Nationalen Hafenstrategie als Standorte strategisch wichtiger Infrastruktur in ihrer Wettbewerbsfähigkeit unterstützt werden.
  • die rechtlichen Rahmenbedingungen für die maritime Wirtschaft sowie Planungs- und Genehmigungsverfahren so zu gestalten, dass Infrastrukturprojekte deutlich beschleunigt, neue wirtschaftlich-technologische Chancen rasch genutzt und somit Wertschöpfung und Beschäftigung der maritimen Branchen gesichert und gesteigert werden können.
  • sich auf europäischer und internationaler Ebene dafür einzusetzen, dass neue Regelungen zur Nutzung und zum Schutz der Meere weltweit für alle Akteure einheitlich gelten und der maritimen Wirtschaft ein sicherer Rechtsrahmen für die Entwicklung und den Einsatz innovativer und effizienter Technologien gegeben wird.
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1. Maritime Energiewende für Klima und Meeresschutz

Umstellung auf neue Treibstoffe & international gültige Regeln

Strengere Emissionsstandards für Schiffe und Offshore-Anlagen mit dem Ziel, den CO₂-Ausstoß zu reduzieren, erfordern die Umstellung auf alternative Kraftstoffe wie z.B. LNG (Flüssigerdgas), Wasserstoff oder elektrische Antriebe. Dafür sind umfangreiche Investitionen in Forschung und Entwicklung sowie in den Erwerb neuer Antriebe notwendig, ebenso in den Aufbau entsprechender Infrastrukturen in Häfen sowie im Hafenhinterland. Dies, sowie die Entwicklung neuer Technologie für die Nutzung erneuerbarer Energien, erfordert auch Anpassungen von Vorschriften und Gesetzen, um für die Unternehmen Planungssicherheit für die nicht unerheblichen Investitionen in die neuen Technologien zu schaffen. Hier müssen klare und für alle Marktakteure weltweit geltende Richtlinien und Standards geschaffen werden.
Auf europäischer Ebene werden die kürzlich final beschlossenen Initiativen zur Förderung kohlenstoffarmer Treibstoffe in der Schifffahrt (FuelEU Maritime) sowie die Einbeziehung des Seeverkehrs in den europäischen Emissionshandel zu einer Emissionsreduktion beitragen und den Weg für eine maritime Verkehrswende ebnen. Die norddeutsche Wirtschaft bekennt sich zu der Notwendigkeit der Emissionsreduktion in der Schifffahrt für eine maritime Verkehrswende. Ehrgeiz ist gefragt, allerdings muss dieser den Ansprüchen der Realitäten einer hochgradig internationalisierten Branche genüge tragen, damit der europäische Seeverkehr wettbewerbsfähig bleibt. Die IHK Nord begrüßt insoweit, dass ein Großteil der Forderungen der norddeutschen Wirtschaft zu beiden Initiativen umgesetzt wurde. Nun gilt es, diese effektiv umzusetzen:
  • Für die norddeutsche Wirtschaft ist es besonders wichtig, dass die Einnahmen aus dem maritimen EU-Emissionshandel in die Branche zurückfließen. Daher ist die geplante Reinvestition der Erlöse aus dem Verkauf von 20 Millionen Emissionszertifikaten über den Innovationsfonds direkt in den maritimen Sektor ein positiver Schritt. Eine gezielte Unterstützung durch den Innovationsfonds ist der Schlüssel, um die Preisdifferenz zu sauberen Schiffstreibstoffen zu überbrücken und die notwendige Hafeninfrastruktur wie Landstromanlagen aufzubauen.
Die verschiedene Behandlung von Fahrten innerhalb der EU und zwischen EU und Drittstaaten birgt die Gefahr, dass Schiffsbetreiber bei Fahrten von Drittländern in die EU bewusst einen Zwischenstopp in einem Hafen der EU-Nachbarschaft einlegen, um damit die Strecke zum oder vom nächstgelegenen Drittstaatshafen, die dem Emissionshandel nur zur Hälfte unterliegen werden, zu verkürzen. Dies könnte zu Emissionsverlagerung (Carbon Leakage) und zu einer Veränderung der Warenströme führen. Zumindest plant die EU der Emissionsverlagerung durch konkrete Maßnahmen entgegenzuwirken und hat ein Monitoring angekündigt, das die Auswirkungen der Einbeziehung des Seeverkehres in den Emissionshandel auf den Verkehr in den Häfen überprüft. Es fehlt jedoch ein effektives Frühwarnsystem, um bei Bedarf gegensteuern zu können – hier fordert die norddeutsche Wirtschaft Nachbesserung.
  • Nach der FuelEU Maritime Verordnung muss die Treibhausgasintensität der an Bord von Seeschiffen verbrauchten Energie zukünftig deutlich verringert werden. Konkret geht es im Vergleich zum Jahr 2020 um eine Verringerung von zwei Prozent bis zum Jahr 2025 und um eine Verringerung bis zu 80 Prozent im Jahr 2050. Für die maritime Wirtschaft ist eine technologieoffene Formulierung der FuelEU Maritime besonders wichtig, so kann beispielsweise LNG weiterhin genutzt werden.
  • Die FuelEU Maritime Verordnung sieht eine Unterquote von zwei Prozent für Kraft- und Brennstoffe nicht-biogenen Ursprungs (RFNBO) ab dem Jahr 2034 vor, sollte die Nutzung von RFNBO im Jahr 2031 nicht mindestens bei einem Prozent liegen. Die IHK Nord begrüßt diese Regelung und fordert die weitere Förderung von Wasserstoff in der Schifffahrt.
Langfristig sollte es zusätzlich einen Anstoß zu einer politischen Diskussion zu Carbon Capture and Storage (CCS) sowie zu Carbon Capture and Utilization (CCU) geben.

2. Häfen als Drehkreuze für Außenhandel und Energiewende

Kostennachteile beseitigen – Infrastrukturausbau beschleunigen

Die maritime Wirtschaft und die norddeutschen Länder stehen im Schulterschluss bereit, ihren Beitrag zur Energiewende und zur Erreichung der Klimaziele zu leisten. Die Seehäfen können dafür notwendige Flächen für die Produktion von Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energien bereitstellen, sind wichtige Logistik- und Servicepartner sowie die zentralen Anlandepunkte für zukünftige Energieimporte. Gleichzeitig haben sie als Industriestandorte und logistische Drehkreuze eine strategisch hohe existenzielle Bedeutung für den deutschen Außenhandel und sind somit von strategischem Interesse für den Wirtschaftsstandort Deutschland in Gänze.
Für das Erreichen der Ausbauziele im Bereich Windenergie im Rahmen der Energiewende sowohl an Land als auch auf See sind dabei umfangreiche Investitionen in Hafeninfrastrukturen zu tätigen sowie die verkehrliche Anbindung zu erhalten und bedarfsgerecht auszubauen. Die Kosten für den Ausbau der Hafeninfrastrukturen, um zum Beispiel entsprechende Komponenten von Windenergieanlagen in der erforderlichen Menge umzuschlagen oder neue Energieträger anzulanden und zu lagern, können jedoch nicht allein von den norddeutschen Ländern getragen werden. Die IHK Nord fordert deshalb vom Bund ein stärkeres finanzielles Engagement für die Hafenstandorte und unterstützt die norddeutschen Landesregierungen hierbei ausdrücklich. Dazu gehören auch ein stärkerer Fokus und eine langfristige bedarfsgerechte Finanzierung von Unterhaltung, Instandsetzung und Ausbau der seeseitigen Zufahrten und der Hafenhinterlandanbindungen über alle Verkehrsträger. Gleiches gilt für den dringend benötigten Stromnetzausbau, sowie für den Aufbau des geplanten Wasserstoffnetzes bis 2030.
Aktuell wird die Infrastruktur nahezu ausschließlich von den norddeutschen Küstenländern finanziert. Ein verstärktes finanzielles Engagement des Bundes für die deutschen Häfen unterstützt ihre Wettbewerbsfähigkeit und sichert sie als Standorte strategisch wichtiger Infrastruktur. Dies gilt vor allem auch mit Blick auf die Finanzierung der Wettbewerbshäfen in den Niederlanden und Belgien, wo Hafenpolitik als nationale Aufgabe begriffen wird. In der Nationalen Hafenstrategie sollte dies entsprechend festgeschrieben werden.
Aus Sicht der IHK Nord ist für die Hafeninfrastrukturen und das System Hafen eine verstärkte Betrachtung der Konsequenzen der Energiewende dringend notwendig für folgende Bereiche:
  • Schnittstelle Energie-Import/Export einschl. Umwandlung, Speicherung und Energiebereitstellung für die Region (einschl. Wasserstoffwirtschaft, Derivate und CO2-Capture), Weitertransport von Energieträgern bspw. in Pipelines oder über die Verkehrsinfrastruktur
  • Verladeinfrastrukturen und Serviceeinheiten Offshore-/Onshore-Windenergie
  • vorrausschauende Förderung der Transformation in den Hafen- und Logistikbetrieben.
Die Infrastrukturkapazitäten für den Seecontainerumschlag, die Erreichbarkeit der Häfen (seewärtige Zufahrten und Anbindung an das Hinterland über alle Verkehrsträger hinweg, speziell per Bahn) sowie die Digitalisierung der Häfen und der Logistikprozesse müssen dabei nachhaltig und langfristig sichergestellt werden. Für den Infrastrukturausbau müssen die Häfen in die Lage versetzt werden, in stärkerem Maße Großraum- und Schwertransporte abzuwickeln.
Ein langfristiges nationales Sedimentmanagement unter Beteiligung der Länder und des Bundes ist aus Sicht der norddeutschen Wirtschaft unabdingbar. Ausreichende Flächen zur Verbringung der Sedimente müssen dafür sowohl an Land als auch auf See zur Verfügung gestellt sowie geeignetes Baggerequipment wirtschaftlich vorgehalten werden.
Eine deutliche Planungs- und Genehmigungsbeschleunigung für Infrastrukturprojekte ist dringend erforderlich. Hierfür muss eine Definition der Aus- und Neubauprojekte von Hafeninfrastrukturen und Hinterlandanbindungen aus dem vordringlichen Bedarf des Bundesverkehrswegeplanes als „überwiegendes nationales und öffentliches Interesse" erfolgen. Dies muss auch für den Auf-, Aus- und Rückbau der für erneuerbare Energien notwendigen Hafeninfrastruktur gelten.
Hinsichtlich der wichtigen Rolle der Häfen als Energieknotenpunkte im Rahmen der nationalen Hafenstrategie (Energiehäfen) müssen folgende Punkte umgesetzt werden:
  • die Beauftragung einer Untersuchung von künftigen Wasserstoffbedarfen und bestehenden Flächenpotentialen in den Häfen, Ermöglichung der notwendigen Flächenerweiterungen sowie direkter Anbindung der Energieimporthäfen an das nationale Gasfernleitungs- und Wasserstoffkernnetz;
  • die Schaffung von Kapazitäten zur Bunkerung von alternativen Kraftstoffen in deutschen Häfen, inkl. der Bereitstellung von Flächen sowie Schaffung eines schlanken, bürokratiearmen regulatorischen Rahmens;
  • die Ermöglichung von Investitionen zur Ertüchtigung der Hafeninfrastruktur (u.a. Überprüfung der Finanzierung der deutschen Seehäfen durch den Bund);
  • Unterstützung des Einsatzes alternativer Energien in den Hafenprozessen (Umschlag- und Lagerbetrieb) durch Öffnung des Förderrahmens für Hafensuprastruktur zur Umrüstung und Neuanschaffung von klimaoptimierten Nutz- und Spezialfahrzeugen sowie Umschlaggeräten.
  • Nutzung der Ausbaumaßnahmen im Energiebereich, um regionale Wertschöpfung zu sichern und zu steigern.

Beseitigung von steuerlichen Nachteilen

Die deutsche Hafen- und Logistikwirtschaft hat im Vergleich zu den Niederlanden weiterhin große Nachteile beim Verfahren zur Erhebung der Einfuhrumsatzsteuer (EUSt) auf Importe. Während bei Einfuhr über Rotterdam die EUSt direkt mit der Vorsteuer verrechnet wird, muss sie hierzulande zum Teil vorfinanziert werden, was einen erheblichen Liquiditätsnachteil mit sich bringt. Im Ergebnis werden deutsche Importgüter deshalb zum Teil über die Westhäfen geroutet. Europarechtlich wäre eine Angleichung des bislang hier praktizierten deutschen Verfahrens möglich und geboten. Trotz dieser „großen Fristenlösung“ als erste Maßnahme spricht sich die IHK Nord weiter für das sogenannte Verrechnungsmodell aus (direkte Verrechnung der EUSt mit der Vorsteuer wie in den Niederlanden).

Planungs- und Genehmigungsverfahren beschleunigen

Infrastrukturprojekte in Deutschland werden weiterhin deutlich zu langsam umgesetzt. Von der Planung bis zur Umsetzung von Infrastrukturvorhaben vergehen zum Teil Jahrzehnte. Die öffentliche Hand kommt hier ihrer hoheitlichen Aufgabe zur Sicherung einer leistungsfähigen Verkehrsinfrastruktur nicht in notwendigem Maße nach. Gerade für den Logistikstandort Norddeutschland ist dies nicht tragbar. Eine gut ausgebaute und zuverlässige Verkehrs- und Versorgungsinfrastruktur spielt eine zentrale Rolle im Hinblick auf die Attraktivität des Wirtschaftsstandortes und sichert dessen Wettbewerbsfähigkeit. Dies kann auf Dauer nur durch eine gesteigerte Effizienz in den Planfeststellungs- und Genehmigungsverfahren erreicht werden. Vor diesem Hintergrund begrüßt die IHK Nord die vom Bundestag verabschiedeten Gesetze zur Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren. Diese müssen jetzt aber auch auf der für die Projekte zuständigen Verwaltungsebene konsequente Anwendung finden. Insbesondere Neubauprojekte profitieren bislang jedoch nicht ausreichend von der neuen Gesetzgebung. Auch ist zu kritisieren, dass im aktuell diskutierten „Genehmigungsbeschleunigungsgesetz“ bislang weder Wasserstraßenprojekte im Allgemeinen noch alle Straßeninfrastrukturprojekte des „Vordringlichen Bedarfes“ im Besonderen vorgesehen sind.
Die IHK Nord hält es mit Blick auf eine Beschleunigung der Verfahren weiterhin für notwendig, zumindest die sogenannte materielle Präklusion, mit der Einwände gegen ein Projekt vor Gericht bis zu einem festgelegten Stichtag vorgebracht werden müssen, wieder einzuführen. Ziel muss es sein, die Belange der Betroffenen frühzeitig anzuhören und sinnvolle Vorschläge in die Planungsprozesse zu integrieren. Dopplungen von Verfahrensschritten bei der Planung und der Genehmigung sind zu streichen. Die materiellrechtlichen Anforderungen sind allesamt auf den Prüfstand zu stellen und zu verschlanken. Die Kultur der Gutachtenbeiziehung ist auf ein Minimum zu reduzieren. Gleichzeitig sind Parallelverfahren und Beteiligungen Dritter sowie kurze Beteiligungsfristen mit Ausschlussfristen zeitlich zu straffen. Die Klagekultur, wie sie heute oft zu beobachten ist, muss vermieden werden. Die IHK Nord befürwortet weiterhin eine Verkürzung der langen Verfahrensdauern vor den Verwaltungsgerichten und nachgelagerten Instanzen.

3. Schiffbau, Offshore-Windenergie und maritime Sicherheit

Der Schiffbau in Deutschland und in ganz Europa verliert seit den 1980er-Jahren als Ergebnis massiver Wettbewerbsverzerrungen global Marktanteile. Staaten wie Japan und Korea und insbesondere China fördern ihre Schiffbauunternehmen mit hohen Milliardenbeträgen. Ein konsequentes Einschreiten Europas gegen diese Marktverzerrungen bleibt bis heute aus.
Die europäischen Werften haben sich deshalb auf technisch anspruchsvolle Nischenmärkte fokussiert. In Deutschland konnte durch den Bau von Kreuzfahrtschiffen, großen Yachten und Schiffen für öffentliche Auftraggeber eine hohe technische Kompetenz und entsprechende Ausbildungsstrukturen erhalten werden. Pandemiebedingt kam es jedoch zu einem Einbruch des Kreuzfahrtmarktes.
Die geopolitischen Entwicklungen und die nationalen sowie internationalen klimapolitischen Ziele unterstreichen derzeit die enorme strategische Bedeutung der maritimen Industrie. Ihr kommt sowohl für die Energiewende durch den Import neuer Energieträger als auch für den Ausbau erneuerbarer Energien eine Schlüsselrolle zu. Der Ausbau der Offshore-Windenergie ist einer der zentralen Bausteine für die inländische Produktion nachhaltiger Energie. Zusätzlich müssen die Reedereien ihre Flotten auf klimaneutrale Treibstoffe umstellen. Auch ist es zwingend notwendig, dass Deutschland weiterhin in der Lage ist, die für die Bundeswehr nötigen Marineschiffe langfristig mit eigenem Know-how herstellen zu können. Für den Erhalt der schiffbaulichen Kompetenzen und industriellen Kapazitäten muss die deutsche und europäische Wirtschafts- und Handelspolitik gegensteuern.

Forderungen der IHK Nord für diesen Bereich sind:

  • die Schaffung geeigneter unterstützender Instrumente für die Bauzeitfinanzierung großer Offshore-Strukturen auf deutschen Werften;
  • die Festschreibung von europäischen/nationalen Wertschöpfungsquoten in Bundesgesetzen und Förderprogrammen;
  • die Schaffung von Anreizen zum Neu- und Umbau der Handelsflotten in Richtung klimaneutrale Schifffahrt;
  • die Bereitstellung von Förderprogrammen zur Entwicklung und zum Erwerb von alternativen, klimafreundlichen Antrieben;
  • die Stärkung der öffentlichen Beschaffung durch Vorrang von nationalen Ausschreibungen sowie Beschleunigung und Optimierung von Ausschreibungsverfahren; Einhaltung von Zusagen der öffentlichen Vergabestellen und damit Planungssicherheit für die Unternehmen;
  • die Bereitstellung von geeigneten Flächen und Infrastruktur an den Hafenstandorten für den Ausbau der Offshore- und Onshore-Windenergie sowie für Industrieansiedlungen zum Bau von Offshore-Windkraftanlagen;
  • die Förderung der Digitalisierung im Bereich der Blauen Wirtschaft durch entsprechende Rahmenbedingungen für Start-ups / Unternehmen und evtl. Förderprogramme
  • nachdrücklicher Einsatz für international gleiche Wettbewerbsbedingungen
Im Bereich der Maritimen Sicherheit beschäftigt das Thema Munition im Meer Wirtschaft und Forschung seit Langem. In der deutschen Nord- und Ostsee liegen rund 1,6 Millionen Tonnen konventionelle Munition wie zum Beispiel Granaten, Sprengbomben, Torpedoköpfe, Minen und Artilleriegeschosse. Neben der möglichen Explosionsgefahr schaffen vor allem die Inhaltsstoffe der Munition große Probleme, die mit der Zeit zu Gefahren an Land und auf See führen: für die maritime Umwelt und Infrastruktur, die Schifffahrt, die Sicherheit und den Tourismus.
Die Bund-Länder-Kommission hat dieses Thema auf der Agenda und die Länder um Anpassung ihrer Verordnungen gebeten. Dies muss rasch umgesetzt werden, um die Bergung nicht weiter zu verzögern. Dazu muss die Politik zusätzlich die notwendigen Rahmenbedingungen und gesetzliche Regelungen schaffen, damit Unternehmen Lösungen entwickeln und einsetzen können, um den Meeresboden von Munitionsaltlasten zu befreien.
Die fünf drängendsten Aktivitätenfelder aus Sicht der norddeutschen Wirtschaft sind dabei das Monitoring der Munition sowie der Bergungseinsätze, die Entwicklung von Software und KI-Anwendungen für die Problematik, die Entwicklung von geeigneter Sensortechnik, die Entwicklung und der Bau geeigneter autonomer Unterwasserfahrzeuge (AUVs) und Spezialschiffe sowie die Entwicklung und der Betrieb einer thermischen Verwertungsanlage für geborgene Munition.

4. Arbeits- und Fachkräfte

Die demografische Entwicklung in Deutschland stellt auch die maritime Wirtschaft vor neue Aufgaben. Ihre Zukunft hängt stark von Investitionen in Aus- und Weiterbildung, die Digitalisierung sowie Forschung und Entwicklung ab.
Die Unternehmen der maritimen Wirtschaft bieten an Land und auf dem Wasser gute Beschäftigungsverhältnisse in einem anspruchsvollen und innovativen Umfeld. Dabei verändert sich die Arbeitswelt durch die Digitalisierung und Automatisierung, die Transformation durch die Energiewende, durch den Wandel von logistischen Prozessen sowie die demografische Entwicklung fortlaufend. Gleichzeitig nimmt der Arbeits- und Fachkräftemangel zu.
Die Qualifikation der Beschäftigten muss entsprechend angepasst werden. Es gibt immer weniger manuelle Arbeitsplätze, dafür nimmt der Anteil von überwachenden und steuernden Tätigkeiten zu. Hier bedarf es erheblicher Anstrengungen, die Beschäftigten auf die neuen Anforderungen im Zuge des technologischen Wandels vorzubereiten.

Wichtig aus Sicht der IHK Nord sind dabei:

  • die Unterstützung der Ausbildung, Weiterbildung und Qualifizierung von Arbeits- und Fachkräften sowie ihre Anpassung an die Prozesse der Digitalisierung und Automatisierung;
  • eine offensive Bewerbung der attraktiven Ausbildungs- und Arbeitsplätze in allen Bereichen der maritimen Wirtschaft;
  • der Erhalt und die Stärkung klassischer maritimer Ausbildungs- und Studiengänge, wie z. B. die nautischen Berufe, um die Sicherheit entlang der Küsten, auf den Bundeswasserstraßen und in den Häfen nachhaltig zu sichern;
  • der Erhalt und die Stärkung der Bildungs- und Ausbildungssysteme sowie der dazu notwendigen Ausbildungseinrichtungen, wie z.B. des ma-co (Maritimes Competenzcentrum GmbH) als gemeinsame Weiterbildungseinrichtung oder das AFZ Aus- und Fortbildungszentrum Rostock;
  • die Einrichtung regionaler Transformationscluster und deren Verzahnung mit weiteren Förderinstrumenten;
  • die Entwicklung von Perspektiven für Werftstandorte zur Sicherung und zum Ausbau des Know-hows im Bereich Schiffbau/ Grüner Schiffbau.

Fazit

Die maritime Wirtschaft steht neben den sich ändernden politischen Rahmenbedingungen vor allem durch die Energiewende vor großen Herausforderungen. Hierdurch ergeben sich jedoch auch große Chancen durch die Entwicklung und Implementierung neuer Technologien und Geschäftsmodelle. Alle Branchen der maritimen Wirtschaft tragen ihren Anteil zur Umsetzung bei. Dazu gehören u. a. die Schiffbau- und ihre Zulieferindustrie, die deutschen See- und Binnenhäfen, die Schifffahrt, die maritimen Dienstleister sowie neben Unternehmen der Meerestechnik und der Offshore-Windenergie auch die Kreuzfahrtindustrie.
Die IHK Nord als Vertreterin der Gesamtinteressen der norddeutschen maritimen Wirtschaft fordert die Bundesregierung im Rahmen der 13. Nationalen Maritimen Konferenz auf, die maritime Wirtschaft bei der Transformation aktiv durch die genannten ordnungspolitisch hilfreichen Maßnahmen sowie ein stärkeres finanzielles Engagement zu unterstützen und zu flankieren und ihren eigenen hoheitlichen Aufgaben z. B. im Bereich einer leistungsfähigen Verkehrsinfrastruktur und einer modernen, digitalen Verwaltung wirksam nachzukommen.
Veröffentlicht im September 2023