Potential fördern

Frauen auf den Chefsessel

"Führen Frauen besser als Männer?" Dieser Frage ging eine Diskussionsrunde auf dem Roten Sofa der IHK zu Lübeck nach. "Frauen sind nicht per se weniger begabt als Männer. Es macht daher keinen Sinn, fast die Hälfte der Bevölkerung bei der Besetzung von Posten außen vor zu lassen", sagte Dr. Christina Boll.
Auf dem Roten Sofa nahmen neben der Forschungsdirektorin am Hamburgischen WeltWirtschaftsInstitut (HWWI) auch Lübecks Kultursenatorin Annette Borns und Franziska Leupelt, Unternehmerin und stellvertretende Vorsitzende der Wirtschaftsjunioren Deutschland, platz.
Moderator Björn Engholm, ehemaliger Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, ließ nicht locker: Woran liege es, dass Frauen historisch gewachsen an der Spitze von Unternehmen deutlich unterrepräsentiert sind, wollte er wissen. Franziska Leupelt führte diese Ungleichheit unter anderem auf das traditionelle Rollenverständnis in der Gesellschaft zurück. Die Familien würden das an ihre Kinder weitergeben, was sie selbst gelernt hätten.
Einer gesetzlich geregelten Quote zur Besetzung von Führungspositionen erteilte die Geschäftsführerin der Druckhaus Leupelt GmbH in Handewitt, eine Absage: "Damit zielt die Politik in erster Linie auf die Konzerne. Die kleinen und mittleren Unternehmen als tragende Säule unserer Wirtschaft haben ganz andere Probleme. Sie suchen Fachkräfte, stellen daher Frauen ein, und diese nehmen leitende Positionen ein." Großen Erfolg verspreche eine Mischung ihres eigenen Führungsstiles mit dem ihres Mannes. Leupelt: "Damit haben wir eine gesunde Unternehmenskultur entwickelt und verzeichnen kaum Fluktuation."
Auch Senatorin Borns stellte heraus, wie wichtig es sei, Frauen zu fördern. Leider würden viele Mitarbeiterinnen im Gegensatz zu den Männern viel über sich nachdenken und sich hinterfragen. "Viele Frauen müssen wir zum Jagen tragen", so Borns. Sie nehme daher häufig Mitarbeiterinnen an die Hand, um deren Potenziale zu ermitteln und ihnen dabei zu helfen, einen eigenen Führungsstil zu entwickeln. Dieser könne sich von dem der Männer unterscheiden, weil besonders Mütter mit Fürsorge, Nähe und schneller Entscheidung andere Eigenschaften besäßen als viele Männer. Finanziell gebe es wegen des Tarifsystems in der Verwaltung keine Unterschiede zwischen Männern und Frauen.
In der Wirtschaft sei das noch anders, betonte Boll. Analysen zufolge verdienten die Frauen durchschnittlich 22 Prozent weniger als Männer. Bei den Akademikern seien es sogar 27 Prozent. Obwohl es nunmehr darum gehen müsse umzudenken und auch die Männerquote aufzubrechen, sieht Boll auch die Frauen in der Pflicht. Sie würden ihre Bedürfnisse nicht aktiv formulieren, sondern sich mit dem Rollenverständnis alter Zeiten häufig aus dem Berufsleben zurückziehen. Sobald die Kinder in die Schule kämen, reduzierten viele Mütter die Arbeitszeit und stockten bis weit in das Teenageralter ihrer Sprösslinge nicht auf. Die Wirtschaft könne es sich aber nicht leisten, diese Potenziale ungenutzt zu lassen und müsse mit intelligenten Konzepten auf den Fachkräftemangel reagieren. "Der Fachkräftemangel spielt uns in die Hände, die Frauen erlangen wirtschaftliche Unabhängigkeit und könnten in der Familie stärker als bisher mitbestimmen, wer die Kinder oder zu pflegende Angehörige betreut", so Boll. Sie sei optimistisch, dass die jungen Männer von heute diesen Trend stützen, indem sie in Elternzeit gingen. Dafür müssten auch die Arbeitgeber umdenken und den Männern diese Familienphase ermöglichen.
IHK-Präses Friederike C. Kühn fasste zusammen, dass Gesellschaft, Politik und Wirtschaft die Rahmenbedingungen für die stärkere Einbindung von Frauen in Führungsaufgaben regeln müssten, angefangen beim Mentoring bis zur Unterstützung bei der Betreuung von Kindern und Angehörigen. "Das Bild für den Rahmen aber, muss jeder selbst malen. Wenn die Familien und die Unternehmen an einem Strang zögen, würde jedes Bild bunt und individuell." Diese individuelle Vielfalt werde somit immer mehr zu einem wichtigen Standortfaktor im Wettbewerb um Talente.
Veröffentlicht am 2. Juli 2014