Künstliche Intelligenz
Hightech im Hansebelt
Im Griff eines Roboterarms dreht sich ein Bauteil im Röntgenstrahl. Es entstehen Dutzende Aufnahmen, mit denen im Bauteil nach Defekten gesucht wird - dort, wo das menschliche Auge nicht hinsehen kann. Dies ist nicht etwa Science-Fiction, sondern Hightech aus der Hansebelt-Region. In Lübeck und Umgebung ist eine vitale Szene aus Unternehmen und Forschungseinrichtungen entstanden, die künstliche Intelligenz in die Praxis bringt.
Möglich ist die beschriebene Art der zerstörungsfreien Bauteilprüfung, die die Lübecker VisiConsult X-ray Systems & Solutions GmbH entwickelt hat, durch sogenannte Künstliche-Intelligenz-Systeme. "Die automatische Fehlererkennung ist für alle Branchen mit hohen Qualitätsstandards interessant, etwa die Luft- und Raumfahrt- oder die Energiebranche. Je größer die produzierte Stückzahl, desto interessanter wird die Verwendung der Künstlichen Intelligenz", erklärt Lennart Schulenburg, Vertriebsleiter bei VisiConsult.
Ein Röntgen C-Arm von VisiConsult fährt Bauteile zur Visualisierung ab.
© VisiConsult X-ray Systems & Solutions GmbH
Verantwortung
Mit Künstlicher Intelligenz (KI) assoziieren viele dystopische Zustände, in denen intelligente Maschinen den Menschen ersetzen. "KI-Systeme sind aber im Prinzip nichts anderes als normale Programme", stellt Alexander Derksen vom Fraunhofer-Institut für Bildgestützte Medizin MEVIS fest.
Der Unterschied bestehe in der Programmierung: "Klassische Software wird so geschrieben, dass jegliches Verhalten des Programms explizit vorprogrammiert wird, während KI-Systeme durch Datensätze 'gefüttert' werden. Diese Daten kann die KI miteinander korrelieren - ein Vorgang, bei dem die Details von außen nicht nachvollziehbar sind, weshalb man das Gefühl hat, es mit einem intelligenten Wesen zu tun zu haben", so Derksen weiter.
Alexander Derksen (Fraunhofer MEVIS) sieht in der Region Lübeck große Potenziale für KI-Entwicklungen.
© IHK/Lasner
Das Röntgenprüfsystem von VisiConsult erkennt Defekte also nicht, weil es ein selbstständig denkendes Wesen ist - sondern dank der vom Menschen programmierten vollautomatischen Fehlererkennung. Mit der Entwicklung, Programmierung und dem Vertrieb von KI-Systemen geht daher viel Verantwortung einher.
"Vorteile bieten sich für Unternehmen nur, wenn der Einsatz von KI-Verfahren auch Sinn macht", erklärt Dr. Thomas Käster von der Pattern Recognition Company GmbH. Auch in der Wissenschaft gelte dieser Ansatz. Derksen ergänzt, dass durch die Popularität des Themas sogar die Gefahr eines Überflusses an Forschung im Bereich KI bestehe.
"Von dieser Goldgräberstimmung darf man sich nicht blind mitreißen lassen, denn nicht alle Probleme lassen sich durch KI lösen", so Derksen. "Allerdings sind die Leistungen von KI bei vielen klassischen Aufgaben der medizinischen Bildverarbeitung beeindruckend stark, etwa wenn es darum geht, eine spezifische Struktur wie einen Tumor in einer Computertomografie zu erkennen."
Prozesse verschlanken
Die Region Lübeck sei in Sachen KI durch das Aufeinandertreffen von Forschungseinrichtungen wie der Universität zu Lübeck, Fraunhofer MEVIS und der Technischen Hochschule vielfältig aufgestellt, so Derksen. Man könne vor Ort dafür sorgen, dass durch KI-Systeme Prozesse für Unternehmen und ihre Mitarbeiter verschlankt und beschleunigt werden.
Ein Beispiel aus der Medizintechnik: Pathologen, die eine Gewebeprobe mikroskopieren, können die hochaufgelösten Daten nur stichprobenhaft auf Tumorzellen untersuchen - denn die Größe dieser Daten kann mehrere Gigabytes betragen. "Hier kann die KI einspringen, denn sie ist in der Lage, Tumorzellen in kürzester Zeit auf dem gesamten Gewebeschnitt zu erkennen", erklärt Derksen. Fraunhofer MEVIS ist momentan dabei, so eine Anwendung zu entwickeln – und arbeitet dabei eng mit dem Lübecker Pathologen Dr. Andreas Turzynski zusammen.
Auch die Pattern Recognition Company GmbH (PRC), eine Ausgründung des Instituts für Neuro- und Bioinformatik der Universität zu Lübeck, ist Teil der Lübecker KI-Szene. "Wir beschäftigen uns vor allem mit der optischen Qualitätskontrolle in allgemeinen und medizinischen Anwendungen und der Datenanalyse", erklärt Dr. Thomas Käster, Technischer Direktor der PRC. "Wir arbeiten erfolgreich mit mittelständischen Unternehmen in Lübeck und Schleswig-Holstein, aber auch in ganz Deutschland zusammen."
Dr. Thomas Käster (Pattern Recognition Company)
© PRC
Außerdem hat die PRC etwa das Excire Search Plugin entwickelt, das Bilder in einem Adobe Lightroom-Katalog findet, ohne dass die Bildinhalte zuvor manuell erfasst werden müssen. Im Oktober wurde die Software als bestes Plugin mit dem Lucie Technical Award für besondere Leistungen in der Fototechnik ausgezeichnet. Die KI-Entwicklungen der Region sind also nicht nur für die Medizintechnik oder die Bauteilprüfung relevant, sondern beispielsweise auch für Fotografen, wie diese Anwendung zeigt.
Die verschiedenen Bereiche, die am Standort Lübeck entstanden sind und weiter wachsen, sind eine großartige Chance für die Zukunft der KI, ist sich Derksen sicher, "denn wir bringen hier vor Ort fach- und branchenspezifische Kooperationen, klinische und technologische Expertise für den Einsatz der KI zusammen."
Jutta Lasner
Veröffentlicht am 10. Dezember 2018