Interview: Peter Kraus vom Cleff, Rowohlt-Geschäftsführer

"Wir destillieren und konzentrieren Ideen"

Außerirdischen hat Peter Kraus vom Cleff zwar noch keine Bücher verkauft. Aber der kaufmännische Geschäftsführer des Rowohlt Verlags weiß, dass sich das Buchgeschäft einschneidend verändern wird. Mit der Wirtschaft sprach er über Transformation und Selbstverständnis des Reinbeker Traditionshauses und der Branche insgesamt.
Wirtschaft: Herr Kraus vom Cleff, stellen Sie sich vor, Sie landen auf einem fremden Planeten. Die Leute dort kennen nichts anderes als digitale Medien. Wie erklären sie denen die Vorteile eines gedruckten Buches?
Peter Kraus vom Cleff: Interessante Frage. Ich würde denen sagen, dass man endlich lesen kann, ohne auf irgendeine Art von elektrischem Strom angewiesen zu sein. Ich würde sagen, dass hier ein Medium ist, das man sehr einfach bedienen kann. Ich würde erklären, dass es hier eine tolle Möglichkeit gibt, ein störungsfreies, haptisch wunderbares Werk in die Hand zu nehmen, in dem Wissen, Inspiration oder "Kopfkino" gespeichert sind, ohne dass es einer elektronischen Bindung bedarf.
Wirtschaft: Aber außer dem Strom gibt es doch zwischen iPad und Papierbuch gar keinen Unterschied.
Kraus vom Cleff: Aus US-Studien mit Studenten geht hervor, dass die Leute elf Prozent weniger behalten oder verstehen, was sie am Bildschirm lesen – gegenüber dem, was sie gedruckt lesen. Ich glaube auch, dass es einen Unterschied macht, in welchem Kontext ich lese. Heute bekommt man ja rastlos alle 30 Sekunden neue Nachrichten. Das Buch ist eine Möglichkeit, sich in einem ruhigen Kontext ohne Elektronik drum herum zu versenken. Die Amerikaner nennen das "Quality Reading2 im Gegensatz zum "Browsing".
Wirtschaft: Wie groß ist der Anteil der E-Books?
Kraus vom Cleff: Wir sind etwa drei Jahre zurück zu den USA. Dort hat das E-Book mittlerweile ein Fünftel Marktanteil. Wir werden dieses Jahr wahrscheinlich ein Prozent des Umsatzes mit digitalen Büchern machen. Aber man kann noch nicht eindeutig sagen, dass Deutschland wie die USA wird. Wir haben eine andere Lesekultur, und wir haben andere Bezugsmöglichkeiten. Bei uns gibt es zum Glück sehr viele Buchhändler. Aber wir sehen den digitalen Buchmarkt als Chance. Das wird in den nächsten Jahren wachsen, und als Verlag ist es unsere Pflicht, möglichst viele Märkte und Leser zu erreichen.
Wirtschaft: Wie reagieren Sie strategisch auf die Digitalisierung?
Kraus vom Cleff: Wir haben ein Transformationsprojekt aufgesetzt und haben gesagt: Wir verändern uns, bevor wir verändert werden. Wir gehen davon aus, dass der Umsatz durch die E-Books leider andere Umsätze ersetzt. Das heißt, es besteht nicht die Chance, mehr Umsatz zu machen. In diesem Fall müssen Sie die Abläufe im Haus so gestalten, dass Sie nicht noch Geld daran verlieren. Natürlich sinken auch die Markteintrittsbarrieren. Auf der anderen Seite steigen die Chancen, weil wir Orientierung geben. Es gibt schon heute in Deutschland eine Million lieferbare Titel und das wird durch E-Books immer mehr. Hier haben die Verlage eine Chance, weil sie klassische Markenpolitik betreiben. Wir sagen: Wenn da Rowohlt draufsteht, dann kannst Du, lieber Leser, auch sicher sein, dass wir das mit Leidenschaft ausgesucht und hoch qualifiziert editiert haben, und dass es in einer technisch einwandfreien Form herauskommt.
Wirtschaft: Wie kann man sich das Transformationsprojekt konkret vorstellen?
Kraus vom Cleff: Als Geschäftsführer muss ich fragen: Wie schaffe ich es, den Mitarbeitern das gemeinsame „Warum“ zu vermitteln? Wenn das geklärt ist, ist das
"Wie" nur nachgelagert. Weil wir das gemeinsame "Warum" haben, gibt es auch eine bessere Einsicht, weshalb wir manches ändern müssen. Dramatisch sehen Sie es im Bereich Herstellung. Diese Leute haben den Beruf ergriffen, weil sie Spaß an Gestaltung haben, weil sie Umgang haben wollten mit Typografie, mit Papier. Nun müssen sie mit XML, Datenbanken, digitalen Workflows arbeiten.
Wirtschaft: Wie haben Sie die Frage nach dem "Warum" beantwortet?
Kraus vom Cleff: Weil wir Autoren eine Heimat geben und sie erfolgreich durchsetzen können. Wir bieten eine 360-Grad-Betreuung, wir machen ja nicht nur Hardcover, wir machen auch Taschenbuch, wir haben eine der größten Medienagenturen im Publikumsverlagsbereich, wir sorgen für Verfilmungs-, TV- und Hörfunkrechte, wir haben einen Theaterverlag und verkaufen Lizenzen weltweit. Das gemeinsame "Warum" lautet: Wir wollen die Heimat für faszinierende Autoren und Inhalte bleiben, weil wir wissen, wie man das Beste daraus macht.
Wirtschaft: Ist es schwieriger geworden, Bücher zu verkaufen?
Kraus vom Cleff: Ich bin seit über zwölf Jahren in der Branche und finde schon, dass es schwieriger geworden ist. Es gibt eine Konzentration im Handel, es gibt eine mediale Übersättigung, das Mediennutzungsverhalten hat sich geändert und man erlebt eine Zuspitzung auf wenige Megaseller. Ein Teil meines Jobs ist es, Risikomanagement zu betreiben. Heute haben Sie nicht mehr so eine breite Basis, die das Ganze schultert, und ein oder zwei Spitzen, die es musikalischer machen. Sie hängen viel mehr als früher von der Konzentration auf Spitzentitel ab.
Wirtschaft: Wie erklären Sie eigentlich einem Kollegen aus der Industrie, mit was für einer Art von Ware Sie umgehen?
Kraus vom Cleff: Wir destillieren und konzentrieren im Grunde Ideen. Es ist ein großer Trichter, in den Rohstoff hineinsickert, und wir sorgen dafür, dass das richtig fermentiert und destilliert wird, und dass Sie einen hochkonzentrierten, erfrischenden, beruhigenden oder bekömmlichen Inhalt bekommen. Wir sind wahrscheinlich so ziemlich die einzige Kulturbranche, die ohne Subventionen den Autor erst einmal vorfinanziert, "verlegen" kommt ja von "vorlegen". Dann habe ich das Risiko, dass sich der Vorschuss nicht amortisiert, und ich muss auch die Hoffnung haben, dass das Produkt eine lange Lebensdauer hat. Wir glauben eigentlich immer an die Zukunft des Autors.
Wirtschaft: Der Weltverlag Rowohlt sitzt seit über 50 Jahren in Reinbek. Fühlen Sie sich als Teil der Region im Kreis Stormarn?
Kraus vom Cleff: Wir würden uns vielleicht nicht unbedingt als "Stormarner Verlag" bezeichnen, aber wir sind mit Sicherheit ein norddeutscher Verlag.
Wirtschaft: Was macht das Norddeutsche aus?
Kraus vom Cleff: Ich glaube, dass man geradlinig ist, verlässlich, dass man auf eine etwas verschmitztere, ironische Weise Humor hat. Man kann sich aufeinander verlassen, wir sind sicher auch ein bisschen knorrig. Man schätzt hier ein klares Wort, hier wird nicht um den heißen Brei herum geredet, man geht sehr respektvoll und ehrbar miteinander um. Das finde ich sehr angenehm.
Das Interview führte Klemens Vogel.