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Das Geschäft für die Sicherheit
Die Verteidigungsindustrie gehört zu den wichtigsten Wirtschaftszweigen in Schleswig-Holstein. Tief mit der maritimen Tradition und der geostrategischen Lage des Bundeslandes verknüpft, leistet die Wehrtechnik mit ihrer Palette an Rüstungsprodukten einen erheblichen Beitrag zur regionalen Wirtschaft – von U-Booten über gepanzerte Fahrzeuge bis hin zu modernen Kommunikationssystemen.
Ein kühler Herbstmorgen, Nebel zieht über die Kieler Förde. Im Dock German Naval Yards wird eine der modernsten Fregatten der Welt auf ihren nächsten Test vorbereitet. Im Hintergrund: das beeindruckende Skelett eines neuen Marineschiffs, das schon bald in den Dienst einer ausländischen Marine gestellt wird. So oder ähnlich könnte ein typischer Morgen auf dem Werftgelände des global agierenden Unternehmens aussehen.
Die Werft ist spezialisiert auf Planung und Bau hoch integrierter Marineschiffe wie Fregatten, Korvetten oder Hochsee-Patrouillen-Boote. „Derzeit verzeichnen wir eine stabile Auslastung, die sich aus einem ausgewogenen Mix von Schiffsneubau- und Instandsetzungsprojekten zusammensetzt“, berichtet Geschäftsführer Rino Brugge. „Unser Hauptgeschäftsfeld bildet nach wie vor der militärische Bereich, wenngleich wir auch im kommerziellen Schiffbau unsere Marktanteile ausbauen wollen.“
German Naval Yards prägt nicht nur die Kieler Skyline, sondern auch die ganze Wirtschaft in Schleswig-Holstein.
© penofoto/Shutterstock
Schleswig-Holstein, geprägt durch den Marineschiffbau, hat sich seit Jahren als ein Zentrum der gesamten deutschen Wehrindustrie etabliert – und das mit wachsendem Erfolg. Über 30 Unternehmen in Schleswig-Holstein zählen zur Wehrtechnik, darunter der Marineschiffbau mit German Naval Yards oder thyssenkrupp Marine Systems, die Landsystem- und Luftfahrtindustrie, Kommunikationssysteme sowie Waffen- und Munitionssysteme oder die Optik- und Optronikindustrie. Allein in der Landeshauptstadt Kiel sind 16 dieser Unternehmen angesiedelt. In diesen zum Teil weltweit führenden Unternehmen arbeiten 8.346 Beschäftige (Stand 2023) in der Wehrtechnik, zusätzlich sind 12.000 Personen in der Zulieferindustrie tätig.
An den Werftstandorten von German Naval Yards in Deutschland arbeiten rund 400 Beschäftigte und sind in Kiel beispielsweise verantwortlich für den Bau unbemannter Hochgeschwindigkeits-Abfangjäger – ready to order. „Somit sind wir in der Lage, einen zügigen, kostengünstigen und verlässlichen Beitrag zur Kriegstüchtigkeit der Bundeswehr zu leisten“, so Rino Brugge. Das Unternehmen fokussiert sich zudem auf nachhaltige Projekte wie erneuerbare Energiegewinnung, um den notwendigen Wertschöpfungskapazitäten in Deutschland und Europa mittel- und langfristig zu begegnen. Auch daher erwartet die Werft in den kommenden Jahren weiterhin eine stabile Auftragslage und bei einem positiven Marktumfeld ein deutliches Wachstum. Brugge betont: „Das wollen wir unter anderem durch die Erweiterung unseres Neubauportfolios und den weiteren Ausbau unserer Reparaturkapazitäten erreichen. Mit diesen strategischen Maßnahmen werden wir gleichzeitig zu einer stärkeren Resilienz der nationalen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie beitragen.“
Sicherheit im Verteidigungsfall
„Die weltweiten Risiken werden eher noch mehr zunehmen“, sagt Dieter Hanel, Vorstandssprecher des Arbeitskreises Wehrtechnik Schleswig-Holstein bei den Unternehmensverbänden in Rendsburg. „Und mit ihnen auch unsere Verantwortung.“ Dass es daher keinen direkten Einblick in Produktionen wie bei German Naval Yards gibt, hat einen guten Grund: Sicherheit. Nicht nur der Krieg in der Ukraine, auch die Spannungen in Taiwan und der erneute Krieg im Nahen Osten sorgen für Unsicherheit – aber eben auch für Aufträge. Der Aktienkurs von Rheinmetall hat sich seit dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 verfünffacht. Das Unternehmen führt weltweit im Segment der gepanzerten Fahrzeuge und Turmsysteme. Bei Rheinmetall Landsysteme in Kiel fokussiert man sich auf gepanzerte Kampf- und Unterstützungsfahrzeuge, unter anderem am weit bekannten Schützenpanzer Puma, dem Gefechtsfahrzeug Lynx und dem Pionierpanzer Kodiak.
Erst im Frühjahr 2024 konnte das Unternehmen einen Multi-Milliardenvertrag unterzeichnen: Die Bundeswehr beauftragte Rheinmetall mit der Lieferung des „Schweren Waffenträgers Infanterie“. Das heißt, die deutschen Streitkräfte werden bis zu 123 Fahrzeuge erhalten, die zur taktischen Feuerunterstützung der Infanterieverbände dienen. Die Auslieferung soll 2025 starten. Das Wachstum der Branche bekräftigt: Eine moderne, wettbewerbs- und leistungsfähige Wehrindustrie in Deutschland unabdingbar, um eine bedarfsgerechte Ausstattung der Bundeswehr zu gewährleisten, in internationalen Rüstungskooperationen Bestand zu haben und gleichzeitig nicht von ausländischen Rüstungssektoren abhängig zu werden, so Dieter Hanel vom Arbeitskreis Wehrtechnik. Dafür unterliegen Rüstungsexporte in Deutschland strengen gesetzlichen Regularien. Unter anderem werden die Verteidigungsfähigkeit der Wertepartner und die Achtung der Menschenrechte der Importländer bewertet.
Die ThyssenKrupp Marinewerft im Hafen von Kiel mit einer der modernsten konventionellen U-Boote der Welt am Ausstattungskai.
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Exportwerte und Bewertung
Im ersten Halbjahr 2024 gingen auf dieser Grundlage 90 Prozent der Rüstungsexporte aus Deutschland an enge Partner, davon 64 Prozent an die Ukraine, dicht gefolgt von Lieferungen nach Singapur, die USA, Indien und Saudi-Arabien – Güter im Wert von 7,6 Milliarden Euro. Der Gesamtumsatz der Rüstungsindustrie in Schleswig-Holstein schwankt zwischen 1,5 und 2 Milliarden Euro, wobei bis zu 70 Prozent des Umsatzes auf Exporte entfallen. Gleichwohl herrscht in der Branche Unsicherheit über langfristige Investitionen in die Verteidigungsinfrastruktur Deutschlands, trotz des 100-Milliarden-Euro-Sondervermögens der Bundeswehr. Bislang haben Unternehmen in SH nur marginal davon profitiert, heißt es im Jahresbericht 2024 vom Arbeitskreis Wehrtechnik.
Unterstützung der Politik
Zum Wehrtechnikgipfel mit Ministerpräsident Daniel Günther und Wirtschaftsminister Claus Ruhe Madsen (beide CDU) verabschiedete man bereits 2022 ein Positionspapier und einen gemeinsamen Kieler Brief an die Bundesregierung zur Unterstützung der Verteidigungsindustrie. Sind seitdem Veränderungen wahrzunehmen, auch wenn der erwartete Auftragszuschuss im Rahmen des Sondervermögens auf sich warten lässt? „Die Landesregierung in Schleswig-Holstein hat mittlerweile einige Formate ins Leben gerufen, um den Mittelstand in der wehrtechnischen Industrie sichtbarer zu machen und zu unterstützen. Die Landesregierung tritt dabei auch als Sprachrohr in Richtung Bundespolitik auf, was wir sehr schätzen“, bewertet Andreas Weidner, Geschäftsführer der Anschütz GmbH.
Schon seit 1905 ist das Unternehmen (ehemals Raytheon Anschütz GmbH) in Kiel ansässig und produziert Navigationsinstrument und Überwachungs- und Kontrollsysteme für Handels- und Kriegsschiffe. Unternehmensgründer Hermann Anschütz-Kaempfe ist Erfinder des Kreiselkompasses, ein wichtiges Navigationsinstrument. Mit rund 110 Millionen Euro Umsatz jährlich ist das Unternehmen heute ein erfolgreicher Komponentenhersteller. „Für die kommenden Jahre gehen wir von einem moderaten Umsatzwachstum aus, welches wir im Wesentlichen bei unseren internationalen Kunden sehen“, erklärt Andreas Weidner. Mit Tochtergesellschaften in China, Singapur, Großbritannien, Brasilien und Panama ist das Unternehmen hierfür bestens aufgestellt. Klar wird: Die regionale Wehrindustrie ist eng mit globalen Weiterentwicklungen verknüpft, gar auf sie angewiesen – und ist für ihre Stabilität und Wirtschaftlichkeit für den Standort auf internationale Kunden angewiesen.
Olaf Scholz und Boris Pistorius nahmen am 4. September 2024 am operativen Start des ersten Luftabwehrsystems IRIS-T SLM der Bundeswehr teil.
© Ryan Nash Photography/Shutterstock
Die Wehrtechnik in Schleswig-Holstein ist weit mehr als ein wirtschaftlicher Motor – sie spiegelt die komplexen Herausforderungen einer sich stetig verändernden globalen Sicherheitslage wider. Die Branche steht im Spannungsfeld zwischen Notwendigkeit, ethischen Diskussionen und geopolitischen Entwicklungen. „Während die Unternehmen in Schleswig-Holstein zukunftsorientiert in neue Technologien und nachhaltige Projekte investieren, bleibt der öffentliche Diskurs um Rüstungsexporte und Aufrüstung lebhaft. Vor diesem Hintergrund ist sicher, dass die Verteidigungsindustrie auch in den kommenden Jahren eine zentrale Rolle in der wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Landschaft des Bundeslandes spielen wird“, resümiert Dr. Julia Körner aus der Geschäftsführung der IHK zu Kiel.
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Dr. Julia Körner