Supply Chain Management

Die Lieferkette im Griff

Megatrends wie die Globalisierung und Digitalisierung verändern die Prozesse und Abläufe entlang der Lieferketten (Supply Chains). Für die Unternehmen bringt dies große Herausforderungen, aber auch Chancen mit sich.
"Vor allem die starke Digitalisierung stellt eine ganz wesentliche Herausforderung dar", betont Winfried Krieger, Professor für Logistik und Supply Chain Management an der Fachhochschule Flensburg. "Wenn man versucht, das herunterzubrechen, kommt man zu zahlreichen weiteren Themen. Dinge wie Mobilkommunikation und das 'Internet der Dinge' spielen eine wachsende Rolle. Ein weiteres Stichwort ist 'Big Data'. Auf einmal stehen den Unternehmen große Datenmengen zur Auswertung zur Verfügung." Aber auch die Anforderungen der Kunden werden anspruchsvoller. "Konsumenten erwarten heute, ihre Ware bereits am Tag nach der Bestellung zu erhalten. Dies erfordert eine deutlich höhere Reaktionsgeschwindigkeit seitens der Betriebe", so Krieger. "Die großen Player stellen hier Quasi-Standards auf, die wiederum auch die Anforderungen für kleinere Unternehmen steigern." Darüber hinaus nimmt auch die Globalisierung starken Einfluss auf die Lieferketten. "Es kommen immer mehr Akteure hinzu, was die Supply Chains deutlich länger und feingliedriger macht", weiß der Experte.
All dies beeinflusst nicht zuletzt die Kommunikation. Immer wichtiger werden sogenannte Kollaborationslösungen aus der Cloud, bei denen alle Akteure über eine gemeinsame Software miteinander verbunden sind. "Die E-Mail-Kommunikation wird zugunsten derartiger Kooperationssoftware immer weiter zurückgehen. Auch werden zunehmend unterschiedliche IT-Anwendungen miteinander kommunizieren", so Krieger.
Cloud-Lösungen
Dies sieht auch Danny Kensa so, der als langjähriger E-Business-Lotse bereits viele Betriebe in Sachen Supply Chain Management beraten hat: "Sogenannte Cloud-Mediatoren ermöglichen es etwa, Datenformate systemunabhängig zu konvertieren und dadurch die Schnittstellenkomplexität zu reduzieren." Dies bringe große Chancen, aber auch Risiken und Herausforderungen mit sich. "Gerade durch die zunehmende Vernetzung muss man einen genauen Überblick über seine Supply Chain haben und sich bewusst machen, an wen man welche Daten liefert", so Kensa. Den Entwicklungen entziehen könne sich kein Betrieb, wenn er den Anschluss nicht verlieren wolle. "Vor allem kleine und mittlere Unternehmen haben aber gegenüber cloudbasierten Plattformen häufig Vorurteile. Innovative Lösungen finden oft nur wenig Eingang, weil es keine Mitarbeiter gibt, die sich damit beschäftigen, beziehungsweise es vielen Unternehmen schwerfällt, sich von ihren traditionellen Strukturen und Arbeitsweisen zu lösen." Betriebe müssten bereit sein, Geld und Zeit in neue Technologien und die Qualifizierung ihrer Mitarbeiter zu investieren, ergänzt Krieger. Neben den genannten Faktoren werden auch 3-D-Drucker künftig die Supply Chains beeinflussen. "Dies wird meiner Meinung nach vor allem in der Ersatzteillogistik eine Rolle spielen", so Kensa. "Wenn ich Ersatzteile nicht auf Vorrat produzieren will, sondern dann, wenn sie wirklich benötigt werden, würde der 3-D-Druck die Prozesse deutlich vereinfachen und beschleunigen." Zu den international führenden Software-Herstellern für die Transport- und Logistikbranche gehört die Reteco Datentechnik GmbH aus Lübeck. Auch Geschäftsführer Michael Portmann beobachtet eine klare Hinwendung der Unternehmen zu Cloud-Lösungen. Die zunehmende Komplexität der Supply Chains erfordere immer mehr offene Schnittstellen, um die Software in bestimmte Prozesse integrieren zu können. "Wir müssen sehr variable Lösungen schaffen und den Kunden Baukästen anbieten, die sie an ihre eigenen Strukturen anpassen können." Hauptprodukt des Entwicklers ist die Software Cargobase. Das Programm ist modular aufgebaut und bietet den Anwendern genau die Funktionen, die sie brauchen - von der Sendungserfassung und -verfolgung über die Lagerlogistik bis zur Finanzbuchhaltung. Unterschiedliche Kommunikationsmodule runden das Angebot ab. Alle Nutzer haben dabei nur Zugriff auf die Daten, die sie benötigen beziehungsweise für die sie eine Berechtigung haben.
Optimale Warenflüsse
Als großes Versandunternehmen für Erotikprodukte spielen auch für die Flensburger Orion Versand GmbH Logistik und Handelsketten eine zentrale Rolle. Allein vom Großhandel erhält der Konzern täglich rund 300 Aufträge. "Auch unsere Kunden erwarten häufig, dass die bestellte Ware bereits am nächsten Tag bei ihnen ist", sagt Logistikleiter Uwe Mews. Die eigenen Lieferanten sitzen in der Regel im Ausland, die Lieferzeiten sind relativ lang - das macht eine genaue Planung erforderlich. Automatisierung und Software spielen auch bei Orion eine wachsende Rolle. "Grundsätzlich arbeiten wir mit zwei Systemen: eines für den Einkauf und eines für die Lagerverwaltung. Selbst geschriebene Programme, sogenannte Reports, führen die Daten aus den unterschiedlichen Systemen zusammen." Die Lagerlogistik stellt die zentrale Basis für optimale Abläufe und Warenflüsse dar. Seit etwa einem Jahr arbeitet Orion daher im Wareneingang mit einem voll automatisierten Kartonlager. "Bereits über Nacht werden die Aufträge für den nächsten Tag verarbeitet und vorbereitet. Die Herausforderung für uns besteht dann darin, alle Aufträge bis zum folgenden Abend zu versenden." Zusätzliche Schwierigkeiten bereitet die Tatsache, dass Mews und seine Mitarbeiter nach wie vor viele Unterlagen wie Kommissionierlisten noch in Papierform erhalten. Hier wünscht er sich eine zunehmende Digitalisierung. "Aber auch wir selbst müssen uns immer wieder hinterfragen. Das, was wir heute machen, kann morgen schon wieder veraltet sein. In unserer Branche und der heutigen Zeit ist nichts in Stein gemeißelt."
Andrea Henkel
Veröffentlicht am 2. November 2015