Aktuelle Lage der Finanzwirtschaft

"Kundennähe ist das Gebot der Stunde"

Oliver Stolz ist seit 2021 der Präsident des Sparkassen- und Giroverbands für Schleswig-Holstein und vertritt die Interessen der Sparkassen im Land. Im Interview wirft er einen Blick auf die aktuelle Lage der Finanzwirtschaft im Norden.
Corona, Energiekrise, Lieferengpässe: Wie können Finanzinstitute den Unternehmen passgenau zur Seite stehen?
Die Sparkassen haben in der Pandemie ihren Beitrag zur finanzwirtschaftlichen Stabilität und Sicherheit geleistet und tun das auch weiterhin. Jetzt erleben wir eine noch komplexere Krise: Neben den nach wie vor gestörten Lieferketten haben wir vor allem durch die hohen Energiepreise ein Inflationsgeschehen, das weder zeitlich noch in Bezug auf die Folgen für Haushalte und Unternehmen abschätzbar ist. Die Sparkassen sprechen daher mit ihren Kunden über die aktuelle Lage und mögliche Szenarien. So kann – auch unter Berücksichtigung der staatlichen Hilfsprogramme – individuell entschieden und gehandelt werden. Kundennähe ist also das Gebot der Stunde – und hier bewährt sich wieder einmal unsere regionale Aufstellung.
Viele Investitionen stehen aufgrund der gestiegenen Kosten auf der Kippe. Wie werden sich Projekte in der Wirtschaft auch künftig finanzieren lassen?
Seit Jahresbeginn bis Ende Juni wurden an die schleswig-holsteinischen Firmenkunden 2,5 Milliarden Euro an Darlehenszusagen gegeben, und das zu einem erheblichen Teil im Bausektor. Die Sparkassen passen ihre Kreditvergabestandards stets den sich ändernden Marktbedingungen an. Das hilft auch den Kunden bei ihren Dispositionen. Es ist nachvollziehbar und bei gewerblichen Investitionen generell zu spüren, dass viele Unternehmen derzeit auf Sicht fahren und die Entwicklung der Wirtschaftslage abwarten. Grundlagen jedes Engagements sind eine gesunde Eigenkapitalbasis und ein Geschäftsmodell, in dessen Zukunft sowohl die Unternehmer als auch die Finanzinstitute vertrauen. Investitionen sollten sich an Nachhaltigkeitskriterien – letztlich der EU-Taxonomie – ausrichten. Schleswig-Holstein hat mit seinen vielen etablierten Mittelständlern ein breites Fundament und mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien und des Glasfasernetzes guten Grund zu Optimismus.
Stichwort Digitalisierung: Was treibt hier die Sparkassen um?
Die Sparkassen gehören mit ihren einfach erreichbaren digitalen Angeboten zu den Besten in der Finanzbranche. Auch Datenschutz und Sicherheit stehen dabei ganz oben. Auf dem neuen Firmenkundenportal der Sparkassen lassen sich alle Bedarfe des Finanzmanagements genau auf die individuelle Unternehmensstruktur ausrichten und jederzeit an die betrieblichen Entwicklungen anpassen. Zudem haben Unternehmer mit der App SFinanzcockpit stets und überall ihre Finanzen im Blick. Weitere Zukunftsthemen sind beispielsweise das Voice Payment (Bezahlen per Sprachbefehl) oder selbstzahlende Autos, wodurch die Integration von Bezahlvorgängen in die alltäglichen Abläufe von Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmen und Kunden weiter vereinfacht werden können.
In welchem Umfeld bewegen sich die Kreditinstitute derzeit?
Die überfälligen, aber nun in Aussicht stehenden Zinsschritte der EZB begrüßen wir ausdrücklich, denn unsere soziale Marktwirtschaft ist auf stabile Finanzverhältnisse angewiesen. Ohne Zinsanstieg wird sich die Inflation nicht eindämmen lassen. Die gute Nachricht ist: Es gibt wieder Zinserträge – sowohl für Anleger als auch für Kreditinstitute. Allerdings kommt der Zinsanstieg sehr dynamisch. Das könnte im laufenden Geschäftsjahr teilweise zu Belastungen im Bewertungsergebnis führen, wird sich aber langfristig positiv auswirken.
Der Großteil der Unternehmen muss Energiekosten optimieren. Welche Rolle kommt dabei den Kreditinstituten zu?
Erhebliche und relativ schnelle Einsparungen lassen sich bei der energetischen Gebäudesanierung erreichen. Hierin sehen wir Potenzial, das auch unter Zuhilfenahme von Förderprogrammen gehoben werden muss. Traditionell arbeiten wir dabei eng mit der Investitionsbank Schleswig-Holstein zusammen. Aber natürlich stehen bei vielen Unternehmen aktuell die energieaufwendigen Produktionsprozesse im Fokus. Hier sind in allererster Linie unternehmerische Expertise und Innovation gefragt. Klar ist: Jede nachhaltige Energieeinsparung stärkt die Zukunftsfähigkeit, und das kann dann in eine langfristige Investitions- und Finanzierungsstrategie eingehen. Dabei beraten wir unsere Kunden mit unserer Expertise und Erfahrung kompetent und umfassend.
Interview: Benjamin Tietjen
Veröffentlicht am 4. Oktober 2022