Rückenwind für Start-ups

Gründer im Norden

Es regt sich etwas: Das Thema Existenzgründung ist in aller Munde, an allen Ecken arbeiten engagierte Menschen daran, Schleswig-Holstein zu einem echten Gründerland zu machen. Wie gehen Innovationhubs, Hochschulen und das Land das gemeinsame Ziel an? Wir haben uns umgeschaut.
In den alten Räumen der Muthesius Kunsthochschule in Kiel am Lorentzendamm haben neue Mieter Quartier bezogen, mit ihnen jede Menge frischer Impulse. Mehr als 60 Projekte haben in den Büro- und Atelierräumen in der "Alten Mu" ihre Werkstätten gefunden. Angefangen hatte alles 2014. Nach dem Auszug der Kunsthochschule fragten Freunde von Felix Wenning an, ob sie die leeren Räume für ihr Projekt Kieler Honig nutzen dürften. Bald seien weitere Projekte hinzugekommen, erinnert sich Alte-Mu-Mitbegründer Wenning. Schnell kam die Idee auf, das Gebäude ganz zu nutzen. Es entstand die "Mu-Topie": ein Ort, an dem "Wohnen, Kultur, Bildung und Arbeitsstätte zusammenfließen, wo sich Jungunternehmer und Kulturinteressiere begegnen, Impulse entwickeln und diese in die Gesellschaft schicken", so Wenning. Mittlerweile läuft es so gut, dass der Verein Alte Mu Impuls-Werk e. V. das Gebäude kaufen möchte - und auch die Landesregierung weiß die kreativen Impulse zu schätzen, die Alte Mu soll laut Koalitionsvertrag bestehen bleiben. Im Gebäude ist auch das von Wenning koordinierte Projekt "yooweedoo - die Zukunftsmacher" ansässig. Das einjährige Programm begleitet Gründende in einer halbjährigen Projektphase und unterstützt sie mit Startkapital. Im zweiten Halbjahr folgt eine betreute Pilotphase, in der die Projekte auf Marktreife geprüft werden.
Etwas weiter im Norden sitzt im Kieler Wissenschaftspark der Innovationhub starterkitchen. In Coworking-Spaces haben Start-ups reichlich Platz zum Vernetzen und bekommen Unterstützung bei der Ideenschärfung. "Es ist unser Ziel, Menschen zusammenzubringen, deren Wissen und Hintergrund möglichst heterogen sind. Start-ups benötigen unterstützende Dienstleistungen, doch die Innovationen entstehen dadurch, dass Wissen neu und unerwartet kombiniert wird", sagt Alexander Ohrt vom Projektträger opencampus. sh. Zur Ideenfindung gehört auch die jährliche Prototyping Week. "Interdisziplinäre Teilnehmende realisieren im Laufe von fünf Tagen ihre Vision - egal ob aus Lego, Holz oder in digital. Mithilfe von Coaches und innovativen Arbeitstechniken entwerfen sie Prototypen und präsentieren sie vor Bürgern und Entscheidungsträgern." Das Team organisiert darüber hinaus das internationale Waterkant Festival und arbeitet zudem gerade daran, Coworking stärker für alle zu öffnen, da Coworker bislang meist männlich seien und einen akademischen Hintergrund hätten. "Das wollen wir ändern und haben deinraum.sh gegründet - in einem multikulturellen Stadtteil fern von den Universitäten", sagt Ohrt.
BioMedTec-Bereich
Nur ein paar Schritte neben dem Audimax in Lübeck steht ein roter Würfel. Unter dem Dach des GründerCubes haben sich Uni und FH zusammengeschlossen, um junge Gründende aus dem Hörsaal ins Startup zu bringen. Ein breites Angebot zum Thema Entrepreneurship stellt das junge Team auf die Beine - es hilft bei guten Ideen und Businessplänen sowie bei Marketingkonzepten, organisiert Veranstaltungen und Exkursionen. Das Besondere am Campus: Die Nähe der Institute fördert die Verzahnung der technologisch-wirtschaftlichen FH-Studiengänge mit den biomedizinischen der Uni - ideale Voraussetzungen für Synergien und Gründungen im BioMedTec- Bereich. Die Nachfrage nach den Gründungsberatungen sei stark gestiegen, sagt Professor Dr. Christian Willi Scheiner, Direktor des Instituts für Entrepreneurship und Business Development an der Uni."Wir denken darüber nach, die Beratungsstruktur weiter zu strukturieren und in einzelnen Branchenfeldern weitere Vertiefungsmöglichkeiten anzubieten", so Scheiner. Eine Besonderheit sind am Campus auch zwei Masterstudiengänge mit Schwerpunkt Entrepreneurship, die bereits 17 Absolventen erfolgreich durchlaufen haben. Etwa neun Gründungen seien aus den Studiengängen bereits hervorgegangen, allesamt in der digitalen Wirtschaft, so Scheiner.
Grenzen überschreiten
Wer die Lise-Meitner-Straße im Süden Flensburgs entlangschlendert, mag an eine kleine Silicon City denken. Viele digitale Unternehmen haben sich hier rund um das Technologiezentrum angesiedelt. Ihren Ursprung haben viele der Gründungen am Campus der beiden Flensburger Hochschulen. Seit 2016 ist dort auch die VentureWærft ansässig, betrieben von Partnern aus Wissenschaft und Wirtschaft, die bei Existenzgründungen hilft. "Wir starteten mit dem Wunsch, Start-ups aus einer Hand helfen zu können und Gründungsinteressierten eine erste niedrigschwellige Anlaufstelle zu bieten", sagt VentureWærft-Mitinitiator Professor Dr. Dirk Ludewig. Das Besondere: Die VentureWærft vermittelt Interessierte je nach Bedarf an sogenannte Docks. Bei der Ideenfindung an das Dock1 (Dr. Werner Jackstädt-Zentrum), wo erste Infos erteilt und Geschäftsmodelle entwickelt werden. "Auf dem Weg zur tatsächlichen Gründung findet im Dock2 (IHK Flensburg) eine Intensivberatung statt, bei der man Unterstützung beim Businessplan bekommt und Fördermöglichkeiten diskutiert", sagt Holger Jensen vom Dock2. Das Dock3 (Technologiezentrum Flensburg) biete mit der Infrastruktur optimale Startvoraussetzungen. Seit 2018 gehören zur VentureWærft auch zwei weitere Docks in Dänemark. "Mit der Erweiterung hoffen wir, eine ganzheitliche Region zu erschaffen, die nicht mehr künstlich von Grenzen beschnitten wird."
Ökosystem entwickeln
Und auf Landesebene? Auch hier tut sich einiges: "Wir wollen Schleswig-Holstein zu einem echten Gründerland machen", heißt es im Koalitionsvertrag. "Wir brauchen Innovation, kreative Geschäftsideen, neue Produkte und Dienstleistungen, um unsere Wirtschaft wettbewerbsfähig zu halten. Deshalb stärken wir die Gründerszene, entlasten sie von Bürokratie und sorgen für die Finanzierungsinstrumente", sagt Wirtschaftsminister Dr. Bernd Buchholz. Um das umzusetzen, hat die Regierung im März 2018 das Referat "Digitalisierung, Gründungen" eingerichtet. Eine Kernaufgabe sei die fundierte Weiterentwicklung der Digitalisierungsstrategie des Ministeriums zu einem praxisnahen Instrument. "Im Bereich Existenzgründung waren die Zuständigkeiten bislang unterschiedlichen Abteilungen zugeordnet, das ergab zu viele Reibungsverluste und ein unübersichtliches Bild nach außen", so Buchholz. Aufgabe des Referats sei es, die Rahmenbedingungen zu verbessern und für Gründergeist zu werben. "Dazu gehört es, mehr Frauen zu Gründungen zu motivieren oder für das Thema Nachfolge zu sensibilisieren", so Buchholz. Ein besonderes Augenmerk liege auf der Weiterentwicklung des "Ökosystems" für Start-ups, etwa mit einem "Accelerator", in dem etablierte Firmen Start-ups unterstützen.
Vom Land gefördert wird auch der 2017 gegründete und 18 Mitglieder umfassende Verein StartUp SH. Das Netzwerk wird bis 2021 mit 6,8 Millionen Euro unterstützt. Das Ziel: das Gründungsgeschehen noch zielgerichteter voranzubringen und mit den verschiedenen Expertisen ein großes Ganzes zu bilden. Beispielsweise stehen Themen wie Green Entrepreneurship und Social Entrepreneurship auf der Agenda. Auf der Jahresversammlung am 29. Oktober soll zudem das Thema Entrepreneurship in Schulen fokussiert werden. "Wir wollen das Thema Gründung in die Öffentlichkeit bringen: Viele Gründende bekommen viel Gegenwind zu spüren. Wir wollen zeigen, dass dieser Weg aber gar nicht so exotisch ist wie vielleicht zunächst gedacht", sagt Vereinsvorstand Dr. Anke Rasmus.
Benjamin Tietjen
Veröffentlicht am 4. Juli 2018