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Lebensadern der Energiewende
Die Windenergie ist das Rückgrat der Energiewende. Doch genutzt werden können die erneuerbaren Energien bisher nicht in vollem Umfang: Im Norden sind Stromnetze häufig überlastet, im Süden herrscht hingegen Mangel an Windstrom. Der Bau gleich mehrerer Netze soll die regenerative Energie in der gesamten Bundesrepublik verteilen - doch die Großprojekte bergen auch Herausforderungen.
Bei der Ostküstenleitung sind auch Erdkabelabschnitte vorgesehen.
© TenneT
Bis nach Bayern sollen sie reichen: Bis 2020 benötigt Deutschland mindestens 3.600 Kilometer neuer Höchstspannungsleitungen, um die Windenergie effizient in alle Bedarfsräume zu verteilen. Eine Mammutaufgabe - in den vergangenen fünf Jahren sind erst 90 Kilometer ans Netz gegangen. Schließlich soll der Anteil der erneuerbaren Energien an der Gesamtversorgung Deutschlands von aktuell 17 Prozent bis 2050 auf 80 Prozent steigen. Doch die derzeitigen Netzstrukturen müssen bundesweit dringend ausgebaut werden, da die bisherigen Leitungen längst an ihre Kapazitätsgrenzen stoßen. "Der Bedarf an Netzausbau zeigt sich am besten in der Energie, die durch das Einspeisemanagement verworfen wurde. Im Jahr 2015 wurden 4.722 Gigawattstunden elektrische Energie nicht eingespeist. Ein Großteil davon in Schleswig-Holstein. Bemerkenswert ist, dass 87,3 Prozent dieser Energie aus Windenergieanlagen gekommen wäre", sagt Professor Dr. Clemens Jauch vom Wind Energy Technology Institute der Fachhochschule Flensburg.
Während der Ausbau im Norden gut vorankommt, hapert es vor allem im Süden. "Der Stromnetzausbau in Deutschland verläuft leider sehr uneinheitlich. Schleswig-Holstein hat seine Hausaufgaben weitgehend gemacht. Bei der Westküstentrasse hat der Netzbetreiber TenneT eine gelungene Bürgerbeteiligung organisiert. Südlich der Elbe dauert der Ausbau wesentlich länger. Grund dafür ist unter anderem die aufwendigere Erdverkabelung, mit der Bürgerakzeptanz erkauft wird", sagt Ulrich Spitzer, Federführer Energie der IHK Schleswig-Holstein.
Wege nach Süden
Um die großen Mengen an Energie Richtung Süden abzutransportieren, plant und baut TenneT in Schleswig-Holstein derzeit drei Leitungen für die 380-kV-Wechselstromebene, die Gleichstromverbindungen SuedLink nach Bayern und Baden-Württemberg sowie NordLink nach Norwegen. Doch worauf kommt es bei diesen Großprojekten an? "Das Wichtigste ist, dass genau so viel Strom zur Verfügung steht, wie im selben Moment verbraucht wird. Um dieses Gleichgewicht zu gewährleisten, müssen die Leitungen entsprechende Übertragungskapazitäten aufweisen. An windreichen Tagen kommen die bestehenden Leitungen an ihre Grenzen - TenneT muss regulierend ins Netz eingreifen. Um dies zu vermeiden, muss das Stromnetz modernisiert werden", sagt TenneT-Pressesprecher Markus Lieberknecht.
Minister Robert Habeck (links) und Lex Hartman (TenneT-Geschäftsführung) beim Richtfest eines NordLink-Konvertergebäudes in Wilster
© TenneT
Die größte Bedeutung kommt zweifelsohne dem Projekt SuedLink zu, das eine Übertragungskapazität von vier Gigawatt per Erdkabel haben soll. "Damit könnten rein rechnerisch zehn Millionen Haushalte mit Strom versorgt werden", sagt Lieberknecht. Gerade in Süddeutschland wird der Strombedarf in den nächsten Jahrzehnten sehr hoch sein, da Kern- sowie konventionelle Kraftwerke vom Netz gehen. Laut TenneT kann die Gleichstromverbindung über die Konverter sehr gut gesteuert werden und so zur Stabilisierung des deutschen Stromnetzes ab 2025 erheblich beitragen. Aktuell laufe noch die Bundesfachplanung, so Lieberknecht. "TenneT untersucht dabei ein Korridornetz hinsichtlich der Eignung einzelner Korridorsegmente für den Trassenverlauf. Die exakte Trassenplanung beginnt danach."
© Quelle: TenneT
Um die Windenergie nach Süden zu leiten, baut TenneT in Schleswig-Holstein drei Wechselstromleitungen. Diese sammeln vor allem die an Land erzeugte Windenergie über die Umspannwerke ein und transportieren sie weiter: Entlang der windreichen Westküste soll die 140 Kilometer lange Westküstenleitung zwischen Klixbüll und Brunsbüttel ab 2019 Energie aufnehmen. Weiter im Landesinneren ersetzt TenneT zwischen Dänemark und Hamburg auf 150 Kilometern die bestehende Freileitung Mittelachse - so soll siebenmal so viel grüner Strom als bisher durchs Land fließen. Im Dezember ist der Abschnitt Audorf - Hamburg in Betrieb gegangen. Für die dritte Leitung, die 130 Kilometer lange Ostküstenleitung vom ostholsteinischen Göhl über Lübeck in den Kreis Segeberg, läuft derzeit das Planfeststellungverfahren - der Bauabschluss ist für Mitte 2022 angesetzt. Doch erst Anfang Januar regte sich gegen die oberirdische Ostküstenleitung Widerstand aus dem Kreis Ostholstein - laut einem Gutachten sei die geplante Leitung zu teuer und zu überdimensioniert und greife zu stark in die Natur ein. "Diese Wechselstromverbindungen transportieren den Strom direkt oder indirekt zum Netzverknüpfungspunkt Wilster. Dort werden die Konverter für Sued- und NordLink stehen", so Lieberknecht. Ein erheblicher Teil des Stroms könne so direkt nach Süddeutschland oder nach Norwegen fließen.
Aufbau eines Strommasts für die Westküstenleitung
© TenneT
Mit NordLink realisiert TenneT bis 2020 die erste direkte Stromverbindung nach Norwegen - mit 516 Kilometer See und mit 107 Kilometer Landkabel. Die 1,4-Gigawatt-Hochspannungs- Gleichstromverbindung importiert in Schwachwindzeiten Strom aus den norwegischen Wasserkraftwerken und liefert umgekehrt bei Bedarf Windstrom in Norwegens natürliche Wasserspeicher. Die Vorteile des Interkonnektors seien vielfältig: NordLink fördere die Integration des nordwesteuropäischen Energiemarkts, steigere die Markteffizienz und trage zur Stabilisierung der Energiepreise bei.
Grünes Kraftwerk
Außer der zeitnahen Umsetzung des Netzausbaus sind laut Ulrich Spitzer weitere Maßnahmen wie die Entwicklung von Smart Grids nötig, um Erzeugung und Verbrauch besser abzustimmen. "Zudem müssen bei der Sektorkopplung die regulatorischen Hürden abgebaut werden, um die Energiewende auch im Wärme- und Verkehrssektor voranzubringen", so Spitzer. Aber auch die Abschaltung konventioneller Kraftwerke birgt Herausforderungen. "Diese werden bisher gebraucht, um das Netz stabil zu halten. Wenn die elektrische Energie im Netz nicht mit einer bestimmten Spannung und Frequenz zur Verfügung gestellt wird, ist sie unbrauchbar", so Professor Jauch. Wenn Schleswig-Holstein als grünes Kraftwerk fungiere, sei es unerlässlich, dass die Energieerzeuger einen Beitrag zu den Netzstützungsmaßnahmen leisteten. Andernfalls würde Schleswig-Holstein Energie exportieren und Netzstabilität importieren.
Jauchs Kollege Professor Dr. Jochen Wendiggensen ergänzt: "Zudem müssen die Gesamtkosten auf alle Bürger verteilt werden. Bei der Energiewende handelt es sich um ein nationales Projekt - es kann nicht sein, dass die Bürger einzelner Bundesländer die Kosten allein tragen müssen. Hier sind noch Anpassungen der gesetzlichen Rahmenbedingungen notwendig."
Benjamin Tietjen
Veröffentlicht am 2. Februar 2018
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