Interview: Henrik Stiesdal

"Wichtig ist ein offener Geist!"

Seine erste Windkraftanlage hat Henrik Stiesdal in den 70er-Jahren als Teenager auf dem Bauernhof seiner Eltern konstruiert. Heute gilt der Däne als Pionier der Windenergie. Viele seiner Innovationen bilden die Grundlage moderner Windkraftanlagen. Im Interview mit dem Mitgliedermagazin spricht der Honorarprofessor über seine Erfindungen, die Zukunft der Windenergie und darüber, welche Ideen er noch umsetzen möchte.
Wirtschaft: Sie haben 1978 eine neuartige Windturbine entwickelt. Was war das Besondere an dem Konzept, wie hat es die Entwicklung der Windkraft geprägt?
Henrik Stiesdal: Zusammen mit einem Partner entwickelte ich den Vorläufer des Dänischen Konzepts: eine Windturbine, die viele technische Features in neuer Weise kombinierte, und schnell zum Best-Practice-Modell wurde. Dieses Konzept hat die Entwicklung der kommerziellen, industrialisierten Windenergie maßgeblich beeinflusst, da es einen hocheffizienten und recht einfachen Ansatz verfolgte. Zu dieser Zeit tendierten staatlich finanzierte Projekte zu komplexen Anlagen, die gerade für jene Unternehmen unrealisierbar waren, die die Entwicklung hätten vorantreiben können. Mit dem Dänischen Konzept bekamen mittelständische Unternehmen eine Anleitung für Anlagen, die sie gut umsetzen konnten.
Wirtschaft: Was waren damals die technischen Herausforderungen, die Energie des Windes in Strom umzuwandeln?
Stiesdal: Die Herausforderung war, Windkraftanlagen sicher zu machen. Das Problem lag bei der Steuerung von Windturbinen: Wenn die Generatorlast ausfällt, kann der Windturbinenrotor sehr schnell bis zur Schallgeschwindigkeit beschleunigen, bei der eine mechanische Bremse nicht mehr funktioniert. Ein Totalausfall der Turbine wäre die Folge. Das war eine große Herausforderung, die 1978 mit der Einführung der Windbremse gelöst wurde. Heutzutage ist das kein Problem mehr, da es eine andere Technologie gibt, die damals mit den kleinen Anlagen aber nicht funktionierte.
Wirtschaft: Hätten Sie damals mit der Entwicklung, die die Windkraft genommen hat, gerechnet?
Stiesdal: Nein, diesen Erfolg hatten wir nicht erwartet! Damals war es unser Ziel, unsere eigenen Häuser und Bauernhöfe zu versorgen. Später wollten wir einen bedeutenden Beitrag zur Stromversorgung im Land leisten. In den frühen 80er-Jahren peilten wir einen Anteil von zehn Prozent Windenergie an - heute sind wir in Dänemark bei 40 Prozent! Wir hatten nie damit gerechnet, jemals mit fossilen Brennstoffen zu konkurrieren.
Wirtschaft: Was ist heute anders als in den 70er- und 80er-Jahren? Wie agieren Innovatoren in der Branche?
Stiesdal: Der Entwicklungsprozess hat sich aufgrund der Produktgröße, der Technologien und der Unternehmen enorm verändert. In der Pionierzeit konnte eine einzige Person die Teile mit einem kleinen Kran zusammenbauen. Die Rotorblätter einer 30-Kilowatt-Turbine wogen 75 Kilo. Moderne Anlagen erzielen Tausende Kilowatt, Blätter wiegen bis zu 35 Tonnen. Das ist einfach eine andere Welt. Auch die beteiligten Technologien sind komplexer. Das ist der Hintergrund für die enorme Senkung der Energiekosten. Damals arbeiteten in Firmen rund fünf Ingenieure, heute sind es gleich Hunderte. Dies ändert einfach die Arbeitsweise. Heutzutage gibt es für Pioniere keinen wirklichen Platz mehr - das ist ein Nebenprodukt des industriellen Erfolgs.
Wirtschaft: Wie sehen Anlagen in der Zukunft aus?
Stiesdal: Ich denke, die Windturbinentechnologie hat mit dem dreiflügeligen Aufwindrotor ihre endgültige Form gefunden, die noch viele Eigenschaften des Dänischen Konzepts beinhaltet. Fortschritte sehe ich etwa in weiterentwickelter Aerodynamik, verbesserten Rotorblättern und größeren Türmen - was zu mehr Effizienz führt. Auch neue Steuersysteme sehe ich im Kommen: fortgeschrittene Messtechniken mit lasergesteuerten Lidar-Systemen werden Windgeschwindigkeiten Hunderte Meter vor der Turbine erfassen können. Solche vorausschauenden Techniken ermöglichen es der Turbine, im Voraus auf Böen und Änderungen der Windrichtung zu reagieren - die Blätter können so optimal ausgerichtet werden, was zu geringerem Gewicht und niedrigeren Kosten führt.
Wirtschaft: Sie planen derzeit schwimmende Offshore-Anlagen. Wie funktionieren sie?
Stiesdal: Schwimmende Windturbinen sind nicht im Meeresboden verankert, sondern werden mit einem Verankerungssystem in Position gehalten. Das ist besonders bei Wassertiefen von über 50 Metern interessant, wo es sehr teuer oder unmöglich ist, feste Fundamente zu errichten. Weitere Vorteile liegen in der Montage: Die meisten Turbinen können im Hafen installiert und zusammen mit dem Fundament zum Standort geschleppt werden. So können wir teure Errichterschiffe durch günstigere Schlepper ersetzen. Zudem besteht der Vorteil, dass die Fundamente für alle Positionen in einem Windpark identisch sein können – unterschiedliche Wassertiefen oder Meeresböden können wir mit Ankersystemen ausgleichen. Schwimmende Fundamente könnten somit in Serienproduktion gehen. Wenn eine Hauptkomponente ausfällt, kann das Fundament wieder in den Hafen geschleppt werden. Auf teure Installationsschiffe könnten wir somit verzichten.
Wirtschaft: Kann die Windkraft dahin kommen, Strom so kostengünstig wie Kohle oder Atomkraft zu produzieren?
Stiesdal: Ja, teilweise ist es schon gelungen. In Nordeuropa kann man keine Kohle- oder Atomkraftanlagen mehr errichten, die mit Wind aus Onshore konkurrieren könnten. Onshore hat diese Energieformen bereits geschlagen und auch Offshore wird bald nachziehen. Wichtig ist, dass Regierungen die Planungsbedingungen stabil halten und Auktionen ausschreiben, anstatt feste Einspeisevergütungen zu verwenden. Wettbewerb ist ein sehr starkes Werkzeug, um Kosten zu senken!
Wirtschaft: Was ist bei der Fachkräftegewinnung für die Windkraft entscheidend?
Stiesdal: Der Erfolgsfaktor ist gerade für junge Menschen sehr wichtig. Daher müssen wir es vermeiden, dass Regierungen Windkraft unsicherer darstellen, als es der Fall sein sollte. An vielen Universitäten sind Kurse für Windkraft eingerichtet worden, die sehr gute Absolventen hervorbringen. Aber es gibt noch Raum für Ingenieure mit einem allgemeinen Hintergrund in der Maschinen- und Elektrotechnik. Was zählt, ist, dass Menschen einen offenen Geist haben und engagiert sind. In meinen Vorlesungen konzentriere ich mich daher weniger auf spezifische technische Themen, sondern versuche zu vermitteln, wie man zu innovativen Lösungen gelangt.
Zur Person
Henrik Stiesdal, Jahrgang 1957, ist Honorarprofessor am Institut für Windenergie an Danmarks Tekniske Universitet. Der Däne entwarf 1978 die erste professionelle Windturbine und verkaufte die Lizenz an das Unternehmen Vestas Wind Systems A/S, bei dem er bis 1986 als Berater arbeitete. Ab 1988 war er technischer Geschäftsführer bei Bonus Energy, das 2004 von Siemens übernommen wurde. Bis 2014 baute Stiesdal Siemens Wind Power als technischer Geschäftsführer maßgeblich auf. Er ist verantwortlich für unzählige Innovationen im Bereich der erneuerbaren Energien, gewann mehrere Preise und hält mehr als 200 Patente.
Interview: Benjamin Tietjen
Veröffentlicht am 3. Februar 2017