Kiel: Naturbaustoffhandel

Baubestand neu gedacht: Mit Natur zum Bauerfolg

Naturbaustoffe sind synthetischen Baustoffen weit überlegen, sagt Christine Carstensen. Nicht nur Wohngesundheit, auch der Geldbeutel freut sich über den Einsatz natürlicher Baumittel wie Lehm, Kalk, Hanf oder Wolle. Die Inhaberin von Carsons Naturbaustoffe GmbH berät und begleitet nachhaltige Bauvorhaben.
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© Adina Merkel
„Warum haben wir unser handwerkliches Geschick und das Gespür für den richtigen Einsatz natürlicher Materialien verloren?“, fragt Carstensen und erläutert das Ziel ihres Unternehmens in der Kieler Holtenauer Straße. Dort begrüßen natürliche Lehmwände die Kunden in stimmungsvollem Licht. Produkte wie Hanfbauplatten, Hölzer, Naturpinsel und Teppiche laden zum Anfassen und Ausprobieren ein. Als ausgebildete Tischlerin, Betriebswirtin, Fachkraft für Lehmbau und Baubiologin verfügt Carstensen über fundiertes Wissen. Mit ihrem Baustoffhandel möchte sie nachhaltige Materialien bekannt machen und umfassend beraten, wie diese vorteilhaft eingesetzt werden können. Zu ihren Kunden zählen Architektinnen, Gewerbetreibende und Privatpersonen.
„Viele finden nur schwer gut aufbereitete Informationen zu Naturbaustoffen“, erklärt Carstensen. „Um nachhaltiges Bauen einfacher und greifbarer zu machen, habe ich 2023 diesen Naturhandel eröffnet.“ Das Angebot bei Carsons ist vielfältig: Lehm- und Kalkputze, Trockenbaustoffe, Wandfarben, Edelputze, Massivholzböden aus Deutschland und europäische Webteppiche sowie Dämmstoffe und Holz gehören zum Sortiment. Christine Carstensen befasst sich zudem mit Dämmung, Flächenheizungen und Oberflächentechnik. Ein anschauliches Beispiel für Innendämmung erläutert sie anhand des häufig vorkommenden Ziegelbaus in Schleswig-Holstein. „Zur Dämmung tragen wir zunächst Lehm oder Kalk als Kleber auf das Bestandsmauerwerk auf und befestigen darauf die Holzfaserplatte. Es entsteht ein fester, jedoch kreislauffähiger Verbund. Die Baustoffe arbeiten durch ihre Kapillaraktivität gezielt mit dem Wasserdampf: Er verteilt sich im Dämmstoff und anfallendes Kondensat wird durch die Platte oder den Lehm rückgeführt. Lehm ist der schnellte der schnellste Baustoff in Hinblick auf die Wasserabsorption. Im Anschluss kann entweder eine in Wandheizung aufgebracht werden oder einfach nur eine Armierungslage, die mit einem Fein- oder Edelputz abgeschlossen wird: fertig.“ Am Bauteil Außenwand konnten so mehrere bautechnische Schritte erfolgen: Wärmeertüchtigung, Flächenheizung, Oberflächentechnik und ästhetische Neugestaltung. Es wird deutlich: Eine Wand ist mehr als nur ein Trägermaterial für den Anstrich, sie gewinnt mit den Baustoffen an bautechnischen Funktionen, die Raumklima neu definieren können.
Diese Methode ermöglicht es, ohne Eingriff in die Fassadenerscheinung, mit einfachem Werkzeug, ohne gesundheitliche Risiken und mit nachvollziehbarer Bauphysik zu dämmen – ideal für Eigenbauer. Anstatt das gesamte Haus auf einmal zu dämmen, kann man Raum für Raum vorgehen, die Ergebnisse testen und die Investitionssumme über einen längeren Zeitpunkt verteilen. „Bauchtechnisch ist dieses Vorgehen schon lange erprobt“, sagt Carstensen.
Christine Carstensen legt bei der Produktauswahl großen Wert auf Transparenz. Jedes Produkt muss eine vollständige Deklaration und technische Merkblätter aufweisen, ähnlich wie bei Lebensmitteletiketten. „Ich bevorzuge mineralische und pflanzliche Baustoffe, vor allem in Pulverform, da sie ohne Konservierungsstoffe auskommen. Wenn Kunststoffe unvermeidbar sind, müssen diese genau erklärt werden.“ Die Produkte stammen überwiegend von regionalen Herstellern, sind leicht zu verarbeiten, gesundheitsschonend und senken langfristig die Betriebskosten. Sollte ein gewünschtes Produkt bei Carsons nicht verfügbar sein, berät Christine Carstensen auch über alternative Lösungen – stets mit Fokus auf bautechnische Leistung wie Absorptionsverhalten, Wärmeleitfähigkeit und Rohdichte. Viele Produkte können direkt zur Baustelle geliefert werden, während kleinere Mengen im Laden oder im Lager in Wellsee abgeholt werden können. Die Wahl des Standorts in der Holtenauer Straße erklärt die Unternehmerin damit, ihre Produkte und Beratung noch zugänglicher zu machen.
„Als Social Entrepreneurin führe ich mein Geschäft mit einem starken Wertefokus. Mein Ziel ist es, Wissen über Naturbaustoffe zu vermitteln und konkrete Lösungen anzubieten, um deren Einsatz zu fördern.“ Christine Carstensen betont, dass es ihr besonders wichtig ist, ihre Kunden auf ihrem Weg zu begleiten und ihnen das Vertrauen zu geben, natürliche Bauweisen auszuprobieren. „Damit leisten sie einen wichtigen Beitrag zur zukunftsfähigen Bauweise.“ Dabei, so erklärt sie, müsse sie oft zuerst unangenehme Wahrheiten aussprechen, um ein tieferes Verständnis für die Themen Wohngesundheit und Arbeitsgesundheit im Bauwesen zu schaffen. „Viele Kunden wollen zunächst nur die Optik ihres Raums verbessern. Ich zeige ihnen, dass es bautechnische und gesundheitsfreundliche Alternativen mit Naturbaustoffen gibt, die in der Ästhetik keine Kompromisse erfordern. Im Gegenteil: Diese Materialien sind technisch äußerst leistungsfähig.“
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© Adina Merkel
Die ersten Naturbaustoffhäuser entstanden vor etwa 40 Jahren, in einer Zeit, als die Gefahren der schädlichen Materialien wie Asbest, PCP und Lindan alltäglicher waren und im Auslauf verwendet wurden. Obwohl diese Stoffe heute verboten sind, finden sie sich oft noch in älteren Gebäuden. Naturbaustoffe stießen damals auf Interesse, doch der Durchbruch blieb aus, wie Christine Carstensen erklärt: „Das Umdenken verlief zögerlich. Gipskarton, ein weit verbreitetes, aber wenig funktionales Material, ist ein Beispiel dafür.“ Gips ist ein Abfallprodukt der Kohleverbrennung und wird wegen seiner geringen Kosten im konventionellen Bau häufig eingesetzt. Plattenwerkstoffe aus Naturmaterialien sind zwar teurer, doch Christine Carstensen sieht in ihnen eine wichtige Alternative, die auch im herkömmlichen Bauen stärker genutzt werden sollte. „Es ist immer möglich, ökologischer zu arbeiten. Ich sehe es als Aufgabe des Handwerks und der gesamten Baubranche, sich auf neue, unbekannte Materialien einzulassen.“ Besonders kritisch bewertet sie den Trend zum Vinylboden: „Baumassen sind der größte abfallwirtschaftliche Sektor. Verklebte Baumassen müssen in Unmengen deponiert oder thermisch verwertet werden. Sie sind verlorene Ressourcen. Ein Beispiel für zudem noch kritische Verbundwerkstoffe sind verklebte Bodenbeläge, wie Vinylböden. Sie sind nicht nur während der Nutzungsphase häufig ein Emissionsrisiko, sondern bereits in der Herstellung gefährlich. Für die Entsorgung bleibt nur das MVK sind aufgrund ihrer Verklebung kaum widerverwendbar, was zu Deponiemüll oder thermischer Verwertung führt. Es ist unerlässlich, sowohl Gewerbetreibende als auch Verbraucher über die langfristigen Entsorgungsprobleme aufzuklären.“ Christine Carstensen betont, dass der konventionelle Bau gut mit Naturbaustoffen im Trockenbau kombiniert werden kann. Materialien wie Kalkzement und Gipsputz könnten ihrer Meinung nach fast überall durch baubiologisch wertvolle Putze ersetzt werden. „Es ist keine Raketenwissenschaft, aber es erfordert Bereitschaft. Meine größte Sorge ist, dass die Bauqualität sinkt und das Potenzial für Kreislauffähigkeit verloren geht, wenn das Umdenken nicht konsequent umgesetzt wird.“
Christine Carstensen hat klare Vorschläge, wie die Politik den Einsatz von Naturbaustoffen fördern könnte: Sie plädiert dafür, den Kunststoffeinsatz zu minimieren, im öffentlichen Bau verstärkt auf Trockenbau mit Naturmaterialien zu setzen und eine Volldeklaration von Inhaltsstoffen zur Pflicht zu machen. Außerdem sollten die gesundheitlichen Risiken bestimmter Baustoffe stärker thematisiert und die Analyse alter Bausubstanzen in Renovierungsprojekten besser subventioniert werden. Auch eine Zuschussfinanzierung für die Beratung von Verbrauchern und Unternehmen im Bereich Naturbaustoffe wäre sinnvoll. Der konsequente Naturbaustoffhandel sollte unterstützt und als Rückgrat verstanden werden.
Die Zukunft ihres Unternehmens sieht Christine Carstensen in der Wissensvermittlung. Sie plant, den Bereich technischer und gestalterischer Raumberatungen sowie Oberflächenberatungen auszubauen, und möchte Schimmel- und Allergieberatungen sowie Leih- und Vermittlungsservices anbieten. Auch Workshops im Laden und Beratungen für Kreativschaffende, etwa zu Farben und Untergründen, stellt sie sich vor.
Trotz der Herausforderungen ist Christine Carstensen überzeugt, dass ein Wandel im Bauwesen möglich ist. Ihre Motivation zieht sie aus dem positiven Feedback ihrer Kunden: „Es freut mich, wenn meine Kunden bestätigen, dass die Veränderung der richtige Schritt war. Ich begleite sie vom Anfang bis zum Ende eines Bauprojekts und sehe meine Arbeit nicht als klassisches Kaufverhältnis.“ Für sie steht fest: Der Einsatz von Naturbaustoffen muss zunehmen und benötigt mehr Aufmerksamkeit – sowohl von der Politik als auch von der Gesellschaft.
Autorin: Julia Romanowski
Veröffentlicht August 2024