Interview: Holger Eggerichs, Cloudsters Lübeck

Vernetzte Arbeitswelt

Cloudsters ist eine Lübecker Initiative, die Menschen die Chance bietet, flexibel in Netzwerken zusammenzuarbeiten. Auch Freiberufler und Start-ups nutzen die Plattform. Eine Kernidee ist, virtuelle und reale Welt zu integrieren. Im Oktober feierte in Hamburg der vierte Cloudsters-Stützpunkt sein Richtfest. Holger Eggerichs, Vorsitzender des Trägervereins Lubeca e. V., über das Erfolgsgeheimnis, die Transformation der Arbeitswelt und die Auswirkungen auf Unternehmen.
Wirtschaft: Herr Eggerichs, Cloudsters ist eine Erfolgsstory aus Lübeck. Was ist das Rezept?
Holger Eggerichs: Wir versuchen, eine Stadt wie ein soziales, innovatives Unternehmen zu verstehen. Cloudsters sieht dabei jeden Bewohner als vollwertiges Mitglied. Das Ziel ist, miteinander zu arbeiten und einen Ort zu schaffen, an dem man aktiv werden kann.
Wirtschaft: Von wem wird Cloudsters genutzt?
Eggerichs: Man wird vermuten, dass die freien Berufe das Konzept besonders attraktiv finden. Das ist auch der Fall, aber wir haben auch ganz viele Mitglieder, die in Wirtschaftsunternehmen und Institutionen angestellt sind. Wir versuchen, all diejenigen anzusprechen, die sich selbst als eine Art Wissensunternehmer sehen.
Wirtschaft: Wie spielen virtuelles und reales Geschehen zusammen?
Eggerichs: Beides ist untrennbar miteinander verknüpft. Nach unserer Erfahrung ist das menschliche Miteinander sehr wichtig. Manchmal versteht man im "real life" innerhalb von Sekunden viel mehr über einen Menschen, als wenn man ihm nur virtuell begegnet wäre. Uns geht es um das effektive Zusammenspiel zwischen virtuellem Arbeiten und persönlichem Miteinander.
Zur Person und zum Projekt
Der gelernte Wirtschaftsingenieur Holger Eggerichs, Jahrgang 1968, hat gemeinsam mit seinem Kollegen Ole Wolfframm den Vorsitz des 2005 gegründeten Vereins Lubeca e. V. inne, der Träger von Cloudsters ist. Im Jahr 2010 wurden die ersten Räumlichkeiten in Lübeck eröffnet. Mittlerweile gibt es feste Standorte in Lübeck, Lauenburg, Rostock und Hamburg (im Bau). Die Community der Professionals im Cloudsters-Projektmarkt auf der Xing-Plattform ist mittlerweile auf über 153.000 Mitglieder angewachsen.
Wirtschaft: Nennen Sie ein Beispiel für ein typisches Cloudsters-Projekt.
Eggerichs: Es gibt unzählige kleine und große Projekte, denen in der Regel das Peer-to-Peer-Prinzip zugrunde liegt - die Beteiligten organisieren sich selbstständig. Ein Beispiel sind etwa die "Weiterbildungskrimis", die mit unterschiedlichen Weiterbildungsträgern und der Wirtschaftsförderung Lübeck produziert wurden. Aufgabe war, die Weiterbildungslandschaft in Lübeck auf humorvolle und spannende Art anhand fiktiver Kriminalgeschichten mit Lübecker Bürgern darzustellen.
Wirtschaft: Was ist das Innovative am vernetzen Arbeiten à la Cloudsters?
Eggerichs: Ein wichtiger Aspekt ist die "Share Economy", das Teilen und Tauschen als Teil eines Wirtschaftssystems. Dahinter stehen zwei Trends: eine Sehnsucht nach Nachhaltigkeit, aber auch eine sehr konsumgetriebene Neuorientierung. Denn die Menschen erkennen, dass sie nicht alles besitzen müssen, sondern nur Zugang zu bestimmten Dingen benötigen. Diese Trends unterstützen unser Modell, bei dem es auch um Teilen und Tauschen geht: von Wissen, Ressourcen, Räumen, IT-Infrastruktur oder Zugang zu potenziellen Kunden.
Wirtschaft: Ein anderer Aspekt ist die Zusammenarbeit im virtuellen Raum.
Eggerichs: Unser Ansatz ist, eine Infrastruktur aufzubauen, die nicht über Schnittstellen spricht, sondern einen "Layer" über klassische Organisationen hinweg spannt, um gemeinsam an Dokumenten zu arbeiten und Projekte zu managen. Wir benutzen viele moderne Projektmanagementmethoden wie Design Thinking, Scrum oder Kanban, die dafür prädestiniert sind, in verteilten Teams zu arbeiten.
Wirtschaft: Welche Instrumente funktionieren besonders gut?
Eggerichs: Es gibt verschiedene Werkzeuge, die wichtig sind. Dazu gehören natürlich Social-Media-Kanäle, die mittlerweile für professionelle Zwecke genutzt werden. Eine große Rolle bei der virtuellen Zusammenarbeit spielen Internettelefonie, Videokonferenzen, das Teilen von Bildschirminhalten und nach wie vor E-Mails. Wichtig ist ein cloudbasiertes Dokumentenmanagement, mit dem ich in beliebigen Teams in Echtzeit gemeinsam an Dokumenten arbeiten kann.
Wirtschaft: Sollte sich damit auch der mittelständische Unternehmer auseinandersetzen?
Eggerichs: Sicher. Wenn man die gesamte Wertschöpfung im eigenen Haus verortet, reicht es aus, auch die IT-Infrastruktur dort zu haben. Wenn ich aber realisiere, dass Kunden, die über meine Produkte im Internet diskutieren, Teil der Wertschöpfung werden, dann genügt das nicht mehr. Dann muss ich über die Unternehmensgrenzen hinwegblicken. Ein logischer Ort für solch eine IT-Infrastruktur ist die Cloud, wo alle Beteiligten auf die Daten zugreifen - ohne Abstriche bei der Sicherheit.
Wirtschaft: Viele Konzepte kommen aus der privaten Nutzung des Internets. Manches klingt immer noch wie Spielerei.
Eggerichs: Zwei Aspekte sind hier wichtig: Zum einen waren alle IT-Systeme stark hierarchisch geprägt - das ist heute nicht mehr richtig. Zum anderen haben es Unternehmen heute mit Mitarbeitern zu tun, für die es normal ist, über Smartphones komplexe Sachen zu erledigen. Das ist für viele Betriebe Neuland. Und genauso ist es für die Hersteller solcher IT-Systeme eine große Herausforderung, sich mit der Generation Facebook zu beschäftigen. Facebook-Nutzer denken in sogenannten Streams und können sich vorstellen, dass auch die Kommunikationsstruktur einer Organisation wie ein Stream sein sollte: Wenn mich ein Thema interessiert, möchte ich regelmäßig darüber informiert werden und jederzeit etwas beitragen können.
Wirtschaft: Kann eine Region von Konzepten des vernetzten Arbeitens profitieren?
Eggerichs: Sicherlich. Wir sind zum Beispiel in der Fehmarnbelt-Region sehr aktiv, unsere dänischen Freunde interessieren sich sehr für das Cloudsters-Modell. Bei einem Workshop im Rahmen des Projekts kultur-LINK entstand etwa die Idee, dass das dänische ARTLAB und Cloudsters gemeinsam das Projekt "CloudLab" etablieren, ein länderübergreifendes Kooperationsmodell.
Wirtschaft: Hilft das Cloudsters-Modell, Know-how in einer Region zu fördern?
Eggerichs: Es ist spannend zu sehen, wie viele Akteure mit unglaublich viel Fachkompetenz es in unserer Region gibt. Das war uns vorher gar nicht klar. Daraus erwächst auch für die Unternehmen der Region eine große Chance, spezifisches Wissen zu entwickeln und zu nutzen.
Interview: Klemens Vogel
Veröffentlicht am 3. Dezember 2013