Pilotprojekt in Norderstedt

Bauwende mit zementfreiem Beton voranbringen

In Norderstedt entsteht ein bundesweit einmaliges Bauprojekt – mit einem neuen zementfreien Beton will das norddeutsche Bauunternehmen AUG.PRIEN die CO2-Emissionen in der Baubranche deutlich senken.
Mehr Nachhaltigkeit in den Bau zu bringen, benötigt mitunter Mut. Denn um besonders umweltfreundliche Materialen auf Baustellen zu etablieren, braucht es die Bereitschaft, neue Wege auszuprobieren – und das alt bewährte zu hinterfragen. Ein bundesweites Pilotprojekt ist das Bauvorhaben „UBS4“. In der Ulzburger Straße in Norderstedt entstehen auf 4.000 Quadratmetern drei mehrgeschossige Wohngebäude mit 71 Mietwohnungen. Das Besondere: Bei dem Bau kommt ein neuartiger zementfreier Geopolymerbeton zum Einsatz, der eigens für dieses Bauvorhaben zugelassen wurde. Durch den Entfall des zementösen Bindemittels lassen sich die CO2-Emissionen des Betons erheblich senken, erklärt Carsten Joost, Geschäftsführer der blu Gesellschaft für nachhaltige Immobilienprojekte mbH, der den Bau realisiert.
Neben dem neuen Beton setzt die blu, Tochterunternehmen des norddeutschen Bauunternehmens AUG.PRIEN in weiten Teilen auf eine Tragwerkkonstruktion aus Holz – für die erfahrene Massivbaufirma Novum, Testversuch und Herausforderung zugleich. „Bei diesem Bau kombinieren wir unterschiedliche Komponenten miteinander und analysieren, wie sie aufeinander wirken. Unser Ziel ist einerseits, die Ökobilanz des Gebäudes durch den hohen Holzanteil bestmöglich zu optimieren, und andererseits aus dem Zusammenspiel zu lernen – letztendlich um herkömmliche Prozesse im Bauwesen zu überdenken und zu überholen“, sagt Joost.
Wir hoffen, dass wir mit diesem Projekt auch andere Firmen ermutigen können, neue Wege einzuschlagen. Für klimaneutrales Bauen müssen wir den Baustandard gemeinsam neu definieren.

Carsten Joost

Dass dieses Vorhaben Mut und Durchhaltevermögen erfordert, davon kann Joost in mehrfacher Hinsicht berichten. So habe das Zulassungsverfahren für den Beton ein halbes Jahr gedauert und den Projektfortschritt um Monate verzögert. „Wir sind mit diesem Bau ins Wagnis gegangen, weil es für den Beton noch keine Referenzen gibt. Durch Laborergebnisse können wir uns vieles herleiten und Prognosen erstellen, wie sich der Beton verhält, haben aber keine Langzeitstudien“, erklärt der studierte Architekt. So sei eine weitere Verzögerung durch winterliche Witterung entstanden. Da der Geopolymerbeton eine geringe Hydratationswärme hat, erhärtet er bei niedrigen Temperaturen deutlich langsamer. Bei den Arbeiten musste das Bauunternehmen immer wieder auf die Witterung Rücksicht nehmen. Für Joost eine der kommenden Herausforderungen der Branche: „Die nachhaltigen Baustoffe der Zukunft müssen weniger Chemie beinhalten. Dadurch sind sie anfälliger bei der Weiterverarbeitung. Künftig werden wir noch stärker vom Wetter abhängig sein, sofern wir Teile der Bauprozesse nicht in die Werkshallen verlagern“, ist sich Joost sicher.
Mit dem Wohnungsbau in der Ulzburger Straße ist die Baufirma auch ins finanzielle Risiko gegangen. Der Geopolymerbeton habe rund dreimal zu viel gekostet wie herkömmlicher Beton. Das Pilotprojekt sei nur möglich, da blu Eigentümer und Bauherr zugleich ist. „Die Verzögerungen, die mit der Neuartigkeit der Baustoffe zusammenhängen, würden bei üblichen Bauvorhaben mit einem Baustopp einhergehen – etwa wenn der Rohbau nicht zu einem bestimmten Tag fertig ist. Da wir Eigentümer sind, können wir diese Entscheidungen abwägen“, erklärt Joost.
DSC09548
Joost ist Architekt und Geschäftsführer der blu Gesellschaft für nachhaltige Immobilienprojekte mbH. Mit dem Bauvorhaben entstehen auf 4.000 Quadratmetern drei mehrgeschossige Wohngebäude mit 71 Mietwohnungen. © IHK/Tietjen
Inzwischen ist das Bauvorhaben auf der Zielgeraden. Joost zieht ein positives Fazit. Das Zusammenspiel der Baustoffe habe sich bewährt, die Qualität des Betons sei gut.
„Wir hoffen, dass wir mit diesem Projekt auch andere Firmen ermutigen können, neue Wege einzuschlagen. Für klimaneutrales Bauen müssen wir den Baustandard gemeinsam neu definieren – das sind wir auch künftigen Generationen schuldig. Wenn viele mitmachen, werden die Investitionskosten sinken und neue Potenziale offen liegen“, so Joost. Das Interesse an dem Geopolymerbeton sei groß. Das Land Schleswig-Holstein ernannte das Bauvorhaben bereits zum Modellvorhaben, will das klimaneutrale Bauen fördern und an den Erkenntnissen des Pilotprojekts teilhaben.
Autor: Benjamin Tietjen
Veröffentlicht August 2024