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Kunst aus der Sprühdose
Schrill, bunt, manchmal ganz schön wagemutig: Graffitikunst, in den 1980er-Jahren noch Subkultur, ist zu einem ausdrucksstarken Aspekt urbaner Kultur geworden. Geschäftsmodelle von Graffitikünstlern sind gefragt: Die oft fälschlich als illegal eingestufte "Schmiererei" ist heute erfolgreiche Kulturwirtschaft. Unternehmen profitieren davon.
An der Veloroute 10 in Kiel erfreut Walt Disneys Dschinni die Radfahrer.
© Uwe Lehmann Photographiemanufaktur
Die Spraydose klackert, Farbstöße landen an der Hauswand: Christoph Kröger ist nicht illegal in der Nacht unterwegs und taggt Fassaden. Es ist Mittag, und der Graffitikünstler arbeitet an einer Häuserreihe im Kieler Stadtteil Gaarden. “Sprayen wird zum Mittel gegen Vandalismus. In der Szene respektiert man, dass man die Kunst von anderen nicht übermalt oder verunstaltet”, so Kröger. “Immobilienbesitzer geben uns ihre Flächen und freuen sich, dass sie nicht nur schöne Kunst an der Wand haben, sondern sich auch wenig darum sorgen müssen, dass andere ihre Wände bemalen.”
Seit mehr als 20 Jahren ist Kröger im Graffitigeschäft tätig und seit 2016 selbstständig, erstellt vor allem Auftragsarbeiten für Privat- oder Gewerbekunden. Er bildet mit Lennart Krohn und Timo Hackfurth das Team Vanartizm: “Wir sind in der norddeutschen Szene aktiv. In unserer Jugend haben wir mit Graffitis als Hobby begonnen, der Übergang in die Professionalität war fließend: Wir wurden immer besser und die Kunst unsere Arbeit.” Wo früher szenetypisch Schriftzüge vorherrschten, entstehen jetzt detaillierte Kunstwerke. Drinnen oder draußen, Leinwände, Garagentore, Bunkerwände, Autos, Transformatorhäuschen. In Elmshorn, Flensburg, Kiel, Lübeck und Glückstadt sind Werke von Vanartizm verbreitet.
Aufwertung fürs Quartier
Dass Graffitikunst an Beliebtheit gewinnt, bestätigt Lars Oumar, Niederlassungsleiter der B + M Baustoff + Metall Handels-GmbH: “Der Vermieter sagte uns, dass er ein Herz für Graffitikünstler habe und daher die Halle freigegeben habe - außerdem möchte er so unschöne Schmierereien verhindern.” Die Hallen des Betriebs gehören zu den bekanntesten Graffitiorten in Kiel: Ihre Rückseiten entlang der Fahrradstraße Veloroute 10 sind Kunstfläche. In der Innenstadt sorgen Bilder weiterer Künstler für Aufmerksamkeit: Am Mehrfamilienhaus im Gustav-Schatz-Hof prägt ein Graffiti die Wand. Matthias Ottke von der Frank Siedlungsbaugesellschaft mbH & Co.: “Unsere Graffitis sind schon mehr als 20 Jahre alt und daher etwas in die Jahre gekommen. Wir waren damals Pioniere. Über all die Jahre haben sich die Bewohner immer über die Aufwertung für das Quartier gefreut.”
Trotzdem fehle es an Differenzierung: “Mit klassischem Graffiti, das man im Stadtbild als hässlich abtut, hat unsere Kunst nichts zu tun”, sagt Kröger. “Sprayen ist verrufen; sobald man eine Dose sieht, holen viele Menschen die Polizei, wir werden kontrolliert. Würden wir mit Pinseln malen, würde das nicht passieren.” Dabei werben die Werke für sich: Am Kieler Theodor-Heuss-Ring leuchtet eine Wiesenlandschaft mit Bienen an einer Häuserzeile, an der Ecke der Georg-Pfingsten-Straße schwimmen bunte Segelschiffe als Hommage an den maritimen Charakter der Landeshauptstadt, und der denkmalgeschützte Sandkrugbunker trägt ein Gemälde der Göttin Justitia, eine Friedenstaube und Pusteblumen. “Die Bilder sind nie von der Stange”, so Kröger.
Autorin: Julia Romanowski
Veröffentlicht: September 2020
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Julia Romanowski