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"Abläufe erlebbar machen"
Immer häufiger setzen Unternehmen im Personalmarketing auf "Recrutainment", den Einsatz spielerischsimulativer Elemente. Joachim Diercks (44), Geschäftsführer der Hamburger Cyquest GmbH, hat ein Buch darüber geschrieben. Das IHK-Magazin sprach mit ihm über modernes Ausbildungsmarketing.
Joachim Diercks
© Cyquest
Wirtschaft: Für viele Unternehmen ist Nachwuchsgewinnung ein ernstes Problem. Recrutainment hört sich nach Spaß an. Wird das dem Ernst der Lage gerecht?
Joachim Diercks: Ja, denn man darf das nicht fehlinterpretieren und ins Belanglose ziehen. Recrutainment dient nicht der Unterhaltung, sondern es macht Unternehmen und interne Abläufe transparenter, erlebbarer. So wird Bewerbern im Vorwege klarer, was auf sie zukommt.
Wirtschaft: Was leistet Recrutainment, was andere Auswahlstrategien nicht leisten können?
Diercks: Es ist eine realistische Jobvorschau. Es birgt auch die Möglichkeit, dass der Bewerber negativ überrascht ist. So sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass man sich für den falschen Arbeitgeber entscheidet. Für Unternehmen erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass sich der passende Kandidat bewirbt.
Wirtschaft: Im Zentrum steht der Begriff Gamification. Was heißt das im Personalmarketing?
Diercks: Dabei werden Spieltechniken übertragen auf etwas, das kein Spiel ist. Beispielsweise Storytelling: Wir erzählen Geschichten aus dem Berufsleben, machen einen virtuellen Unternehmensrundgang. Ein anderes Beispiel: Stufe eins zu einem Ideenwettbewerb für angehende Steuerberater findet online statt. Mit einer bestimmten Punktzahl qualifiziert sich der Teilnehmer für den Wettbewerb. Das Unternehmen lernt so die gute Seite des Bewerbers kennen.
Wirtschaft: Ist das nur etwas für Konzerne? Oder können auch kleinere Betriebe Recrutainment-Elemente wirkungsvoll einsetzen?
Diercks: Die Frage wird mir oft gestellt. Wenn eine aufwendige App gestaltet wird, kostet das natürlich. Aber es geht ja um die Denkweise dahinter. So könnte ein kleines Reisebüro, das alle drei Jahre einen Azubi sucht, von Bewerbern eine einseitige Abhandlung anfordern. Thema: Ein Kunde hat eine Reise nach Kanada gebucht, möchte jetzt aber lieber nach Ibiza. Was tun Sie? Auch das ist Recrutainment – ein ernsthaftes Spiel, wenn man so will. Entscheidend ist der konkrete Anforderungsbezug, die multimediale Gestaltung folgt.
Wirtschaft: Wie ändert die Digitalisierung schon heute und künftig das Ausbildungsmarketing?
Diercks: Zum einen gibt es eine Verschiebung der Macht. Unternehmen müssen sich dem Bewerber vorstellen, nicht umgekehrt, denn es gibt Bereiche, in dem es keine oder wenige Bewerber gibt. Es wird aufwendiger, Auszubildende anzuwerben. In der IT-Branche sind Bewerber und Unternehmen schon auf Augenhöhe: Gescheite IT-Fachleute können sich aussuchen, wo sie arbeiten wollen, und die Konditionen diktieren. Zum anderen werden Teile des Zusammenfindens von Bewerber und Unternehmen automatisiert, etwa durch Assessment- oder Matching-Tools, mit denen vorab online aussortiert wird. Ich hoffe, dass dadurch wieder mehr Freiraum entsteht für das persönliche Vorstellungsgespräch.
Interview: Kristina Schröder
Veröffentlicht am 5. Mai 2017
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Benjamin Tietjen