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Neue Schritte fürs Recruiting
Der Fachkräftemangel in Deutschland stellt Unternehmen vor immer größere Herausforderungen. Um qualifizierte Mitarbeitende zu finden und zu binden, spielt gutes Recruiting eine zentrale Rolle – und um im Wettbewerb erfolgreich zu sein, müssen Unternehmen ihre Recruiting-Strategien anpassen, weiß Jakob Strehlow, Social-Media-Experte aus Kiel.
Dazu gehöre zum Beispiel, die eigene Arbeitgebermarke zu stärken, um attraktiver für potenzielle Mitarbeitende zu werden, so Strehlow. „Auch Stellenanzeigen und Bewerbungsprozesse sollten optimiert werden, um die richtigen Kandidatinnen und Kandidaten anzuziehen und zu überzeugen. Der Wandel vom Arbeitgebermarkt zum Arbeitnehmermarkt ist längst erfolgt.“
© Jakob Strehlow
Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber sollten sich bewusst sein, dass nur etwa zehn Prozent der Beschäftigten aktiv nach einem Job suchen – meist auf Portalen wie StepStone und Indeed, so Strehlow. „Ein Großteil der unzufriedenen Arbeitnehmer ist jedoch passiv auf der Suche und sollte daher am besten dort angesprochen werden, wo sie sich sowieso aufhalten: auf Social-Media-Plattformen.“ Grundsätzlich funktionieren klassische Jobportale wie die Jobbörse der Arbeitsagentur, StepStone, Indeed und Co. weiterhin vor allem für Personen, die sich selbst aktiv auf Jobsuche begeben. Strehlow betont: „Alle anderen potenziellen Arbeitnehmerinnen und -nehmer sollten dort erreicht werden, wo sie sich sowieso aufhalten, und das über Push-Marketing. Plattformen wie Facebook, Instagram, YouTube und TikTok spielen heute dabei eine so große Rolle wie nie zuvor.“ Der Schlüssel: unzufriedene Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer so schnell wie möglich von den echten Vorteilen des eigenen Unternehmens überzeugen und Bewerbungsprozesse unkompliziert gestalten, da soziale Netzwerke vor allem auf Mobilgeräten genutzt werden.
Der Wandel vom Arbeitgebermarkt zum Arbeitnehmermarkt ist längst erfolgt.Jakob Strehlow
Im Grunde bewerbe sich ein Unternehmen mittlerweile bei den potenziellen Mitarbeitenden, nicht andersherum, so der Experte. Daher können Plattformen ideal genutzt werden, um das eigene Unternehmen mit dessen Werten und den aktuellen Mitarbeitenden zu präsentieren und dann konkrete Stellen auszuschreiben. Strehlow erklärt: „Offene Stellen können auf dem eigenen Profil veröffentlich werden oder aber auch durch bezahlte Kampagnen an die richtige Zielgruppe ausgespielt werden. Durch kurze Lead-Formulare oder sogenannte Funnel mit grundlegenden Fragen lassen sich die Bewerbungsprozesse sehr gut automatisieren und Vorqualifikationen können einfach integriert werden. Ein beliebtes Tool sind zum Beispiel Perspective Funnel.“ Hierbei werden Bewerberinnen und Bewerber einfach durch einen Prozess geleitet, der weniger als fünf Minuten dauert und grundlegende Daten abfragt. Der Vorteil: Bewerbungsunterlagen fallen weg. Das sei vor allem im Hinblick auf die meist mobile Anwendung der Nutzerinnen und Nutzer extrem wichtig, um die Hürden für eine Bewerbung möglichst gering zu halten. „Zusätzlich können wir sehen, an welcher Stelle Nutzerinnen und Nutzer aus dem Funnel aussteigen und hier eine direkte Optimierung vornehmen, um den Prozess noch zu verbessern.“ ierbei
Wie gutes und unterhaltsames Recruiting aussehen kann, zeigte kürzlich das Team von GB Gartenbau in Willich mit ihrem Video in Anlehnung an das erfolgreiche YouTube-Format 7 vs. Wild. Das Unternehmen informiert nicht nur, was es den Mitarbeitenden zu bieten hat, sondern vermittelt auch ein klares Betriebsklima – und das spreche die Sprache der relevanten Zielgruppe, weiß Strehlow. „Eine große Herausforderung bleibt es weiterhin, junge Nachwuchskräfte für Jobs zu gewinnen. Deswegen dürfen wir Plattformen, auf denen sich diese Personen aufhalten, nicht vernachlässigen“, erläutert Strehlow weiter. „Wir konnten für den dänischen Ferienhausanbieter Esmark über eine TikTok-Kampagne mehr als 150 Bewerbungen für Stellen als Reinigungskräfte gewinnen – bei Kosten pro Bewerbung unter 30 Euro.“ Diese Kampagne schaffte es sogar als Best Practice auf die internationale Übersichtsseite für Inspiration von TikTok-Kampagnen.
Ein Erfolg, der auf Strategie basiert, weiß Experte Strehlow: „Die Ansprache sollte immer entsprechend der unterschiedlichen Plattformen ausfallen und im besten Fall aktuelle Trends aufgreifen. Das zeigt, inwiefern sich Unternehmen mit ihren Mitarbeitenden auseinandersetzen und identifizieren können. Klar ist: Nicht nur junge Menschen können über Social Media angesprochen werden. Die Plattformen eignen sich für Recruiting-Kampagnen in fast allen Branchen.“ Strehlows Agentur konnte zum Beispiel im Dezember 2022 mit einem Budget von 800 Euro innerhalb von zwei Wochen 37 Bewerbungen für die Stelle als Mitarbeitende der Qualitätssicherung in der Industrie generieren.
Ziel eines guten Mitarbeitermanagements sollte jedoch nicht nur die Stellenbesetzung sein, so der Experte weiter. Langfristig sollten Unternehmen ein gutes Employer Branding aufbauen, um die Bindung der Mitarbeitenden zu fördern. „Um Mitarbeitende zu halten, ist eine positive Arbeitsumgebung wichtig, die offene und ehrliche Kommunikation, Respekt und die Möglichkeit für Karriereentwicklung bietet. Kriterien wie Wertschätzung und Betriebsklima sind wichtiger als Bezahlung“, sagt Strehlow. „Fachkräfte wollen sich mit den Werten des Betriebs identifizieren – arbeiten nur um der Arbeit willen war gestern.“ Der Begriff Work-Life-Balance werde von vielen als Synonym dafür verwendet, jüngeren Generationen ein Nicht-mehr-arbeiten-wollen zu unterstellen. Allerdings gehe es eher darum, dass Arbeitnehmerinnen und -nehmer ihre Arbeit heute besser mit ihrem Leben vereinbaren möchten, um auch die Energie zu haben, ihre Aufgaben möglichst produktiv zu erledigen. Strehlow: „Möglichkeiten wie flexible Arbeitszeiten und -orte sollten dazugehören, Fortbildungen, das Involvieren in Entscheidungsprozesse und monetäre Gesten wie Boni, Weihnachts- und Urlaubsgeld.“
Der Fachkräftemangel ließe sich für Unternehmen also nur damit bekämpfen, sich mit ihren Mitarbeitenden und deren Werten und Ansprüchen auseinanderzusetzen. „Sie müssen Benefits liefern, die nicht nur aus einem Obstkorb und Gratis-Kaffee bestehen, sondern echte Wertschätzung vermitteln. Lange Zeit hat das vielleicht anders funktioniert, dennoch werden sich die Arbeitgeberinnen und -geber durchsetzen, die neue Schritte wagen und nicht in alten Mustern stecken.“
Autorin: Julia Romanowski
Veröffentlicht: März 2023
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Kristina Böttcher-Rath