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Neu auf dem Arbeitsmarkt
Der Krieg mit Russland hat viele Ukrainerinnen und Ukrainer dazu veranlasst, ein neues Leben in einem fremden Land zu beginnen. Eine Geflüchtete, ein Unternehmer und die Bundesagentur für Arbeit berichten, wie Integration im Unternehmen gelingen kann.
Anna Paramonova ist aus der Ukraine nach Flensburg geflüchtet.
© VISUELLVERSTEHEN/LARS FRANZEN
Mit dem Morgen des 24. Februar 2022 begann der andauernde Krieg zwischen Russland und der Ukraine. Noch am selben Tag verlässt Anna Paramonova mit ihrem Partner ihr Heimatland. „Bereits in den Wochen zuvor entschieden wir, aus der Ukraine zu flüchten, sollte der Ernstfall eintreten“, sagt die 24-Jährige. Ihre Flucht führte sie zunächst nach Bukarest. “Der Ort war unwichtig. Wir wollten nur raus.”
In Rumänien angekommen, suchte sie nach einer passenden Arbeit im UX-/UI-Design (ein Bereich des Webdesigns zum Optimieren der Nutzererfahrung). „Die Anzahl der Jobs in dem Bereich war dort sehr gering, weshalb ich als Freelancerin arbeitete.“ Für Paramonova war klar, dass sie nicht langfristig in Bukarest leben möchte. “Neben der schwierigen beruflichen Perspektive fand ich kaum Anschluss. Ich fasste den Entschluss, nach Deutschland zu gehen, weil es hier bessere Arbeitsmöglichkeiten gibt und ich einen kleinen Teil der Sprache und Kultur durch den Unterricht in der Schule kannte”, so die gebürtige Ukrainerin. Sie schrieb mehr als 40 Bewerbungen an Firmen aus ganz Deutschland.
Eine Zusage erhielt sie von der visuellverstehen GmbH in Flensburg. Das Unternehmen und die Stadt überzeugten sie. „Meine Kollegen hießen mich direkt willkommen. Sie sind alle sehr hilfsbereit und offen“, sagt Paramonova. Hürden gab es keine: “Es war überraschend, wie einfach es ist, hier arbeiten zu dürfen. Die Formalien wie etwa Visa, Krankenversicherung oder Bankkonto waren schnell geregelt.” Auch die Kommunikation funktioniert. “Die meisten Menschen sprechen sehr gut Englisch. Ich habe nur wenige kennengelernt, die Schwierigkeiten haben.” Heute ist sie froh, den mutigen Schritt gewagt zu haben. “Ich bin sehr dankbar für die Chance. Alle geben sich sehr viel Mühe, damit ich mich wohlfühle”, sagt Paramonova.
Ich hoffe, dass auch andere Unternehmen diese Chance nutzen, um in dieser Krise gemeinschaftlich zu helfen.
(Sören Riechmann)
Mehr als 6.000 Ukrainerinnen und Ukrainer sind aktuell in Schleswig-Holstein arbeitslos gemeldet. “Wir erleben in den Jobcentern nicht nur, dass zahlreiche Geflüchtete aus der Ukraine eine Beschäftigung aufnehmen möchten, auch die hiesigen Unternehmen sind bereit, sie einzustellen. Nun liegt es an uns, gemeinsam eine Perspektive für sie und die Betriebe zu schaffen”, sagt Markus Biercher, Chef der Regionaldirektion Nord der Bundesagentur für Arbeit.
Rechtlich seien zwar alle Voraussetzungen für eine Arbeitsaufnahme geschaffen, doch die größte Herausforderung sehe er im Spracherwerb. "Die Sprache ist der entscheidende Schlüssel zu gesellschaftlicher Teilhabe. Sie ist auch zentral, wenn sich Geflüchtete um Stellen bewerben möchten, die ihren Qualifikationen entsprechen. Wir arbeiten daher eng mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zusammen.” 2.800 Geflüchtete besuchen aktuell Sprach- und Integrationskurse. 400 weitere Schutzsuchende sind laut Biercher bereits in Betrieben beschäftigt. “Dort arbeiten sie in Bereichen, für die gute Sprachkenntnisse nicht zwingend notwendig sind. Das betrifft vorwiegend das Bau- und Gastgewerbe.” Integration ist für ihn aber nicht einseitig zu meistern. Biercher: “Damit sie glückt, ist eine betriebliche Fürsorgekultur notwendig, die sensibel für die oft bedrückenden Erlebnisse der Geflüchteten und ihre alles andere als einfache aktuelle Situation ist.” Hierzu gehöre auch, dass Führungskräfte Inklusion im Unternehmen vorlebten. “Zahlreiche Ukrainerinnen und Ukrainer werden nicht nur langfristig in Deutschland bleiben, sie können perspektivisch auch einen wichtigen Beitrag zur Arbeits- und Fachkräftesicherung leisten. Damit dies gelingt, sind allerdings nicht nur die Betriebe, sondern alle Arbeitsmarktpartner gefordert.”
Wie es in der Praxis auf unternehmerischer Seite funktioniert, zeigt die visuellverstehen GmbH. “Seit unserer Gründung vor zehn Jahren arbeiten wir daran, ein offenes und diverses Team aufzustellen", sagt Geschäftsführer Sören Riechmann. Er möchte für seine 30 Mitarbeitenden Arbeitsplätze schaffen, an denen sich alle wohlfühlen. “Es ist nur fair, wenn für jeden Raum und Zeit vorhanden ist, um die Probleme zu teilen. Die Kommunikation ist der Schlüssel”, so der Geschäftsführer. Deshalb setzt das Unternehmen etwa auf inklusive Sprache im Büro und lässt Stellenausschreibungen von unterschiedlichen Personen begutachten und - sofern sinnvoll - übersetzen. Zudem wurde das Weihnachtsfest in Winterfest umbenannt, um alle Kulturen und Religionen einzubeziehen. “Um die besten Ergebnisse zu erzielen, müssen alle Mitarbeitenden mitgenommen werden. Das klappt nur, wenn wir bei uns in der Führungsebene beginnen und es vorleben”, sagt Riechmann.
Sören Riechmann
© VISUELLVERSTEHEN/LARS FRANZEN
Er ist froh, Anna Paramonova in seinem Unternehmen eingestellt zu haben: “Sie bereichert unser Team ungemein und wir sind froh, dass wir einen kleinen Teil dazu beitragen konnten, ihr eine bessere Perspektive in Deutschland zu schaffen. Ich hoffe, dass auch andere Unternehmen diese Chance nutzen, um in dieser Krise gemeinschaftlich zu helfen.”
Joana Detlefs
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Joana Detlefs