Ausbildung voranbringen

In Fachkräfte investieren

Unternehmen, die Ausbildung voranbringen, wirken dem Fachkräftemangel entgegen und positionieren sich als attraktive Arbeitgeber. Die Wirtschaft hat mit drei Ausbildungsbetrieben gesprochen, die besondere Wege gehen.
Die meisten Abiturienten denken bei der Suche nach dem passenden Beruf nicht sofort an eine Ausbildung im Einzelhandel. “Deshalb hat die Rewe Group bereits vor 35 Jahren das Abiturientenprogramm ins Leben gerufen, um explizit diese Zielgruppe anzusprechen“, sagt Julia Persch, Referentin im Ausbildungsbereich bei der Rewe Markt GmbH in Norderstedt. Im Rahmen des Programms absolvieren die Abiturienten die Ausbildung im Einzelhandel in eineinhalb statt in drei Jahren. Anschließend können sie sich in 22 Monaten nebenberuflich zum Handelsfachwirt weiterbilden. “Unser Ziel ist es, potenzielle Führungskräfte auszubilden. Perspektivisch möchten wir das Fundament dafür legen, dass sie als Kaufleute bei Rewe selbstständig ihren eigenen Markt führen“, erklärt Persch, die das Abiturientenprogramm in Norddeutschland betreut. Die “Abis“, wie Persch sie nennt, müssen ein straffes Programm absolvieren, um die zwei Abschlüsse zu erreichen. Neben der Vollzeitstelle im Markt vermittelt Persch ihnen den für die Prüfung zum/zur Kaufmann/-frau im Einzelhandel relevanten Stoff in internen Seminaren.
“Die Berufsschule besuchen sie gar nicht, weshalb die ‚Abis‘ viel Selbststudium leisten müssen“, so die Referentin. Bei guten Leistungen steht den Abiturienten die Weiterbildung zum Handelsfachwirt offen. Anschließend besuchen sie die Führungskräfte-Akademie von Rewe. Dort wird ihnen das nötige Handwerkszeug für ihre Führungsposition vermittelt. Voraussetzungen für das Abiturientenprogramm sind gute Noten und bestenfalls Praxiserfahrungen. “Probearbeiten oder ein Praktikum vorab sind vorteilhaft, damit derjenige weiß, worauf er sich einlässt“, so Persch. “Viele kommen auch über ihre Nebenjobs als geringfügig Beschäftigte auf das Programm.“ Sie selbst fand auf diesem Weg zur Rewe Group.
Mit einer betriebseigenen Lehrwerkstatt und einem unterstützendem Seminarkonzept investiert die Nord-Spedition GmbH & Co. KG in Großenwiehe bei Flensburg in die Ausbildung ihrer angehenden Berufskraftfahrer. Das Transportunternehmen möchte so dem Fahrermangel entgegenwirken. “Wir können die Bedingungen im Straßenverkehr und auf den Rastplätzen nicht ändern, deshalb versuchen wir, die Ausbildung bei uns im Betrieb attraktiv zu gestalten und den Azubis viel zu bieten“, so Branca Hansen, Personalmanagerin bei der Nord-Spedition. Bis die angehenden Kraftfahrer ihren Lkw-Führerschein in der Tasche haben, vermittelt Ausbilderin Laura Lüdemann ihnen im internen Fortbildungsprogramm Praxis und Seminar die praktischen und theoretischen Grundlagen. Ein- bis zweimal im Monat vertieft die gelernte Berufskraftfahrerin mit den Azubis die Inhalte aus der Berufsschule oder übt Aufgabenstellungen aus der Praxis. „Ich gebe ihnen alles an die Hand, was sie brauchen, um gute Kraftfahrer zu werden. Die Bandbreite reicht vom Schreiben eines Unfallberichts bis zur Funktionsweise der Bremse“, sagt Lüdemann.
Auszubildende mit Fluchthintergrund dürfen früher Feierabend machen, um die Deutsch-Nachhilfe von der Kreishandwerkerschaft in Flensburg in Anspruch zu nehmen. Vor den Prüfungen bereitet die ehemalige Berufskraftfahrerin alle Azubis in einem zweiwöchigen Kurs extra auf diese vor. Sobald die angehenden Kraftfahrer den Führerschein haben, fahren sie vier Wochen bei einem Ausbildungsfahrer mit. “Den Beruf kann nicht jeder machen. Unsere Fahrer bilden unser Fundament - ohne sie könnten wir unseren Betrieb nicht aufrechterhalten“, so Lüdemann. “Deswegen bringen wir ihnen so viel Wertschätzung entgegen und richten so einen starken Fokus auf die Ausbildung“, ergänzt Hansen.
Das Bauunternehmen Dirk Kage GmbH in Hohenlockstedt bildet eine Auszubildende in Teilzeit zur Verkäuferin aus und orientiert sich damit an ihrem individuellen Lerntempo. Lea Westphal hat eine Lernschwäche. Bevor sie die Ausbildung begann, absolvierte sie ein Einstiegsqualifizierungsjahr im gleichen Betrieb. “Lea hat sich sehr bemüht und gute Arbeit geleistet, aber wir haben gemerkt, dass eine Vollzeitstelle zu viel von ihr fordert, ihr keine Freude bereitet“, sagt Ausbilderin Arietta David. “Durch ihre Schreib- und Lernschwäche benötigt sie mehr Zeit beim Lernen und ihre Konzentration schwindet schnell.“ Gemeinsam mit Arietta David betreut Lea Westphal den Deko- und Einrichtungsladen Kage-Home, der durch einen Online-Shop ergänzt wird.
Sie nimmt die Ware entgegen, macht die Preisauszeichnung und die Warenpflege. “Lea erledigt alles, was zum Einzelhandel dazugehört, durchläuft aber auch alle anderen Abteilungen wie Buchhaltung und Marketing“, so David. Die Auszubildende arbeitet neben einem Berufsschultag vier Tage die Woche von 8 bis 12 Uhr im Betrieb. Durch die Teilzeitstelle dauert die Ausbildung ein halbes Jahr länger. Zudem nimmt sie im Rahmen der Assistierten Ausbildung flexibel (AsAflex) an zwei Nachmittagen pro Woche an Nachhilfeunterricht teil, um die Abschlussprüfungen erfolgreich meistern zu können. “Ich finde es toll, dass diese Zielgruppe auch außerhalb des Betriebs unterstützt wird“, sagt David. Sie ist sich sicher, dass Lea Westphal eine gute Verkäuferin wird.
Aenne Boye
Veröffentlicht am 4. Mai 2022