Medieninformation vom 24. Mai 2024
EU-Medizinprodukteverordnung (MDR) stellt regionale Unternehmen weiter vor Herausforderungen
Am Sonntag, dem 26. Mai, läuft eine weitere Übergangsfrist im Rahmen der EU-Medizinprodukteverordnung (MDR) aus: Auch für die sogenannten „Legacy-Devices“ (Bestandsprodukte) müssen nun Anträge auf Zertifizierung vorliegen. Die Übergangsfrist war eine Ausnahme, die im Nachhinein beschlossen wurde, um Herstellern und Zertifizierungsstellen mehr Zeit einzuräumen. Die IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg hatte die Ausnahme begrüßt.
„Gleichzeitig lösen die vielen nachträglichen Ausnahmen und verlängerte Fristen nicht die strukturellen Probleme der Verordnung,“ so IHK-Vizepräsident Thomas Butsch und Geschäftsführer von HebuMedical. „Gleichzeitig schaffen die Änderungen auch weitere bürokratischen Pflichten. Dazu kommt, als Hersteller den Überblick zu behalten, was jetzt genau gilt.“ So trete zeitnah eine weitere Änderungsverordnung in Kraft. Diese enthalte unter anderem eine Mitteilungspflicht für die Hersteller bestimmter Medizinprodukte, wenn sie die Lieferung vorübergehend oder dauerhaft einste
llen.
„Während kurzfristig neue Pflichten für Unternehmen eingeführt werden, funktioniert die digitale Infrastruktur der EU-Kommission EUDAMED immer noch nicht vollständig. Hier trifft Bürokratie auf fehlende Digitalisierung. So löst man die Probleme, die die MDR geschaffen hat, nicht,“ kritisiert IHK-Hauptgeschäftsführer Thomas Albiez. „Man sollte zudem das generell herausfordernde Umfeld für die Unternehmen bedenken: weiter hohe Energiepreise im internationalen Vergleich, viele neue Berichtspflichten im Rahmen des Green Deal, der Dauerbrenner Fachkräftemangel und zunehmende geopolitische Spannungen.“
Die IHK hat
gemeinsam mit der Clusterorganisation MedicalMountains Ende 2023 die Auswirkungen der MDR unter den Herstellern erhoben. Demnach sind 53 Prozent aller Produktsortimente zumindest teilweise als Reaktion auf die erhöhten Anforderungen an die Zertifizierung in der EU eingestellt worden. Das bedeutet, dass einzelne Produkte, ganze Produktlinien oder sogar komplette Sortimente vom Markt verschwinden. Vorrangig betroffen sind chirurgische Instrumente, etwa für Operationen an Herz, Gehirn und Nerven. Dicht gefolgt von Instrumenten für die Zahnmedizin, die Pneumologie/Intensivmedizin sowie die Thorax- und Unfallchirurgie.
Für viele davon gibt es aktuell keine gleichwertige Alternative. Das schadet direkt dem Patienten, vor allem Kindern, da der Markt hierfür recht klein ist. Die Verordnung erreicht so genau das Gegenteil, davon, was sie sich zum Ziel gesetzt hat: Das Patientenwohl zu stärken.
Warum ist das so? Thomas Butsch erläutert: „Im Durchschnitt sind die durchschnittlichen Kosten zur Erstellung der Technischen Dokumentation um 111 Prozent gestiegen. Darunter fallen Personalkosten, Laborleistungen und Studien. Gleichzeitig hat sich die Verfahrensdauer im Schnitt extrem erhöht, mehr als die Hälfte der Unternehmen berichten von doppelt so langen Zertifizierungsverfahren. Diese ist weiterhin von Problemen geprägt: In den Zulassungsstellen fehlen Personal und digitale Prozesse. Nur 24 Prozent der Benannten Stellen haben ihren Zertifizierungsprozess vollständig digitalisiert. Wobei man sicherlich bezweifeln kann, dass aus etwas Schlechtem etwas Gutes wird, wenn man es digital statt analog anbietet. Zudem wird auch die Verordnung regelmäßig unterschiedlich ausgelegt – Planungs- und Rechtssicherheit sehen anders aus.“
Als Folge fahren viele Unternehmen ihre Innovationstätigkeit zurück, mehr als die Hälfte hat konkrete Projekte auf Eis gelegt. Das betrifft nicht nur die Neuentwicklung von Produkten, sondern auch die Verbesserung des Bestandes. Wenn ein Instrument signifikant verändert wird, muss es erneut zertifiziert werden, was sich bei den gestiegenen Kosten oft nicht mehr rechnet.
Unternehmen planen zudem vermehrt klinische Studien außerhalb der EU durchzuführen. Drittstaaten werden auch für Erstzulassungen sowie F&E-Standorte attraktiver – vor allem die USA. „Für die USA spricht aktuell, an was es uns in der EU gerade mangelt: schnelle Zulassungsverfahren, deren angemessenes Kosten-Nutzenverhältnis und klare regulatorische Anforderungen“, so Thomas Butsch.
Die Folgen seien vor allem für die Region Schwarzwald-Baar-Heuberg spürbar: „Besonders kleine Unternehmen können die EU-Anforderungen nicht stemmen. Sie stellen mehr Produkte ein als die großen, vor allem in den Nischen. Das ist nicht gesund für unsere Wirtschaftsstruktur und ich hoffe, dass die bürokratiebedingte Marktbereinigung nicht noch mehr Fahrt aufnimmt. Die Vorschläge der Wirtschaft für eine Verbesserung liegen seit langem auf dem Tisch – spätestens jetzt, wenn der Schaden der Verordnung im Leben der Gesellschaft ankommt, ist es Zeit, sie aufzugreifen.“