Sustainable Finance? Was ist das?
Der menschengemachte Klimawandel ist eine drängende Herausforderung, die ein entsprechendes Gegensteuern erforderlich macht. Schätzungen der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) gehen davon aus, dass die Transformation aller Wirtschaftssektoren zur Klimaneutralität in Deutschland fünf Billionen EUR, bzw. 190 Mrd. EUR pro Jahr an Investitionen bis 2045 erfordern. Auch wenn es große Unsicherheiten bei solchen Schätzungen gibt, ist klar, dass zur Erreichung von Klimaneutralität massive Investitionssteigerungen benötigt werden.
Um eine solche Lenkung und Erhöhung der Investitionsvolumina zu erreichen, gibt es verschiedene Optionen. Fast alle Ökonomen schlagen die Bepreisung der externen Effekte, sei es durch Steuern oder Zertifikate, vor, weil diese Methode als die effizienteste gilt. Die EU hat sich entschieden, neben der Bepreisung noch ein weiteres Instrument, nämlich die Steuerung des Finanzsystems, einzusetzen.
Der Begriff Sustainable Finance beschreibt die Umlenkung der Finanzströme in nachhaltige Unternehmen durch Finanzintermediäre, also vor allem Banken, und umfasst deutlich mehr Ziele als nur die Reduzierung der CO2-Emissionen. Mit den Abkürzungen E (environment), S (social) und G (governance) werden umfassende Ziele im Bereich der Umwelt, der Sozialstandards und der Unternehmensführung verbunden.
Die zentrale Rolle von Finanzsystemen ist die Allokation von Kapital, also die Lenkung von Investitionen. Diese Aufgabe hebt den Finanzsektor in eine herausgehobene Position innerhalb einer Volkswirtschaft. Genau deswegen versucht die EU, durch umfangreiche Regulierungen (z. B. ESG-Taxonomie, Sustainable Finance Disclosure Regulation (SFDR), Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD)) das Finanzsystem zur Umlenkung der Investitionsströme in nachhaltige Projekte zu bewegen.
Um diese zu identifizieren, müssen die Unternehmen über die Nachhaltigkeit ihrer wirtschaftlichen Aktivitäten ausführlich berichten. Dazu dient die Nachhaltigkeitsberichterstattung nach der CSRD. Die Banken müssen dann ihre Kredite in nachhaltige und nicht nachhaltige Geschäfte unterscheiden. Auch wenn die Bankenaufsicht bisher noch keine aufsichtsrechtlichen Vorgaben daraus ableitet, soll allein die geschaffene Transparenz die Investitionen in nachhaltige Projekte umlenken.
Derzeit ist erst ein kleiner Teil der geplanten Regulierungen in Kraft gesetzt worden. Doch es zeigt sich bereits, dass die ESG-Daten auf dem Kapitalmarkt nachgefragt werden. Anleger erhalten Informationen für ihre Entscheidungsfindung und Unternehmensbewertung. Die ESG-Berichterstattung hilft also auf den Kapitalmärkten, nachhaltige Investitionen besser zu identifizieren. Damit werden die volkswirtschaftlichen Kosten legitimiert, die bei der Erhebung der Daten entstehen.
Die meisten Ökonomen sehen die Nutzung des Finanzsystems zur Erreichung von Nachhaltigkeitszielen jedoch kritisch und schreiben ihr höchstens eine begleitende Rolle zu. In der traditionellen Theorie sind Finanzierung und Investitionen voneinander getrennt. So lässt sich eine „grüne“ Anleihe nicht verursachungsgerecht einem Vermögensgegenstand zuordnen, der auch über andere Finanzierungen im selben Unternehmen, wie dem internen Cashflow, hätte erworben werden können. Die Parallelität von zwei Instrumenten, also CO2-Preisen und der Sustainable Finance-Maßnahmen, für das gleiche Nachhaltigkeitsziel könnte sogar zu Problemen führen und die Klimaschutzinvestitionen reduzieren.
Deutlich wird auch, dass der Ansatz der EU-Nachhaltigkeitsstrategie auf die Funktionsweise von Kapitalmärkten ausgerichtet ist, wo viele potenzielle Anleger öffentlich informiert werden müssen. Aber die mittelständischen Unternehmen sind zumeist auf Bankkredite angewiesen. Durch das Hausbankenprinzip wird der Bankenfinanzierung zudem eine längerfristige Ausrichtung zugeschrieben, die weniger auf kurzfristige Gewinnsteigerungen orientiert ist. Damit käme die Finanzierung von Investitionen in die Nachhaltigkeit durch Hausbanken der EU-Strategie eigentlich entgegen, da gerade diese Projekte eine langfristige Perspektive benötigen.
Die von der EU eingeführten Offenlegungsverpflichtungen können mittelfristig die Finanzierung von Nachhaltigkeitsinvestitionen über Kapitalmärkte verbessern. Aber es ist wegen der hohen Kosten unwahrscheinlich, eine größere Zahl der mittelständischen Unternehmen an den Kapitalmarkt zu bringen. Daher müssen für nicht kapitalmarktorientierte Unternehmen bessere Lösungen gefunden werden.
Die Finanzierung der wenig standardisierten Geschäftsmodelle und Unternehmensstrukturen des Mittelstands fällt Banken mit ihrem auch regionalen Verständnis für diese Unternehmen leichter. Banken sollten individuell und spezifisch definieren können, welche Informationen sie benötigen, um die ESG-Risiken ihrer Kreditnehmer einschätzen zu können. Auch die Dokumentation dieser Daten kann dann wegen der Nicht-Veröffentlichung vereinfacht bleiben.
Gerade die Finanzierung der Transformation, also nicht nur die Eingruppierung in „braune“ und „grüne“ Investitionen, sondern die Definition von unternehmensspezifischen Verbesserungen in der Nachhaltigkeit, lässt sich durch Hausbanken besser gestalten. Dafür muss die Regulierung in Richtung „Prinzipien statt Detailregeln“ verändert werden. So könnte die Einbeziehung von – von der Aufsicht geprüften – ESG-Risikomodellen der Banken und die aufsichtsrechtliche Förderung von Krediten, die an bestimmte Nachhaltigkeitsziele gebunden sind, zur Finanzierung der Transformation den mittelständischen Unternehmen die notwendigen Investitionen erleichtern.
Autor: Jan Greitens – DIHK