Europäische Nachhaltigkeitsberichtsstandards – die neuen Maßstäbe?

Große kapitalmarktorientierte Kapitalgesellschaften oder ihnen gleichgestellte Personenhandelsgesellschaften mit mehr als 500 Mitarbeitern sind seit einigen Jahren verpflichtet, einen nicht finanziellen Bericht zu erstellen, der sich u. a. auch auf bestimmte Umwelt-, Arbeitnehmer- und Sozialbelange bezieht. Dabei ist bisher lediglich vorgegeben, welche Informationen die Unternehmen aufnehmen müssen. Freigestellt bleibt ihnen, ob sie diese Daten auf Basis eines Standards erheben und nach welchem Standard sie dies tun.
Unternehmen konnten bisher den für sie am besten geeigneten Standard auswählen, denn der Markt der Nachhaltigkeitsstandards bietet von internationalen Regelwerken über branchenbezogene Standards bis hin zu eher national orientierten Regularien mit unterschiedlichen Schwerpunkten für jeden das Passende. Diese Flexibilität endet nun für Unternehmen, die künftig den erweiterten Nachhaltigkeitsbericht erstellen müssen.
Europa hat sich für einheitliche europäische Nachhaltigkeitsberichtsstandards, so genannte European Sustainability Reporting Standards (ESRS), entschieden. Diese europäischen Nachhaltigkeitsberichtsstandards werden für alle Unternehmen verbindlich sein, die einen Nachhaltigkeitsbericht erstellen müssen. Nach der sogenannten Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) haben künftig die bereits heute zur Nachhaltigkeitsberichterstattung verpflichteten Unternehmen weitaus ausführlicher zu berichten. Aber auch alle großen Kapitalgesellschaften oder ihnen gleichgestellte Unternehmen, unabhängig von ihrer Kapitalmarktorientierung, sind verpflichtet, in absehbarer Zeit einen Nachhaltigkeitsbericht zu erstellen. Daneben müssen auch kleine und mittlere kapitalmarktorientierte Unternehmen und bestimmte Unternehmen mit Sitz in einem Drittstaat, welche große Tochterunternehmen oder kleine und mittlere kapitalmarktorientierte Tochterunternehmen oder bestimmte Zweigniederlassungen in einem Mitgliedstaat haben, Nachhaltigkeitsberichte aufstellen. Die neue Nachhaltigkeitsberichterstattung tritt gestaffelt – abhängig von der Größe bzw. abhängig von den Eigenschaften der Unternehmen – in Kraft.
Die Nachhaltigkeitsberichterstattung wird künftig durch die europäischen Nachhaltigkeitsberichtsstandards konkretisiert, die von der EU-Kommission als europäische delegierte Verordnung erlassen werden und damit direkt in den Mitgliedstaaten anwendbar sind.

Zeitplan und Übersicht der Standards

Nachhaltigkeitsberichtsstandards /
European Sustainability Reporting Standards (ESRS)
Standard
Bearbeitungsstand
Verabschiedung durch Europäische Kommission geplant bis
ESRS
(sog. Set 1)
Prüfung durch Europäische Kommission
30.06.2024
sektorspezifische ESRS
(sog. Set 2)
Entwicklung durch EFRAG, Entwürfe vorauss. Frühjahr/Sommer 2023
30.06.2024
ESRS für
kapitalmarktorientierte kleine und mittlere Unternehmen
(sog. Set 2) sowie bestimmte kleine und nicht komplexe Institute und firmeneigene Versicherungs-/ Rückversicherungsunternehmen
30.06.2024
ESRS für
bestimmte Drittstaatsunternehmen
(sog. Set 2)
30.06.2024
Leitlinien
für nicht kapitalmarkt-orientierte kleine und mittlere Unternehmen
Entwicklung durch EFRAG
Das erste Set für Entwürfe für die Nachhaltigkeitsberichtsstandards wird derzeit von der Europäischen Kommission geprüft. Entwickelt wurden die Entwürfe von der European Financial Reporting Advisory Group (EFRAG). Diese fachlichen Stellungnahmen der EFRAG werden von der Europäischen Kommission bei der Entwicklung der delegierten Verordnungen berücksichtigt. Nach Vorlage der allerersten Entwurfsfassung im Jahr 2022, noch vor der formalen Verabschiedung der Nachhaltigkeitsberichterstattungsrichtlinie, hat die IHK-Organisation diese kritisch geprüft und festgestellt, dass die ersten Entwürfe aus überwiegender Sicht weder praktikabel noch verhältnismäßig für die überwiegende Mehrzahl der Unternehmen waren. Dabei standen der vorgesehene Adressatenkreis, der unklare verpflichtende Berichtsinhalt, der Umfang an geforderten Datenpunkten und Abweichungen von der künftigen Richtlinie und den Entwürfen der geplanten Internationalen Nachhaltigkeitsstandards im Fokus – um nur einige Argumente zu nennen.
EFRAG hat die ersten Standardentwürfe nochmals überarbeitet und im November 2022 der Europäischen Kommission übermittelt, die nun ihrerseits die Standardentwürfe des ersten Sets prüft und dann als delegierte Verordnung erlassen wird. Auch die nochmals überarbeiteten Standardentwürfe sind für die überwiegende Mehrzahl der Unternehmen, die künftig einen Nachhaltigkeitsbericht bzw. einen erweiterten Nachhaltigkeitsbericht erstellen müssen, weder verhältnismäßig noch praktikabel. Die IHK-Organisation hat daher nochmals entsprechenden Überarbeitungsbedarf angeregt.

Inhalte der derzeit der Europäischen Kommission vorliegenden Standardentwürfe (Set 1)

Übergreifende Standards
Umwelt
Soziales
Governance
ESRS 1
General requirements
(Allgemeine Anforderungen)
ESRS E 1
Climate change
(Klimawandel)
ESRS S 1
Own workforce
(Eigene Belegschaft)
ESRS G 1
Business conduct
(Geschäfts-gebaren)
ESRS 2
General disclosure
(Allgemeine Angaben)
ESRS E 2
Pollution
(Umweltverschmutzung)
ESRS S 2
Workers in the value chain
(Beschäftigte in der Wertschöpfungskette)
ESRS E 3
Water & marine resources
(Wasser und Meeresresourcen)
ESRS S 3
Affected communities
(Betroffene Gemeinschaften)
ESRS E 4 Biodiversity & ecosystems
(Biodiversität und Ökosysteme)
ESRS S 4
Consumers & end-users
(Verbraucher/ Endnutzer)
ESRS E 5
Resource use & circular economy
(Kreislaufwirtschaft)

(Die Entwürfe gibt es bisher nur in englischer Sprache. Mit Erlass durch die EU-Kommission werden sie dann auch in deutscher Sprache zur Verfügung stehen.)
Die übergreifenden Standardentwürfe enthalten allgemeine Anforderungen und Grundsätze: Dazu gehört etwa, welche Informationen über das Unternehmen und seine Organisation nötig sind, welche für alle Unternehmen verpflichtend sind, welche nur bei Wesentlichkeit erforderlich sind, was unter doppelter Wesentlichkeit zu verstehen ist. Außerdem sind Grundsätze darüber enthalten, auf welche Informationen in den ersten Jahren verzichtet werden kann sowie ob und welche Verweise möglich oder Vergleichswerte erforderlich sind. Ergänzt werden diese übergreifenden Standards mit verschiedenen Anlagen bzw. erläuternden Papieren. Die themenspezifischen Standards zu Umwelt, Soziales und Governance sehen entsprechende weitere Datenpunkte und Informationen vor.
Ergänzend zu den bereits derzeit der Europäischen Kommission vorliegenden Standardentwürfe (Set 1) sollen laut CSRD noch sektorspezifische Standards (Set 2) von EFRAG vorbereitet und entwickelt werden. Auch für die Mutterunternehmen mit Sitz in einem Staat außerhalb der Europäischen Union, die unter bestimmten Voraussetzungen einen Nachhaltigkeitsbericht erstellen und offenlegen müssen, sollen noch separate Standardentwürfe (Set 2) vorgelegt werden. Zudem sieht die CSRD Erleichterungen für kapitalmarktorientierte kleine und mittlere Unternehmen sowie bestimmte kleine und nicht komplexe Institute und bestimmte firmeneigene Versicherungs- und Rückversicherungsunternehmen vor. Diese können den Umfang ihres Nachhaltigkeitsberichts beschränken – für diesen Zweck sollen nach der CSRD spezifische europäische KMU-Nachhaltigkeitsberichtsstandards (Set 2) erlassen werden. Die kapitalmarktorientierten kleinen und mittleren Unternehmen haben zudem die Möglichkeit für Geschäftsjahre, die vor dem 1. Januar 2028 beginnen, auf ihren Nachhaltigkeitsbericht zu verzichten. Nutzen diese Unternehmen dieses „opt-out“, so müssen sie in ihrem Lagebericht angeben, warum die Nachhaltigkeitsberichterstattung nicht vorgelegt wurde.
Autorinnen: Annika Böhm, Cornelia Upmeier – DIHK