Wirtschaftslage als Alarmsignal: Konjunktur im Keller
Nachdem die wirtschaftliche Entwicklung in Rheinland-Pfalz seit Frühsommer auf niedrigem Niveau stagniert und der ersehnte Aufschwung ausgeblieben ist, zeigt die Konjunktur nun vor dem Winter wieder nach unten. Die Lage ist weiter angespannt, der Ausblick von Unsicherheit geprägt. Das zeigt die jüngste Konjunkturumfrage der Industrie- und Handelskammern in Rheinland-Pfalz: Der IHK-Konjunkturklimaindex, das Stimmungsbarometer für aktuelle Geschäftslage und Perspektiven der gewerblichen Wirtschaft, rutscht um 9 auf 88 Punkte, und entfernt sich damit wieder weiter von der 100-Punkte-Marke, der Grenze zwischen positiver und negativer Gesamtstimmung. Der Abschwung hält damit seit Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine an.
Geschäftslage der Unternehmen bricht ein, Erwartungen kontinuierlich pessimistisch
Die aktuelle Geschäftslage der Unternehmen in Rheinland-Pfalz ist damit so schlecht wie seit dem Corona-Herbst 2020 nicht mehr. 28 Prozent der Betriebe schätzen ihre Lage als gut ein (Frühsommer 2023: 29 Prozent), 25 Prozent als schlecht (Frühsommer 2023: 19 Prozent), und 47 Prozent beurteilen ihre Lage als weiterhin gleichbleibend (Frühsommer 2023: 52 Prozent). Der Saldenwert aus positiven und negativen Antworten liegt damit unter dem Wert der Vorumfrage (Frühsommer 2023: 10 Prozent) und sogar unter dem Vorjahreswert (Herbst 2022: 6 Prozent). Immerhin die aktuelle Finanzlage der Betriebe scheint stabil: 60 Prozent geben an, dass ihre Finanzlage unproblematisch ist.
Die Geschäftserwartungen der Unternehmen hatten sich nach dem dramatischen energiepreisbedingten Einbruch im Herbst 2022 bis zum Frühsommer zwar etwas stabilisiert, diese Entwicklung setzt sich jedoch nicht fort. Im Gegenteil: 55 Prozent und damit über die Hälfte der Unternehmen rechnen mit einer höchstens gleichbleibenden und 35 Prozent sogar mit einer schlechteren Geschäftsentwicklung. Mit -25 ist der entsprechende Saldo damit weiter ins Negative gefallen (Frühsommer 2023: -14 Prozent). Die Aussichten der Betriebe für die kommenden zwölf Monate erreichen somit zwar nicht das Allzeittief aus dem Herbst 2022 (-51 Prozent), bleiben aber längerfristig im negativen Bereich. Arne Rössel, Hauptgeschäftsführer der IHK-Arbeitsgemeinschaft Rheinland-Pfalz, führt dazu aus: „Bereits der Sommer hat erwarten lassen, dass es um die Wirtschaft nicht gut bestellt ist. Das bestätigt sich nun. Weniger Aufträge, Kostendruck, fehlendes Personal und dazu die vielen Debatten in der Politik: All das führt dazu, dass bei den Unternehmen Frust und Verunsicherung vorherrschen.“
Viele Risiken, wenig Wachstumsimpulse
Die Gründe für die schlechte Stimmung sind vielfältig: Mit 60 Prozent belegt der Fachkräftemangel Platz eins der größten Geschäftsrisiken. Dicht darauf folgen die Energiepreise (57 Prozent), der Inlandsabsatz (55 Prozent) und die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen (54 Prozent) sowie die Arbeitskosten (51 Prozent). Damit werden fünf von zehn der abgefragten Geschäftsrisiken von über der Hälfte der Unternehmen als Gefahr für die betriebliche Entwicklung angegeben. Zum Vergleich: In der Vorumfrage waren das nur bei drei Faktoren – den Energiepreisen (61 Prozent), dem Fachkräftemangel (60 Prozent) und den Arbeitskosten (50 Prozent) – der Fall gewesen.
Entsprechend restriktiv sind auch die erwarteten Investitionen (74 Prozent der Betriebe mit gleichbleibenden oder geringeren Investitionsabsichten) und die Beschäftigtenerwartung (85 Prozent mit gleichbleibenden oder geringeren Beschäftigungsabsichten). Und auch die Exporterwartungen der Industrie brechen vor dem Hintergrund der schwächelnden Weltkonjunktur weiter ein: 81 Prozent der Industrieunternehmen rechnen mit gleichbleibenden oder geringeren Ausfuhren von Gütern ins Ausland. „Die Betriebe sehen sich mit mehr Risiken von unterschiedlichen Seiten konfrontiert. Das ist beunruhigend, denn nirgendwo gibt es wirklich Entlastung“, stellt Rössel fest. „Entsprechend zurückhaltend sind Unternehmen mit der Ausweitung von Kapazitäten und bei der Innovation von Produkten. Der Handlungsspielraum und die Planungssicherheit sind zu begrenzt.“
Blick in die Branchen
Lag die Industrie im Frühsommer 2023 mit 98 Punkten noch über dem gesamtwirtschaftlichen Konjunkturklimaindex in Rheinland-Pfalz, verzeichnet die Branche nun den größten Rückgang und liegt mit einem Konjunkturklimaindex von 86 Punkten unter der gesamtwirtschaftlichen Klimaindex. Insbesondere in der energieintensiven Vorleistungsgüterindustrie verschlechtert sich die Stimmung maßgeblich (-20 Punkte). Der Handel hat sich mit einem Konjunkturklimaindex von 83 Punkten im Vergleich zum Frühsommer um 4 Indexpunkte verschlechtert. Vor dem Hintergrund der Inflation und der damit verbundenen Konsumzurückhaltung der Kunden bereitet hier der Inlandsabsatz der Mehrheit der Handelsunternehmen (66 Prozent) Sorge. Die Dienstleistungsbranche hat mit einem Konjunkturklimaindex von 95 Punkten (Frühsommer 2023: 104 Punkte) schließlich noch die beste Grundstimmung und sorgt für etwas Stabilisierung in der Konjunktur. Überraschend resilient zeigt sich auch die Bauwirtschaft. In dieser Branche erreicht der Konjunkturklimaindex 84 Punkte und steigt damit um 6 Punkte im Vergleich zum Frühsommer (78 Punkte).
Vertrauen in die Wirtschaftspolitik sinkt
Auffällig ist zudem, dass sowohl in der Industrie als auch in der Dienstleistungsbranche die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen bei den Geschäftsrisiken an zweiter Stelle genannt werden. Rössel sieht hier ein verheerendes Signal: „Die Unternehmerinnen und Unternehmer sind zusehends ratlos, wenn nicht gar entnervt. Hohe Energiepreise, die Folgen des demografischen Wandels, bürokratische Belastungen, marode Infrastrukturen, hohe Arbeitskosten – die Liste an strukturellen Problemen ist lang, doch in der Wirtschaftspolitik wird diese komplexe Gemengelage noch zu sehr ausgeblendet oder gar verschärft. Die Politik muss für wirkliche Reformen sorgen. Nur so kann das Vertrauen in den Wirtschaftsstandort – und damit auch die Konjunktur – wieder gestärkt werden.“
Die Umfrage lief von 11. September bis 12. Oktober 2023. Teilgenommen haben 925 Unternehmen mit rund 164.000 Beschäftigten.