„Bündel an Krisen trifft Region mit aller Wucht“
IHK für Rheinhessen sieht Wirtschaft vor Belastungsprobe – Geschäftserwartungen zum Herbst 2022 brechen ein
21.10.2022 – Die Wirtschaft in Rheinhessen steht vor einer der stärksten Belastungsproben der vergangenen Jahrzehnte. „Es ist ein ganzes Bündel an Krisen, das unsere Wirtschaft mit aller Wucht trifft“, sagt Günter Jertz, Hauptgeschäftsführer der IHK für Rheinhessen. Neben der Corona-Pandemie und dem Krieg in der Ukraine bringen Lieferengpässe, Personalmangel und die explodierenden Energie- und Rohstoffpreise Betriebe in Existenznot. Die Anzeichen einer drohenden Rezession verstärken sich. Das zeigt die Konjunkturumfrage der Industrie- und Handelskammer für Rheinhessen (IHK) zum Herbst 2022: Demnach ist der Konjunkturklimaindex, Gradmesser für die wirtschaftliche Entwicklung in der Region, auf 77 Punkte eingebrochen – den schlechtesten Wert seit Beginn der Befragung vor rund 20 Jahren.
„Ob Handel, Dienstleistungen oder Industrie – die Krisenstimmung geht quer durch alle Branchen“, stellt IHK-Hauptgeschäftsführer Jertz fest. „Zusätzlich sehen sich die Unternehmen vor einen wachsenden Bürokratie-Berg gestellt.“ Ob mit Blick auf die Lieferketten oder das Arbeitsrecht – es koste die Unternehmen zunehmend Zeit und Geld, alle Dokumentationspflichten zu erfüllen. „Und das in einer Zeit, in der die Betriebe ohnehin gleich mehrere Kraftakte stemmen müssen.“
Geschäftslage noch stabil – Erwartungen brechen ein
Immerhin zeigt sich die Geschäftslage der befragten Unternehmen in Rheinhessen zum Zeitpunkt der Befragung im Frühherbst noch relativ stabil: 27 Prozent melden eine gute, 56 Prozent eine befriedigende und 17 Prozent eine schlechte Geschäftslage. Aber die Erwartungen der Unternehmen für ihre Geschäftsentwicklung in den kommenden zwölf Monaten brechen deutlich ein: Nur noch 8 Prozent rechnen mit einer besseren Geschäftslage, 37 Prozent hoffen auf eine gleichbleibende Entwicklung und 55 Prozent befürchten einen Rückgang.
Energie- und Rohstoffpreise weiterhin größtes Risiko
Die Befragung der IHK macht deutlich, wie groß der Druck auf die Betriebe ist. Als größtes Risiko für ihre wirtschaftliche Entwicklung in den kommenden zwölf Monaten nennen 82 Prozent die Energie- und Rohstoffpreise, gefolgt vom Fachkräftemangel (58 Prozent) und den weiteren Auswirkungen des Ukrainekriegs (57 Prozent). Gut die Hälfte der Unternehmen macht sich Sorgen um die Inlandsnachfrage und die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen – deutlich mehr als in den Umfragen davor. Die weitere Entwicklung der Corona-Pandemie rückt bei der Risikobewertung weiter in den Hintergrund und wird nur noch von gut einem Drittel der Betriebe genannt.
Betriebe müssen gestiegene Energiepreise weitergeben
Auf die Frage, wie die Unternehmen auf die hohen Strom-, Gas- und Kraftstoffpreise reagieren, antworten 55 Prozent, dass sie die gestiegenen Kosten zum Großteil an ihre Kunden weitergeben müssen. 44 Prozent der Betriebe reagieren mit weiteren Investitionen in Energieeffizienzmaßnahmen, 13 Prozent weichen auf andere Energieträger aus, 12 Prozent reduzieren die Produktion oder die Angebote und 3 Prozent planen eine Verlagerung der Produktion. Lediglich 12 Prozent der befragten Unternehmen sind nicht oder kaum von den gestiegenen Energiekosten betroffen.
Mangel an Fachkräften und Auszubildenden ist hoch
Die IHK-Befragung zeigt auch, dass Unternehmen mit Blick auf den Fachkräftemangel selbst in der zurzeit unsicheren Lage an ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern festhalten: 17 Prozent der Betriebe planen in den kommenden zwölf Monaten sogar zusätzliches Personal einzustellen, 62 Prozent gehen von gleichbleibenden Beschäftigtenzahlen aus und 21 Prozent wollen ihren Personalstamm reduzieren. Dabei gestaltet sich die Suche nach Beschäftigten für viele Unternehmen schwierig: So geben 55 Prozent an, offene Stellen längerfristig – mehr als zwei Monate – nicht besetzen zu können. Nur 15 Prozent haben keine Schwierigkeiten bei der Besetzung neuer Stellen und 30 Prozent haben derzeit keinen Personalbedarf.
Industrie stark von der Energiekrise betroffen
Durch die energieintensiven Produktionen ist die Industrie in der Region besonders von den hohen Kosten und der unsicheren Versorgung mit Gas und Öl betroffen. Dies belegen auch die Rückmeldungen der Industriebetriebe in Rheinhessen zur aktuellen Geschäftslage: Nur noch 19 Prozent bezeichnen ihre Lage als gut, 61 Prozent als befriedigend und sogar 20 Prozent als schlecht. Auch die Einschätzungen der Geschäftserwartungen für die nächsten zwölf Monate sind düster: 8 Prozent der Industriebetriebe planen mit einer besseren Geschäftslage, 33 Prozent gehen von einer gleichbleibenden Entwicklung aus und 59 Prozent befürchten eine schlechtere Lage.
Handel muss schwindende Kaufkraft der Kunden hinnehmen
Die hohen Energiepreise und die steigende Inflation führen zu einer schwindenden Kaufkraft der Kunden, die auch der Handel verkraften muss. Lediglich 20 Prozent der befragten Einzel- und Großhandelsunternehmen in Rheinhessen melden eine gute aktuelle Geschäftslage, 60 Prozent eine befriedigende und 20 Prozent eine schlechte Lage. Auch die Einschätzung der Entwicklung für die kommenden zwölf Monate ist pessimistisch: 9 Prozent der Betriebe kalkulieren mit einer besseren Geschäftslage, 30 Prozent rechnen mit einer gleichbleibenden Lage und sogar 61Prozent denken, dass die Lage sich verschlechtert.
Dienstleister befürchten nachlassende Auftragssituation
Die Ergebnisse der befragten Unternehmen aus dem Dienstleistungssektor fallen ein wenig besser aus als in den anderen Branchen. 36 Prozent der Betriebe berichten von einer guten aktuellen Geschäftslage, 51 Prozent von einer befriedigenden und 13 Prozent von einer schlechten Situation. Aber auch der Blick der Dienstleister auf die Entwicklung in den kommenden zwölf Monaten ist geprägt von der unsicheren Lage: Nur noch 9 Prozent rechnen mit besseren Geschäften, 43 Prozent mit keiner Veränderung und 48 Prozent befürchten eine nachlassende Auftragssituation.