Arbeitsrecht
Das Arbeitsrecht ist einer der wenigen Rechtsbereiche, welcher noch nicht durch ein neues Gesetzbuch reformiert worden ist. Das Arbeitsgesetzbuch von 1971 ist noch immer in Kraft, wenn auch mit vielen Änderungen.
Ein neues Arbeitsgesetzbuch wird seit vielen Jahren diskutiert, und vor dem Hintergrund der Angleichung an EU-Recht bestehen auch Chancen, dass ein neues Arbeitsgesetzbuch in naher Zukunft verabschiedet werden könnte. Der derzeit vorliegende Entwurf ist in manchen Bereichen arbeitgeberfreundlicher und flexibler.
Das derzeitige ukrainische Arbeitsrecht ist weitgehend obligatorisch. Verträge zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern dürfen daher keine Bestimmungen enthalten, die die in der Arbeitsgesetzgebung definierte Rechtsstellung des Arbeitnehmers verschlechtern. Passiert dies dennoch, ist der Vertrag ungültig. Im Folgenden sollen die wichtigsten Bestimmungen von Arbeitsverträgen kurz erläutert werden:
I. Arbeitsvertrag
Ein Arbeitsvertrag kann sowohl in schriftlicher als auch in mündlicher Form geschlossen werden. Der Arbeitsvertrag muss schriftlich abgeschlossen werden, wenn unter anderem
- die Arbeit im Rahmen des Arbeitsvertrags mit einem hohen Gesundheitsrisiko verbunden ist
- der Arbeitsvertrag in der besonderen Form eines Arbeitskontrakts geschlossen wird;
- der Mitarbeiter die Schriftform wünscht;
- der Arbeitnehmer minderjährig ist;
- der Arbeitgeber eine natürliche Person ist
Befristete Vereinbarungen können nur ausnahmsweise abgeschlossen werden, wenn die Art der Arbeit eine unbefristete Vereinbarung nicht zulässt (z.B. um einen vorübergehend abwesenden Arbeitnehmer zu ersetzen) oder wenn das Gesetz diese Möglichkeit ausdrücklich vorsieht (z.B. bei besonderen Arten von Vereinbarungen wie Arbeitskontrakten (siehe sogleich), Saisonarbeit).
Wenn keine der Parteien den befristeten Arbeitsvertrag kündigt und der Arbeitnehmer nach Ablauf der Vertragsdauer seine Arbeit fortsetzt, gilt der Arbeitsvertrag als auf unbestimmte Zeit verlängert. Der so genannte Arbeitskontrakt (im ukrainischen Arbeitsrecht und in der ukrainischen Sprache wird zwischen "Vertrag" und "Kontrakt" unterschieden) ist eine besondere Form des Arbeitsvertrags, der nur mit bestimmten Angestellten, wie z.B. Geschäftsführern, abgeschlossen werden kann. Arbeitskontrakte sind etwas flexibler als Arbeitsverträge, insbesondere in Bezug auf
- die Dauer des Vertrags;
- Rechte und Pflichten der Parteien
- Haftung der Parteien;
- Bedingungen des Kontrakts, einschließlich der vorzeitigen Beendigung
Beim Abschluss von Arbeitsverträgen kann eine Probezeit von 1 Monat (einfache Mitarbeiter) bzw. 3 Monaten (höher qualifizierte Mitarbeiter) vereinbart werden. Während der Probezeit kann ein Arbeitnehmer wegen mangelnder Qualifikation entlassen werden. Arbeitet der Arbeitnehmer nach Ablauf der Probezeit weiter, so gilt die Probezeit als bestanden. Danach ist die Beendigung des Arbeitsverhältnisses nur in Übereinstimmung mit den allgemeinen Regeln zulässig. Jeder Arbeitnehmer hat Anspruch auf mindestens 24 Kalendertage bezahlten Urlaub pro Kalenderjahr (Feiertage nicht eingeschlossen).
Der Anspruch auf vollen Jahresurlaub entsteht nach sechs Monaten des ersten Arbeitsjahres im Falle einer ununterbrochenen Beschäftigung im Unternehmen. Vor Ablauf dieses Sechsmonatszeitraums kann dem Arbeitnehmer ein Teil des Jahresurlaubs im Verhältnis zur geleisteten Arbeitszeit gewährt werden. Später wird der Urlaub jederzeit in Übereinstimmung mit dem üblicherweise intern festgelegten Urlaubsplan gewährt. Der Arbeitnehmer muss mindestens zwei Wochen vor dem festgelegten Urlaubsbeginn über den Urlaub informiert werden, wenn der Arbeitgeber von seinem Recht Gebrauch macht, den Urlaub festzulegen (Betriebsurlaub). Der Jahresurlaub kann auf Antrag des Arbeitnehmers in einzelne Teile aufgeteilt werden, wobei mindestens ein Teil des Urlaubs 14 Kalendertage oder mehr betragen muss.
Während der Kriegszeit hat das Parlament eine besondere Form des Arbeitsvertrags eingeführt - den Arbeitsvertrag mit nicht festgelegter Arbeitszeit. Nach dem Vertrag kann der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nach Bedarf beschäftigen. Jedenfalls muss der Arbeitgeber mindestens 32 Arbeitsstunden zum vereinbarten Stundensatz bezahlen. Der Vertrag kann zusätzliche Gründe für die Kündigung vorsehen. Der Arbeitgeber darf nicht mehr als 10% der Gesamtanzahl der Arbeitnehmer nach so einem Vertrag beschäftigen.
Für die Dauer der Kriegszeit hat das Parlament außerdem Regelungen über sog. „vereinfachte Arbeitsverhältnisse“ eingeführt. Diese Arbeitsverträge dürfen von Arbeitgebern mit durchschnittlich nicht mehr als 250 Personen oder mit Arbeitnehmern mit einem Monatsgehalt von über acht Mindestlöhnen (ca. 1.560 Euro) abgeschlossen werden. Dabei dürfen die Arbeitsverträge von gesetzlichen Regelungen in einigen gesetzlich bestimmten Aspekten abweichen. Insbesondere können die Verträge für eine bestimmte Frist ohne besonderen Grund abgeschlossen werden. Die Regelungen gelten bis zum Ende der Kriegszeit.
II. Beendigung des Arbeitsvertrags
Arbeitsverträge können wie folgt beendet werden:
- durch eine Auflösungsvereinbarung zwischen den Parteien;
- durch Ablauf der vereinbarten Laufzeit der Vereinbarung, vorausgesetzt, dass das Arbeitsverhältnis nicht fortgesetzt wird;
- Einberufung eines Arbeiters zum Militärdienst;
- Versetzung des Arbeitnehmers zu einer anderen Organisation, Firma mit Zustimmung des Arbeitnehmers;
- wenn der Arbeitnehmer sich weigert, einer Versetzung in einene anderen Bereich nachzukommen oder bei wesentlichen Änderungen der Arbeitsbedingungen weiter zu arbeiten;
- durch ein rechtskräftiges Gerichtsurteil, das einem Arbeitnehmer die Ausübung seiner Arbeitsaufgaben untersagt;
- aus im Arbeitskontrakt oder einem Vertrag mit nicht festgelegter Arbeitszeit bestimmten Gründen
III. Kündigung durch den Arbeitnehmer
Ein unbefristeter Arbeitsvertrag kann von einem Arbeitnehmer ohne besonderen Grund unter Einhaltung einer schriftlichen Kündigungsfrist von zwei Wochen jederzeit beendet werden. Bei befristeten Arbeitsverträgen ist eine vorzeitige Kündigung durch den Arbeitnehmer nur in Ausnahmefällen möglich, wie zum Beispiel bei dauerhafter Krankheit des Arbeitnehmers, die die Arbeitsaufgaben beeinträchtigt, oder bei Verstößen des Arbeitgebers gegen Arbeits- oder Tarifvertragsbedingungen und andere.
IV. Entlassung durch den Arbeitgeber
Der Arbeitgeber kann einen Arbeitsvertrag nicht ohne triftigen Grund kündigen. Eine außerordentliche Kündigung ist in folgenden Fällen möglich:
- Änderungen in der Unternehmensstruktur (Auflösung, Umwandlung, Reorganisation usw.);
- Änderung (Reduzierung) des Stellenplans (sog. betriebsbedingte Kündigungen);
- Krankheit oder mangelnde Qualifikation des Arbeitnehmers, die es ihm erschwert oder unmöglich macht, seine Arbeitsaufgaben zu erfüllen;
- systematische Nichterfüllung von Arbeitsaufgaben, wenn bereits ein Disziplinarverfahren gegen den Mitarbeiter eingeleitet wurde und der Mitarbeiter innerhalb eines Jahres nach Verhängung der Disziplinarstrafe erneut seinen Pflichten nicht nachgekommen ist;
- Abwesenheit vom Arbeitsplatz ohne triftigen Grund (insbesondere Abwesenheit vom Arbeitsplatz von mehr als drei Stunden);
- dauerhafte Arbeitsunfähigkeit von mehr als vier Monaten, außer in den gesetzlich vorgesehenen Fällen, zum Beispiel Schwangerschaft, Arbeitsunfall (in diesem Fall bleibt der Arbeitsplatz bis zur Genesung des Arbeitnehmers erhalten)
- Wiedereinstellung einer Person, die zuvor an dem betreffenden Arbeitsplatz beschäftigt war;
- Erscheint am Arbeitsplatz in betrunkenem Zustand oder unter Drogeneinfluss;
- Diebstahl am Arbeitsplatz (auch bei Bagatelldelikten);
- schuldhafte Handlungen eines mit Geld oder Wertgegenständen betrauten Mitarbeiters, die zu einem Vertrauensverlust führen;
- Fehlverhalten einer Person, die erzieherische Funktionen übernommen hat.
Bei außerordentlichen Kündigungen sind Fristen und Formalitäten zu beachten, und je nach Kündigungsgrund muss dem Arbeitnehmer eine Entschädigung gezahlt werden.
Für Organträger in Unternehmen, wie Direktoren oder Geschäftsführer, gelten spezielle Kündigungsregelungen. Sie können ohne besondere Kündigungsgründe entlassen werden, jedoch ist eine Abfindung von mindestens 6 Monatsgehältern vorgeschrieben (vertraglich kann eine höhere Entschädigung vereinbart werden).
Während der Kriegszeit besteht die Möglichkeit, Arbeitsverträge vorübergehend auszusetzen. Die Suspendierung erfolgt auf Antrag einer Vertragspartei, wenn die Arbeit aufgrund höherer Gewalt unmöglich wird.
V. Ausländische Arbeitskräfte
Grundsätzlich dürfen ausländische Arbeitnehmer nur auf der Grundlage einer Arbeitserlaubnis (ukr. dozvil na zastosuwannia pratsi) beschäftigt werden, die vom Arbeitsamt ausgestellt wird. Ausnahmen gibt es in besonderen Fällen, zum Beispiel für Transportpersonal, Journalisten, diplomatischen Dienst, Sportler, internationale technische Hilfe und andere.
Im Bereich der Wirtschaft, insbesondere der Produktion gibt es keine Ausnahmen. Diese Arbeitsverhältnisse unterliegen dem ukrainischen Arbeitsrecht. Ausnahmen sind Ausländer, die in diplomatischen Missionen ausländischer Staaten oder in Vertretungen internationaler Organisationen in der Ukraine arbeiten, sowie ausländische Mitarbeiter von Vertretungen ausländischer juristischer Person. Ausländer, die legal in der Ukraine arbeiten, genießen die gleichen Arbeitsrechte und den gleichen Rechtschutz wie ukrainische Staatsbürger (mit wenigen Ausnahmen im sozialen Bereich).
Ausländische Mitarbeiter werden von ukrainischen Unternehmen auf unterschiedlichen Grundlagen beschäftigt. Der typische Fall ist die Festanstellung.
Daneben gibt es folgende Sonderfälle:
Innerbetrieblich versetzte Mitarbeiter
Der Beitritt der Ukraine zur WTO und die daraus resultierende notwendige Einführung eines neuen Verfahrens für Arbeitserlaubnisse im Rahmen des GATS-Abkommens ermöglichen weitere vertragliche Vereinbarungen.
Ein ausländischer Arbeitnehmer in einem Arbeitsverhältnis mit einer juristischen Person eines WTO-Mitgliedsstaats kann vorübergehend an die ukrainische Tochtergesellschaft entsandt werden. Dies betrifft Direktoren, Manager und Spezialisten. Eine Arbeitserlaubnis, basierend auf einem Vertrag und Entsendebeschluss, ist erforderlich. Die Entsendung erfolgt gemäß einer Vereinbarung zwischen dem ausländischen Arbeitnehmer und der ausländischen Muttergesellschaft sowie auf deren Entscheidung zur Entsendung nach Ukraine. Diese Vereinbarung unterliegt nicht unbedingt dem ukrainischen Recht.
Entsendung auf der Grundlage eines Außenwirtschaftsvertrags
Wenn ein ausländisches Unternehmen mit einem ukrainischen Unternehmen eine Vereinbarung trifft, um Arbeiten oder Dienstleistungen in der Ukraine durchzuführen und dafür vorübergehend Mitarbeiter zu entsenden, benötigen diese Mitarbeiter ebenfalls eine Arbeitserlaubnis. Das ukrainische Unternehmen muss die Arbeitserlaubnis auf Basis des Dienstleistungs- oder Werkvertrags einholen. Der Mitarbeiter bleibt dabei in seinem bestehenden Arbeitsverhältnis.
Mitarbeiter von Vertretungen
Ausländer, die in Repräsentanzen ausländischer juristischer Personen in der Ukraine arbeiten, erhalten statt einer Arbeitserlaubnis einen sogenannten Dienstausweis vom Wirtschaftsministerium der Ukraine. Diese Ausweise haben eine Gültigkeitsdauer von drei Jahren. Die Beantragung eines Dienstausweises erfordert in der Regel weniger Aufwand als die Beantragung einer Arbeitserlaubnis. Die Mitarbeiter haben in der Regel Arbeitsverträge mit der Muttergesellschaft, die dem Recht des Staates, in dem das Unternehmen seinen Sitz hat, unterliegen.
Antrag auf eine Arbeitserlaubnis
Das Verfahren zur Erteilung, Verlängerung und Entziehung von Arbeitsgenehmigungen für Ausländer ist im Beschäftigungsgesetz geregelt. Für die Beantragung einer Arbeitserlaubnis ist nicht der ausländische Arbeitnehmer selbst verantwortlich, sondern ukrainische Arbeitgeber. In der Regel wird die Arbeitserlaubnis für ein Jahr erteilt.
Die Arbeitserlaubnis kann für drei Jahre für folgende ausländische Arbeitnehmer erteilt werden:
- innerbetrieblich versetzte Mitarbeiter;
- Entsandte Mitarbeiter auf der Grundlage eines Außenwirtschaftsvertrags
Nach dem Gesetz darf das Gehalt des Arbeitnehmers (inkl. des Ausländers) nicht unter einem Mindestgehalt (zum 1. April 2024 UAH 8.000 oder ca. EUR 195) liegen. Seit 2017 können Arbeitnehmer auch für mehrere Arbeitsplätze eine Arbeitserlaubnis erhalten. Für konzernintern entsandte Arbeitnehmer und Ausländer, die auf der Grundlage eines Außenwirtschaftsvertrags in der Ukraine tätig sind, müssen auch entsprechende Vereinbarungen (Entsende- oder Außenwirtschaftsvertrag) vorgelegt werden.
Die Antragsgebühr hängt von der Dauer der beantragten Arbeitserlaubnis ab. Die Antragsgebühr für die Arbeitserlaubnis für ein Jahr beträgt derzeit fünf gesetzliche Existenzminima (zum 1. April 2024 UAH 14.600 bzw. ca. 350 EUR) pro Mitarbeiter. Das Verfahren einschließlich der Zusammenstellung der Unterlagen dauert erfahrungsgemäß zwei bis drei Wochen. Der Antrag auf Verlängerung muss mindestens 20 Kalendertage vor Ablauf beim Arbeitsamt eingereicht werden. Wenn die Arbeitserlaubnis verlängert wird, sind zusätzliche Gebühren zu entrichten.
Aufenthaltsrechtliche Fragen
Ausländer die in der Ukraine arbeiten, müssen ihren Aufenthalt legalisieren. Visumpflichtige Bürger erhalten ein Visum “D” basierend auf Arbeitsgenehmigungen oder Einladungen, reisen ein und beantragen eine befristete Aufenthaltsgenehmigung. Diese melden sie innerhalb von 30 Tagen bei der Einwohnermeldebehörde an. Länder ohne Visumpflicht erlauben einen 90-tägigen Aufenthalt in einem 180-Tage-Zeitraum. Bei längerem Aufenthalt ist eine befristete Aufenthaltsgenehmigung erforderlich, mit einem ebenfalls benötigten Visum “D”. Die befristete Aufenthaltsgenehmigung entspricht der Arbeitsgenehmigungsdauer oder ist für ein Jahr gültig. Ein- und Ausreisen sind unbegrenzt, aber die Antragsstellung ist bürokratisch und erfordert sorgfältige Vorbereitung, insbesondere die Sicherung der Unterkunft vor der Einreise (ggf. mit Hilfe des Arbeitgebers).
Autor: Dr. Julian Ries
Rechtsanwalt und Partner bei INTEGRITES International Law Firm München / Kiew
Julian.ries@integrites.com
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