"Die Region braucht einen Schulterschluss beim Ausbau Erneuerbarer Energien"

Welches Potenzial haben die Erneuerbaren Energien in der Metropolregion Rhein-Neckar (MRN)? Dieser Frage ist das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme im Auftrag der IHK MRN nachgegangen. Die Ergebnisse bewertet und kommentiert IHK-Präsident Manfred Schnabel:
Der Ausbau der Erneuerbaren Energien in der Metropolregion Rhein-Neckar muss rasch und dauerhaft Fahrt aufnehmen, um den bis Mitte der 2040er Jahre stark steigenden Strombedarf der Region zu decken. Ungeachtet dieses Ausbaus wird die Region dabei weiterhin auf Stromimporte angewiesen sein. Dieser Bedarf besteht auch dann, wenn alle vorhandenen Potenziale für Erneuerbare Energien (EE) in der Region realisiert werden sollten. Das sind die zentralen Ergebnisse der “Stromstudie für die Metropolregion Rhein-Neckar”, die die Versorgungssicherheit bis zum Jahr 2045 analysiert.
Bereits im Herbst 2021 hatten wir uns entschlossen, die Folgen und Herausforderungen der Energiewende für die Region faktenbasiert zu untersuchen. Hintergrund: Die MRN ist bereits heute eine der stromintensivsten Regionen Deutschlands und das auch unabhängig von einzelnen sehr großen stromintensiven Verbrauchern in der Industrie. Uns beschlich zunehmend ein mulmiges Gefühl mit Blick auf die zukünftige Energiesituation in der Region. Die Politik auf allen Ebenen überbietet sich in ambitionierten und letztlich abstrakten Reduktionszielen von Emissionen. Mit unserer Studie hingegen wollen wir einen Beitrag dazu leisten, einen ambitionierten und konkreten Umsetzungspfad für die Energiewende in der Region aufzuzeigen.

Die wichtigsten Erkenntnisse der Stromstudie

Die ISE-Wissenschaftler gehen davon aus, dass der Stromverbrauch in der Metropolregion von heute 17 Terawattstunden pro Jahr bis zum Jahr 2045 auf 32 bis 38 Terawattstunden ansteigen wird, je nach zugrunde gelegtem Szenario. Haupttreiber hierfür ist über den gesamten Zeitraum die Industrie, die sich dekarbonisiert, also wegkommt von Öl und Gas, und sich dabei in gleichem Maße elektrifiziert. Das Potenzial für EE in der MRN liegt laut Studie bei 16,2 Gigawatt (GW). Das lässt sich aber nur erreichen, wenn alle realistischen Potenziale auch erschlossen werden. Zum Vergleich: Die heute installierte Leistung liegt bei gerade einem Zehntel davon! Besonderes Potenzial sehen die Wissenschaftler in Photovoltaikanlagen (insgesamt 14,4 GW; davon 6,0 GW für Dach- und 8,4 GW für Freiflächen). Die Windkraft indes kommt auf maximal 1,8 GW.
Die Studie zeigt dabei eindrücklich, dass sich die Ausbaupotenziale der MRN vor allem auf den Neckar-Odenwald-Kreis, den Kreis Bergstraße und den Rhein-Neckar-Kreis konzentrieren, während der Strombedarf in den industriellen Kernen und damit in den Städten hoch ist und zunehmen wird. Weitere wichtige Erkenntnis: Bei Realisierung des Potenzials von 16,2 GW installierter Leistung ergeben sich rund 20 Terawattstunden Strom, plus eine weitere Terawattstunde aus Wasserkraft und Biomasse. Die Region wird daher selbst bei Ausschöpfen all ihrer Potenziale auf Stromimporte von 10 bis 17 Terawattstunden im Jahr angewiesen sein, ist ISE überzeugt.
Für die Wirtschaft in der Region bergen diese Zahlen Sprengstoff. Denn sollte es zu verschiedenen Strompreiszonen in Deutschland kommen, wie manche Landespolitiker vor allem im Norden fordern, drohen uns massive Nachteile. Der Grund ist einfach: Wir sind weit weg sind von der günstigen Offshore-Windkraft im Norden. Energieintensive Wertschöpfung drohte dann nach Norddeutschland oder ins Ausland abzuwandern.
Daher fordern wir, die Übertragungsnetze von Nord nach Süd rasch auszubauen und dafür Plan- und Genehmigungsverfahren zu beschleunigen. Und die Metropolregion muss schnell an die europäische Wasserstoffinfrastruktur, den sogenannten H2-Backbone, angeschlossen werden.
Die ISE-Studie zeigt eindrücklich, dass ein Schulterschluss in der Region notwendig ist. Kommunale Alleingänge indes sind wenig hilfreich. Die Region hat die Chance auf einen massiven Ausbau der Erneuerbaren Energien hat. Wir stehen hier aber erst ganz am Anfang. Die Studie macht deutlich, dass das realistische Potenzial für EE deutlich unter dem technisch möglichen liegt. Aber selbst zur Verwirklichung des realistischen Potenzials müssen wir uns alle in der Region mächtig ins Zeug legen. Und auch dann benötigen wir die im European Green Deal und die in der Studie veranschlagten rund zwei Jahrzehnte. Derzeit in politischen Debatten kursierende frühere Zeitvorstellungen sind unrealistisch.
Damit dieser Ausbau gelingt, müssten mehrere Voraussetzungen erfüllt sein. Wir brauchen ein politisches und gesellschaftliches Klima, das den notwendigen Beitrag der gesamten Wirtschaft, sowohl von Unternehmen als auch deren Fachkräften, zur Dekarbonisierung anerkennt und unterstützt. Auf dem Feld der Regulatorik gilt es, alle Hürden zu beseitigen, die dem Ausbau der EE im Wege stehen, dazu zählen beispielsweise Regeln im Denkmalschutz, zur Begrünung von Dachflächen und im Eigentums- und Mietrecht. Zudem muss die Verwaltung Genehmigungsverfahren deutlich beschleunigen.
Die IHKs bestärken die derzeit laufende regionale Raumplanung in ihrem Ziel, ausreichend Flächen für EE bereitzustellen. Die Teilregionen mit viel Potenzial für EE dürfen mit Blick auf das begrenzte Flächenangebot dabei nicht benachteiligt werden. Es geht um einen fairen Interessensausgleich hinsichtlich Entwicklungsflächen und Strukturmitteln. In einer neuen Form der Zusammenarbeit liegt für alle Teilregionen ein riesiges Potenzial.

Pressekonferenz am 10. Oktober 2022

Mannheim, 10. Oktober 2022