Ausbildungsmarkt 2024

Viele Lehrstellen noch unbesetzt trotz deutlichem Plus bei Ausbildungsabschlüssen

Handwerkskammer und IHK berichten über dynamischen Ausbildungsmarkt im Frühsommer – Junge Menschen für Ausbildung zu begeistern, bleibt vordringliche Aufgabe.

Gemeinsame Pressekonferenz von HWK und IHK

Mannheim, 21. Juni 2024. Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz zum Ausbildungsmarkt am Freitag betonten die Industrie- und Handelskammer (IHK) Rhein-Neckar und die Handwerkskammer Mannheim Rhein-Neckar-Odenwald trotz einer positiven Entwicklung der Ausbildungszahlen den unverändert hohen Bedarf an Nachwuchskräften. “Ungeachtet der positiven Entwicklung mit einem Aufschwung bei den Ausbildungszahlen insgesamt und einem deutlichen Plus bei den neu abgeschlossenen Lehrverträgen zum jetzigen Zeitpunkt, bleibt die Lage am Ausbildungsmarkt eines der Kernthemen”, so Klaus Hofmann, Präsident der Handwerkskammer Mannheim Rhein-Neckar-Odenwald. “Auszubildende werden im Handwerk weiterhin händeringend gesucht – und zwar über sämtliche Berufsgruppen und Gewerke hinweg.” Aktuell seien in der Region noch etwa 300 Lehrstellen im Handwerk unbesetzt.
Das gleiche Bild zeichnet auch die IHK: Der Ausbildungsmarkt im Bereich der IHK-Berufe zeigt sich im Frühsommer weiter sehr dynamisch. Im Vergleich zum Vorjahr ist die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge um 108 auf 1.638 gestiegen (+7,1 %, Stichtag: 31. Mai 2024). Besonders stark war das Wachstum bei den gewerblich-technischen Berufen mit 14,1 Prozent (+84 auf 680), aber auch die kaufmännischen Berufe konnten zulegen (+24 auf 958, +2,6 %). “Der Aufholprozess nach dem heftigen Corona-Einbruch setzt sich damit im dritten Jahr in Folge fort. Das ist eine sehr gute Nachricht für die Unternehmen, da sie weiter händeringend nach Fachkräftenachwuchs suchen”, sagt IHK-Präsident Manfred Schnabel. Die IHK unterstützt sie dabei mit vielen Instrumenten wie den Ausbildungsbotschaftern, Tagen der Berufsorientierung an Schulen, Azubi-Speed-Datings oder auch der bundesweiten Imagekampagne “Jetzt #könnenlernen. Ausbildung macht mehr aus uns”.
Der genauere Blick auf den Zuwachs in den gewerblich-technischen Berufen zeigt: Besonders stark legten die elektrotechnischen Berufe zu (+27,4 %), weniger stark die Metallberufe (+2,4 %). “Hier spiegelt sich ein Stück weit die digitale und ökologische Transformation wider. Fachkräfte in diesem Bereich sind besonders gesucht”, sagt der IHK-Präsident. Erfreulich sei, dass sich das Wachstum in allen Teilregionen des IHK-Bezirks zeige. (Mannheim: +3,1 %, Heidelberg: +21,4 %, Rhein-Neckar-Kreis: +3,1 %, Neckar-Odenwald-Kreis: +13,9 %). “Die große Dynamik im Neckar-Odenwald-Kreis spiegelt auch das sehr große Engagement von IHK und Unternehmen wider. Unter anderem die Fachkräfteinitiative NOK arbeitet mit vielen Akteuren vor Ort daran, mehr junge Menschen für eine duale Ausbildung zu begeistern”, erklärt Schnabel.
Auch bei der Handwerkskammer Mannheim Rhein-Neckar-Odenwald ist die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge mit Stand vom 31. Mai 2024 deutlich gestiegen. Hier liegt das Plus sogar bei 12,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr. “Besonders positiv ist, dass alle vier Kreise des Kammergebiets zugelegt haben”, so Präsident Klaus Hofmann. Sehr deutlich im Stadtkreis Heidelberg mit +20,9 Prozent und im Neckar-Odenwald-Kreis mit +22,2 Prozent. Auch der Rhein-Neckar-Kreis hat um 11,9 Prozent gegenüber Mai 2023 gewonnen und im Stadtkreis Mannheim liegt das Plus bei 7,2 Prozent “Damit verzeichnen wir nun bereits im dritten Jahr einen steten Aufwärtstrend nach dem erheblichen Corona-Einbruch”, sagt der Präsident der Handwerkskammer. Schon 2023 lag die Zahl der Neuabschlüsse an Ausbildungsverträgen nur knapp unter dem Stand von 2019. “Wir hoffen und glauben, dass wir den Vor-Corona-Stand in diesem Jahr erreichen”, so Klaus Hofmann.
Wie dynamisch die Entwicklung bei den Lehrabschlüssen ist, zeigt sich daran, dass innerhalb von nur drei Wochen – zwischen Stand 31. Mai und dem Tag der Pressekonferenz am 21. Juni – 80 neue Lehrverträge hinzugekommen seien. So liegt der neueste Stand am heutigen Tag bei 586 Neuabschlüssen im Handwerk. Starke Zuwächse gibt es aktuell bei Kfz-Mechatronikern (+36 gegenüber Vorjahr) und im Bereich Elektro/Metalltechnik (+22), der insgesamt die Spitzenposition bei den neu abgeschlossenen Ausbildungsverhältnissen einnimmt. Auch im Bereich Gesundheit/Körperpflege ist ein Anstieg zu verzeichnen (+23). Besonders schwer tun sich weiterhin die Berufe im Lebensmittelhandwerk, aber auch der Hochbau.
Sowohl im Handwerk als auch bei der IHK gilt: Die erfreulichen Zuwächse dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass die strukturellen Probleme am Ausbildungsmarkt weiter groß sind. So sind mit Stichtag 31. Mai 2024 bei den Arbeitsagenturen in der Region 2.854 offene Ausbildungsplätze gemeldet. Die tatsächliche Zahl liegt noch deutlich höher, da nicht alle Betriebe offene Stellen melden. Ergebnisse einer aktuellen Umfrage der IHK Rhein-Neckar zeigen, dass 44 Prozent der Ausbildungsbetriebe nicht in der Lage sind, alle Stellen zu besetzen. Nach den Gründen gefragt, geben 71 Prozent an, dass “keine geeigneten Bewerbungen” vorliegen. 28 Prozent berichten, das keine Bewerbungen vorliegen. Immerhin 21 Prozent sagen, dass Ausbildungsplätze von den Azubis nicht angetreten wurden.
Die Unternehmen reagieren mit verschiedenen Maßnahmen auf die teils schwache Nachfrage, um sich als Ausbildungsbetrieb attraktiver aufzustellen. Die Top-Veränderungen sind flache Hierarchien (65 %), Ausstattung mit moderner IT-Technik (48 %) und Veränderungen beim Rekrutierungs-/Einstellungsprozess (45 %). Mit Blick auf mangelnde Ausbildungsreife von Schulabgängern geben 37 Prozent an, dass sie “grundsätzlich auch ohne öffentliche Unterstützung lernschwächeren Jugendlichen eine Chance” geben. Ein Viertel hat eigene Angebote entwickelt, um “Nachhilfe” im Betrieb zu leisten. Allerdings ist dies 21 Prozent aufgrund fehlender Kapazitäten gar nicht möglich. “Diese Befunde zeigen die Überforderung und den großen Handlungsbedarf unseres Bildungssystems und bestätigen die deprimierenden PISA-Ergebnisse. Unseren Schulen gelingt es oftmals nicht, grundlegende Kompetenzen und Fertigkeiten zu vermitteln, die für den Start in Ausbildung und Beruf notwendig sind”, kritisiert der IHK-Präsident.
Auch in Handwerksbetrieben bereiten fehlende Grundkompetenzen Sorgen. Einer aktuellen Umfrage unter regionalen Handwerksbetrieben im Juni 2024 zufolge nennen 41 Prozent fehlende Grundkenntnisse in Mathe oder Deutsch als Herausforderung. Nicht minder beschäftigen Ausbildungsbetriebe im Handwerk “Probleme bei der Motivation und/oder Disziplin der Auszubildenden”: 77 Prozent gaben dies an. Jeder Zweite erwähnt auch eine “unzureichende Vorbereitung durch das Schulsystem” als große Herausforderung bei der Gewinnung von Auszubildenden. Damit zeichne sich auch ein Wunsch nach Verbesserungen bei der Berufsorientierung ab.
Handwerkskammerpräsident Klaus Hofmann verwies in diesem Zusammenhang auf das Ergebnis der Studie “Ausbildungsperspektiven 2024” der Bertelsmann Stiftung, der zufolge sich nahezu jeder zweite junge Mensch mit hoher Schulbildung nicht gut von der Schule über Ausbildungsberufe informiert fühlt. “Daraus ergibt sich eine Forderung des bundesweiten Handwerks, dass es – gerade an den Gymnasien – eine bessere Berufsorientierung braucht”, sagt Klaus Hofmann. In der Region bestehe allerdings eine sehr gute Zusammenarbeit über verschiedene Kanäle mit den hiesigen Schulen. “Wir unterstützen Bildungspartnerschaften zwischen Betrieben und Schulen, und sind zu zahlreichen Veranstaltungen, unter anderem gemeinsam mit unseren Ausbildungsbotschaftern, in Schulen vor Ort”, so Hofmann. Kooperationen mit Schulen seien eine Säule bei der Unterstützung der Kammer in Sachen Ausbildung. Unter dem Dach der regionalen Ausbildungskampagne “Handwerk – Das isses!” gebe es noch eine Vielzahl mehr: Neben dem umfassenden Beratungsangebot für Schülerinnen und Schüler, Eltern, Lehrer, Azubis und Betriebe auch Veranstaltungen zur Berufsorientierung wie erstmals ein Sommercamp für Jugendliche in der ersten Sommerferienwoche sowie den Tag der offenen Tür in der Bildungsakademie der Handwerkskammer zum Tag des Handwerks am 21. September.
Erstmals wurde in der IHK-Umfrage der Faktor Wohnraum in den Blick genommen. Auf die Frage, ob die Situation am Unternehmensstandort die Besetzung von Ausbildungsplätzen erschwert, antworten 20 Prozent mit Ja und weitere 20 Prozent rechnen damit, dass dies in Zukunft passieren wird. “Die Einrichtung von Ausbildungswohnheimen in Mannheim und Heidelberg sind richtige Antworten auf diese Herausforderung. Der Bedarf hierfür dürfte weiter wachsen”, sagt IHK-Präsident Schnabel.
Eine weitere politische Forderung der Kammer an die Kommunen: die Berufsschulen modern und attraktiv auszustatten. “Die Qualitätsunterschiede zwischen den Kommunen sind groß”, kritisiert der IHK-Präsident. Mit Blick auf das Land fordert Schnabel, dass die Berufsorientierung an den allgemeinbildenden Schulen und insbesondere an den Gymnasien weiter verbessert werden müsse. Wichtig sei zudem, die ökonomische Bildung in allen Schulformen zu stärken.
Indes reagieren die Ausbildungsbetriebe mit eigenen Maßnahmen, um sowohl beim Gewinnen als auch Binden von Lehrlingen erfolgreich zu sein. Die “Veränderung der Arbeitskultur und -werte junger Menschen”, die laut Handwerkskammer-Umfrage von 85 Prozent gesehen wird, nimmt Einfluss auf das Angebot in den Handwerksbetrieben. So bieten 58 Prozent Teambuilding- und Motivationsmaßnahmen, 45 Prozent haben die Ansprache an potenzielle Bewerber geändert, 43 Prozent unterstützen beim schulischen Lernen, 36 Prozent ermöglichen zusätzliche Weiterbildungen und 24 Prozent eine höhere Ausbildungsvergütung. Ein Kernaspekt bleibt im Handwerk die gesellschaftliche Anerkennung seiner Berufe. Jeder Zweite sagt, die sei “sehr wichtig”, hinzu kommen weitere 39 Prozent, die dies als “wichtig” erachten. “Damit ist für die überragende Mehrheit von insgesamt 89 Prozent klar, dass mit der gesellschaftlichen Akzeptanz der Bedeutung von handwerklicher Arbeit auch das Ansehen ihrer Berufe und daraus ableitend das Interesse an handwerklicher Ausbildung verknüpft ist”, sagt Kammerpräsident Klaus Hofmann.

Valikom

Weiteres Thema war eine neue gesetzliche Aufgabe, die voraussichtlich ab Jahresanfang auf die Kammern übertragen werden wird: die “Feststellung und Bescheinigung der individuellen beruflichen Handlungsfähigkeit am Maßstab eines anerkannten Ausbildungsberufs”. Dadurch wird es Menschen ermöglicht, ihre beruflichen Kompetenzen und Fertigkeiten, die sie durch praktische berufliche Tätigkeit in Ausübung eines Ausbildungsberufes, aber ohne formalen Abschluss erworben haben, verwertbar zu machen. Die Feststellung erfolgt durch die jeweiligen Prüfungsgremien. Sie stellen den zu testierenden Personen typische praktische Aufgaben eines Ausbildungsberufes. Die Art und Weise, wie sie dies erledigen, dient dann zur Feststellung der beruflichen Handlungsfähigkeit. Das Ziel dieses “Validierung” genannten Verfahrens ist es, im Inland befindliche Potentiale an Fachkräften transparent zu machen. Für die Betriebe kann die Validierung ein Baustein sein, dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken.
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hatte im Projekt “Valikom Transfer” dieses Verfahren erprobt. Die IHK Rhein-Neckar war als Pilotkammer mit dabei und hat rund 200 Validierungsverfahren durchgeführt. “Immerhin 180 Mal haben die Prüfungsausschüsse eine Gleichwertigkeit festgestellt. Davon haben sowohl die Antragsteller als auch deren Arbeitgeber gleichermaßen profitiert”, resümiert Harald Töltl, IHK-Geschäftsführer Berufsausbildung, die Erfahrungen.

IHK-Berufe: Neueintragungen nach Teilregionen

Region
31. Mai 2024
Vorjahresvergleich
Stadtkreis Mannheim
668
+20 (+3,1 %)
davon kaufmännische Berufe
391
-9 (-2,3 %)
davon gewerblich-technische Berufe
277
+29 (+11,7 %)
Stadtkreis Heidelberg
278
+49 (+21,4 %)
davon kaufmännische Berufe
188
+3 (+1,6 %)
davon gewerblich-technische Berufe
90
+46 (+104,5 %)
Rhein-Neckar-Kreis gesamt
495
+15 (+3,1 %)
davon kaufmännische Berufe
282
+11 (+4,1 %)
davon gewerblich-technische Berufe
213
+4 (+1,9 %)
Neckar-Odenwald-Kreis insgesamt
197
+24 (+13,9 %)
davon kaufmännische Berufe
97
+19 (+24,4 %)
davon gewerblich-technische Berufe
100
+5 (+5,3 %)
Gesamt
1.638
+108 (+7,1 %)

Handwerksberufe: Neueintragungen nach Teilregionen

Region
31. Mai 2024
Vorjahresvergleich
Stadtkreis Mannheim
179
+22 (+7,2 %)
Stadtkreis Heidelberg
75
+23 (+20,9 %)
Rhein-Neckar-Kreis insgesamt
197
+21 (+11,9 %)
Neckar-Odenwald-Kreis insgesamt
55
+10 (+22,2 %)
Gesamt
506
+56 (+12,2 %)