Energiewende: Das Vertrauen in die Energiepolitik ist stark angeschlagen
Bei Energieeffizienz und Klimaneutralität wirkt die Wirtschaft in Baden-Württemberg tatkräftig und vielfältig am Gelingen der Energiewende mit. Hohe Preise und fehlende Planbarkeit der Energieversorgung sind mehr denn je ein Produktions- und Investitionshemmnis. Die Südwestunternehmen ziehen im aktuellen IHK-Energiewende-Barometer daher eine negative Bilanz.
Wie beurteilen Sie die Auswirkungen der Energiewende auf die Wettbewerbsfähigkeit Ihres Unternehmens
Auf einer Skala von minus 100 für “sehr negativ” bis plus 100 für “sehr positiv” ergibt sich dabei im Land ein Wert von minus 22. Das ist zwar ein leichtes Plus gegenüber dem durch Ukrainekrieg und Energiepreiskrise ausgelösten historischen Tief von 2023 – letztlich verharrt der Wert aber weiterhin deutlich unter dem langjährigen Durchschnitt und markiert den zweitschlechtesten Wert in der Geschichte des Energiewende-Barometers. In Baden-Württemberg fällt die Bilanz zur Energiewende zudem noch etwas negativer aus als bundesweit (minus 20). Zudem bleibt die heimische Industrie (minus 31,3) ebenso wie die Industrie bundesweit bei ihrer noch deutlich pessimistischeren Bewertung als die Gesamtwirtschaft.
"Das Vertrauen in die Energiepolitik ist stark angeschlagen. Die baden-württembergischen Unternehmen sehen in den bisherigen energiepolitischen Maßnahmen keine Grundlage zur Entwarnung. Vielmehr werden nach wie vor deutlich mehr Risiken als Chancen für die eigene Wettbewerbsfähigkeit erkannt. Gerade mit Blick auf den Wirtschaftsstandort BW mit seiner starken Industrie ist das besorgniserregend“, fasst Dr. Jan Stefan Roell, Vizepräsident und energiepolitischer Sprecher des Baden-Württembergischen Industrie- und Handelskammertages (BWIHK), die Ergebnisse zusammen.
Investitionen werden zurückgestellt, Abwanderungen gewinnen an Bedeutung
Genauso geht aus dem Barometer hervor, dass die gegenwärtige Energiewirtschaft und -politik und die damit verbundenen, hohen Preise auch auf die Investitionsfähigkeit der Unternehmen drücken. Für immer mehr Betriebe ist zudem die Verlagerung von Kapazitäten ins Ausland bzw. die Einschränkung der Produktion im Inland das Mittel der Wahl. Jeder sechste Betrieb über alle Branchen denkt inzwischen daran. In der Industrie fallen die Anteile mit 38,5 (gesamt) bzw. mehr als 52 Prozent (500 plus-Beschäftigte) noch deutlich höher aus. Diese Werte nehmen seit Jahren zu und erreichen bei der diesjährigen Umfrage einen neuen Branchen-Höchstwert. "Es geht nicht darum den, Standort Baden-Württemberg schlecht zu reden. Mit Blick auf die Zahlen muss aber endlich ein Umdenken stattfinden. Die Wirtschaft benötigt dringend stabile Rahmenbedingungen mit einer verlässlichen Energieversorgung und wettbewerbsfähigen Preisen“, so Dr. Roell.
Fehlende Planbarkeit und Bürokratie hemmen Transformation
Die Unternehmen sind sich bewusst, dass ihnen zur Erreichung des Ziels der Klimaneutralität eine Schlüsselrolle zukommt. Sie arbeiten auch seit Jahren an der Optimierung ihrer Energieversorgung und ihres Energieverbrauchs, wie die Umfragen zum IHK-Energiewende-Barometer stetig zeigen. Vor allem bei der Steigerung der Energieeffizienz wurden bereits von sehr vielen Unternehmen verschiedenste Maßnahmen umgesetzt. Eine fehlende Planbarkeit und Verlässlichkeit (64 Prozent), zu viel Bürokratie (62 Prozent) sowie langsame Planungs- und Genehmigungsverfahren (48 Prozent) stehen als größte Hemmnisse noch mehr betrieblichen Maßnahmen auf dem Weg zur Klimaneutralität entgegen. "Die Haupthemmnisse für unternehmerische Transformationsbemühungen liegen in Handlungsfeldern, die von der Politik direkt geändert werden könnten. Das muss aber endlich auch konsequent passieren, die Wirtschaft steht bereit“, appelliert der BWIHK-Vizepräsident.
Ausbau der Energieinfrastruktur muss endlich vorankommen
Nach Auffassung der Wirtschaft gibt es auch bei den energiepolitischen Rahmenbedingungen für die Energiewende noch einiges zu tun, insbesondere beim Ausbau der Energieinfrastruktur. Auf diesen Ausbau beziehen sich gleich drei der Top-Fünf-Politikmaßnahmen mit den höchsten Zustimmungswerten der baden-württembergischen Unternehmen: Die Verbesserung der Rahmenbedingungen für Eigenversorgung und Direktlieferverträge (94 Prozent Zustimmung), der Zugang zu Wasserstoff (73 Prozent Zustimmung) sowie die Überwindung der Engpässe bei Übertragungs- und Verteilnetzen (83 Prozent Zustimmung). Eine hohe Zustimmung von 88 Prozent erhält zudem die Forderung nach Wirtschaftlichkeit, Freiwilligkeit und Technologieoffenheit als Leitprinzipien bei Energieeffizienzmaßnahmen. Ebenso sind die Energie- und Strompreise stark im Fokus: Neben der schon erwähnten Eigenerzeugung sehen 79 Prozent der heimischen Betriebe die Senkung von Steuern und Abgaben auf den Strompreis an vierter Stelle der Forderungen. 67 Prozent verlangen zudem, dass die einheitliche Strompreiszone erhalten bleiben sollte – ein Anstieg um knapp 10 Prozentpunkte gegenüber 2023. Außerdem zeigen die bundesweiten Ergebnisse des Energiewende-Barometers, dass sich auch die Mehrheit der Unternehmen in Deutschland insgesamt für eine solche Beibehaltung ausspricht (58 Prozent).
Informationen zum IHK-Energiewende-Barometer
Der BWIHK veröffentlicht die Auswertung des Energiewende-Barometers für Baden-Württemberg. Dieses fasst verschiedene Ergebnisse einer Online-Unternehmensbefragung zusammen, an der sich in den IHK-Gremien ehrenamtlich engagierte Unternehmerinnen und Unternehmer sowie weitere Mitgliedsunternehmen der IHK-Organisation bundesweit beteiligt haben. Ziel des Barometers ist, jährlich eine umfassende Bewertung der Unternehmen bzgl. der Fortschritte der Energiewende und der aktuellen Klima- und Energiewendepolitik zu erhalten. Die Befragung wurde seit dem Start 2012 nun zum zwölften Mal durchgeführt. Der Befragungszeitraum in 2024 erstreckte sich vom 10. Juni bis 30. Juni 2024. Deutschlandweit haben 3.283 Unternehmen daran teilgenommen, wovon es aus Baden-Württemberg 446 Unternehmen waren (davon 204 Industrieunternehmen).