Recht
Rechte und Pflichten beim Betriebsübergang
Gleich, ob Übernahme oder Unternehmensverkauf, Ausgründung oder Outsourcing – rechtlich handelt es sich in aller Regel um einen Betriebsübergang, der unter § 613 a Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) fällt. Liegt ein solcher Betriebsübergang vor, so hat der Unternehmer die damit verbundenen Auswirkungen auf die Arbeitsverhältnisse, Tarifverträge, Betriebsvereinbarungen, das Haftungssystem und das Kündigungsrecht zu beachten. Diese Auswirkungen und die damit verbundenen Pflichten und Handlungsmöglichkeiten des Unternehmers werden im Folgenden behandelt.
I. Voraussetzungen
Ein Betriebsübergang liegt vor, wenn infolge eines Übergangs des Betriebes oder Betriebsteils durch Rechtsgeschäft die Person des Betriebsinhabers wechselt, ein neuer Rechtsträger die wirtschaftliche Einheit unter Wahrung ihrer Identität fortführt.
1. Betriebs(teil)begriff
Es muss beim Veräußerer bereits eine organisatorische Einheit bzw. eine abgrenzbare, eigenständige Organisationseinheit bestehen, mit der ein arbeitstechnischer Zweck verfolgt wird. Der Betriebsübergang kann also entweder den ganzen Betrieb oder aber einen Betriebsteil betreffen.
Beispiele:
Ist nur ein Betriebsteil betroffen (dies ist der häufigere Fall), muss dieser eine selbständig abtrennbare Untergliederung des gesamten Betriebs sein, mit der ein Teilzweck (z.B. auch eine untergeordnete Hilfsfunktion) innerhalb des Betriebszwecks verfolgt wird. Ein Betriebsteil kann eine Abteilung sein, eine Filiale, eine Geschäftsstelle oder auch eine bestimmte Funktion, selbst wenn diese nur von einer einzigen Person ausgeübt wird.
Je stärker untergliedert ein Betrieb ist, desto eher kann es also zu Betriebsteilübergängen kommen.
2. Übertragung wesentlicher Betriebsmittel
Von einem Betriebsübergang spricht man nur dann, wenn das je nach Betriebs(teil)zweck wesentliche „betriebliche Substrat” übertragen wird.
Hieran fehlt es, wenn lediglich eine bestimmte Tätigkeit beim Erwerber fortgeführt wird, ohne dass eine bestimmte Organisationsstruktur übertragen wurde (bloße Auftragsnachfolge).
Auch reicht die Übertragung einzelner Betriebsmittel (z.B. Verkauf von Maschinen, Abwerbung einzelner Arbeitsnehmer) nicht aus, um von einem Betriebsübergang zu sprechen.
Auch reicht die Übertragung einzelner Betriebsmittel (z.B. Verkauf von Maschinen, Abwerbung einzelner Arbeitsnehmer) nicht aus, um von einem Betriebsübergang zu sprechen.
Kriterium: Der Erwerber muss sich quasi „ins gemachte Bett legen”
Ein Betriebsübergang liegt daher nur vor, wenn dieser Vorgang entweder mit einer Übertragung relevanter Betriebsmittel oder mit der Übernahme eines nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Teils des Personals verbunden ist.
Wesentliche materielle Betriebsmittel sind
- Grundstücke, Gebäude, Maschinen, Anlagen, Hardware, Waren, Lagerbestände etc.
- allerdings werden nur diejenigen Betriebsmittel als eigene zugerechnet, die zur eigenwirtschaftlichen Nutzung (z.B. durch Pacht, Miete, Nießbrauch) überlassen sind.
Wesentliche immaterielle Betriebsmittel sind
- Know-how, Good-will, Kundschaft, Arbeitsorganisation, Betriebsmethoden, Fertigungsverfahren, Geschäftsbeziehungen, Rechte, Name, Software etc.
Auch der Übergang eines nach Anzahl und Sachkunde wesentlichen Teils des Personals kann einen Betriebsübergang auslösen. Bei einfachen Dienstleistungen ohne bedeutenden Einsatz von Betriebsmitteln (z.B. Reinigung) ist in der Regel die Übernahme der Hauptbelegschaft und einer damit verbundenen Arbeitsorganisation entscheidend.
3. Übergang durch Rechtsgeschäft
Die Übertragung muss durch Rechtsgeschäft erfolgen. Davon umfasst werden alle Fälle der Fortführung im Rahmen vertraglicher oder sonstiger rechtsgeschäftlicher Beziehungen (z.B. Kauf, Schenkung, Verpachtung des Betriebs, Pächterwechsel, Verschmelzung und Spaltung von Unternehmen).
Ausgeschlossen ist nur der Übergang durch die sog. Gesamtrechtsnachfolge (z.B. Erbfall, Geschäftsanteilabtretung) und durch Hoheitsakte.
4. Abgrenzung zur Stilllegung
Ein Betriebsübergang setzt voraus, dass keine wesentliche zeitliche Unterbrechung der Betriebsfortführung stattfindet.
Bei alsbaldiger Wiedereröffnung des Betriebs oder alsbaldiger Wiederaufnahme der Produktion durch einen Erwerber spricht eine tatsächliche Vermutung gegen die ernsthafte Stilllegungsabsicht. Eine wirtschaftlich erhebliche Zeitspanne umfasst, je nach Einzelfall, mindestens 4 bis 6 Monate. Orientierungsmaßstab können nach der Rechtsprechung auch die gesetzlichen Kündigungsfristen sein.
5. Wechsel des Inhabers
Der Betriebsübergang tritt mit dem Wechsel der Person des Betriebsinhabers ein. Der bisherige Inhaber muss seine wirtschaftliche Betätigung in dem Betrieb einstellen, der Erwerber sie übernehmen. Einer besonderen Übertragung der Leitungsmacht bedarf es daneben nicht. Die bloße Übernahme von Gesellschaftsanteilen (sog. share deal) führt nicht zu einem Betriebsübergang, weil der Arbeitgeber unverändert bleibt und sich allein dessen Eigentumsverhältnisse ändern.
6. Tatsächliche Fortführung des Betriebs(teils) durch den Übernehmer
Der neue Inhaber muss den Betrieb(steil) im eigenen Namen bzw. eigener Inhaberschaft tatsächlich fortführen. Die bloße Fortführungsmöglichkeit reicht nicht aus.
7. Wahrung der Identität
Damit die Identität des Betriebs(teils) erhalten bleibt, muss die vom Erwerber fortgeführte Tätigkeit im Wesentlichen mit der bisherigen gleichartig sein.
II. Rechtsfolgen
1. Auswirkungen auf die Arbeitsverhältnisse
Der neue Betriebsinhaber tritt in alle Rechte und Pflichten aus dem im Zeitpunkt des Betriebsübergangs bestehenden Arbeitsverhältnis bzw. Ausbildungsverhältnis ein. Der Betriebsübergang bewirkt also automatisch einen Arbeitgeberwechsel.
Dies bedeutet:
- Löhne und Gehälter, Gratifikationen und andere Sonderleistungen, Arbeitgeberdarlehen (abhängig vom Einzelfall), erdiente Versorgungsanwärterschaften, bindende betriebliche Übungen, Urlaubs- und Entgeltfortzahlungspflichten und vereinbarte nachvertragliche Wettbewerbsverbote gelten fort
- vom Veräußerer erteilte Nebentätigkeitsgenehmigungen und Abmahnungen bleiben wirksam
- die Dauer der bisherigen Betriebszugehörigkeit zählt bei der Berechnung von Wartezeiten (z.B. zur Berechnung der Kündigungsfristen) etc. mit
Kündigungsverbot
Eine Kündigung durch den bisherigen Inhaber oder den neuen Arbeitgeber wegen des Übergangs eines Betriebes oder Betriebsteils ist unwirksam (§ 613 a Abs. 4 BGB).
Eine Kündigung erfolgt wegen des Betriebsübergangs, wenn dieser der tragende Grund und nicht nur der äußere Anlass für die Kündigung ist. Gibt es hingegen neben dem Betriebsübergang einen sachlichen Grund, der aus sich heraus die Kündigung rechtfertigt, wäre eine Kündigung möglich.
Steht der Betriebsübergang erst bevor, so greift das Kündigungsverbot nur, wenn die den Betriebsübergang begründenden Tatsachen im Zeitpunkt des Kündigungsvorgangs bereits feststehen oder zumindest greifbare Formen angenommen haben. Dabei ist immer auf die Verhältnisse bei Ausspruch der Kündigung abzustellen.
Das Kündigungsverbot umfasst sowohl die ordentliche und außerordentliche Beendigungskündigung als auch die Änderungskündigung jeweils wegen des Betriebsübergangs.
Beachte:
Auch gegen eine Kündigung wegen Betriebsübergang, die unwirksam ist, muss sich der Arbeitnehmer rechtzeitig, d.h. unter Einhaltung der dreiwöchigen Klagefrist beginnend mit dem Zugang der Kündigung, wehren. Andernfalls gilt die verbotswidrig erklärte Kündigung mit Ablauf dieser Frist als wirksam.
Kündigungen aus verhaltensbedingten, personenbedingten oder sonstigen betriebsbedingten Gründen sind weiterhin möglich.
Obwohl es bei der Beurteilung auf die objektive Rechtslage ankommt, wird der deutlichen Benennung des Kündigungsgrundes durch den Arbeitgeber (z.B. im Kündigungsschreiben) erhebliche Indizwirkung beigemessen.
Tipp:
Die Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch Abschluss eines Aufhebungsvertrages mit dem Veräußerer oder Erwerber ist möglich, wenn die Vereinbarung auf das endgültige Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem Betrieb gerichtet ist. Wird zugleich ein neues Arbeitsverhältnis zum Betriebsübernehmer vereinbart oder zumindest verbindlich in Aussicht gestellt, ist der Aufhebungsvertrag wegen Umgehung des Kündigungsverbotes nichtig.
Die bei ihm fort geltenden Regelungen im Arbeitsvertrag kann der Erwerber nur im Einvernehmen mit dem Arbeitnehmer ändern.
2. Weitergeltung von Betriebsvereinbarungen
In Betrieben, die einen Betriebsrat haben, sind bei einem Betriebsübergang folgende Besonderheiten zu beachten:
Bei Übertragungen des vollständigen Betriebes gelten die Betriebsvereinbarungen kollektiv unmittelbar und zwingend weiter, da die betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Identität des Betriebes gewahrt bleibt. Der bisherige Betriebsrat bleibt im Amt, der Erwerber wird Betriebspartner des Betriebsrates.
Wie kann der Erwerber die „miterworbenen” Regelungen ändern?
- durch ordentliche Kündigung der Betriebsvereinbarung
- durch Ablösung oder Ersetzung durch eine nachfolgende Betriebsvereinbarung
- durch Aufhebungsvertrag zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat
- durch Zeitablauf bei befristeten Betriebsvereinbarungen (evtl. Nachwirkung beachten)
Beim Übergang von Betriebsteilen geht die betriebsverfassungsrechtliche Identität des bisherigen Betriebes verloren. Betriebsvereinbarungen werden mit dem Betriebsübergang Inhalt des einzelnen übergegangenen Arbeitsverhältnisses (§ 613a Abs.1 Satz 2 BGB). Der Betriebsrat nimmt ein Übergangsmandat wahr, vgl. § 21a Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG).
Schutzfrist
Die nun arbeitsvertraglich geltenden Regelungen dürfen nicht vor Ablauf eines Jahres nach dem Zeitpunkt des Übergangs zum Nachteil des Arbeitnehmers abgeändert werden.
Die Schutzfrist gilt jedoch nicht, wenn die Betriebsvereinbarung nicht mehr (zwingend) gilt, d. h.
- bei befristeten Betriebsvereinbarungen nach Fristablauf
- bei aufgehobenen Betriebsvereinbarungen
- bei gekündigten Betriebsvereinbarungen nach Ablauf der Kündigungsfrist
- bei Betriebsvereinbarungen im Nachwirkungsstadium
Wie kann der Erwerber die „miterworbenen” Regelungen ändern?Individualrechtlich nur durch eine Änderung des Arbeitsvertrages (einvernehmlich mit dem Arbeitnehmer) oder Ausspruch einer Änderungskündigung. Hier muss die Schutzfrist von einem Jahr beachtet werden!Kollektivrechtliche Möglichkeit ist die ablösende bzw. ersetzende Betriebsvereinbarung (§ 613 a Abs.1 Satz 3 BGB), die den gleichen Regelungstatbestand betrifft. Die Schutzfrist von einem Jahr gilt hier nicht.
3. Weitergeltung von Tarifverträgen
Gelten im Betrieb Tarifverträge, so ist folgendes zu berücksichtigen:
Der Verbandstarifvertrag gilt kollektivrechtlich beim Erwerber fort, wenn
- der Erwerber selbst im zuständigen Arbeitgeberverband Mitglied ist oder
- der Tarifvertrag allgemeinverbindlich ist
Ist der Erwerber nicht tarifgebunden, erfolgt eine Transformation der Regelung in das einzelne Arbeitsverhältnis.
Wie kann der Erwerber die „miterworbenen” Regelungen ändern?
Änderungen zu Gunsten des Arbeitnehmers sind jederzeit möglich. Im übrigen gilt:
Individualrechtlich möglich sind eine Änderung des Arbeitsvertrages (einvernehmlich mit dem Arbeitnehmer) oder Ausspruch einer Änderungskündigung nach Ablauf der einjährigen Schutzfrist.
Kollektivrechtlich kann jederzeit durch einen neuen Tarifvertrag Ablösung erfolgen, wenn beiderseitige kongruente Tarifbindung besteht, der Tarifvertrag allgemeinverbindlich ist oder Arbeitnehmer und Erwerber die Anwendung eines anderen Tarifvertrages vereinbaren.
4. Haftung für Verbindlichkeiten
Der Erwerber haftet grundsätzlich für alle im Zeitpunkt des Betriebsübergangs bestehenden Verbindlichkeiten des Veräußerers aus dem Arbeitsverhältnis.
Der Veräußerer haftet jedoch kraft Gesetz als Gesamtschuldner neben dem Erwerber für solche Verpflichtungen,
- die vor dem Betriebsübergang entstanden und fällig geworden sind
- die vor dem Betriebsübergang entstanden und spätestens ein Jahr danach fällig geworden sind.
5. Informationspflicht des Arbeitgebers
Erwerber und Veräußerer sind verpflichtet, jeden betroffenen Arbeitnehmer schriftlich zu informieren
- über den schon feststehenden oder geplanten Zeitpunkt des Übergangs
- den Grund des Übergangs
- über die rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen für die Arbeitnehmer
- über die für die Betroffenen vorgesehenen Maßnahmen (z.B. Weiterbildungsmaßnahmen, wenn Produktionsumstellungen geplant sind)
Die Unterrichtung muss den Arbeitnehmern in Textform, also als Schriftstück, an die Hand gegeben werden. Eine eigenhändige Unterschrift ist nicht erforderlich, so dass auch eine Kopie, ein Telefax oder eine E-Mail genügen.
Die ordnungsgemäße Unterrichtung ist von wesentlicher Bedeutung, da bei fehlerhafter Information die Widerspruchsfrist nicht zu laufen beginnt. Ausführliche Hinweise zur Informationspflicht für Arbeitgeber finden Sie in der rechten Spalte.
6. Widerspruch des Arbeitnehmers
Der Arbeitnehmer kann ohne Angabe von Gründen dem Betriebsübergang widersprechen.
Der Widerspruch muss schriftlich, d. h. eigenhändig unterschrieben, und innerhalb eines Monats nach Zugang der Unterrichtung dem bisherigen oder dem neuen Arbeitgeber gegenüber erklärt werden. Eine Begründung des Widerspruchs ist nicht erforderlich.
Rechtsfolgen des Widerspruchs
Nach einem Widerspruch besteht das Arbeitsverhältnis mit dem früheren Betriebsinhaber weiter.
Ist die bisherige Beschäftigungsmöglichkeit dort infolge des Betriebsübergangs entfallen, kann betriebsbedingt gekündigt werden, wenn keine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit im Unternehmen besteht.
Verzicht auf Widerspruch
Ein Verzicht des Arbeitnehmers auf das Widerspruchsrecht ist möglich.
Ein wirksamer Verzicht
- muss im Einzelfall anlässlich eines konkreten Betriebsübergangs erklärt werden (keine abstrakte Regelung im Voraus im Arbeitsvertrag)
- setzt eine ordnungsgemäße Unterrichtung durch den Arbeitgeber voraus (s. o.)
- muss ausdrücklich erfolgen
7. Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates
Maßnahmen im Zuge eines Betriebsübergangs können nach dem BetrVG mitbestimmungspflichtig sein:
- bei Beendigungs- oder Änderungskündigungen ist der Betriebsrat des kündigenden Betriebes anzuhören (§ 102 BetrVG)
- bei Versetzungen im Zuge des Übergangs bestehen Mitbestimmungspflichten (§ 99 Abs. 3 BetrVG)
- es bestehen Informationsrechte des Wirtschaftsausschusses beim Veräußerer und beim Erwerber (§ 106 Abs.2 Nr.1, 8, 9, 10, BetrVG)
- Betriebsübergänge, die mit Umstrukturierungen, Rationalisierungen und Ausgliederungen verbunden sind, können mitbestimmungspflichtige Betriebsänderungen darstellen (§§ 111 ff. BetrVG)
- der Übergang des Arbeitsverhältnisses an sich ist keine Einstellung, die nach § 99 BetrVG mitbestimmungspflichtig wäre.
Autorin: Kerstin Fiedler