Infrastruktur und Digitale Wirtschaft

europäisches Hygienerecht

Das Hygienerecht, das bisher nur auf nationaler Ebene geregelt war, umfasst viele Regelungen, so dass es häufig als unübersichtlich, veraltet und wenig praxisbezogen kritisiert wurde. Es lag nahe, eine dringend notwendige Reform gleich auf europäischer Ebene durchzuführen, um gemeinschaftsweit gleiche Regelungsdichte und -tiefe sowie übereinstimmende Vorschriften zu erreichen. Ziel ist eine Zusammenfassung, Konsolidierung und Modernisierung des Hygienerechts.
Am 29.04.2004 wurden drei Verordnungen nebst Aufhebungsrichtlinie erlassen, die EU- weit das Hygienerecht regeln. Obwohl die Verordnungen bereits am 20.05.2004 in Kraft traten, sind sie erst ab 01.01.2006 anzuwenden. Als wesentliche Neuerung bringt die Reform die Ausdehnung der Hygienevorschriften auf die Urproduktion, die Rechtsform der Verordnung, die Aufhebung der Vorrangstellung des Spezialrechts sowie die Anpassung der Hygienevorschriften an die Grundsätze und Begriffe der EU- Basis- Verordnung 178/2003 mit sich.

1. Verordnung ( EG ) Nr. 852/ 2004 vom 29.4.2004 über Lebensmittelhygiene

Diese Verordnung steht in der Tradition der Richtlinie 93/43/EWG über Lebensmittelhygiene und schreibt deren bewährtes Konzept aus Risikoanalyse und Guter Hygiene- Praxis fort. Es handelt sich um die Basis Regelung der Lebensmittelhygiene für alle Betriebe in sämtlichen Bereichen des Lebensmittelkreislaufs ab der Urproduktion. Daher hat sie auch Geltung für die in der Vergangenheit gesondert und abschließend geregelten Bereiche, beispielsweise der Eier-, Fleisch-, Milch- und Fischverarbeitung.
In der Verordnung sind folgende Punkte geregelt:
  • Definitionen der wesentlichen Begriffe der Lebensmittelhygiene
  • Allgemeines Hygienegebot mit Beschreibung der allgemeinen Hygieneregeln in den Anhängen
  • Verpflichtung zur Durchführung der Gefahrenanalyse nach den Grundsätzen des HACCP- Konzeptes und deren Dokumentation als Nachweis gegenüber Aufsichtsbehörden
  • Betriebsregistrierungspflicht für alle Betriebe; für bestimmte Betriebe im Bereich der Verarbeitung von Lebensmitteln tierischen Ursprungs ist eine Zulassung erforderlich
  • Verfahren und Konzept für Erarbeitung und Prüfung von freiwilligen Leitlinien für eine gute Hygiene- Praxis als Fortschreibung der GHP- Leitlinien
  • Allgemeine Bestimmungen für die Einfuhr von Lebensmitteln aus Drittländern sowie für Ausfuhr von Lebensmitteln in Drittländer
  • Beschreibung der von den Betrieben einzuhaltenden Guten Verfahrenspraxis hinsichtlich Hygiene in Anhängen I und II

2. Verordnung ( EG ) Nr. 853/2004 vom 29.4.2004 über spezifische Hygienevorschriften für Lebensmittel tierischer Herkunft

Regelungsgegenstand der Verordnung sind spezifische Hygienevorschriften für Betriebe, die Lebensmitteltierischen Ursprungs verarbeiten. Sie gilt für unverarbeitete Erzeugnisse tierischen Ursprungs sowie für Lebensmittel, die als Verarbeitungserzeugnisse aus der Erstverarbeitung unverarbeiteter tierischer Erzeugnisse hervorgehen. Keine Geltung findet die Verordnung bei Lebensmitteln, die als Zutaten Verarbeitungserzeugnisse tierischen Ursprungs und Zutaten pflanzlichen Ursprungs enthalten. Ausgenommen sind auch Betriebe der Gemeinschaftsverpflegung sowie - mit Ausnahmen- Einzelhandelsbetriebe.
Alle Lebensmittelunternehmen, für die als Zulassungsvoraussetzung besondere Vorschriften in den Anhängen der Verordnung enthalten sind, gelten als zulassungspflichtig. Dies trifft zum Beispiel auf Betriebe mit Fleisch-, Fisch-, Eier- und Milchverarbeitung zu. Hingegen sind Betriebe, die zusammengesetzte Lebensmittel wie Speiseeis oder Pizza herstellen, nicht zulassungspflichtig, sondern unterfallen dem allgemeinen Hygienerecht der Verordnung unter 1.
Zugelassene Betriebe erhalten ein Identitätskennzeichen und eine Identifizierungsnummer für Lebensmittel, um die Rückverfolgbarkeit zu sichern. Diese Identitätskennzeichnung für Endprodukte ersetzt die bisherige Genusstauglichkeitskennzeichnung.
Die Produkthygienevorschriften für Teilbereiche mit besonderen Anforderungen sind den Anhängen der Verordnung zu entnehmen. Drittlandregelungen im Bereich der Lebensmittel tierischen Ursprungs mit Vorgaben hinsichtlich der Betriebszulassung in Drittländern und Identitätskennzeichnung bei Drittlandeinfuhren sind produktunabhängig und branchenübergreifend geregelt.

3. Verordnung (EG) 854/2004 vom 29.4.2004 über die amtliche Überwachung von zum menschlichen Verzehr bestimmten Erzeugnissen tierischen Ursprungs

Diese Verordnung regelt die Durchführung von Veterinärkontrollen im Bereich der Lebensmittel tierischen Ursprungs neu und beschreibt die Grundsätze der amtlichen Überwachung, Aufgaben und Kompetenzen der Überwachungsbehörden sowie der Verfahren bei der Einfuhr. Dabei wird ein risikobasierter Ansatz verfolgt.

4. Richtlinie 2004/41/EG vom 21.4.2004 zur Aufhebung bestimmter Richtlinien über Lebensmittelhygiene und Hygienevorschriften für die Herstellung und das Inverkehrbringen von bestimmten, zum menschlichen Verzehr bestimmten Erzeugnissen tierischen Ursprungs

Mit dieser Richtlinie werden die Richtlinie 93/43/EG sowie 15 produktspezifische Einzelrichtlinien aufgehoben. Die Vorschriften der neuen EU- Verordnungen unter 1.- 3. treten an deren Stelle. Alle Mitgliedsstaaten haben bis zum 1.1.2006 Zeit, das auf die bisherigen Richtlinien gestützte nationale Recht aufzuheben.

5. Durchführungsvorschriften

Zu den neuen Verordnungen unter 1. – 3. werden in Zukunft weitere Ergänzungsvorschriften treten. Eine Verordnung der Kommission mit mikrobiologischen Kriterien für Lebensmittel ist schon in Vorbereitung.
Auch die weiteren Ergänzungsvorschriften werden sich mit mikrobiologischen Kriterien, Temperaturkriterien, Probennahme und Analyseverfahren befassen. Diese Durchführungsvorschriften sollten bis zum 01.01.2006 vorliegen, um den Erlass nationaler Übergangsregelungen zu verhindern.

6. Auswirkungen auf die Unternehmen

Die bisher zum Thema erschienenen Artikel und Abhandlungen legen die Vermutung nahe, dass die materiellen Auswirkungen begrenzt bleiben werden. Die größten Veränderungen wird es in der Primärproduktion geben. Die Einhaltung der Guten Hygiene- Praxis sowie die Anwendung des HACCP- Konzeptes sind nicht neu und den Unternehmen seit längerer Zeit geläufig.
Rechtstechnisch sind allerdings im nationalen Umfeld viele Änderungen zu erwarten, da die drei Verordnungen sowie die Richtlinie das geltende Recht zum 01.01.2006 fundamental verändern. So ist z.B. vorauszusehen, dass die LMHV vollständig aufgehoben werden wird. Das Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft plant, die jeweiligen EU- Verordnungen in nationale Durchführungsbestimmungen zu fassen. Mit einem Erlass der nationalen Regelungen ist voraussichtlich in der zweiten Jahreshälfte 2005 zurechnen.
Für die amtliche Lebensmittelüberwachung ergibt sich als neue Aufgabe die Kontrolle von Betrieben der Primärproduktion, die Verwaltung der Betriebsregistrierungen sowie die Ausweitung der Drittlandsanforderungen.
Quelle: IHK Wiesbaden, Ass. Jur. Claudia Bach
Hinweis: Dies ist eine Zusammenfassung der rechtlichen Grundlagen, enthält erste Hinweise und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Obwohl diese Zusammenfassung mit größtmöglicher Sorgfalt erstellt wurde, kann eine Haftung für die inhaltliche Richtigkeit nicht übernommen werden.