DIHK-Präsident Peter Adrian: "Wir brauchen mehr Freiraum."

IHK-Jahresempfang 2024

Beim IHK-Jahresempfang 2024 war DIHK-Präsident Peter Adrian zu Gast. Gemeinsam mit IHK-Präsident Markus Maier und IHK-Hauptgeschäftsführer Thilo Rentschler beurteilte er die heutige wirtschaftliche Lage. Rund 250 Gäste tauschten sich bei der Veranstaltung intensiv aus.

Festrede des DIHK-Präsidenten Peter Adrian

DIHK-Präsident Peter Adrian fordert eine leistungsorientierte Gesellschaft, eine starke Wirtschaft und einen schlanken Staat. Eine Wirtschaftswende und wieder mehr Freiraum für Unternehmertum, für Innovationen und Investitionen, hat Peter Adrian, der Präsident der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), bei seinem Festvortrag beim Jahresempfang der IHK Ostwürttemberg gefordert.
Es sei einiges ins Rutschen geraten, dabei brauche man eine positiv denkende, leistungsorientierte Gesellschaft. Nur mit einer starken Wirtschaft werde der Staat geopolitisch ernst genommen und könne für die Belange der Wirtschaft auf europäischer und internationaler Ebene eintreten. Dabei forderte Adrian Tempo, denn:
„Die Welt wartet nicht auf uns!“
Der Gast begann seine mit viel Beifall aufgenommene Rede mit Komplimenten: Ostwürttemberg sei eine Region, die besondere Beachtung genieße und die Heimat vieler Champions sei. Daher sei es für ihn eine Ehre, hier sein zu dürfen. Nach diesen lobenden Worten wandte er sich den Problemen zu, die er in Wirtschaft und Gesellschaft sieht, und knüpfte damit an die Rede von IHK-Präsident Markus Maier an.
Deutschland tendiere immer weniger zu Leistung und Wettbewerb, lautete Adrians Analyse, sogar das Sportabzeichen komme immer mehr aus der Mode. Dabei brauche der Staat starke Unternehmen und er müsse seine Finanzen wieder in Ordnung bringen. Notwendig seien für erfolgreiche Unternehmen eine Willkommenskultur und offene Grenze. Die Wirtschaft müsse dazu beitragen, dass Leistung, Arbeit und Engagement wieder positiv wahrgenommen werden.
Seit der Corona-Pandemie sei Deutschland nicht wieder richtig in Fahrt gekommen, sagte Adrian weiter, das prognostizierte Wirtschaftswachstum liege zwischen 0 und mageren 0,5 Prozent. Damit zähle das Land international zu den Schlusslichtern. Die Unternehmen würden aber nicht nur an der aktuellen Lage leiden, sondern auch an den strukturellen Herausforderungen wie zu hohen Energiekosten, einer im internationalen Vergleich zu hoher Steuerbelastung und hohen Arbeitskosten sowie einer überbordenden Bürokratie mit einer langen Verfahrensdauer. Die Folge: Deutschland sei international abgerutscht von Platz 6 im Jahr 2014 auf nunmehr Rang 22. Das bremse auch die Investitionen und es werde immer schwerer, die Herausforderungen durch Digitalisierung zu bewältigen.

Auf Veränderungen reagieren

Denn inzwischen werde aus Kostengründen immer mehr in Amerika und Asien investiert und dieser schleichende Prozess sei auf Dauer nicht auszuhalten. In der Weltrangliste sei Deutschland inzwischen auf dem Niveau von Venezuela angelangt.
„Denn unser Land ist besonders schwach darin, auf Veränderungen zu reagieren und sich flexibel anzupassen.“
Und das angesichts des wirtschaftlichen Erstarkens vieler Länder. Europa könne die Standards nicht mehr vorgeben. „Made in Germany“ sei nach wie vor ein Qualitätsmerkmal, aber es konkurriere nun international mit Ländern wie China, Indien oder Brasilien. Das könne negative Auswirkungen auf die deutsche Wettbewerbsfähigkeit haben. Adrian nannte hier vor allem das europäische Lieferkettengesetz, das noch über das deutsche hinausgehe. Dieses müsse dringend ausgesetzt und das EU-Gesetz überarbeitet werden. Man brauche weltweit Partner und müsse auf diese zugehen – aber nicht mit dem erhobenen Zeigefinger. Adrian:
„Wir sollten nicht übereinander, sondern miteinander reden!“
Der „Green Deal“ der EU sei viel zu bürokratisch, unterstrich der Redner, die Zielsetzung stimme nicht mehr. Auch hier brauche es mehr unternehmerische Kooperation und Freiheit. Ebenso sei nicht akzeptabel, dass seit über 30 Jahren der Mercosur-Vertrag mit den südamerikanischen Ländern verhandelt werde und man zu keinem Ergebnis komme. Die EU müsse sich aus der Sicht der Wirtschaft wieder auf ihre Kernaufgaben besinnen, sagte der Redner, und nannte Freiheit, Wettbewerb, Rechtsstaatlichkeit und Kooperation. Denn die Wirtschaft brauche ein starkes Europa mit einem leistungsfähigen Binnenmarkt. Aber eines, das intern weniger auf Bürokratie und wieder mehr auf unternehmerische Freiheit und Innovation setze. Ein Europa, das ein aktiver Player in der internationalen Politik sei, das Allianzen schmiede und so den Unternehmen neue Märkte öffne. Adrian zitierte den früheren Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker, der formuliert habe, groß bei großen Dingen, klein bei kleinen Dingen.

Wettbewerbsfähigkeit bedroht

Die Politik in Deutschland, fuhr Adrian fort, versuche, das angespannte Verhältnis zu den Verbänden wieder in ein harmonischeres Fahrwasser zu bringen, und verwies dabei auf ein Gespräch des Bundeskanzlers mit den Spitzenverbänden. Hauptthema seien die hohen Energiekosten gewesen. Vor allem bestehe die Gefahr, die energieintensiven Unternehmen zu verlieren, wenn man nicht gegensteuere.
Auch der Bundesrechnungshof habe darauf hingewiesen, dass die internationale Wettbewerbsfähigkeit bedroht sei. Er, Adrian, habe dem Kanzler gesagt, dass es nach seiner Einschätzung zwei Impulse brauche, nämlich Vertrauen in die Verlässlichkeit der Rahmenbedingungen zu schaffen, damit die Unternehmen kalkulieren können, und eine Art Doppel-Wumms beim Bürokratieabbau.
In diesem Jahr sei kaum mit einem wirtschaftlichen Wachstum zu rechnen, weshalb man andere Rahmenbedingungen brauche. Die steuerliche Belastung der Unternehmen hierzulande sei zu hoch. Steuersenkungen seien wichtig, auch um Investitionen in Deutschland wieder rentabler zu machen. Es brauche wieder einen schlanken, effizienten Staat, was der Redner eine der Hauptaufgaben der Zukunft nannte.
Tatsächlich aber steige die Mitarbeiterzahl im öffentlichen Dienst kontinuierlich. Staatliche Einrichtungen, die immer größer würden, belasteten die Wirtschaft ebenso wie die Neben- und Schattenhaushalte. Es sei auch die Frage zu stellen, wo die Grenzen der wirtschaftlichen Betätigung der öffentlichen Hand seien und wo sie gut beraten wäre, sich aus wirtschaftlicher Betätigung herauszuhalten.

Kernaufgaben des Staates

Zusammenfassend unterstrich Adrian, nötig sei ein Bürokratieverzicht, nicht allein nur Erleichterung. Dies würde voraussetzen, dass man Vertrauen entwickelt in das rechtmäßige Handeln der Bürgerinnen und Bürger. Der Staat dagegen müsse sich auf seine Kernaufgaben, nämlich Bildung, Gesundheit, innere und äußere Sicherheit konzentrieren, wo es viel zu tun gebe.
„Und wir brauchen Freiraum für unternehmerisches Handeln, damit wir wieder kreativ werden im Wettbewerb und im Ringen um innovative, effiziente Lösungen, auch in Sachen Transformation. Damit wir miteinander wetteifern können.“
Die Gesellschaft müsse mehr Diskussion und Offenheit aushallten und eine vernünftige Streitkultur pflegen. Nur so könne man extreme Positionen einfangen. Und man müsse wegkommen von der staatlich verordneten Vollkaskomentalität hin zu mehr Eigenverantwortung und mehr Vertrauen in die eigene Leistungsfähigkeit.

Präsident Markus Maier sieht verengte Diskussion

Die aktuelle Diskussion verengt sich weg vom Wert der Arbeit hin auf die Bedeutung der Freizeit. Diese Sorge hat IHK-Präsident Markus Maier beim wiederum gut besuchten Jahresempfang in den Räumen der IHK in Heidenheim artikuliert. Die aktuelle Stimmungslage, ergänzte Hauptgeschäftsführer Thilo Rentschler, erinnere unweigerlich an vielen Stellen an den AC/DC-Song „Highway to Hell“ - also an einen der Hits, die im musikalischen Rahmenprogramm Siggi Schwarz, Max Hunt und Tom Croèl zum Besten gaben und damit wieder für hervorragende Unterhaltung sorgten.
Die Wortbeiträge des Abends dagegen hatten durchaus ernstgemeinte Hintergründe. So sagte Maier mit Blick auf die jüngste Europawahl und eine neu sortierte Parteienlandschaft, Brüsseler Beschlüsse seien elementar für Beschäftigung, Investitionen, Forschung und Entwicklung – nicht irgendwo, sondern konkret hinter den eigenen Fabrik- und Ladentoren in Ostwürttemberg. Ihn treibe auch mit Blick auf Berlin eine Frage um:
„Wie stellen wir uns in dieser zunehmend polarisierten Welt auf?“
Und das vor dem Hintergrund einer alternden Bevölkerung und eines verschärften Arbeitskräftedefizits, eklatanter Infrastrukturmängel und einer ambitionierten Umwelt- und Energiepolitik. Einig sei man sich aber wohl darin: Nur eine funktionierende Wirtschaft helfe, all die großen und sehr großen Aufgaben zu bewältigen.
Habe man jedoch früher intensiv über den Wert der Arbeit jenseits des Lohns diskutiert, über Selbstverwirklichung in und Teilhabe und Sinnstiftung durch Arbeit, verenge sich dies heutzutage. Es gehe nicht um den Wert von Arbeit, sondern um die Bedeutung von Freizeit, im Kern also darum, wie man das Leben gestalten wolle. Maier warf daher die Frage auf:
„Ist Arbeiten nur Mühe und Mühsal oder ist sie auch Freude und innere Befriedigung?“
Um gleich hinzuzufügen: „Sie ahnen, was meine Meinung ist!“ Der IHK-Präsident äußerte die Überzeugung, mit diesem geweiteten Blick würde man anders über die Vier-Tage-Woche oder über „Work-Life-Balance“ diskutieren. Denn die Ökonomen sprächen von einer Freizeitpräferenz.
Weltweit hätten die Deutschen, resultierend aus der Nachkriegszeit, den Ruf, ein fleißiges Volk zu sein. Tatsächlich aber werde jetzt in Deutschland deutlich weniger gearbeitet als in allen relevanten Industrieländern. Das wäre kein Problem, wenn man produktiver wäre als die anderen. Aber dies sei eben in den vergangenen zehn Jahren zwischen 2012 und 2022 mit einem jährlichen Produktivitätszuwachs von gerade mal 0,3 Prozent nicht der Fall gewesen. Zwischen 1972 und 1992 seien es noch zwei Prozent jährlich gewesen.
Maier bekannte offen, diese Entwicklung bereite ihm Sorgen. Denn:
„Wie gut könnten wir sein, wenn wir nur wollten. Wir hätten so viel mehr Möglichkeiten, auf all die Megatrends und globalen Herausforderungen zu antworten. Wie fundamental ließe sich Infrastruktur verbessern, Umweltschutz umsetzen und Verteidigung finanzieren? Und unsere immensen Sozialausgaben wären zu stemmen, das Wohlstandsniveau zu halten, der Wirtschaftsstandort wäre gesichert. Wenn wir wollten!“

Was alles möglich wäre

Ökonomen schätzten, fuhr Maier fort, dass die wirtschaftliche Leistung von Deutschland im laufenden Jahr etwa 290 Milliarden Euro mehr betragen könnte, würde es sich auf dem ehemaligen Wachstumspfad bewegen. Das Bruttoinlandsprodukt wäre um sieben Prozent höher. Es gäbe Gestaltungsspielraum bei Einhaltung der Schuldenbremse und selbst Steuererleichterungen wären problemlos möglich.
Aber auch so sei es um die wirtschaftliche Lage und die Perspektive schon besser bestellt gewesen, sagte der IHK-Präsident weiter. Laut dem langjährigen Vorsitzenden des Sachverständigenrats, Bert Rürup, herrsche seit nunmehr 16 Quartalen faktisch Stagnation in Deutschland. Maier:
„Wenn wir trotzdem nicht in Trübsal versinken, dann deshalb, weil wir Unternehmer sind. Immer in dem Wissen, Zukunft kommt nicht einfach, wollen und werden wir sie gestalten.“
Auch in Ostwürttemberg täten viele Akteure in Zusammenarbeit mit der IHK das, was sie können.
„Wir sehen uns als Teil einer Problemlösung und wollen eben nicht nur auf Versäumnisse anderer hinweisen und mit plakativen Forderungen meinen, das sei es dann gewesen.“
Der Präsident unterstrich, die 2021 gestartete Offensive „Zukunft Ostwürttemberg“ habe die regionale Wirtschaft und die Gesellschaft positiv beeinflusst. Man habe viel erreicht und habe noch viel vor. So wolle die Region sich am 14. und 15. Oktober in Berlin präsentieren und sie wolle die Ziele des Masterplans Ostwürttemberg 2030 erreichen. Denn der Transformationsprozess sei in vollem Gang, vielleicht dynamischer als je zuvor. Technologische Veränderungen hätten nochmals Fahrt aufgenommen, und damit seien nicht nur Digitalisierung und Künstliche Intelligenz gemeint. Dabei wolle man nicht nur starker Zu-lieferer sein, sondern ein für künftige Prosperität eintretender Zu-kunfts-lieferer in der „Region der Talente und Patente“.

„Wir-Gefühl“ ist weitergewachsen

Das Wir-Gefühl in Ostwürttemberg sei weitergewachsen, konstatierte der Redner, ebenso die Motivation, das Erarbeitete selbstbewusst zu präsentieren. Maier:
„Wir haben gezeigt, dass wir bereit sind, unser Schicksal selbst in die Hand zu nehmen!“
Als regional bestens verankerte IHK habe man keinen direkten Einfluss auf das Weltgeschehen, sagte Hauptgeschäftsführer Thilo Rentschler. Aber dennoch bringe die Region ihren konkreten Beitrag. In der Zukunftsoffensive beackere sie die Themen, die Ostwürttemberg voranbringen würden. Deshalb fahre man im Oktober gemeinsam nach Berlin – nicht mit dem Traktor, sondern mit guten Lösungen im Gepäck.
„Wir können und wollen für viele Herausforderungen Modellregion sein, wir wollen Vorreiter sein in Sachen Transformation und vielem mehr!“
Man stecke dabei nicht den Kopf in den Sand, sondern wolle mit konstruktivem, langanhaltendem Atem Unterstützung und manchmal auch Stachel für die Politik sein.
 

IHK-Hauptgeschäftsführer Thilo Rentschler: Region kann stolz sein

Als nicht so gute Nachricht zitierte Rentschler einen Zeitungsbericht, wonach die Menschen im  Bereich Wirtschaft eklatante Bildungslücken hätten, was auch daran liege, dass Schulen und Hochschulen ein misstrauisches bis negatives Bild vom freien Markt und von unternehmerischer Tätigkeit zeichneten und unternehmerisches  Handeln als Ursache für Wohlstand nahezu vollständig ausblendeten.
Diese bittere Realität sei ein unhaltbarer Zustand. Als positive Nachricht bezeichnete IHK-Hauptgeschäftsführer Rentschler dagegen die Tatsache, dass in den vergangenen zehn Jahren in der Region die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze von 164.000 auf 190.000 angestiegen sei. Auch die Zahl der Ausbildungs- und Hochschulplätze sei stark gestiegen. Dieser Erfolg mache die Region stolz und auf diesem soliden Fundament wolle man aufbauen.
Text: Viktor Turad