Logistikbranche

Lkw-Fahrer dringend gesucht

Anhand zweier Kennzahlen kann die Entwicklung des Straßengüterverkehrs in Deutschland ganz gut quantifiziert werden – dem Transportaufkommen sowie der Transportleistung. Im Jahr 2021 wurden auf den Straßen in Deutschland rund 3,685 Milliarden Tonnen transportiert. Bis zum Jahr 2023 soll die transportierte Gütermenge laut Prognosen auf über 4 Milliarden Tonnen ansteigen. Die Transportleistung im Straßengüterverkehr betrug im Jahr 2017 noch 486 Milliarden Tonnenkilometer, 2021 bereits über 505 Milliarden Tonnenkilometer und 2023 sollen es voraussichtlich über 549 Milliarden Tonnenkilometer sein. Der sog. Modal-Split (die Verteilung des Transportaufkommens auf verschiedene Verkehrsträger oder Verkehrsmittel) zeigt einen Anteil des Straßengüterverkehrs am gesamten Güterverkehr in Deutschland von rund 70 Prozent.
Die Zahl der Transporte steigt also an. Nur die der LKW-Fahrer sinkt immer weiter. Unterschiedlichen Schätzungen zufolge fehlen in Deutschland 60.000 bis 80.000 Kraftfahrer. Jedes Jahr kommen etwa 15.000 weitere dazu. Gemäß der Internationalen
Straßenunion (IRU) werden bis zum Jahr 2027 ca. 185.000 Berufskraftfahrer in Deutschland fehlen. Europaweit ist der Mangel von 2020 auf 2021 um 42 Prozent angestiegen, wobei in Rumänien 71.000, in Polen wie in Deutschland 80.000 und im Vereinigten Königreich 80.000 – 100.000 Fahrerstellen laut  der IRU unbesetzt blieben. Befragt wurden mehr als 1.500 Unternehmen des gewerblichen Straßengüterverkehrs in 25 Ländern in Nord- und Südamerika, Asien und Europa.
Aufgrund des Krieges zwischen Russland und der Ukraine haben mehr als 166.000 LKW-Fahrer ihren Arbeitsplatz verloren. Dadurch verschärft sich das Problem des Fahrermangels noch einmal beträchtlich. Bereits Ende 2021 – also vor dem Krieg – wurde die Zahl der unbesetzten Arbeitsplätze auf 380.000 – 425.000 geschätzt.
Laut einer Umfrage der Bundesvereinigung Logistik (BVL) erwarten rund 82 Prozent der befragten Logistikdienstleister langfristig negative bis starke Auswirkungen des Fachkräftemangels in der Logistik auf den eigenen Unternehmenserfolg. In der Folge ist deshalb mit verstärkten Frachtraumengpässen zu rechnen. Das würde im Umkehrschluss dann auch Auswirkungen auf die Konsumenten haben, in dem bspw. Waren nicht mehr so verfügbar sein werden, wie man es eventuell in der Vergangenheit gewohnt war.
Laut Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) waren zum 1. Januar 2022 insgesamt 1.385.673 Fahrerkarten und damit rund 48.640 (3,4 Prozent) weniger im Bestand als noch im Vorjahr. Rund 66 Prozent aller Besitzer einer Fahrerkarte sind 45 Jahre oder älter, nur knapp 1,8 Prozent 24 Jahre oder jünger.
Das Maskulinum „Fahrer“ im Text ist übrigens bewusst gewählt. Der Frauenanteil unter den Personen mit Fahrerkarten ist mit weniger als 3 Prozent nach wie vor sehr gering.
Ein Grund für den Mangel ist sicher auch der Wegfall der Wehrpflicht im Jahr 2011. Zum Vergleich: Im letzten Jahr der Wehrpflicht (2010) haben 17.800 Menschen eine Kraftfahrausbildung bei der Bundeswehr erfolgreich abgeschlossen, im Jahr 2018 waren es nur noch ca. 11.000 Personen. Dieser Nachwuchs fehlt. Dass der Mangel akut ist, verdeutlichen auch folgende Zahlen: Allein in Deutschland waren zum 01.01.2022 ca. 3,55 Millionen LKWs und 2,35 Millionen Zugmaschinen angemeldet.
Erschwerend kommt hinzu, dass der Beruf des Kraftfahrers bei vielen kein besonders gutes Image hat. Das ergibt auch eine Umfrage unter den Fahrerinnen und Fahrern. 90 Prozent der Befragten sehen das als ein Problem. Da helfen auch  TV-Dokumentationen zur Primetime nicht viel. Wobei hier, im Guten wie im Schlechten, auch viel Klischee ist und nicht mit der Realität übereinstimmt.
Was den Beruf zudem für viele unattraktiv macht, sind die Rahmenbedingungen der Arbeit. Im Fernverkehr ist man oft tage- oder wochenlang unterwegs und somit weg von der Heimat und der Familie. Zudem müsste vielfach die Situationen an den Laderampen verbessert werden. Dies in Form einer höheren Wertschätzung, was sich bspw. durch einen Zugang zu sanitären Anlagen zeigen würde. Zumindest kleine Verbesserungen wurden durch das beschlossene EU-Mobilitätspaket I erzielt. Darin ist u.a. eine Flexibilisierung der Lenk- und Ruhezeiten geregelt, so dass Fahrer in Verbindung mit einer Wochenendruhezeit, sprich, wenn sie nach Hause fahren, ihren Heimatort auch erreichen können..

Berufskraftfahrer offiziell Mangelberuf der Bundesagentur für Arbeit

Damit es für Arbeitgeber nun auch einfacher ist, qualifizierte LKW-Fahrer aus Nicht-EU-Ländern einzustellen, wurden die Bestimmungen zur geregelten Zuwanderung gelockert. Seit 1. März 2020 gilt das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz.
Damit entfällt zum Beispiel die Vorrangprüfung. Arbeitgeber müssen nicht mehr nachweisen, dass es für die freie Stelle keine inländische Arbeitskraft gibt. Die Ansprüche an deutsche Sprachkenntnisse werden gesenkt und Zeugnisse und Zertifikate werden unbürokratischer anerkannt.
Auch durch nachhaltige Lohnanpassungen steigt die Attraktivität des Berufsbildes nicht wirklich an und der Fahrermangel besteht weiter. Das Logistikgewerbe ist also umso mehr darauf angewiesen, dass qualifiziertes Fachpersonal ausgebildet wird.
Den Industrie- und Handelskammern (IHKs) kommt dabei eine zentrale Rolle zu. Diejenigen Fahrer, die ihre Lkw-Fahrerlaubnis (C1, C1E, C, CE) vor dem 10. September 2009 oder ihre Bus-Fahrerlaubnis (D1, D1E, D, DE) vor dem 10. September 2008 erworben haben, genießen Besitzstand. Das heißt, diese Fahrer sind kraft Gesetz für ihren Tätigkeitsbereich grundqualifiziert. Alle anderen,
für die das nicht zutrifft, haben unterschiedliche Möglichkeiten, die notwendige Grundqualifikation zu erlangen.

Erwerb durch Berufsausbildung

Der Fahrer macht eine dreijährige Berufsausbildung zum Berufskraftfahrer mit dem Schwerpunkt Güter- oder Personenbeförderung oder zur Fachkraft im Fahrbetrieb. Diese Ausbildungsverhältnisse werden bei den IHKs eingetragen und die Zwischen- und Abschlussprüfung abgenommen. Die entsprechenden Ausbildungsbetriebe sind berechtigt, die für Berufskraftfahrer im Zeitraum von fünf Jahren vorgeschriebene Weiterbildung durchzuführen.

Erwerb durch Grundqualifikation

Bei der Grundqualifikation legt der Fahrer bei der IHK eine vierstündige schriftliche Prüfung ab, die aus offenen und Multiple-Choice-Fragen besteht. Zusätzlich ist eine dreieinhalbstündige praktische Prüfung, die aus einer Fahrprüfung, einem praktischen
Prüfungsteil und der Bewältigung kritischer Fahrsituationen besteht, zu absolvieren. Der Schwerpunkt bei der Fahrprüfung liegt unter anderem beim verkehrsgerechten und sicheren Führen des Kraftfahrzeugs sowie in der energiesparenden und materialschonenden Fahrweise. Ein Vorbereitungskurs ist bei dieser Prüfung nicht vorgeschrieben.

Erwerb durch beschleunigte Grundqualifikation

Hier belegt der Prüfungsteilnehmer einen 140-stündigen Lehrgang bei einer Fahrschule. Darin müssen zehn Praxisstunden enthalten sein. Im Anschluss daran findet bei der IHK eine neunzigminütige schriftliche Prüfung statt, die ebenfalls aus offenen und Multiple-Choice-Fragen besteht. Um hier Erleichterungen für die Prüflinge zu schaffen, haben die IHKs Änderung, die die rechtlichen Grundlagen zur EU-Berufskraftfahrerprüfungen zulassen, umgesetzt. Zum 1. März 2019 wurde der Anteil der Multiple-Choice-Fragen von 50 auf 70 Prozent erhöht. Zukünftig werden in den Prüfungen zur beschleunigten Grundqualifikation auch Mehrfachwahlaufgaben mit maximal 2 richtigen Antwortmöglichkeiten eingesetzt. Auch das Sprachniveau wurde auf einfachste
deutsche Sprache angepasst und alle Prüfungsfragen veröffentlicht.

Schlüsselzahl 95

Das erfolgreiche Ablegen einer dieser Prüfungen wird durch die Schlüsselzahl 95 dokumentiert. Aufgrund  der Befristung auf fünf Jahre wird zusätzlich das Ablaufdatum eingetragen. Damit ist der Fahrer berechtigt, im gewerblichen Güterkraft- oder Personenverkehr tätig zu werden.
Nach einer bundesweiten DIHK-Statistik ist bei den Grundqualifikationen seit 2011 ein stetig steigender Trend zu beobachten, der 2019 mit 21.260 Prüfungen im Bereich Güterkraftverkehr seinen vorläufigen Höchststand erreicht hat. Corona hat die Entwicklung auch hier etwas ausgebremst. 2021 waren es 18.087.
Bei der IHK Ostwürttemberg ist ein ähnlicher Trend zu verzeichnen. 2021 haben 140 Prüfungsteilnehmer die Berufskraftfahrer-Grundqualifikation (Güterkraftverkehr) abgelegt. Davon haben sich 136 Prüfungsteilnehmer für die beschleunigte Grundqualifikation (Lehrgang und Prüfung) entschieden.
Zudem sind bei der IHK Ostwürttemberg derzeit 37 Personen zur Berufsausbildung als Berufskraftfahrer eingetragen.
Aus Unternehmersicht wären viel mehr möglich und auch nötig. Berufsanfänger wie auch Quereinsteiger haben hier sehr gute Chancen, sofort einen sicheren Arbeitsplatz zu finden.
Berufskraftfahrer haben zudem zahlreiche Weiterbildungsmöglichkeiten, bspw. sich als Fahrer für Gefahrgut zu qualifizieren. Auch hier übernehmen die IHKs die Überprüfung der bei einem Lehrgang angeeigneten Kenntnisse.
Grundlage aller Qualifizierungsmöglichkeiten ist das Berufskraftfahrer-Qualifikationsgesetz (BKrFQG), das seit seinem Inkrafttreten am 1. Oktober 2006 den Erwerb grundlegender Kenntnisse für Berufskraftfahrer regelt. Alle Fahrer im gewerblichen
Güterkraft- oder Personenverkehr müssen dabei besondere Kenntnisse nachweisen, soweit sie Fahrten mit Kraftfahrzeugen durchführen, für die eine Fahrerlaubnis der C-Klassen und D-Klassen erforderlich ist – in erster Linie Lastkraftwagen und Kraftomnibusse. Das BKrFQG und die dazugehörige Verordnung zur Durchführung des Berufskraftfahrer-Qualifikationsgesetzes
wurden mit dem Ziel erlassen, die Sicherheit im Straßenverkehr durch den Erwerb tätigkeitsbezogener Fertigkeiten und Kenntnisse zu erhöhen und gleichzeitig den Umweltschutz zu verbessern, indem Aspekte einer vorausschauenden Fahrweise
vermittelt werden, die helfen, den Kraftstoffverbrauch zu optimieren. Nach Erlangung der Berufskraftfahrerqualifikation ist diese fünf Jahre gültig. Innerhalb dieser Zeit muss vom Fahrer eine 35-stündige Weiterbildung besucht werden. Diese dient dazu, die vermittelten Fertigkeiten und Kenntnisse auf dem neusten Stand zu halten.
Alexander Paluch
Stv. Bereichsleiter
Abteilung: Standortpolitik | Unternehmensförderung