STANDPUNKT

Wer Bahnhof versteht, fördert die Wirtschaft

STANDPUNKT. Das ist die FORUM-Serie, in der Menschen zu Wort kommen, die auf dem wirtschaftspolitischen Parkett unterwegs sind und damit die regionalen Unternehmen unterstützen. Ob in Verbänden oder Vereinen, im Ehrenamt oder hauptamtlich, in Verwaltungen oder Interessenvertretungen – im Mittelpunkt steht die Wirtschaft in der Hauptstadtregion, in Brandenburg und Berlin. Heute kommt zu Wort: Dirk Flege, Geschäftsführer der Allianz pro Schiene
Bahnhöfe sind viel mehr als Orte, an denen ein Zug hält. Sie sind mehr als Orte, an denen Menschen ein- und aussteigen. Bahnhöfe sind Orte, die das Zeug haben, ihre Umgebung aus dem Dornröschenschlaf rauszuholen. Ein guter Bahnhof kann Unternehmen anziehen und mit ihnen Fachkräfte. Und manch ein Bahnhof ist sogar so spektakulär, dass Touristen nur seinetwegen anreisen und Geld in die Gemeinde bringen. Kurzum: Bahnhöfe sind ein echter Wirtschafts- und Standortfaktor. Wir brauchen lediglich noch mehr Bahnhofsversteher statt Menschen, die beim Thema Bahnhof „nur Bahnhof verstehen“.
Die Stadt Cottbus galt lange Zeit für Unternehmen nicht unbedingt als the place to be. Bei Cottbus dachte man zuerst an Braunkohle, und die kam mit dem Bewusstsein über folgenschwere Umweltschäden aus der Mode. Kein Zufall, dass auch das Bahnhofsgebäude am Cottbuser Hauptbahnhof viele Jahre nicht viel mehr war als ein Zweckbau aus den 1970er Jahren, der Reisende nicht unbedingt herzlich willkommen hieß und der keine großen Erwartungen an die Zukunft ausstrahlte. Mit dem Strukturwandel in der Lausitz mauserte sich aber auch der Cottbuser Hauptbahnhof. 30 Millionen Euro investierte die Deutsche Bahn in dessen Sanierung und Umbau, und die Stadt Cottbus erneuerte den Vorplatz. Heute steht der Cottbuser Bahnhof für den Wandel und die wirtschaftliche Innovationskraft der Region. 2021 zeichnete die Allianz pro Schiene ihn als „Bahnhof des Jahres“ aus. Inzwischen hat die DB in Cottbus ihr neues Instandhaltungswerk für ICEs eröffnet. Hunderte Fachkräfte profitieren täglich von der guten Anbindung, genauso wie Studierende der BTU Cottbus-Senftenberg.

Schon 2007 gaben 70 Prozent der deutschen Führungskräfte in einer Infratest-Umfrage im Auftrag des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen an, die Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr sei ein wichtiges Standort-Kriterium für ihr Unternehmen. Die Bedeutung von Bahnhöfen für die Wirtschaft schien demzufolge schon damals klar. Dennoch gab es bereits seit Mitte der 1990er Jahre die fatale Entwicklung, dass Bahnhofsgebäude verfielen oder verkauft wurden. Die Deutsche Bahn trennte sich im Laufe der Jahre von sage und schreibe 2.800 ihrer ursprünglich 3.507 Bahnhofsgebäude. In Brandenburg gehört heute nur noch jeder zehnte Bahnhof der Deutschen Bahn. Grund für die Verkäufe war ein Fehlanreiz durch den Bund. Als Eigentümer erwartete er von der Deutschen Bahn, die Gebäude durch Mieteinnahmen zu finanzieren. Doch das war in vielen Fällen schlicht nicht möglich.

Kompetenzstelle Bahnhof

Der Verkaufstrend ist zum Glück beendet: Die DB verpflichtete sich mit zunehmendem öffentlichen Druck 2022 zu einem Verkaufsstopp. Für die Bahnhöfe, die noch der Deutschen Bahn gehören, übernimmt der Bund nun mehr finanzielle Verantwortung. Doch beim viel größeren Teil der Bahnhöfe, die bereits verkauft wurden, braucht es ein gemeinsames Engagement von Bahn, Kommunen, Bevölkerung und Verbänden, um sie wiederzubeleben. In Bahnhöfen steckt schließlich genau so viel drin, wie Menschen vor Ort bereit sind aus ihnen zu machen.

Die eigens gegründete Kompetenzstelle Bahnhof des Verkehrsverbunds Berlin-Brandenburg leistet hier seit Jahren vorbildliche Arbeit. Sie ist Anlaufstelle für alle, die ihren Bahnhof wiederbeleben wollen. Hier finden engagierte Menschen Ansprechpartner, Fördermittel, Hilfe in Sachen Baurecht oder Inspiration für mögliche Nutzungskonzepte. Und dieses Angebot wirkt: Inzwischen sind in Brandenburg einige Vorzeige-Bahnhöfe im ländlichen Raum entstanden. Die Allianz pro Schiene hat sie kürzlich im Rahmen des Wettbewerbs „Bahnhof belebt!“ einer breiten Öffentlichkeit vorgestellt. Damit auch jene Bahnhöfe, die noch ein trauriges Dasein fristen, positiv auf ihr Umfeld ausstrahlen können, braucht es weitere Bahnhofsversteher. Die Industrie- und Handelskammern wären hier ein entscheidender Akteur. Sie könnten bei den jeweiligen Landesregierungen dafür werben, Bahnhöfe überall in Deutschland als festen Bestandteil in ihre regionalen Wirtschaftsförderungskonzepte zu integrieren. Denn genau das tun Bahnhöfe: sie stärken den Standort und fördern die regionale Wirtschaft, wenn wir sie verstehen lernen.
   
Zur Person:
Dirk Flege ist bereits seit 2001 Geschäftsführer des gemeinnützigen Verkehrsbündnisses Allianz pro Schiene. In dem einzigartigen Bündnis sind mehr als 200 Unternehmen aus der Bahnbranche und Organisationen der Zivilgesellschaft, Umweltverbände und Gewerkschaften vereint. Ziel ist es, den Schienenverkehr zu fördern und zu verbessern. Flege ist gelernter Journalist und studierter Politologe. Bevor er zur Allianz pro Schiene kam, war er unter anderem Geschäftsführer beim Naturschutzbund Deutschland (NABU) und beim ökologischen Verkehrsclub Deutschland (VCD).

Guido Noack
Referent Verkehr
Geschäftsbereich Wirtschaftspolitik