Interview

Eine Chance für Pendler, Region und Wirtschaft

In der Ostbahn schlummert großes Potenzial – um es zu nutzen, kämpft die Interessengemeinschaft Ostbahn um deren Ausbau

Seit bald 80 Jahren fährt die Ostbahn statt auf zwei nur noch auf einem Gleis von Berlin bis nach Polen. Damals als wichtige Strecke geschätzt, wird das Potenzial heute vor allem vom Bund verkannt. Diese Situation will die Interessengemeinschaft Ostbahn (IGOB) ändern. Seit 2020 setzt sie sich unter anderem für einen zweigleisigen Ausbau und die Elektrifizierung der Strecke ein. FORUM hat mit Geschäftsführer Frank Schütz über die Ostbahn gesprochen und darüber, wie wichtig sie für Unternehmen der Region sowie den grenznahen Raum ist.

FORUM: Wann sind Sie das letzte Mal die Strecke der Ostbahn gefahren?

Frank Schütz: Ich bin erst vor wenigen Tagen wieder auf der Strecke gefahren. Es ging für mich zu einer Konferenz nach Berlin. Wenn ich in der Hauptstadt zu tun habe, nutze ich fast immer die Bahn. Es ist praktisch und das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmt für mich, insbesondere wenn ich bedenke, dass ich mit dem Auto einen Parkplatz bezahlen muss – wenn ich überhaupt gleich einen finde. Zu Stoßzeiten ist der Zug aber sehr voll und es ist eher ein Glücksfall, einen Sitzplatz zu bekommen. Grund ist, dass die Strecke der Ostbahn eben nicht elektrifiziert und zweigleisig ausgebaut ist und deshalb nur kleine Züge fahren können.

FORUM: Sie sprechen von Stoßzeiten – welche Rolle spielt die Ostbahn denn heute für Berufspendler?

Frank Schütz: Die Ostbahn ist eine Hauptpendlerstrecke, die Berlin mit Arbeitskräften aus dem Umland versorgt. Ein wichtiger Streckenabschnitt ist Rehfelde-Strausberg. Hier fahren neben Berufspendlern auch viele Schüler. Die beiden Länder Brandenburg und Berlin haben den Bedarf erkannt und in ihren Koalitionsverträgen die Ostbahn als bedeutsame Achse benannt. Sie  drängen auf den Ausbau des Streckenabschnitts im Berliner Umland. Auch beim jüngsten Bahn-Gipfel wurde die Ostbahn benannt. Und in Polen genießt die Ostbahn ebenfalls eine große Bedeutung.

FORUM: Und wer hemmt einen zügigen Ausbau?

Frank Schütz: Wir haben die Problematik, dass der Bund leider den Blick in Richtung Osteuropa verschläft und nicht realisiert, wo der Fokus in Europa liegt, wo wichtige Verkehrsachsen liegen, wo auch Potenziale zur Wertschöpfung in Deutschland liegen. Wenn vom Duisburger Hafen die Fragen kommen, warum der Güterverkehr aus Polen nicht zeitnah durchkommt, muss auf die Nadelöhre geschaut werden und das sind die nicht vorhandenen Grenzübergänge zwischen Deutschland und Osteuropa. Schauen wir der Realität ins Gesicht, so haben wir zwischen Deutschland und Polen nur zwei güterverkehrstaugliche Übergänge. Das sieht der Bund aber nicht.

FORUM: Welche Rolle könnte die Ostbahn spielen, wenn sie besser ausgebaut wäre?

Frank Schütz: Sie könnte an vielen Stellen entlasten. Schauen wir auf den RE 1, sehen wir eine übervolle Strecke. Wir sehen außerdem eine überfüllte A12, eine nicht weiter verkehrsaufnahmefähige A10 sowie die Bundesstraßen 1und 5, die vor dem Kollaps stehen. Ich möchte gar nicht daran denken, was passiert, wenn die Straßenbrücke der B1 in Küstrin in Betrieb geht. Dann werden die Güterverkehrs-Probleme weitergeführt.
Neben überfüllten Straßen stehen Spediteure auch vor dem Fachkräftemangel und vor dem Problem fehlender Fahrer. Es werden seitens der Politik keine Lösungen gegeben. Dabei wäre der Güterverehr per Schiene eine Lösung, denn bereits ein Güterzug kann 50 Lkw ersetzen. Man kann bei der Ostbahn also auch von einer Umweltschutzachse sprechen.

FORUM: Wie blicken regionale Unternehmen auf die Ostbahn?

Frank Schütz: Wir haben in Ostbrandenburg ein Unternehmen, das mit seinem Vorhaben der Dekarbonisierung an der New Yorker Börse präsent ist – CEMEX. Und dieses Vorhaben wurde dort verkündet, explizit für den Standort Rüdersdorf, mit einem Investitionsvolumen von ca. einer Milliarde Euro. Das ist ein gigantisches Unterfangen. Ein Baustein in der Umsetzung ist der Güterverkehr – und zwar auch der Güterverkehr, der zwischen Eisenhüttenstadt und Rüdersdorf pendelt, der jetzt in vielfacher Form aber noch per Lkw erfolgt. Die Verlagerung auf die Schiene hätte für CEMEX und ArcelorMittal in Eisenhüttenstadt positive Auswirkungen. Ein anderes großes Projekt ist ein geplanter Agrarterminal in Gorgast, wo landwirtschaftliche Produkte zukünftig per Schiene transportiert werden sollen. Tesla schaut ebenfalls auf die Ostbahn. Manchmal bin ich selbst erstaunt, wenn ich in Gesprächen mit den Unternehmen erfahre, dass sie ganz genau verfolgen, was wir als kommunalgetragene Interessengemeinschaft tun, in welchen Runden wir aktuell sitzen und an welchen Baustellen wir argumentieren, um klar zu machen, wie wichtig diese Strecke ist.
Wenn es ein Angebot gäbe, würden Betriebe den Güterverkehr per Schiene auch nutzen. Aber weil es gar keine freie Kapazität im Schienengüterverkehr gibt, gibt es dahingehend eben auch keine Nachfrage. Und so stellt sich für mich die Verkehrswende  als eine Blase dar, die wie ein Luftballon zum Platzen verdammt ist, weil die Grundlage fehlt.
Immerhin ist der Bedarf der Ostbahn jetzt im sogenannten Stufenkonzept des Deutschlandtaktes erfasst. Beim Deutschlandtakt handelt es sich um ein Konzept, mit dem es einen deutschlandweit abgestimmten Taktfahrplan geben wird, der Schienen- als auch Personenverkehr berücksichtigt. Hier ist der Ausbau der Ostbahn ab 2036 vorgesehen. Das ist zwar noch lange hin, ja. Aber erstmals haben wir eine Zahl, mit der wir arbeiten können. Jetzt arbeiten wir daran, dass aus dieser 36 eine deutlich frühere Zahl wird.

FORUM: Welche konkreten Forderungen haben Sie darüber hinaus?

Frank Schütz: Wir müssen den regionalen Druck weiter aufrechterhalten. Dafür haben wir die entsprechenden Argumentationsmöglichkeiten als gemeinsame agierende Region. Ich bin wirklich dankbar, dass wir die Interessengemeinschaft Ostbahn als breites Bündnis haben - aus Kommunen, Landkreis, Stadtbezirken und den unterschiedlichen Institutionen - die alle an einem Strang ziehen. Wichtig ist, dass wir die Geschwindigkeit beibehalten, damit die Unternehmen und Berufspendler auch merken, dass etwas passiert.
Da sind Ergebnisse, wie die Verstärkung der RB 26 Ostbahn bis Müncheberg, gute Nachrichten. Hier wird mit dem Wechsel auf den kommenden Dezember-Fahrplan durch einen batteriebetriebenen Zug ein nicht ganz runder Halbstundentakt geboten. Das wird zumindest in der Region bis Müncheberg eine spürbare Entlastung bringen.
Eine weitere gute Nachricht ist die neu gebaute Brücke in Küstrin. Das ist eine Weltneuheit und das darf man nicht zu leise sagen: Die weltweit erste Netzwerkbogenbrücke mit Carbonhängern. Gleichzeitig ist es ein wichtiger Brückenschlag nach Polen.

FORUM: Welche Bedeutung hat Polen in Bezug auf die Ostbahn?

Frank Schütz: Polen hat sich zu einer Region entwickelt, von der sich so mancher gerne etwas abschauen würde. Ich habe mir vor kurzem den wunderschönen Bahnhof in Rzepin angeschaut. Toll – ich hätte für unsere Region auch gerne solch schön sanierte Bahnhöfe. Auch der Umgang in Polen im Bereich der Modulation der Verkehrswege, also der Wechsel zwischen Straße, Wasser- und Schienenstraße, ist gelungen. Da denke ich mir: ‚Bitte einmal zum Studium nach Polen, bitte abschauen!‘ Wir haben in der Region die Chance eines europäischen Zusammenspiels durch regionale Kooperation, durch einen regionalen Markt und Vernetzung. Wichtig ist ein Miteinander zu leben. Wir sollten nicht im Wettbewerb stehen, sondern die gegenseitigen Vorteile austarieren.

FORUM: Welche Unterstützung erhoffen Sie sich von der deutschen und der europäischen Politik?

Frank Schütz: Auf der europäischen Ebene sehe ich bereits Unterstützung, speziell auch durch Dr. Christian Ehler, der seit Jahren im europäischen Parlament partnerschaftlich an der Seite der Ostbahn gerungen, gewirkt und mitgearbeitet hat.
Auf Bundesebene erwarte ich, dass sie zu ihren Aussagen stehen, eine Verkehrswende vorantreiben zu wollen. Und dafür sind Investitionen nötig, auch in die Ostbahn. Die Bundesregierung muss erkennen, dass Europa seinen Mittelpunkt nicht mehr am Rhein hat. Europa hat seinen Mittelpunkt stattdessen an der Oder.

Welche Vision haben Sie für die Ostbahn in den nächsten 20 Jahren?

Frank Schütz: Da ich ein Optimist bin, bin ich auch überzeugt, dass wir als partnerschaftliche Interessengemeinschaft die Ostbahn beim Bund weiter in den Fokus rücken können. Wir werden mit Druck die Ostbahn dahin entwickeln, dass es eine zweigleisige, elektrifizierte Strecke wird. Und wir werden in kürzeren Schritten auch die Aussagen des Landesnahverkehrs-Plan – stündlicher Halt an jedem Bahnhaltepunkt – umsetzen. So werden auch die ländlicheren Bereiche im Landkreis Märkisch-Oderland profitieren.
Es fragte Katharina Wieske



 



Guido Noack
Referent Verkehr
Geschäftsbereich Wirtschaftspolitik